Eröffnungsgottesdienst der Konferenz für Diakonie und Entwicklung
11. Oktober 2023
Predigt zu Lk 18,28-30
„Erzählen Sie doch mal. Was führt sie zu uns?“
Aufmunternd lächelt die Vorsitzende der Personalkommission der jungen Bewerberin zu. Die junge Frau, die ihr gegenüber sitzt, sagt ein paar Dinge zu Ihrer Motivation, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben.
Aber bevor ihr in diesem Bewerbungsgespräch die nächste Frage gestellt werden kann, fragt sie selbst sehr sachlich zurück: „Soviel zu meiner Motivation. Darf ich nun Sie bitten, mir zu sagen: Was haben Sie mir zu bieten als Unternehmen? Wie würde mein Onboarding aussehen? Über welche Ressourcen und Möglichkeiten verfügt mein Arbeitsplatz? Welche Entwicklungsperspektiven habe ich?“
Sicher laufen so heutzutage nicht alle Bewerbungsgespräche. Aber manche schon.
Und zu vielen anderen liegt die Auskunft zu diesen und ähnlichen Fragen bereits im Vorfeld von Bewerbungsgesprächen. Nämlich dort, wo auf freie Stellen aufmerksam gemacht, wo um qualifizierte Arbeitskräfte regelrecht geworben wird.
II
Damit willkommen, liebe Geschwister,
von Herzen willkommen,
hier, in der Rostocker Universitätskirche.
Heute ist diese Kirche ein Ort, in dessen Umfeld viele junge Leute ausgebildet werden; ein Raum, in dem die Universität, eine der ältesten im Ostseeraum, bis heute die akademischen Abschlüsse aller Fachrichtungen feiert.
Doch begonnen hat der Raum, an dem wir uns jetzt befinden, in einem ganz und gar klösterlichen Kontext. Nämlich um das Jahr 1270 im Zisterzienserkloster zum Heiligen Kreuz. Im Zusammenhang von ora et labora, im Zusammenhang mit dem, was Menschen damals als Berufung verstanden, der sie folgen wollten und der sie zu folgen hatten.
Damals gab es keine wie eingangs beschriebenen Bewerbungsgespräche; jedenfalls nicht mit der Fragerichtung, was denn das Klosterleben wohl an Chancen und Möglichkeiten zu bieten habe. Etwas anderes muss die zumeist sehr jungen Menschen damals angezogen haben, so wie hier Kranke zu pflegen, oder andernorts Sümpfe trocken zu legen oder Gärten zu kultivieren. Etwas muss sie angesprochen und überzeugt haben, in einer Gemeinschaft zu leben, gemeinsam zu beten und gemeinsam zu arbeiten. Ob auch sie sich ab und an die Frage gestellt haben, warum sie das einmal angefangen haben? Oder auch die Frage, was sie von einem Leben im Kloster erwarten dürfen, welche zukünftigen Möglichkeiten es ihnen bietet? Ich weiß es nicht.
Aber die Jünger, von denen in der Bibel erzählt wird, haben sich diese Frage offenbar gestellt.
Denn, so erzählt es das Lukasevangelium, einmal,
da sprach Petrus zu Jesus:
Siehe, wir haben verlassen, was wir hatten,
und sind dir nachgefolgt.
Jesus aber antwortete:
Wahrlich, ich sage euch:
Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt
um des Reiches Gottes Willen,
und der nicht weit mehr empfängt in dieser Zeit
und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
III
Siehe, wir haben verlassen, was wir hatten, und sind dir nachgefolgt.
Wir haben doch alles richtig gemacht, könnten diese Sätze meinen - ganz, wie du, Jesus gesagt hast. Unseren Besitz aufgegeben. Alles andere, was uns im Leben wichtig war, hintan gestellt.
Und dann immer in deinem Namen und in deinem Auftrag unterwegs.
Und nun - so die unausgesprochene Frage - und nun: Was bekommen wir dafür? Was ist der Gewinn, der Lohn für all das? Was haben wir davon?
Wer vieles einsetzt, die eigene Kraft, die eigene Zeit, die eigene Zugewandtheit und Empathie, das eigene Engagement, wer vieles einsetzt, fragt sich auch irgendwann, ob es nun das gebracht hat, was man sich vorgestellt hat, ob sich das alles lohnt. Oder fragt sich vorher, ob es sich lohnen wird. Denn gelernt haben wir, dass wir für alles, was wir geben, auch etwas erwarten können.
Seien es materielle Dinge wie Geld oder Arbeitskraft, seien es immaterielle Dinge wie Aufmerksamkeit, Zuneigung, Zuhören - für unsere Leistung erwarten wir eine Gegenleistung.
Erhalten wir nichts zurück - nicht einmal einen Dank,
den wir als adäquat empfinden - verlieren wir das Interesse, werden frustriert oder zornig.
Die Frage nach dem, was der Einsatz der eigenen Kraft, Arbeit und Zugewandtheit bringen wird oder bringt, scheint mir bei den Aufgaben der Personalgewinnung und Personalsicherung, mit denen Sie sich hier bei der Konferenz für Diakonie und Entwicklung in diesen Tagen in Rostock beschäftigen werden, ganz entscheidend.
