50. Jubiläum Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll
12. Juni 2024
Grußwort im Rahmen der Veranstaltung "Reden! Statt schweigen!"
Ich freue mich, Ihnen ganz persönlich heute zu Ihrem 50. gratulieren zu können und von Herzen Gottes Segen zu wünschen. Der ist mir wichtig allem voranzustellen. Denn Segen schützt die Lebens- und die Hoffnungskraft und lässt einen immer einen kleinen Moment befreit aufatmen. Empfinden doch viele in diesen Tagen die Enge der Angst. Und deren Gegenimpuls ist eben nicht zuvorderst der Mut, sondern, gut protestantisch, die Freiheit.
Herzensweite also. Und wenn man die Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll mit einem Begriff würdigen kann, dann genau mit diesem: Herzensweite, die keine Ausgrenzung duldet. Auch und gerade nicht beim Thema „seelische, psychische Erkrankung“. Im Gegenteil: Darüber kann man gar nicht genug nicht schweigen.
Also wird hier und jetzt geredet. Nicht etwa allein durch Grußworte wie dieses, sondern schon dadurch, dass Sie alle, liebe Freundinnen und Freunde, hierhergekommen sind. Gut so. Denn Sie reden, auch nonverbal, über ein Thema, das gesellschaftlich immer noch so viel Stummheit auslöst. Verneinung. Und Tabu. Dies eben deshalb, weil seelische Ängste und Traumata, die oft ja so diffus und dennoch unerhört mächtig die Seele herauffluten können, kaum zu verstehen (und auszuhalten) sind, sowohl für betroffene Menschen als auch für die Angehörigen. Und dies gilt erst einmal generell, wissend, dass die Drohszenarien einer Klimakatastrophe mit all ihren Ohnmachtsgefühlen uns heute in besonderem Maße beschäftigen werden.
Ich stehe mit großem Respekt davor, wie Sie, die Sie sich in der Stiftung engagieren, dem ein klares Programm entgegenstellen, nämlich immer gemeinsam mit den betroffenen Menschen, ihren Angehörigen und Therapeut:innen nach Bildern von gutem Leben zu suchen. Bilder, die einen wenigstens zeitweise aus dem alles überschattenden Krisenszenario und der Gefangenschaft der Angst befreien.
Und ich rede von Freiheit ganz bewusst heute, einen Tag nach einer Europawahl mit einem Rechtsruck, der einem tatsächlich Angst machen kann, was in Zukunft wird. Auch wenn in Hamburg die demokratischen Parteien einen beachtlichen Erfolg errungen haben und „nur“ acht Prozent AfD gewählt haben, aber – es sind genau acht Prozent zu viel. Und wir wissen alle, die wir hier sitzen: Es steht schlecht um das Klima, einschließlich des gesellschaftlichen. Hassparolen, Hetze im Netz, Leugnung des Klimawandels, Ausgrenzung andersdenkender und andersglaubender Menschen, der ganze toxische Cocktail nationalistischer und völkischer Ideologie liegt vielen auf der Seele, auch auf der Seele unseres Landes. Die Demokratie verwundet, der Zusammenhalt brüchig, „Angst essen Seele auf“.
Es wird uns heute intensiv befassen, dass eben nicht nur junge Menschen angesichts einer Klimakrise, die wegen der multiplen Krisen nach hinten durchgereicht wird, leiden. So vieles verändert sich rasant, Gewissheiten brechen weg. Die Menschen sind zutiefst verunsichert im Blick auf ihre eigene Zukunft sowie auf die Zukunft des Planeten. Der notwendige Abschied von manchen Träumen und Gewohnheiten um des Klimas willen, der Umgang mit systemischer und individueller Schuld von uns Babyboomern und der Umgang mit der eigenen, global vergleichsweise privilegierten Situation, die Grenzerfahrung, wie wenig dem Menschen möglich ist angesichts der menschgemachten Klimakatastrophe – all das macht etwas mit uns, verursacht Sinnverlust und lähmt die Tatkraft.
Und all das ist Ihr Thema im Freundeskreis. Aber auch für uns als Kirche. Denn das wirft doch – neben der Schöpfungsverantwortung und klimagerechtem Handeln, versteht sich – unweigerlich auch seelsorgerische Fragen auf. Und zwar nicht nur bezogen auf den einzelnen Menschen. Sondern Seelsorge auch als gesellschaftlicher Beitrag, um Angst und Ohnmacht, so sehr man um sie weiß, nicht das Feld zu überlassen. Ich verstehe es vielmehr als unsere kirchliche Aufgabe, Verständigungsorte und Resilienzräume der Hoffnung zu schaffen. Durch Reden, nicht Schweigen. Rituale. Die Musik. Das Argument.
Mit Herzensweite – ich stehe bewundernd davor, dass Sie sich mit Ihrer Stiftung und als gemeinnützige Organisation in den Dienst dieses Themas stellen. Ohne Wenn und Aber drüber reden, nicht schweigen. So wie Sie es die vergangenen fünfzig Jahren auch getan haben. Nicht ausweichen, angehen. Andere Institutionen mit herausfordern, nachdenken, in die Verantwortung eintreten, in aller Freiheit.
Und so bin ich sehr dankbar, dass es Sie gibt, und wünsche Ihnen von Herzen weiterhin viel Segenskraft für Ihre Arbeit. Denn die gibt Hoffnung, jeden Tag.