Diakonie und Frauenwerk arbeiten gegen Trauma der Beschneidung
03. Februar 2023
Weltweit wird alle 11 Sekunden ein Mädchen beschnitten. Damit einher gehen oft lebenslange Schmerzen und ein psychisches Trauma. Am 6. Februar gehen das Frauenwerk der Nordkirche und die Beratungsstelle Tabu der Diakonie Altholstein auf die Straße, um ein Zeichen gegen Genitalverstümmelung zu setzen. Denn das Problem besteht auch in Deutschland.
Seit etwas mehr als drei Jahren gibt es die Beratungsstelle Tabu der Diakonie Altholstein: Sie ist für ganz Schleswig-Holstein eine Anlaufstelle für Familien und Frauen mit dem Schwerpunkt Female Genital Mutilation/Cutting, kurz (FGM/C). Gemeint ist die rituelle Beschneidung von Mädchen und Frauen.
Praktiziert wird sie in einigen afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern trotz Verbots bis heute. Durch Migration leben auch in Schleswig-Holstein schätzungsweise 2.000 bis 3.000 Betroffene. Sie zu stärken und ihre Töchter zu schützen, ist das Ziel von Tabu.
Keine Sicherheit solange das Thema Tabu ist
"Es gibt Fälle, in denen Mädchen aus Deutschland zurück in ihre Heimat oder auch ins nahe Ausland gebracht werden", erklärt Renate Sticke, Leiterin der Beratungsstelle Tabu, warum auch hier geborene Kinder gefährdet sind. Oft erfolge die Beschneidung schon in jungen Jahren, aber nicht immer. Auch kurz vor der Heirat würden Frauen noch diesem gewaltsamen Ritual ausgesetzt. "Keine Frau ist sicher", sagt Sticke mit Blick auf die große Altersspanne der Betroffenen und die hohe Dunkelziffer.
Mit den Schmerzen und Ängsten blieben die Frauen dann oft allein. Denn das Thema sei weitestgehend noch ein Tabu. Auch Ärzt:innen wüssten hierzulande häufig nicht, wie sie damit umgehen sollten, so Sticke. Bewusst geworden sei ihr das, als sie schwangere Frauen in einem früheren Projekt betreute. Sie selbst habe bis dahin Genitalverstümmelung hauptsächlich mit afrikanischen Ländern in Verbindung gebracht. Erst bei der Betreuung der Schwangeren habe sie gemerkt, dass FGM/C auch in Ländern wie Jemen, Irak oder auch Indonesien verübt werde.
Männer müssen ebenso aufgeklärt werden
Bei der Suche nach Hilfe für die Frauen, die aufgrund ihrer Verletzungen große Sorge mit Blick auf die bevorstehenden Geburten hatten, habe sie gemerkt, dass es so gut wie keine professionellen Angebote gebe. Die Diakonie Altholstein habe daraufhin Tabu als Pilotprojekt gegründet, sagt Sticke.
Heute betreut die Beratungsstelle hunderte Fälle. Sie ist Koordinationsstelle für ganz Schleswig-Holstein und bekommt 2023 zum ersten Mal Fördergelder des Bundes. Ihr Ansatz: Sie stärkt Frauen aus unterschiedlichen Ländern, die mit FGM/C leben. Und sie gewinnt Multiplikatoren, die gegen das Tabu arbeiten, nicht über die Verstümmelung sprechen zu dürfen. Denn nur wenn alle wüssten, welche negativen Folgen die Beschneidung habe, könne man sie in Zukunft verhindern, meint Sticke. Genau deswegen vernetzt und stärkt die Beratungsstelle nicht nur Frauen, sondern klärt auch Männer darüber auf, welches Leid FGM/C verursacht.
Trauma wiegt schwer
Inzwischen gibt es einige, wenige Spezialisten, die Rekonstruktionen der weiblichen Genitalien vornehmen könnten. In Deutschland ist dies etwa im Luisenhospital in Aachen möglich. Doch auf die Frage, ob FGM/C reparabel sei, sagt Sticke: "Körperlich vielleicht – je nach Schweregrad der Verletzung. Aber kann man ein Trauma reparieren?"
Mitmach-Aktionen gegen Genitalverstümmelung
Am 6. Februar, dem internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung, will sie zusammen mit den Beraterinnen von Tabu in der Öffentlichkeit auf das Problem von FGM/C aufmerksam machen: Mit einem Pop-up-Pavillon wird die Beratungsstelle am Alten Mark in Kiel vertreten sein. Zwischen 11 und 16 Uhr bietet sie darin verschiedene Aktionen an, dazu gehören etwa eine Filmvorführung, Audiobeiträge, eine Bilderbox und ein Büchertisch.
Mitmachen kann man auch bei der Protestaktion "461 hands against FGM/C", bei der alle die eigene Hand mit dem Ausruf "Stop FGM/C" beschriften und fotografieren können.
Ebenso lädt das Frauenwerk der Nordkirche zu einer öffentlichen Kunstperformance gegen FGM/C ein: Ab 12 Uhr wird neben dem Pop-up-Pavillon der Diakonie die Hamburger Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin Lavanya Honeyseeda eine Stimm- und Klangperformance in der Kieler Fußgängerzone bieten.
Botschafterinnen sind der Schlüssel
Die Kunstperformance ist Teil des Nordkirchen-Projekts "Menschenrechtsverletzung weibliche Genitalbeschneidung – Dialogräume eröffnen". Das Bildungsprojekt ermuntert Frauen selbst aktiv zu werden und ihre Stärken weiter zu entwickeln. Sie werden dabei unterstützt, Botschafterinnen für die Überwindung von weiblicher Genitalbeschneidung zu werden. Das Projekt umfasst kunsttherapeutische Workshops, Fachtage und öffentliche Auftritte.