29. März 2013 | Christkirche Rendsburg

Seht, welch ein Gott!

29. März 2013 von Gothart Magaard

Karfreitag, Predigt zu "Ecce homo" - eine Wegmeditation

Uns allen bekannt ist der Wortwechsel zwischen Pilatus und Jesus, insbesondere in der Fassung des Johannesevangeliums. In keinem anderen Evangelium entsteht ein so intensives, beinahe ist man geneigt zu sagen: persönliches Gespräch zwischen diesen beiden so unterschiedlichen „Königen“:

Der eine mit Macht über Leben und Tod im Diesseits, der andere mit Macht über Leben und Tod zu allen Zeiten und Orten.

Wir werden Zeugen eines merkwürdig asymmetrisch anmutenden Dialoges; da befragt einer, der ganz offensichtlich ganz von dieser Welt ist, einen, der nach eigener Auskunft ein ganz anderes Reich regiert. Da verhört jemand, dessen Macht nur vorübergehend und geliehen ist, jemanden, der solche Macht zu verleihen vermag.

Da verkündigt – wie so oft auch andernorts im Johannesevangelium – ein Außenstehender, sozusagen „aus Versehen“, wer dieser Geschlagene und Geschundene in Wahrheit ist. Am Ende sogar universal, als Nachricht in alle Welt, in drei Sprachen. Das Evangelium breitet sich von selbst aus, und zwar – so die Pointe des Johannesevangeliums - nicht trotz Jesu Gegner, sondern unbewusst mit deren Hilfe.

„Seht, welch ein Mensch!“ ist einer dieser berühmten Sätze des Pilatus aus dem legendären Verhör. Wie aus dem Moment heraus dahingesagt, ist er doch im Gedächtnis der Menschheit einer der bleibenden, beinahe bekenntnishaft zu nennenden, Aussagen über Jesus. „Seht, welch ein Mensch!“

Welchen Menschen sehen wir, wenn wir das hören? Welchen Menschen stellt Pilatus Ihnen vor Augen, liebe Karfreitagsgemeinde? Mit welchem Unterton ist das wohl so gesagt?

Vielleicht sehen wir einen, der zwischen die Mühlen von Zuständigkeiten geraten ist? Einen, der von Pontius zu Pilatus geschickt wird, weil sich niemand befassen will? Seht die Menschen, die hin- und hergeschickt und schließlich ganz abgeschoben werden. Weil sich ihrer niemand wirklich annehmen möchte.

Weil es Mühe macht. Weil es Zeit und Geld kostet. Weil es hieße, Verantwortung zu nehmen und dass man seine Hände eben nicht in Unschuld waschen könnte, sondern vielleicht sogar Schuld auf sich laden würde. Seht die Alten in den Heimen. Seht die Flüchtlinge in den Abschiebegefängnissen. Seht die in den Mühlen der Bürokratie Zerriebenen. Seht die vor den Flimmerkisten geparkten Kinder. Seht die Spielbälle der Mächtigen.

Vielleicht aber hören wir im Kommentar des Statthalters auch etwas vollkommen anderes: Die Aufforderung nämlich, innezuhalten in dem außer Kontrolle geratenen Folterspiel. Seht, welch ein Mensch steckt wirklich in dieser bemitleidenswerten und traurig anzuschauenden Gestalt. Der, den ihr wie einen König aus dem absurden Theater mit Purpurmantel und Dornenkrone verkleidet und verspottet, ist tatsächlich ein König, und zwar euer eigener König! Wisst ihr eigentlich, was ihr da tut?

Seht die Entstellten und Verhöhnten! Seht die lächerlich Gemachten. Die in den Schulklassen Isolierten. Seht die von Schönheits-OPs Gezeichneten. Seht hinter die Fassaden der Obdachlosen. Seht die psychischen Wracks der Eingekerkerten.

Oder klingt Anerkennung, gar heimliche Bewunderung in den Worten des Pilatus durch? Seht, was für ein Mensch! Davon gibt´s nicht viele – und ausgerechnet den soll ich umbringen lassen? Seht die Menschen, die es wagen, selbst zu denken. Selbst zu handeln.

Seht die Frauen und Männer, die einer Vision folgen und um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Seht Anwar el Sadat aus Ägypten. Seht Aung San Suu Kyi aus Myanmar. Seht Nelson Mandela aus Südafrika. Seht Wangari Maathai aus Kenia. Seht Muhammad Yunus aus Bangladesch. Seht Liao Yiwu aus China.

Vielleicht, liebe Gemeinde an Karfreitag, hören Sie ja auch noch ganz andere Botschaften? Sehen ganz andere menschliche Gestalten vor sich?

Mit welchem Ohr wir diesen Satz des Pilatus auch hören oder welchen Unterton wir aus ihm heraushören mögen: Die Todesstunde Jesu führt in letzter Konsequenz vor Augen, was von Anfang an Gottes Programm ist: Seine Menschwerdung, die Fleischwerdung des Wortes.

Dazu gehört dann auch die Sterblichkeit; dazu gehört, dass Gott es auf sich nimmt, verhöhnt, gefoltert und getötet zu werden. Um uns und den Genannten so nahe wie nur möglich zu sein. Seit Karfreitag gibt es keinen Ort auf dieser Erde und keine menschliche Situation, in der Gott nicht gegenwärtig wäre. Keinen Grund, weshalb er sich von uns trennen ließe, weder durch andere noch durch uns – selbst. Das Johannesevangelium sieht deshalb in diesem malträtierten Menschen, den Pilatus uns hier noch einmal vorführt, bevor er ihn schließlich dem Mob überlässt, den Gottessohn „voller Gnade und Wahrheit“.

„Seht, welch ein Mensch!“, sagt Pilatus. Und wir antworten: „Seht, welch ein Gott!“

Amen.

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