Auf der Suche nach Gott - zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer
22. Januar 2006
Wer war Dietrich Bonhoeffer? Er ist nur 39 Jahre alt geworden, aber in diese noch nicht einmal vier Jahrzehnte drängte sich dichtes Leben, wechselnde Erlebnisse und viele Entscheidungen. Dietrich Bonhoeffer war mit 21 Jahren Doktor der Theologie, mit 24 Jahren Privatdozent und Studentenpfarrer in Berlin, dann Auslandspfarrer in London, Direktor eines Seminars zur Ausbildung von Vikaren, war Redner auf vielen internationalen christlichen Konferenzen und gewann so auch Freunde in anderen Ländern dieser Erde. Bonhoeffer hat viele Bücher geschrieben. Die Ausgabe seiner Werke umfasst heute einen knappen Meter Literatur. Die Nazis verbieten ihm später zu reden und zu schreiben. Weil er das Unrecht in Deutschland nicht weiter mit ansehen kann, - besonders die Verfolgung der Juden macht ihm schwer zu schaffen -, hilft er mit, gegen das Regime Hitlers eine Verschwörung vorzubereiten. Als die geheime Staatspolizei, die „Gestapo“, dem Verschwörerkreis, zu dem auch Bonhoeffer gehört, auf die Spur kommt, wird Dietrich Bonhoeffer am 5. April 1943 verhaftet und nach zweijähriger Haft am 9. April 1945 gehängt.
Aber was für ein Mensch war dieser Dietrich Bonhoeffer? Wenn er so alt geworden wäre, wie Johannes Hesters, dann hätte er in wenigen Tagen, nämlich am 4. Februar d. J. seinen hundertsten Geburtstag feiern können. Es wird in diesem Jahr viele Gedenkveranstaltungen geben. Dieses Jahr ist nicht nur ein Mozartjahr, sondern auch ein Bonhoefferjahr. Aber was ist nun das Besondere an Bonhoeffer? Wenn jeder Mensch ein Geheimnis in seinem Leben hat, was war das Geheimnis Bonhoeffers? Wir wissen sehr viel über ihn. Sein Leben ist gut erforscht worden und sein Freund Eberhard Bethge hat teilweise minutiös in einer dicken Biographie über Bonhoeffer sein Leben aufgezeichnet. Wenn ich es für mich auf den Punkt bringen sollte, dann würde ich sagen: Bonhoeffer war ein Mensch, der unterwegs war. Er war ein Mensch, der sich nicht mit den gegebenen Antworten, mit der vorgegebenen Situation und den Verhältnissen, so wie sie nun einmal waren, zufrieden gab. Er hat nicht einfach nur so vor sich hin gelebt, er hat Herausforderungen gesehen und sich ihnen wirklich hingegeben. Bei all dem war er auch ein Mensch, der Höhen und Tiefen in seinem Leben kannte. Er war ein Mensch wie eben andere Menschen auch und bei all dem auf der Suche nach Gott.
In diesem Leben liegt auch eine aktuelle Herausforderung. Deshalb springe ich jetzt einmal kurz in die Gegenwart. Ich bin kein Fußballfan. Mein Freund und Bruder Michael Herbst wundert sich dann immer, wenn ich von Fußball spreche. Aber mich interessiert das Phänomen. Warum begeistert Fußball die Nation? Was läuft da ab in einem Fußballstadion? Die Rituale eines Bundesligaspiels könnte man durchaus mit einem Gottesdienst vergleichen. Aber vor allem interessieren mich die Menschen, die Spieler und die Zuschauer. Es sind ganz normale Menschen wie du und ich. Und das gilt gerade auch für die Spieler. Zwar werden sie von den Medien auf einen Sockel gehoben, zwar bekommen sie ihre Fußballbeine von den Vereinen vergoldet. Aber sie erleben genau wie jeder andere Mensch seine Höhen und Tiefen. Für mich ist das sehr deutlich geworden an dem Weg von Sebastian Deisler in den letzten Jahren. Er hatte schon früh viele Erfolge und viel Anerkennung. Dann musste er fünf Knieoperationen über sich ergehen lassen und fiel in eine tiefe psychische Erkrankung. Eine Therapie war notwendig, um ihn aus seinen Depressionen herauszuholen. Auch bei Sebastian Deisler sieht man: Bei all dem, was wir erleben, bei unserem ganzen Lebensweg sind wir immer auf der Suche nach Gott. In den Höhen und Tiefen sind wir mit ihm konfrontiert, auch wenn wir ihn eben nicht sehen. So hat sich auch Sebastian Deisler auf seiner Suche nach Gott mit dem Buddhismus beschäftigt. Allerdings wollte er auch die christliche Tradition, die er kennt, z. B. das Weihnachtsfest, das er so schätzt, nicht aufgeben, und so hält er sich heute für einen „christlichen Buddhisten“. Ich will jetzt hier nicht der Frage nachgehen, ob die Antwort von Deisler logisch ist, ob die Verbindung von Buddhismus und Christentum überhaupt so geht, aber interessant finde ich es schon, dass so jemand wie er in seinen Höhen und Tiefen nach den Werten fragt, die unser Leben tragen und dass er dabei mittlerweile zu der Überzeugung gekommen ist, „dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, daran glaube ich mittlerweile ganz fest“. Ja, wir brauchen etwas, von dem Deisler sagt: „Da kann ich mich fallen lassen, und ich finde Geborgenheit.“
Ja, wir sind alle miteinander in unserem gesamten Leben auf der Suche nach Gott, auch wenn wir es nicht wissen und vielleicht in Urlaub fahren und hier immer weitere Ziele und den besonderen Kick brauchen, weil das Leben, wie wir es bisher kennen, uns noch unerfüllt sein lässt. Wir brauchen etwas, wofür wir uns begeistern können und was unser Leben ausmacht. Bei Manchen mag es der Fußball sein, aber auf Dauer ist das zu wenig.
