„Kommunikation des Evangeliums läuft am besten ohne Schreibtisch”
17. November 2017
Es ist eine Diskussion, die sich auf Twitter entwickelte: Wie erreicht man am besten mit einer Predigt die Menschen? Viele Beiträge dazu kamen von Carola Scherf, Pastorin in Lübeck, die nun noch einmal ihre Gedanken in einem sehr persönlichen Text zusammengefasst hat. Ein Gastbeitrag.
Als ich Theologie studieren wollte, machte ich einen Termin mit dem Pastor in meinem Ort, der gerade neu seine Stelle bei uns angetreten hatte.
Ich war 18 Jahre alt, unsicher, kam aus einem bildungsfernen Haushalt und hatte die Hoffnung, dass er mir meine vielen Fragen über Studium und Beruf beantworten könnte.
Ich erinnere mich 20 Jahre später immer noch an diese Begegnung in dem Amtszimmer dieses Pastorats, weil sie das Drama, wie Menschen im kirchlichen Kontext miteinander kommunizieren, so greifbar macht.
Ich fand es toll, dass ich in das Amtszimmer des Pastorats eingeladen wurde.
Aber als ich mich dann auf einen Stuhl gleich neben der Tür setzen sollte, während der Pastor gefühlte 20 Meter weiter hinter einem Schreibtisch Platz nahm, der ohne Weiteres als Bollwerk für einen Schützengraben hätte dienen können, fand ich es schon ein bisschen irritierend.
Trotzdem fing ich an, ihm von meinem Sitzplatz aus meine Fragen durch den Raum zuzurufen.
Ich wollte sehr viel wissen. Hauptsächlich eigentlich, ob ein Mensch wie ich, der bis heute nur wenig Fremdwörter kennt, so ein Studium überhaupt bewältigen und dann eine gute Pastorin sein kann.
In würdevoller Erhabenheit zündete sich der Pastor daraufhin eine Pfeife an, und begann, damit im Mundwinkel und in großväterlicher Pose, mir zu erklären, worauf es in diesem Beruf wirklich ankommt: „Die Predigt ist ein theologischer Ringkampf.“
An diesen Satz von ihm muss ich heute noch immer wieder denken. Und an die Rauchwolken-Aura, die ihn umgab.
Heute weiß ich, dass die Distanz in der Sitzordnung auch symbolisch für den Milieu-Unterschied zwischen uns war: Der gelehrte Bildungsbürger und die Schülerin aus dem Prekariat.
"Schlepp mich bloß nie wieder hierher"
Am darauffolgenden Sonntag nahm ich meinen besten Freund Tobi mit in den Gottesdienst.
In einer Dorfkirche in der Wesermarsch mit 300 Sitzplätzen saßen wir in Gesellschaft von zehn im Raum versprengten Menschen auf unserer Bank und lauschten dem theologischen Ringkampf auf der Kanzel.
Ich blickte voller Bewunderung auf zum Pastor, der hoch über unseren Köpfen auf der Kanzel unglaublich kluge Sachen sagte, teilweise noch auf Griechisch und Hebräisch, während Tobi sich zu mir beugte und mir ins Ohr flüsterte: „Schlepp mich bloß nicht wieder mit hierher.“
Ja. Und damit hätten wir ja das ganze Dilemma auch schon zusammengefasst. Ich bin heute Pastorin und finde Kirche richtig toll. Tobi ist heute Chirurg und hat wahrscheinlich sein ganzes Leben nie wieder freiwillig einen Fuß in die Kirche gesetzt.
Wie kommunizieren wir was?
Jetzt haben wir 2017, und die vor Kurzem zu Ende gegangene EKD-Synode macht sich Gedanken darüber, wie wir als Kirche Menschen ansprechen können. Also auch über das Thema, wie wir das eigentlich kommunizieren, was wir zu sagen haben.
