Bischof Tilman Jeremias: "Wir brauchen Menschen, die mutig ihren Glauben bekennen"

Bugenhagenmedaille für Marit und Raik Harder

Marit und Raik Harder
Marit und Raik Harder © Annette Klinkhardt

24. Oktober 2020 von Annette Klinkhardt

Greifswald. Erstmals geht die höchste Auszeichnung der Nordkirche für ehrenamtliches Engagement an ein Ehepaar: Bischof Tilman Jeremias verleiht die Bugenhagenmedaille heute (25. Oktober) Vormittag im Greifswalder Dom St. Nikolai an Marit (56) und Raik Harder (57). Bereits zu DDR-Zeiten haben die beiden eine Studentenmission in Greifswald ins Leben gerufen, Anfang der 2000er Jahre das übergemeindliche Gottesdienstformat „GreifBar“ mit entwickelt und engagieren sich seit Jahrzehnten in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit. Das Ehepaar hat fünf Kinder.

Bischof Tilman Jeremias sagt: „Wir brauchen Menschen wie Marit und Raik Harder, die den Mut haben, ihren Glauben klar zu bekennen und damit nicht hinter dem Berg halten. Sie sind ein wichtiger Farbton innerhalb unserer Nordkirche.“ Der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche räumt ein: „In unserer großen liberalen Kirche tun wir uns oft schwer mit dem Begriff Mission. Dabei hat uns Jesus ganz klar beauftragt, unseren Glauben zu bezeugen und andere Menschen dazu einzuladen.“ 

Christen in der DDR: Schikanen gehörten dazu

Eingeladen haben Marit und Raik Harder seit ihrer Jugend – auch unter schwierigen Bedingungen. Beide wuchsen in christlichen Familien auf. Raik, ein Arbeiterkind, durfte Musik studieren. Marit wurde ein Studium verwehrt, da sie aus einer christlichen Akademikerfamilie stammt: Ihr Vater Hans-Jürgen Stautmeister wurde als Lehrer schikaniert, weil er Christ war, bis er ab 1981 als mecklenburgischer Landesposaunenwart aufblühte. Doch schon früh war in ihr eine Art christliches „Revoluzzertum“ wach, wie sie es nennt. Marit, die eine gute Schülerin war, erzählt: „Ich habe die ständigen Schikanen nicht als ungerecht empfunden, sondern war sogar ein bisschen stolz darauf. Als der Lehrer für Staatsbürgerkunde zu mir sagte, von  mir wirst du nie eine 1 kriegen, entgegnete ich: 'Das will ich auch gar nicht!' Das Christsein war mir so viel wert.“

Aufgewachsen ist sie in Ludwigslust, Raik in Waren/Müritz. Beider Familien gehörten zur landeskirchlichen Gemeinschaft, deren Schwerpunkt auf Gebet und Bibellektüre liegt. So blieb es nicht aus, dass die beiden sich bei einer kirchlichen Freizeit begegneten und schon bald wussten: Wir gehören zusammen. „Als ich 15 Jahre alt war und Raik 16, haben wir angefangen, uns Briefe zu schreiben“, erzählt Marit. Täglich gingen Briefe hin und her in der Zeit, als Raik seinen Wehrersatzdienst als Bausoldat leisten musste.

In Rostock verteilten sie Einladungen zu einer Evangelisationsveranstaltung - wohl wissend, dass sie damit ins Visier der Stasi geraten könnten. Marit erzählt: „Wir klingelten an Türen und wussten nie, wer aufmacht.“ Als sie dann einmal ein „Kommen Sie mal bitte rein!“ hörten, hätte ihr Herz bis zum Hals geschlagen. „Wir hatten total Angst, jetzt gleich unsere Personalien angeben zu müssen“. Umso erleichterter waren sie, als sich herausstellte: Sie hatten bei Zeugen Jehovas geklingelt.

