31. März 2023 um 11.00 Uhr | Dom zu Lübeck

„Dass das Dennoch des Glaubens Sie im Vertrauen auf Gottes Nähe und Beistand behüte“.

31. März 2023 von Gothart Magaard, Gothart Magaard, Gothart Magaard

Ansprache im Gottesdienst zum 90. Geburtstag von Altbischof Karl L. Kohlwage

Lieber Bruder Kohlwage, liebe Frau Kohlwage und Familie, liebe Festgemeinde,

Ihren 90. Geburtstag mitzufeiern und Sie so aufmerksam und bei guten Kräften zu erleben ist ein besondere Freude und ein Geschenk. Wie viele Erfahrungen und Begegnungen, wie viele Erinnerungen und persönliche Erlebnisse, wie viele Projekte und Impulse gehören dazu? Sie können darüber lebendig berichten – und wir können es auch, heute an Ihrem Geburtstag. Ob eher aus der familiären Perspektive oder der von Wegbegleitern, Mitstreiterinnen und freundschaftlich verbundenen Menschen:

Im Blick auf Ihr Wirken am Predigerseminar Preetz, in der Kirchengemeinde Flensburg-Mürwick, Ihren langen Dienst als Propst im Kirchenkreis Stormarn, Bezirk Ahrensburg oder Ihre 10jährige Amtszeit als Bischof des Sprengels Holstein-Lübeck. Im Blick auf Ihr Wirken als Landessynodaler oder als Vorsitzender der Kirchenleitung, stets mit großer Verantwortung für die Diakonie, z.B. im Landesverein für Innere Mission oder in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und im Bereich der EKD. Oder aber im Blick auf 22 Jahre im Ruhestand.  

Heute ist es gut, Rückblick zu halten und sich dessen zu vergewissern, was im Leben hält und trägt. Das tun Sie heute gemeinsam mit uns, und ich freue mich über die Lieder und den Psalm, die Sie sich für den heutigen Festtag ausgesucht haben. 

Sie singen vom Dank. Sie singen davon, dass Gott bewahrend durch das Leben führt, dass er beschenkt und vieles zum Guten gewendet und das Schwere tragen hilft.

Die Einladung zu Ihrem heutigen Ehrentag haben Sie mit einem Vers aus dem 73. Psalm überschreiben lassen. 

„Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“ 

(Ps. 73,23 und 24).

Martin Luther lässt diese Verse mit einem entschiedenen „Dennoch“ beginnen. Dieses Dennoch lässt ahnen, dass sich hinter dem Vertrauen zu Gott eine bewegte, auch angefochtene Glaubensgeschichte verbirgt.

Den Psalmbeter beschäftigt die Frage, warum sich das Böse in der Welt ausbreitet und das Gute, das „reinen Herzens“ dem Willen Gottes folgt, kaum sichtbar wird. Hinter dieser Klage steht die Erfahrung, die Menschen zu allen Zeiten  und auch heute machen: Schweres und Unüberwindliches, Leid und Not lassen das Vertrauen in Gottes Güte ins Wanken geraten. Der Psalmbeter beklagt Hochmut, Gewalt, Spott und Hohn. „Darum ist Hochmut ihr Halsgeschmeide und Gewalt das Gewand, das sie umhüllt.“ 

Der Betende erscheint uns als ein Suchender und einer, der an seinem Gottvertrauen festhalten will. Bei allem Widerspruch, der sich ihm im Blick auf die Welt aufdrängt,  bekräftigt er das Vertrauen in die Güte Gottes.

Vom Erfolg der „Ruhmpredigen“ und der „Frevler“ will er sich nicht beirren lassen. Dass Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Hass und Egoismus nicht vergeblich ist, daran möchte er festhalten. Dass Freundlichkeit, Mitmenschlichkeit  und Verantwortung gegenüber der Welt der richtige Weg ist.

Woher nimmt er diese Kraft des Suchens, woher die Kraft des Entgegen-Haltens? 

Er schöpft sie im Tempel. Dort an dem heiligen Ort in Gottes Gegenwart gewinnt er Klarheit. Dort gewinnt er neue Perspektiven. An diesem Ort gelingt es, der Ungerechtigkeit die  Hoffnung entgegen zu setzen. Der Betende kann nun den schweren Erfahrungen ein entschiedenes Dennoch entgegenstellen: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“

Glaube ist oft ein „Dennoch“. Und Kirche ist eine Dennoch-Gemeinschaft. Das Dennoch ist eine Kraft, die gegen alle scheinbar objektiven Entwicklungen aufsteht und sagt: Dennoch halte ich daran fest, dass Gott da ist. Auf ihn vertraue ich. Das Dennoch ist eine trotzige Kraft. Eine mutige Kraft. Und eine hoffnungsvolle Kraft. 

Das Dennoch ist der Anker, der sich in der Zukunft festmacht und nicht in der Vergangenheit. Es ist das Vertrauen, das an Gottes Liebe und Gerechtigkeit festhält und so dem Unrecht in der Welt widerspricht. 