Und während zur Zeit der Jünger oder zur Zeit der Mönchsorden dabei religiöse, genauer: christliche Motivationen eine große Rolle spielten, stehen diese heute eher im Hintergrund. Denn wir haben es, um es mit Worten von Michael Domsgen und Tobias Voß zu sagen, mit „deutlich wahrnehmbare(n) Ablöseprozesse(n) von christlich geprägten Traditionen“[1] zu tun.
Dennoch aber, so haben beide in empirischen Untersuchungen festgestellt, ist auch bei konfessionslosen Mitarbeitenden „trotz zahlreicher Distanzierungsprozesse eine grundsätzliche Erwartungshaltung an diakonische Unternehmen vorhanden…: Diakonie und Kirche sollen sich für Patienten und Mitarbeitende einsetzen im Sinne von Helfen, Solidarität, Gemeinschaftsstiftung und einem Festhalten an Normen und Werten, die das Leben lebenswerter machen.“[2]
"Christliche Lebenspraxis … muss eine Relevanz im Arbeitsalltag aufweisen.“[3]
Eine alles andere als leichte Aufgabe im gegenwärtigen Spannungsfeld von Fachkräftemangel, dem Wettbewerb um Arbeitskräfte auf dem freien Markt der Wohlfahrtspflege mit marktwirtschaftlich-neoliberalen Arbeitsbedingungen in einer Gesellschaft, in denen Menschen zunehmend weniger auf eigene christliche Motivationslagen anzusprechen sind.
In diesem Jahr habe ich auf einer Besuchsreise zu bislang 14 Kooperationsprojekten von Diakonie und Kirche in unserer Nordkirche miterleben dürfen, wie dieses Miteinander gelingt, wie es Menschen motiviert, gerade dort zu arbeiten und sich mit den je eigenen Gaben und Kräften einzubringen und dort „zu Hause“ zu fühlen.
Immer wieder wurde mir erzählt, welche Chancen und Möglichkeiten dabei für die berufliche wie die persönliche Entwicklung erfahren werden.
Mich hat begeistert, wie Mitarbeiter:innen dort begeistert erzählen, wie viel sie zurückbekommen - und natürlich nicht nur die Mitarbeitenden dort. Aber auch hoch motivierte und ebenso hoch zufriedene Teams spüren um sich herum die gesellschaftlichen Veränderungen und deren Herausforderungen.
IV
Da sprach Petrus zu Jesus:
Siehe, wir haben verlassen, was wir hatten,
und sind dir nachgefolgt.
Jesus aber antwortete:
Wahrlich, ich sage euch:
Es ist niemand, der Haus oder Frau
oder Bruder oder Eltern oder Kinder verlässt
um des Reiches Gottes willen,
und der nicht weit mehr empfängt in dieser Zeit
und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
Die Antwort, die Jesus auf die versteckte Frage nach dem gibt, was die Nachfolge denn nun eigentlich bringt, ist nicht gerade konkret oder besonders anschaulich.
Sie fällt geradezu vage aus: Für das, was aufgegeben wurde, empfängt man: weit mehr in dieser Zeit und das ewige Leben in der zukünftigen Welt.
Weit mehr -
was mag das ein?
Weit mehr als das, was uns vor Augen steht?
Weit mehr als wir glauben?
Weit mehr als wir uns vorstellen können?
Weit mehr als wir hoffen?
Weit mehr als wir brauchen?
Weit mehr ...
V
Der lebendige Gott ruft in die Nachfolge.
Er ruft uns ins Gedächtnis, dass wir zur Freiheit berufen sind.
Niemandes Untertan und zugleich der Sache Jesu, seinem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verschrieben. Das als Gabe und Aufgabe zugleich zu begreifen, ist Kern der christlichen Lebensform:
Sei, was du bist und gib, was du hast.
Dass Menschen erwarten, in ihrem Berufs- und Lebensalltag mit einer anderen, ja der eigentlichen Wirklichkeit in Kontakt zu kommen, dass sie dort Gemeinschaft und Sinn erleben, dass Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit konkret erfahrbar werden in den zwischenmenschlichen Handlungsvollzügen, das wird sicher auch weiterhin eine wichtige Perspektive für Personalgewinnung und Personalsicherung sein. Und vielleicht noch wichtiger werden als bisher.
VI
Siehe, sagt Petrus, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.
Was wird uns dafür gegeben?
Das Leben, antwortet Jesus, das Leben, jetzt und hier und in Ewigkeit.
Amen.
[1] Michael Domsgen/ Tobias Voß, Was Diakonie herausfordert. Beobachtungen im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit, in: dies. (Hg.), Diakonie im Miteinander. Zur Gestaltung eines diakonischen Profils in einer mehrheitlich konfessionslosen Gesellschaft, Leipzig 2021, 11-15, 11.
[2] AaO., 12f.
[3] AaO., 13.