Ich komme gleich mal zum Punkt: Wenn wir in der Kirche die Gedanken der Synode zur Kommunikation des Evangeliums wirklich umsetzen wollen, dann müssen wir aus meiner Erfahrung heraus genau das auch ernst nehmen: Es gibt Menschen, die das, was wir gut finden, so überhaupt nicht anspricht. Manche schreckt es sogar ab.
Wenn wir grundsätzlich nur von Innen, und hier vorrangig aus Pastor*innensicht, Überlegungen anstellen, wie das Evangelium an die Leute kommt, dann müssen wir uns vor Augen führen, dass wir in der Kirchenblase immer nur die Rauchwolke atmen, die wir da selbst reinpusten.
Die anderen sind außer Reichweite
Ich habe vor Kurzem auf Twitter mal gefragt, wie Gottesdienst/ Predigt/ Kirche/ Pastor*innen sein und kommunizieren müssten, damit Menschen, die mit Kirche nicht so viel zu tun haben, damit etwas anfangen können und wollen. Es gab viele Antworten darauf. Die meisten Replies, kamen von Leuten aus dem (auch weitesten) kirchlichen Umfeld, also zumindest mit Interesse und Berührungspunkten. Diese bezogen sich im Wesentlichen darauf, wie man die existierenden Gegebenheiten für Menschen zugänglich machen kann. Hier wiederum war das meiste auf die Gottesdienste bezogen. Manches aber auch auf die Pastor*innenpersönlichkeiten.
Ich finde es wichtig, an dieser Stelle zu bemerken, dass sich in dieser Frage, die mit einer relativ großen Reichweite diskutiert wurde, niemand zu Wort gemeldet hat, der wie mein Freund Tobi ist: Unabhängig von jeglichen kirchlichen Bezügen.
Das bedeutet für mich: Ich kann keine Aussagen darüber treffen, was diese Menschen denken. Das ist ein Problem, was wir an anderer Stelle ebenfalls haben. Wir können uns nur auf das Feedback beziehen, das wir von den Leuten bekommen, die sowieso schon da sind oder mit Kirche sympathisieren. Die anderen sind außer Reichweite.
Kritik und Relativierung
Allerdings wäre es meiner Meinung nach schon einmal ein Ansatz, bei den vorhandenen Rückmeldungen anzufangen: Wenn der kirchliche Inner Circle und dessen weiterer Dunstkreis pastoralen Tonfall, Unverständlichkeit / Lieblosigkeit in der Liturgie sowie Lebensferne in der Predigt bemängelt, dann kann ich es nicht verstehen, wenn Kolleginnen und Kollegen in diesen Fällen sofort anfangen, zu postulieren, dass es bei ihnen ja ganz anders sei.
Das ist eine grundsätzliche Beobachtung, die ich mache: Kritik an den oben genannten Dingen wird von Pastor*innen selbst auch geübt, aber von sich selbst weggewiesen. Oder es wird auf Kritik wird mit Relativierungen eingegangen.
Ich halte das für nicht weiterführend.
Rückzug in die Rolle als Sicherheitsfaktor
Ausgehend von den Erfahrungen, die ich selbst in meiner Gemeinde mit meinen Gemeindemitgliedern mache, kann ich folgendes sagen: Ich finde mich selbst auch cool, aber sogar ich bemerke bei mir selbst hin und wieder einen pastoralen Tonfall in meiner Sprechweise. Nämlich immer dann, wenn ich unsicher werde. Ein Rückzug in die Rolle ist dann ein sehr bequemer Sicherheitsfaktor.
Auch ich halte meine Predigten für gut und lebensnah. Aber ich habe es selbst auch schon erlebt, wie ich meine Leute von der Kanzel aus in einen sanften Schlaf befördert habe.
Der allererste Schritt, hinter dem schützenden Schreibtisch hervorzukommen und die Menschen in ihrem Wunsch nach angemessener Kommunikation ernst zu nehmen, muss da sein, auf die Leute zu hören. Und ihre Kritik ernst zu nehmen.
