7. Dezember 2014 - Predigt Radiogottesdienst auf NDR-Info, WDR 5 und MDR
07. Dezember 2014
Predigt zu Lukas 21, 25-33
Kopf hoch, Erlösung naht!
I
Liebe Gemeinde,
„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ oder: „Kreidefelsen auf Rügen“: In den Bildern von Caspar David Friedrich, dem herausragenden Maler der Frühromantik, sind immer zwei Wirklichkeiten zu erkennen, die sich wie zwei Linien durch sein Leben ziehen. Wir können sehen, wie sie miteinander ringen und wie mal die eine und mal die andere die Oberhand gewinnt. Eine dunkle, schwermütige und eine glückliche, lebensfrohe Linie kennzeichnen sein Werk.
Ein Beispiel. Im Jahr 1806 besucht Friedrich als 31-jähriger seine Heimatstadt Greifswald. Er fertigt eine Skizze an von der „Kuh Wiese“ aus im Blick auf die Stadt. Alle Türme hält er genau fest: den der dicken Marie, den Dachreiter des Rathauses, davor in der Mitte des Bildes gedrungen das Vettentor und dann den langen Nikolaus und den kleinen Jacob.
Zweimal hat Friedrich diese Skizze für Ölgemälde genutzt, doch: wie unterschiedlich! 1816/17 malt er „Greifswald bei Mondschein“. Ein wunderschönes, aber auch ein melancholisches Bild, das eine gewisse Traurigkeit ausdrückt. Im Hintergrund sehen wir die Stadt, die vom Mond hell schimmert. Im Vordergrund, wo der Betrachter steht, ist es dunkel. Lediglich ein kleines Fischerboot ist zu erkennen, seine Netze sind zum Trocknen ausgespannt, einsam fährt es dahin. In seiner Bildsprache drückt Friedrich aus, wie der Mensch alleingelassen von allen jenseitigen Mächten in der Dunkelheit des Diesseits seinen Weg finden muss.
Ganz anders: vier Jahre später. 1820/21 malt Friedrich mit exakt der gleichen Stadtsilhouette seine berühmten „Wiesen bei Greifswald“. Da „tummeln sich hinter dunklem Gebüsch in einer blitzblanken, gelb-violetten Morgenstimmung die vom Joch befreiten Pferde, und die Turmspitzen recken sich in den links oben aufblauenden Himmel. Ein einfacheres Bild für den ‚Himmel auf Erden‘ ließ sich schwerlich finden!“[1] Greifswald war die Stadt Caspar David Friedrichs. Es war seine Stadt und seine Heimat. Er nimmt sie hier als Sinnbild wahr für seine ewige Heimat bei Gott, als Bild des himmlischen Jerusalems.
Dieser Wechsel in den Lebensfarben Caspar David Friedrichs: „vom Dunkel ins Licht“, wie der Jugendchor gesungen hat – welche Motive finden wir dafür in seiner Biographie?
Caspar David Friedrich wurde hier im Greifswalder Dom am 6. September vor 240 Jahren getauft. Er war das sechste von zehn Kindern. Seine Mutter starb, als er sieben Jahre alt war. Was ihn sein Leben lang nicht losgelassen hat, war der Tod seines Bruders Johann Christoffer. Beide Jungen waren beim Eislaufen auf dem Greifswalder Bodden. Da bricht der 13-jährige Caspar David ins Eis ein. Sein Bruder Johann Christoffer, selbst erst zwölf, rettet ihn. Doch dann bricht Johann Christoffer selbst ein und für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Caspar David muss mit ansehen, wie sein Bruder ertrinkt. Schuldgefühle haben den älteren Bruder sein Leben lang nicht losgelassen. Er durfte leben, um den Preis, dass sein Bruder starb.
Ein Jahr nach diesem tragischen Erlebnis schreibt der 14-jährige Caspar David Friedrich in Schönschrift auf ein Blatt: „Gott hat selbst in unsere Schmerzen und Bekümmernisse einen gewissen Keim zum Vergnügen gepflanzt, und Dinge die ganz widerwärtig scheinen, arbeiten miteinander zu einem gemeinschaftlichen Zweck. Aus dem Tode wird Leben geboren.“
Caspar David Friedrich ist zeit seines Lebens ein tief gläubiger Mensch geblieben. Er hat hier etwas ausgedrückt, was ihn auch später bewegt hat: Es ist eine Hoffnung, die wir auch im Evangelium für den heutigen zweiten Advent gehört haben: Das Schreckliche ist nicht der Anfang vom Ende, sondern für Euch das Ende des Schreckens. So sagt Jesus es bei Lukas. Er schildert dort nichts weniger als das Ende der Welt – ähnlich, wie wir es von Hollywood-Blockbustern kennen: Herbeigeführt durch Erdbeben, Flutwellen, Meteoriten. Doch nicht die äußere Vernichtung ist das Schlimmste. Viel früher setzt schon die Zerstörung ein, wenn Angst und Sorge ein Leben vernichten. „Die Menschen werden vor Angst vergehen“, sagt Jesus. „Ja“, sagt Jesus, „es kann einem in dieser Welt Angst und bange werden.“ Und wenn ich mich in meinem Leben auf das Negative fixiere, lass ich zu, dass meine Seele zerstört wird.
