Adventspredigt im Rinderstall auf Gut Schierensee
05. Dezember 2010
Liebe Gemeinde! „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr!“ Advent: Zeit der Erwartung, dass es hell werde in der Dunkelheit; dass Freude sich einstelle in manchem Missmut dieser Zeit; dass Gewissheit uns stärke in Zeiten der Unsicherheiten. Etwas ist im Kommen: eine andere Zeit, die ihren Ausdruck findet auch in unseren Ritualen und Symbolen: der Adventskranz kündet mit seiner immergrünen Farbe vom neuen Leben, seine Kerzen verweisen auf das Licht, das unser Leben aufbricht und hell und freundlich erwärmt.
Unsere Vorfreude kommt zum Ausdruck in der verzauberten Welt: den ins Licht getauchten Städten und Straßen; den Häusern mit ihren Lichterketten; den festlichen kleinen Weihnachtsmärkten – und eben hier auf Gut Schierensee: mitten in der Kälte die Wärme – auch die des Punsches; die Süße des Gebäcks. Und das Schnauben der Rinder, ihre Gelassenheit, die uns zur Ruhe kommen lassen kann. Gott sagt sein Kommen an, seinen Advent bei uns. Der Glaube streckt sich aus zu der Verheißung unseres Gottes, dass er seine Welt nicht sich selbst überlässt, dass er die Traurigen aufrichtet und tröstet, dass er die Hoffnungslosen ermutigt. „Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren...!“ Das ist der Zielpunkt aller Freude, die die Menschen damals und seitdem bis heute immer neu erfasst!
Advent ist die Zeit, in der unsere Sehnsucht wach wird und sich ausstreckt – die Sehnsucht, dass heil werden möge die Welt, alles, was zerrissen ist. Hier im Stall wird das deutlich: dass zusammen kommen möge und beieinander sein möge die Schöpfung Gottes und alle seine Geschöpfe! Und unsere Lieder singen von Gott, dessen Zeit anbricht, uns Menschen zum Heil und zum Frieden. Und das sind Lieder von gewaltiger Kraft: „O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf. Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ – Das ist ein Lied, das sich nicht mit kleinen Wünschen zufrieden gibt: Himmel und Erde sollen zueinander kommen. Was dem Leben im Wege steht, soll weg. Freiheit soll einkehren für alle Menschen. Gott, der Friedefürst, möge herab regnen aus den Wolken, damit fruchtbar werde alles Leben und sich ausbreite der Frieden: das genau inszenieren wir im Advent: dass da eine Kraft ins Leben eindringen möge, die die Realität, alles Triste und Traurige überwindet, ersetzt durch Freude, pure Freude und Frieden:
„Siehe es kommt die Zeit, spricht der Herr…Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: fürchtet euch nicht!“ Das ist die frohe Botschaft dieser Zeit!
Gott ist noch nicht fertig mit uns:
Da sind müde Hände, die wollen gestärkt werden.
Da sind wankende Knie, die wollen fest werden.
Da sind verzagte Herzen, die wollen getröstet werden.
Da sind die Augen der Blinden, die wollen aufgetan werden.
Da sind die Ohren der Tauben, die wollen geöffnet werden.
Gott ist noch nicht fertig mit uns.
Gott ist noch nicht fertig mit mir.
Mit meinen müden Händen nicht und nicht mit den oft wankenden Knien. Nicht mit meiner Blindheit und Taubheit. Gott sei Dank!
Und er ist nicht fertig mit seiner Schöpfung. Bei aller Schönheit und bei allem Charme der Tiere – aus der Bibel weiß ich auch um das Seufzen der Kreatur nach Erlösung, nach einem nicht nur heute Abend und hier guten Umgang zwischen Mensch und Tier. Nach einem angemessenen Umgang mit seiner guten Schöpfung – in Mexico ist dieser Tage wieder das Klima unserer Erde das Thema, und viele schauen sehnsuchtsvoll dorthin, dass dem, was das Leben vieler Menschen jetzt schon beschwert, weil wir leben, wie wir leben, ein Ende gemacht werden kann. Und dass das, was dort beredet wird, bei uns ankommt und unsere Herzen wendet und Vernunft einkehren lässt: dass wir nicht leben auf Kosten anderer, ferner Menschen und Völker. Dieses Bild hier im Stall sagt auch: wir gehören zusammen, brauchen einander, atmen dieselbe Luft der einen Welt!