Manchmal ist der Glaube wie eine Selbstverständlichkeit und legt sich schützend wie ein Mantel um uns. Manchmal aber müssen wir den Glauben gegen manche Fliehkräfte bekennen und neu buchstabieren. 

Lieber Bruder Kohlwage, wie oft werden Sie in Ihrem Leben den Glauben als einen bergenden Mantel erfahren haben? Und wie oft das Dennoch des Glaubens bekannt haben? 

Sie haben mich auf die Bedeutung Ihrer Schulzeit am Katharineum aufmerksam gemacht, die Ihnen nicht nur die altphilologischen Grundlagen und die humanistischen Denkangebote nahe brachte, sondern darüber hinaus das Debattieren förderte. In Ihrem Vortrag zum 475. Jubiläum der Schule beschreiben Sie die geistesgeschichtlichen Veränderungen in einer Zeitreise unter der Überschrift: „Vergangenes wahren, Gegenwart leben, Zukunft gestalten“, u.a. anhand der Festschrift zum 400. Jubiläum der Schule 1931. 

Dazu eigene Erfahrungen in der Schule im Blick auf die Mathematik und das Fach Religion. Ein Lehrer verwandelte das als „weich“, also mit geringer Anforderung verbundene Fach Religion, zu einem Fach mit höchstem Anspruch. Dadurch wurden Sie früh mit den reformatorischen Hauptschriften und Luthers bildungspolitischen Forderungen vertraut. Wichtige Weichen wurden damit für Ihren späteren Werdegang gestellt. 

Dieser Weg führte Sie zur Theologie und  bis heute – mit lebendigen Predigten und fundierten Beiträgen und Impulsen. Sie stehen für gesellschaftspolitische Zeitansagen und Kirchenreform und für eine diakonische Kirche, die Verantwortung übernimmt. Sehr früh haben Sie Kontakte zu Gemeinden in der DDR gesucht: Leipzig, Wolgast und Schwerin waren wichtige Orte. In den 90er jahren haben Sie die wachsende Kooperation zwischen Ost und West gefördert. Und so entstand Verbundenheit mit Menschen bis heute.

Dem Glauben als bergenden Mantel und seiner widerständigen Kraft gegen das Dunkle der Welt haben Sie vor einem Jahr in einer Predigt am Sonntag Palmarum hier im Lübecker Dom ein eindrückliches Zeugnis gesetzt. Eindrücklich beschrieben Sie Ihre Erinnerungen an die Zerstörung der Stadt und die einstürzenden Türme des Domes aus der Perspektive eines Kindes.  Und anschließend erinnerten Sie an die vier Lübecker Märtyrern als mutige Zeugen. Gegen das menschenverachtenden Regime traten sie für Wahrhaftigkeit und gegen die Selbstherrlichkeit und Menschenverachtung der Mächtigen ein. In dieser Predigt haben Sie das „Dennoch“ des Glaubens gegen den Tod hervorgehoben unter dem Wort Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. Wenn wir durch die Karwoche auf Ostern zugehen, dann folgen wir diesem Wort. 

Diese Erfahrungen haben Sie angetrieben, sich für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung einzusetzen. Ein herausragendes Datum war das Kyrie-Gebet an Palmarum 1992 in ökumenischer Verbundenheit mit dem Bischof Stefen Sykes von Ely und dem Rabbiner Carlebach aus Manchester,  aus der Familie des letzten Lübecker Rabbiner Carlebach, der 1941 mit seiner Familie in die Todeslager im Baltikum deportiert wurde. 

Lieber Bruder Kohlwage, viele Weggefährten haben Sie mit Ihrem Glaubensmut angesteckt, motiviert und gestärkt. Viele Menschen haben Sie in Zeiten der Krise und der Not begleitet. Und den Weg unserer Kirche in den Leitungsgremien und als ihr Bischofentscheidend bereichert und mitgeprägt.

Stets war und ist es eine Freude, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Bis heute folgen Sie den Wegen unserer Kirche mit einem aufmerksamen, interessierten Blick, manchmal auch kritisch. Und immer hellwach die die gesellschaftlichen Entwicklungen. 

Ich gratuliere Ihnen im Namen unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und übermittle Ihnen die Grüße des Bischofsrates. Ich danke Ihnen persönlich für viele Begegnungen und manche wertvolle Hinweise und Impulse.

Nun wünsche ich Ihnen gemeinsam mit Ihrer Frau Gottes Segen für Ihren weiteren Weg. Und dass das Dennoch des Glaubens Sie im Vertrauen auf Gottes Nähe und Beistand behüte.

Dazu Gesundheit, Gelassenheit und einen freien Blick auf das Erlebte und das, was vor Ihnen liegt. Gottes Segen möge Sie bewahren. 

Und nun gratulieren wir Ihnen alle mit dem Kanon: Viel Glück und viel Segen.

Amen.

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