Doch dann nimmt Jesus die Furcht und sagt: Habt keine Angst. Das alles sind nur Vorzeichen für das Kommen dessen, der wahre Menschlichkeit bringt. Der Menschensohn schlechthin ist niemand anderes als Jesus. „Am Ende werde ich, Jesus, mit Macht und Herrlichkeit kommen und alles zu Recht bringen.“ Darum: „Erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“
Am Ende stehen wir nicht vor der Katastrophe und dem Weltuntergang, sondern vor Jesus. Weil wir ihn kennen, brauchen wir uns vor nichts zu fürchten. Wir schauen in das Gesicht dessen, der in wunderschönen Bildern von dem zukünftigen Reich gesprochen hat. Es ist ein Reich, das unaufhaltsam kommt und das am Ende alles ausfüllt. Es ist das Reich, in dem Gott Gerechtigkeit schafft und in dem jeder das bekommt, was er braucht. Es ist das Reich, das bestimmt ist von der Liebe des Vaters und seiner Freude über uns, seine Kinder. Hier gibt es Vergebung der Sünden und Erlösung für viele. [2] Bei Gott werden wir getröstet und gesättigt. Deswegen: wenn ihr all dies Schreckliche erlebt, seid nicht verzweifelt, sondern nehmt wahr, dass es auch eine andere Wirklichkeit gibt.
Zwei Wirklichkeiten, die miteinander ringen; ob ich auf drohende Widerwärtigkeiten schaue oder auf die himmlische Heimat, die am Ende auf uns wartet. Das gilt nicht nur bei Friedrich. Das gilt auch bei uns.
II
Ich habe Ihnen einen kleinen Feigenbaum mitgebracht. Er steht seit vielen Jahren bei uns auf dem Balkon. Das Bäumchen ist etwa einen Meter groß. Es hat jetzt keine Blätter mehr. Es ist völlig kahl. Bis vor vier Wochen war er noch grün und über und über mit den typischen großen Feigenblättern besetzt. Auch einige Früchte hatte er angesetzt, die leider in unseren Breiten nicht ganz reif werden. Nun hat er Blätter und die meisten Früchte abgeworfen. Im Frühjahr wird er wieder ausschlagen und grün werden. Dann wissen wir: der Sommer steht vor der Tür. Jesus unternimmt nun einen gewagten Vergleich: Wenn der Feigenbaum ausschlägt, dann wissen wir: der Sommer kommt. Wenn uns nun Katastrophen ängstigen – oder was immer uns bis ins Mark erschüttert - dann sollen wir wissen: Der Herr kommt. Das Reich Gottes steht vor der Tür.
Dieser Vergleich sagt auch: Schaut nicht auf das, was Angst macht, sondern auf das, was uns die Angst nimmt. Jesus sagt selbst: „Kopf hoch, Erlösung naht!“. Alles, auch das, was uns so sicher scheint, vergeht. Aber auf Jesu Zusagen ist Verlass. Er sagt: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht“.
Advent heißt ja nichts anderes als „er kommt zu uns“. Die Erlösung kommt von dem, der schwach und als Kind in diese Welt kam und der mächtig und als Weltenretter wiederkommen wird. Auf diese bevorstehende Ankunft Gottes bereiten wir uns in der Adventszeit vor.
Wir feiern Advent, damit wir lernen: Gott kommt in dreifach verschiedener Weise. Einmal ist er in Bethlehem gekommen. Weihnachten stellt uns Gott vor Augen, wie er damals, vor 2000 Jahren in einem Kind gekommen ist. Aber Gott kommt auch noch heute. Er kommt zu uns, und er kommt durch uns: Ein Besuch bei jener alten Dame, deren Mann verstorben ist; so zeigt Gott: Du bist nicht allein. Jesus begegnet uns auch in den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak: wo wir Hilfe und Obdach gewähren, dort ist Jesus nahe. Und: Er kommt in unsere manchmal brüchige Welt der Familien. Es ist ja keine heile Welt, in die Jesus kommen will. Er kommt, um unsere Welt heil zu machen. So wird er auch in Zukunft kommen und unsere Welt verwandeln. Liebe Gemeinde, oftmals merken wir erst im Rückblick, dass Gott gekommen ist. Da waren wir in einer Not und verzehrten uns nach einer Lösung, aber sie blieb anscheinend aus. In der Rückschau auf unser Leben erkennen wir dann, wie es dann – mit Gottes Hilfe – weitergegangen ist.
Der Advent erzählt uns von diesem dreifachen Kommen Gottes in unsere Welt. Gott kommt im Kind, im Sohn und die unaufhaltsame Schwäche und die unwiderstehliche Machtlosigkeit ist seine Kraft. Im Geist kommt Gott auch schon heute. Er ist uns in schwerer Zeit nahe. Und schließlich wird er am Ende in Macht und Herrlichkeit kommen. Diese Klarheit und Einmaligkeit wünsche ich mir schon heute. Wie der alttestamentliche Prophet möchte ich rufen: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf!“.
Aber noch haben wir diese Klarheit nicht. Noch leiden und sterben wir in dieser Welt. Noch ringen beide Linien miteinander: die traurige, melancholische und die heitere, himmlische Linie. Noch wirkt Gott allzu häufig unter dem Anschein des Gegenteils und wir müssen uns wie der 14-jährige Caspar David Friedrich trösten: „Gott hat selbst in unsere Schmerzen und Bekümmernisse einen gewissen Keim zum Vergnügen gepflanzt….Aus dem Tode wird Leben geboren.“. Noch müssen wir damit leben, dass alles vergeht. Aber wir wissen auch, dass Jesu Worte und Zusagen bleiben: „Kopf hoch, ich komme zu dir, und ich will dir nahe sein!“ Amen.
[1] B. Frenssen, in: B. Frenssen, T. Grundner, Natürlich romantisch. Caspar David Friedrich und Freunde in Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 2013, 37.
[2]