Dass wir hier, liebe Adventsgemeinde, so festlich beieinander sind, im Glanz dieses Rinderstalls mit herrlicher Musik von Chor und Bläsern, mit festlichem Schmuck bei Mensch und Tier – das alles ist doch auch ein Zeichen dafür, dass wir noch etwas Gutes und Heilvolles von Gott erwarten – für uns, für die Tiere, für die ganze Welt.
II
„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all´ ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm, vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
“Im Glanz dieses Stalles hier auf Gut Schierensee erwarten wir den Glanz des Stalles dort in Bethlehem – ein Glanz, in dem der Retter verborgen anwesend und da ist: Der Heiland in der Gestalt eines Kindes, der Alles-Schützer in der Gestalt eines Schutzlosen, der Retter in der Gestalt eines Alles-Bedürfigen.
Mit den Worten eines alten Liedes aus dem Neuen Testament war das eben auch zu hören aus der Heiligen Schrift.
„Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub,
Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.“
Der Hymnus im Philipperbrief beschreibt das Geheimnis der Gegenwart Gottes in der Dynamik von groß und klein, von Herrschaft und Dienst, von Herrlichkeit und Niedrigkeit: Der Herr kann sich gleichsam verstecken im Knecht, der große Gott kann sich verstecken im kleinen Kind: das ist immer auch da, wo wir Menschen meinen, das sei eigentlich kein ihm angemessener Platz. So wie etwa die Geburt des Königs in Bethlehem eben nicht in einem Stall bei den Hirten zu erwarten gewesen ist.
Das Lied singt von dem Glauben, dass in dem, der da im Stall geboren wird, Gott selbst ist: der den Niedrigsten zuerst erscheint, der die Gefangenen besucht und die Ausgestoßenen zu sich ruft; der den Sündern vergibt und den Herrschenden ihre Grenzen aufzeigt; der die Friedlichen selig spricht und die Sanftmütigen; der die Barmherzigen zu Inhabern des Himmels erklärt: der dafür sogar ans Kreuz geht, in den Tod, damit wir leben können. Ein Herr und König, der eben mehr ist als unsere Kraft hergibt, dem wir uns anvertrauen dürfen ohne Angst, verloren zu gehen. In dem das Zerrissene zusammen kommt – so haben es die ersten Christen erlebt. So erfüllte sich ihnen das „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht: da ist euer Gott!“
Es kommt ein Schiff geladen, ja es kommt – trägt Gottes Sohn voll Gnaden – was für eine kostbare Fracht!
Das Schiff, es kommt auf uns zu uns entgegen, wir können sein Kommen nicht beschleunigen oder aber festlegen seinen Ankerplatz. So, dass wir etwa meinen bestimmen zu können, der Retter soll kommen zu uns, also bloß nicht zu den anderen da, zu uns, und also bloß nicht zu den Fremden, zu uns, und also bloß nicht zu den Migranten, zu uns, und also bloß nicht zu denen da drüben in der Moschee oder Synagoge! Nein, im Advent warten wir voller Sehnsucht auf den, der da kommt: das ist zugleich das Ende jeglicher Form von Egoismus und von allen „Unterm´ Strich zähl-ich-Parolen“. Die Leitkultur des Advent ist die Kultur der Freude, die Kultur des Festes, zu dem alle Menschen eingeladen sind. Die Leitkultur des Advent ist die Kultur des offenen Stalls – wie wir sie hier erleben.
III
Und wie sie uns stärken will für unseren Alltag. Wie sie unsere Herzen erwärmen und auch wenden will, dass wir uns einander zuwenden, Orte finden für unsere Sehnsucht und unsere Freude; Orte, an denen wir unsere Hände stärken für all unser Tun und die wankenden Knie fest machen können. Der da kommt, will nicht nur flüchtig zu Besuch kommen. Er will bleibenden Eindruck hinterlassen: ein Besuch, der uns verändern kann, unser Miteinander erfüllen wird. Amen.