Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche: „Eine Verantwortung und Verpflichtung, die niemals aufhört“
25. Januar 2024
Die amtierende Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs nahm am Donnerstag (25. Januar) die Ergebnisse der Aufarbeitungsstudie „ForuM“ zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche entgegen.
Mit einem Bekenntnis zur Verantwortung der evangelischen Kirche für das Versagen beim Schutz vor sexualisierter Gewalt und zur konsequenten Aufarbeitung des verursachten Unrechts hat die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, heute die in Hannover vom Forschungsverbund ForuM veröffentlichte Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche entgegengenommen.
„Wir übernehmen als evangelische Kirche und Diakonie Verantwortung für die Gewalttaten, die von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen unserer Institution begangen wurden,“ so Bischöfin Fehrs. „Dazu gehört es als erstes, klar zu sagen: Wir sind auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig geworden. Und ich kann Sie, die Sie so verletzt wurden, nur von ganzem Herzen um Entschuldigung bitten.“
Diese Bitte um Entschuldigung könne aber nicht unverbunden stehen, so die amtierende Ratsvorsitzende: „Sie ist unbedingt auch Verpflichtung! Sie kann nur glaubwürdig sein, wenn wir auch handeln und Verantwortung übernehmen. Mit Entschlossenheit also ganz konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen, die greifen.“ Dazu sei auch eine Haltungs- und Kulturveränderung notwendig. „Es geht nicht um abarbeiten, es geht um aufarbeiten. Und um möglichst angemessene Formen der Anerkennung des erlittenen Unrechts“, so Bischöfin Fehrs. Das sei „eine Verantwortung und Verpflichtung, die niemals aufhört.“
Bei der Vorstellung der Ergebnisse zeigte sich Kirsten Fehrs erschüttert über die schweren Gewalttaten: „Ich bin erschüttert. Ich kann es nicht anders sagen. Immer wieder neu, seit ich mich mit dem Thema befasse, erschüttert mich aufrichtig diese abgründige Gewalt, die so vielen Menschen in der Kirche angetan wurde.“
Die brutale Gewalt und das unsägliche Unrecht erschüttere auch die Grundfeste von Kirche und Diakonie: „Wir sprechen hier über Gewalt auch an Kindern, etwa in Kitas, von der niemand etwas gewusst haben will. Wir sprechen über ein Wegsehen des Umfelds, der Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen, und schlicht über das massive Versagen unserer Kirche, den betroffenen Menschen gerecht zu werden. Wir haben sie zur Tatzeit nicht geschützt und wir haben sie nicht würdig behandelt, als sie den Mut gefasst haben, sich zu melden,“ so Bischöfin Fehrs.
Reaktion der Diakonie
Für die Diakonie Deutschland äußerte sich deren Präsident Rüdiger Schuch zu den Ergebnissen: „Auch in Einrichtungen der Diakonie haben Menschen, die wir hätten schützen müssen, sexualisierte Gewalt erfahren. Das zeigt uns die ForuM-Studie. Die Institution Diakonie hat in ihrem Schutzauftrag hier versagt. Das ist für uns erschütternd. Wir erkennen das begangene Unrecht an und wir übernehmen Verantwortung. Jeder Fall ist ein Fall zu viel.
Ich bin den betroffenen Personen dankbar, dass sie es für die ForuM-Studie auf sich genommen haben, die Erfahrung ihres Leids zu teilen. Wir wollen nun gemeinsam mit ihnen die Aufarbeitung aller Fälle weiter voranbringen. Dazu unterstützen wir die Arbeit des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt.
Wir werden in der Diakonie die Ergebnisse der ForuM-Studie umgehend analysieren und mit unseren Landesverbänden Konsequenzen ziehen. Wir sind entschlossen, die gesamte Praxis und Kultur der Arbeit in unserem Verband, in unseren Einrichtungen und Diensten zu prüfen – und wo es nötig ist, auch tiefgreifend zu verändern.“
Dank für wissenschaftliche Aufarbeitung
Auch Bischöfin Fehrs dankte allen Mitwirkenden an der Studie. „Ich stehe mit Achtung und Respekt davor, dass so viele betroffene Menschen trotz allem ihre Erfahrungen von Leid und Unrecht mit den Forschenden geteilt haben und sich aktiv in den Forschungsprozess eingebracht haben. Ohne ihre Mitarbeit wäre diese unabhängige ForuM-Studie, die wir als EKD ja gerade wegen ihres überzeugenden betroffenen-partizipativen Konzeptes favorisiert haben, nicht möglich gewesen. Und so achte und respektiere ich ausdrücklich auch die konzentrierte, kritische und intensive Arbeit von allen Forschenden, die an diesem großen Projekt beteiligt waren. Hier wurde nicht allein nüchterne Forschung betrieben, hier wurde sich bei aller wissenschaftlichen Distanz auch persönlich sehr stark für Aufarbeitung und gegen sexualisierte Gewalt eingesetzt“, sagte Bischöfin Fehrs.
Weiterer Umgang mit Ergebnissen
Die Ergebnisse und konkreten Empfehlungen werden nun in Kirche und Diakonie intensiv auf allen Ebenen diskutiert. Dazu werden sich über das Jahr 2024 alle Leitungsgremien der EKD, aber auch landeskirchliche Synoden und die evangelische Öffentlichkeit mit den Ergebnissen beschäftigen. Die zentrale Rolle spielt dabei das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD. Darin werden kirchliche Beauftragte und Betroffenenvertreter*innen die Ergebnisse gemeinsam mit den Forschenden analysieren, die Diskussionen aus anderen Gremien und Ebenen zusammenführen und im November 2024 der Synode der EKD einen Maßnahmenplan mit Konsequenzen aus der Aufarbeitungsstudie ForuM vorlegen.
Kirsten Fehrs stellte hierzu klar: „Dies ist unser Weg der direkten Mitentscheidung von Betroffenenvertreter*innen im Beteiligungsforum. Daran haben sich alle Organe der EKD 2022 gebunden. Und diesen Weg werden wir selbstverständlich auch im Umgang mit den Ergebnissen gehen.“