Beim Bibelkreis hört die Stasi mit

Doch die Angst vor der Stasi war nur zu begründet. Auch in Greifswald, wohin die beiden 1987 zogen. Als das Ehepaar begann, Studenten in ihr Wohnzimmer zu Bibelkreisen einzuladen, war das die Geburtsstunde der Studentenmission in Greifswald. „Die Stasi wusste ganz genau, wer dabei war, was diejenige studierte und über was gesprochen wurde. Die haben unsere Wohnung verwanzt. Dass der Staat so weit geht, damit hatten wir nicht gerechnet“, so Marit Harder. Das Ehepaar blieb über Jahrzehnte das Gesicht der Studentenmission in der Region.

Mit der Wende beobachtete Raik Harder einen grundlegenden Wandel, wenn er Menschen ansprach: „Vorher musste ich jedem, mit dem ich ein ernsthaftes Gespräch führen wollte, klarmachen, dass ich nicht automatisch ein Umstürzler bin. Nach der Wende musste ich immer erst klarstellen, dass ich als Christ nicht die rechte Hand von Helmut Kohl bin.“

Als sie in den ersten Jahren nach 1989 Bibeln verteilten, hätten die Menschen sie ihnen förmlich aus den Händen gerissen. „Da war so ein Hunger nach Dingen, die man nicht kannte.“ Dennoch machen sich die beiden keine Illusionen. Raik Harder zitiert den früheren sächsischen Bischof Axel Noack: „Die Kirche hat die Menschen in Massen verloren. Wiedergewinnen können wir sie nur einzeln.“ Und so gehen die beiden auf Menschen zu: Freundlich, zurückhaltend und zuhörend, aber stets deutlich ihren Glauben bezeugend.

Das Geschenk des Glaubens weitergeben

Mit dieser Einstellung leiteten sie Glaubenskurse, die über Greifswald hinaus weit in die Region hinausstrahlten. Raik Harder sagt: „Es ist uns ein Anliegen, dieses Geschenk des Glaubens weitergeben zu dürfen an jeden, weil wir wissen: Im Osten hatten viele Menschen nicht die Chance, Jesus Christus kennenzulernen“. Ein „Türöffner“ sei dabei die Musik, so der begabte Pianist, der an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Klavier studierte und seit 1992 Dozent am Greifswalder Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft ist. Die mitreißende Musik ist auch eines der Kennzeichen von „GreifBar“, dem übergemeindlichen Gottesdienstprojekt, das Marit und Raik Harder mitgegründet haben und maßgeblich mitgestalten.

Marit, die gelernte Physiotherapeutin und Elterntrainerin, organisierte die Kinderbetreuung von „GreifBar“ mit bis zu 15 Mitarbeiterinnen und engagiert sich im Konfirmandenunterricht der Greifswalder Johanneskirche. „Wenn wir in Kleingruppen über Themen des Lebens oder über Gott sprechen, dann denke ich oft, was für tolle Gedanken diese Jugendlichen haben, wie reif die schon sind. Da geht mir das Herz auf.“ Um Konfirmandenfreizeiten zu begleiten, nimmt sie ihren Jahresurlaub. Sie erzählt: „Bei den Freizeiten entstehen oft tiefe Gespräche. Die Jugendlichen stehen heute unter einem massiven Druck. Da gibt es eine große Sehnsucht nach Segensworten und Menschen, die ihre Fragen ernst nehmen.“

Menschen wie Marit und Raik Harder. Die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche begründet die Verleihung der Bugenhagenmedaille in einer Urkunde: „Es ist außergewöhnlich und anerkennenswert, mit welchem kontinuierlichen Einsatz und welcher Treue und Zuverlässigkeit sich das Ehepaar über Jahrzehnte für ihre Kirche ehrenamtlich engagiert. Dabei geht ihr Engagement weit über das übliche hinaus, weil es faktisch ihr ganzes Leben umfasst und viele unterschiedliche Bereiche einschließt. Sie leiten Kirche verantwortlich mit und versuchen neue Formen von Kirche konstruktiv neu zu denken.“

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