„Das ist oft nicht gut, was ihr macht“
Ich habe als Reaktion darauf auf Twitter von pastoraler Seite sogar tatsächlich gelesen, dass es Unsinn sei, von den Menschen her zu denken. Ich hingegen kann mir gar nichts anderes vorstellen, als das zu tun.
Ich glaube, dass wir anfangen müssen, zu hinterfragen, was wir üblicherweise tun: In gut theologischer Rauchwolken-Aura wird oft behauptet, was richtig und was falsch ist. Wir berufen uns dabei zumeist auf Theologen, die vor 60 Jahren und weit früher ihre jüngste Veröffentlichung hatten.
Was wir uns an dieser Stelle wirklich einmal klar machen müssen: Unsere eigenen Leute sagen uns: „Das ist oft nicht gut, was ihr macht.“
Und wie reagieren wir darauf? Wir haben nichts Besseres zu tun, als in öffentlichen Posts, die Pfeife anzuzünden und die Leute mit theologischen Ringkämpfen einzunebeln.
Es gibt zu Recht Kritik an Sprache, Sprechweise und Unfähigkeit zur Übersetzung von theologischen Aussagen bei Pastorinnen und Pastoren.
Auch ich finde manches wirklich kritikwürdig. Und umso besser finde ich es, wenn Leute den Mut haben, es anders zu machen.
„Wir wollen von euch was hören, was auch wirklich Substanz hat"
Wenn wir in der Öffentlichkeit auf Social Media studierte Theolog*innen, die hinter dem Lehrerpult hervorkommen und sich zu den Menschen dazusetzen, als unzureichend darstellen, dann tun wir uns keinen Gefallen damit.
Ich frage mich manchmal, ob es einen peinlichen Fremdschäm-Charakter für alle stillen Mitlesenden hat, die ihr Bild von Kirche damit bestätigt finden.
Ich möchte ausdrücklich auch nochmal darauf hinweisen, dass Theolginnen da sehr viel leichter Zielscheibe ihrer eigenen männlichen Kollegen werden.
Und auch das bedient Bilder, die Menschen sowieso schon sehr tief in sich haben. Da frage ich ganz ernsthaft: Muss das sein?
Dass Pastor*innen und pröpstliche und bischöflichen Personen alle dieses Fach studiert haben, ist klar. Und fertig.
Die Frage ist die nach der Kommunikation des Evangeliums.
Und das passiert nicht nur in Gottesdiensten und Predigten. Allerdings erwarten Menschen auch hier, dass das, was da kommuniziert wird, auch einen konkreten Inhalt hat. Zu Recht.
Auch dahingehend waren die Rückmeldungen von Twitter: „Wir wollen von euch was hören, was auch wirklich Substanz hat. Prüft das mal da drauf!“
Das, was auf jeden Fall mitpredigt, ist allerdings auch immer die Person. Viel mehr als das, was am Sonntag in der Kirche gesagt wird.
Social Media bieten uns die Gelegenheit, hinter unserem Schreibtisch hervorzukommen
Ein im zeitlichen Umfeld der EKD-Synode erschienener Ze.tt-Bericht hat auf der Grundlage der Auswertung einer anonymen Umfrage herausgestellt, dass Menschen sehr viel mehr mit persönlicher Haltung und dem, wie sich Christlich-Sein im Leben ausdrückt, anfangen können, als mit theologischen Richtigkeiten.
Wenn man das darüber hinaus ernst nimmt, dass mir Menschen auf Twitter geschrieben haben, dass Authentizität von Verkündiger*innen schon selbst verkündigt, dann bedeutet das auch was für die alltägliche Kommunikation.
Twitter, Facebook, Snapchat und Instagram bieten uns die Gelegenheit, hinter unserem Schreibtisch hervorzukommen und Face-to-Face mit Menschen zu kommunizieren. Genauso wie wir das im echten Leben auch tun sollten.
Es ist immer und unvollständig, was wir da sagen können.
Aber wir können das ja Gott sei Dank jeden Tag wieder machen.
Und wir brauchen dazu noch nicht mal einen Schreibtisch.