Landesbischof Ulrich eröffnete Ausstellung „Neue Anfänge nach 1945?“

Zum Umgang der Nordelbischen Landeskirchen mit ihrer NS-Vergangenheit

Über die große Resonanz zur Ausstellungseröffnung freuten sich die Initiatoren Professorin Dr. Stefanie Endlich, Landesbischof Gerhard Ulrich (Mitte) und Dr. Stephan Linck
Über die große Resonanz zur Ausstellungseröffnung freuten sich die Initiatoren Professorin Dr. Stefanie Endlich, Landesbischof Gerhard Ulrich (Mitte) und Dr. Stephan Linck© Maren Warnecke / Nordkirche

28. Januar 2016 von Stefan Döbler

Hamburg. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) setzt die Aufarbeitung der Geschichte ihrer nordelbischen Vorgängerkirchen in der Zeit des Nationalsozialismus und danach fort. Landesbischof Gerhard Ulrich eröffnete heute (29. Januar) in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi die Wanderausstellung „Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen“. Rund 150 Menschen nahmen an der Eröffnung teil.

Als bundesweit bislang einmalig gilt das Forschungsprojekt, zu dem die damalige Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche 2008 den Historiker Dr. Stephan Linck beauftragte, den Spuren kirchlicher NS-Vergangenheit nicht nur in der Nachkriegszeit, sondern bis ins Jahr 1985 zu folgen. Unterstützt wird Linck, seit 2015 Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit an der Evangelischen Akademie der Nordkirche, von einem Fachbeirat, den der frühere Präsident der nordelbischen Landessynode, Hans-Peter Strenge, leitet. Die Pfingsten 2012 durch Fusion der evangelischen Landeskirchen Nordelbiens, Mecklenburgs und Pommerns gegründete Nordkirche führte den Forschungsauftrag fort.

Landesbischof Ulrich: „Tiefgründige Auseinandersetzung dringend notwendig“

Landesbischof Gerhard Ulrich betonte zur Eröffnung der Ausstellung: „Die schuldbeladene Geschichte der nordelbischen Landeskirchen in der NS-Zeit und den Umgang damit nach 1945 aufzuarbeiten, bleibt eine Aufgabe auch für uns als Kirche der nachfolgenden Generationen. Eine breite und tiefgründige Auseinandersetzung ist dringend notwendig. Diese wollen wir in den nächsten Jahren weiterhin auch vor Ort befördern – mit der aktuellen Wanderausstellung, die vor allem in Kirchen, aber auch in Gedenkstätten und an anderen Orten zu sehen sein wird. Zudem haben wir Gemeinden, Kirchenkreise und kirchliche Dienststellen in Schleswig-Holstein gebeten, vorliegende Materialien und Dokumente aus den Jahren 1933 bis 1945 und den ersten Nachkriegsjahrzehnten der weiteren wissenschaftlichen Auswertung zugänglich zu machen.“

Historiker Linck: „Spannungsvoller Wandlungsprozess“

Der Historiker Stephan Linck sagte am Rande der Ausstellungseröffnung: „Eine zentrale Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt ist eine in den evangelischen Kirchen Nordelbiens nach 1945 weit verbreitete Unfähigkeit, sich kritisch mit dem eigenen Verhalten vor und während der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem spannungsvollen Wandlungsprozess vom Verdrängen und Leugnen der NS-Verbrechen bis hin zur offenen Auseinandersetzung mit kirchlicher Schuld und Mittäterschaft.“

Ergebnisse der Forschungsarbeit sind neben der Ausstellung „Neue Anfänge nach 1945?“ zwei Bücher: Der erste Band „Neue Anfänge?“ über den Umgang der Landeskirchen Nordelbiens mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum in der Zeit von 1945 bis 1965 ist vor drei Jahren erschienen. Der zweite Band über die Jahre 1965 bis 1985 erscheint im Februar 2016. Die Ausstellung präsentiert Erträge beider Bücher. Von 2001 bis 2004 hatte die damalige Nordelbische Kirche ihre Geschichte in der NS-Zeit mit der 1999 in Auftrag gegebenen Ausstellung „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933 - 1945“ thematisiert, die von 2001 bis 2004 in zahlreichen Orten Nordelbiens gezeigt wurde.

An jedem Ausstellungsort ein „lokales Fenster“

In sechs Themenfeldern wird die NS- und Nachkriegsvergangenheit der evangelischen Landeskirchen in Hamburg und Schleswig-Holstein dokumentiert. Unter anderem geht es darum, wie nach den Erfahrungen mit dem totalitären Staat um Wesen und Gestalt der Kirche gerungen wurde. Wie konsequent versuchte man, mit der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus zu brechen? Gezeigt wird der mühevolle Weg von Auseinandersetzung und Dialog über Jahrzehnte, der schließlich zu einer Veränderung der Kirche führte.

An jedem Ausstellungsort erarbeiten Vorbereitungsgruppen jeweils gemeinsam mit dem Historiker Stephan Linck ein „lokales Fenster“. In der Hauptkirche St. Jacobi geht es dabei um den heutigen Umgang mit damaligen Pastoren der Gemeinde, die bekennende Nationalsozialisten und Antisemiten waren. Das wird auch Thema bei einem Gesprächsabend mit Impulsen von Fachleuten am 11. Februar um 19.30 Uhr sein. Für mindestens zwei Jahre wird die Ausstellung auf dem Gebiet der Nordkirche unterwegs sein. Bis zum 21. Februar ist sie in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi zu sehen. Die nächsten Stationen sind Itzehoe (St. Laurentii, 26. Februar bis 15. März), Elmshorn (Stiftskirche, 18. März bis 5. April), Kaltenkirchen (St. Michaelis, 9. bis 22. April), Stiftung Alsterdorf/Hamburg (27. April bis 10. Mai) und Kiel (St. Nikolai, 13. bis  27. Mai). Auch ein Begleitheft für Jugendliche und Lehrer sowie ein pädagogisches Konzept für jüngere Schüler sind geplant.

Die Wanderausstellung „Neue Anfänge nach 1945?“ ist ein Projekt der Evangelischen Akademie in Zusammenarbeit mit dem Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche. Konzipiert und realisiert wurde sie von Prof. Dr. Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus und Beate Rossié – Expertinnen, die in den vergangenen Jahren bereits mit mehreren Ausstellungen zum Thema „Kirche und Nationalsozialismus“ von sich reden machten.

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