Gedenkstätten-Leiterin: Bei der Erinnerungsarbeit geht es um das Hier und Jetzt
26. Januar 2024
Am 27. Januar gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Eine der ältesten Gedenkstätten Deutschlands und die einzige in kirchlicher Trägerschaft ist die KZ-Gedenkstätte Ladelund im Kreis Nordfriesland. Im Interview sagt Leiterin Dr. Katja Happe, wie unsere Gedenkkultur sich verändert hat und warum das gut ist.
Es ist 79 Jahre her, dass die letzten Überlebenden aus den Konzentrationslagern befreit wurden. Heute erinnern Gedenkstätten mit unterschiedlichen Konzepten an das Unrecht und Leid, das die Gefangenen erlitten haben.
Frau Happe, wie sieht modernes Gedenken aus?
Modernes Gedenken besteht aus mehreren Facetten. Nämlich nicht nur aus dem Wissen um die Vergangenheit, sondern auch aus der Fragestellung: Was ziehe ich heute daraus? Also: Welche Haltung kann ich aus meinem Wissen heraus zu den Ereignissen heute entwickeln.
In Ladelund machen wir das fest an den Biografien der hier ermordeten Männer. Das heißt zum Beispiel, dass sich eine Besuchergruppe intensiv mit einer Biografie beschäftigt und dazu ein Plakat erstellt. Denn dadurch wird derjenige aus der unpersönlichen Masse hervorgehoben. Es geht also nicht nur um „die Toten“, sondern um eine konkrete Person.
Man kennt am Ende ihren Namen, ihren Beruf. Man weiß, woher derjenige kam, ob er Kinder hatte, verheiratet war, wie er hierhergekommen ist. So wird die Geschichte zu einer Geschichte – sie bleibt im Kopf.
Und darüber kommt man ins Grübeln: Warum ist derjenige verfolgt worden? Werden heute immer noch Menschen verfolgt? Grenzen wir heute noch andere aus? Dieses Nachdenken ist das, was so wichtig ist.
Das heißt, es hilft eine emotionale Verbindung herzustellen, um die Brücke zur Gegenwart zu schlagen?
Ja. So lässt sich der Bogen von einem Individuum zu einem globalen Kontext spannen. Etwa wenn es um die Frage geht: Warum ist es so wichtig, unsere Demokratie zu verteidigen? Was passiert denn, wenn wir es nicht tun? Haben wir da vielleicht schon Beispiele aus der Vergangenheit, aus denen wir lernen können?
Geht es heute beim Besuch einer Gedenkstätte also mehr um das „Erarbeiten“ als um das „Anschauen“?
Wir können uns als kleine Gedenkstätte persönlich mit den Besucher:innen beschäftigen und müssen hier niemanden durchschleusen. Aber ich glaube, es hat sich generell einiges verändert.
Früher ging es um eine andere Art von Wissen: die Vermittlung von Daten und Totenzahlen etwa. Aber was nützt mir dieses Wissen? Vielmehr geht es doch darum, über eine Art emotionales Wissen eine Haltung zu entwickeln. Es geht um die Frage: Was kann ich heute tun, um zu verhindern, dass Politik und Gesellschaft sich noch einmal menschenfeindlich und undemokratisch verhalten? Wie wirken wir der Gefahr entgegen, dass sich so ein Unrecht noch einmal ereignet?
Wie Erinnerungsarbeit aussieht, hängt aber auch von der jeweiligen Besuchergruppe ab: Bei Schüler:innen und Soldat:innen und generell bei jüngeren Gruppen machen wir die Erfahrung, dass sie gern eine Aufgabe bearbeiten. Ältere Menschen wollen nicht unbedingt ein Plakat basteln, die möchten selbst etwas erzählen. Die holt man daher eher mit Gesprächsangeboten ab.
Die Besucherzahlen in den KZ-Gedenkstätten steigen nach den Corona-Jahren wieder. Gleichzeitig vermelden viele Einrichtungen aber auch mehr antisemitische Übergriffe. Wie ist Ihre Erfahrung?
Wir hatten hier zum Glück noch keinen einzigen solchen Vorfall. Weder Schmierereien, noch Beschädigungen oder dergleichen. Ich weiß aber, dass andere Gedenkstätten – auch in Schleswig-Holstein – damit zu kämpfen haben.
Für unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden haben wir daher einen Workshop dazu angeboten, was sie tun können, wenn hier zum Beispiel Menschen mit rechtem Gedankengut auftauchen. Es ist besser, vorbereitet zu sein, als von einer solchen Situation überrollt zu werden.
Wie sieht denn die Strategie in so einem Fall aus?
Das kommt immer sehr auf die persönliche Verfassung darauf an: Bin ich an diesem Tag so aufgestellt, dass ich mich auf eine Diskussion einlassen kann? Wenn ich einen guten Tag habe und mich meiner Argumente und meines Standings sehr sicher fühle, dann kann ich das machen.
Aber ich kann genauso sagen: „Nein. Das diskutiere ich mit Ihnen nicht. Bitte verlassen Sie den Raum.“ Alle unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter können das Hausrecht anwenden. Diese beiden Pole gibt es. Und dazwischen natürlich noch Abstufungen. Und sie alle sind meiner Meinung nach akzeptabel.
Mit Blick auf die derzeitigen Proteste: Positionieren Sie sich bewusst gegen rechtsextreme Parteien? Oder sagen Sie: Unser Engagement geht in Richtung Demokratieförderung, wir nehmen aber nicht konkret Bezug auf die politische Landschaft?
Wir unterstützen mit unserer Arbeit die freiheitlich demokratische Grundordnung und ein friedliches Miteinander. Keine Frage. Das ist unser Ziel, bei allem, was wir hier tun. Gleichzeitig finde ich, dass man ganz klar Stellung beziehen muss gegen die AfD und sämtliche rechtsextreme Tendenzen.
Als Leiterin einer KZ-Gedenkstätte, die sich mit der NS-Geschichte beschäftigt, kann ich nicht einfach still sein, wenn die AfD droht, hier in Nordfriesland das Zünglein an der Waage zu werden. Da muss ich mich einfach positionieren – ich als Person, aber auch ich im Namen der Gedenkstätte.
Für mich heißt das dann etwa, dass ich einen Leserbrief schreibe, wenn ein AfD-Kandidat ein Bürgerschaftsmandat bekommt. Gleichzeitig sind wir als Gedenkstätte bereits seit längerer Zeit Mitglied einer kleinen Organisation, die sich gegen rechtsextreme Tendenzen im ländlichen Raum stellt.
Als Gedenkstätte organisieren wir derzeit zwar keine eigenen Mahnwachen oder Demonstrationen. Dazu sind wir hier oben geografisch zu sehr abseits. Aber wir teilen die Aufrufe anderer dazu.
Zum Abschluss noch eine Frage: Was wäre aus Ihrer Sicht ein optimaler Umgang mit der NS-Vergangenheit?
Ideal wäre, wenn die Leute Bescheid wissen und aus diesem Wissen heraus eine Haltung entwickeln. Wenn jeder weiß, was die damaligen Ereignisse in Bezug auf Menschenwürde, Demokratie, Vielfalt und Antirassismus bedeuten und dann daraus etwas für das Hier und Jetzt ableiten kann. Dann wäre ich meinen Job los. Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.
Vielen Dank für das Gespräch!