Auch Bonhoeffer war in seinem Leben auf der Suche nach Gott. Er wollte wissen, wofür es sich zu leben lohnt und welche Werte ein Leben reich machen. Er war in einem großbürgerlichen Professorenhaushalt aufgewachsen. Im deutschen Kaiserreich war man da normalerweise deutsch-national gesonnen und das galt auch für die Familie Bonhoeffer. So meldete sich von seinen 7 Geschwistern sein Bruder Walter im 1. Weltkrieg freiwillig an die Front und verlor dort sein Leben. Einige Jahre später, nach dem verlorenen Krieg meldete sich aus dem gleichen Geist heraus auch der damals 17jährige Dietrich Bonhoeffer freiwillig zu militärischen Übungen. Die Einstellung, die sich hier zeigt, findet sich auch noch einige Jahre später wieder, als er als Vikar in Barcelona einen Vortrag hält. Hier geht es um „Grundfragen einer christlichen Ethik“, also um die Frage, was wir tun sollen, wie wir uns als Christen richtig verhalten sollen. Hier fallen bei Bonhoeffer uns Heutige erschreckende Aussagen, wie wir sie heute nur in rechten Gruppierungen, den sog. Kameradschaften finden. Ethik ist für ihn „Sache des Blutes“, „es gibt keine an sich schlechten Handlungen, auch der Mord kann geheiligt werden…“. Braucht ein Volk mehr Raum, ist ein Krieg, auch ein Angriffskrieg durchaus gerechtfertigt. Mit einer solchen Theologie, die nationale Sehnsüchte verklärt und die Vorstellung, den Einflussbereich Deutschlands stetig zu vergrößern, rechtfertigt, steht Bonhoeffer in dieser Zeit nicht allein. Es hat einige Jahre gedauert, bis er gemerkt hat, dass mit einem solchen Denken über Gott nur die eigenen Vorstellungen und Wünsche gerechtfertigt werden. Es gab sogar Theologieprofessoren, die ähnliches lehrten.
Aber Bonhoeffer lernte in seinem Studium eine biblisch-realistische Theologie kennen. Da wehte ein anderer Geist. Da geht Gott nicht in menschlichen Vorstellungen und Wünschen auf, sondern tritt den Menschen als der „ganz andere“ gegenüber. Da ist Gott zuerst einmal Krise und Gericht der menschlichen Vorstellungen über Gott. Um Gott recht zu begreifen müssen wir auf das hören, was Gott in der Bibel über sich selbst den Menschen zur Kenntnis gegeben hat. Dietrich Bonhoeffer lernte deswegen ganz neu zu achten auf das Wort Gottes, auf die Offenbarung Gottes, auf Jesus Christus. Das hat bei ihm Einiges in Bewegung gebracht. Und so fällt für ihn im Jahre 1932 eine ganz wichtige Entscheidung. Dieses Jahr ist das Jahr vor Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933. Deutschland steckte in einer großen wirtschaftlichen und politischen Krise. Dietrich Bonhoeffer muss in dieser Zeit Konfirmandenunterricht in Berlin-Mitte geben. An der Zionskirche, einem Arbeiterbezirk, sind die Menschen so arm, dass die Eltern ihren Kindern keinen Konfirmationsanzug kaufen können und sie in dieser Zeit manchmal noch nicht einmal wissen, was sie essen sollen.
An der Technischen Universität ist Bonhoeffer gleichzeitig Studentenpfarrer. Selber ist er erst 26 Jahre alt. Er hat hier mit naturwissenschaftlich geprägten Studenten zu tun, für die das Wort „Gott“ ein Fremdwort ist. Wenn er zu Veranstaltungen einlädt, kommt kaum jemand. Die Ergebnislosigkeit seines Wirkens ruft bei ihm die Frage nach der Grundlage des Christseins wach. Es ist die Frage nach dem Willen Gottes. In einem Brief an einen Freund schreibt er: „Ich bin jetzt Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule. Wie soll man diesen Menschen solche Dinge predigen? Wer glaubt denn das noch? Die Unsichtbarkeit macht uns kaputt. Wenn wir es nicht in unserem persönlichen Leben sehen können, dass Christus da war, dann wollen wir es wenigstens in Indien sehen. Aber dieses wahnwitzige dauernde Zurückgeworfenwerden auf den unsichtbaren Gott selbst – das kann doch kein Mensch mehr aushalten?“
Im Mai 1932 predigt Bonhoeffer über 2. Chronik 20, 12: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen, aber unsere Augen sehen nach dir!“ In diesen Worten der Bibel findet er seine Situation und die seiner Kirche gut beschrieben. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme vergrößern sich von Tag zu Tag, aber woher soll man den Maßstab nehmen, um richtige von falschen Lösungsvorschlägen zu unterscheiden? Auch im persönlichen Bereich gerät alles ins Wanken. Wie soll man sein Leben gestalten? Ist die Ehe eine zeitgemäße Lebensform oder ist sie überholt? Wie kann man Kinder erziehen? Kann man es überhaupt wagen, Kinder in die Welt zu setzen? Wie können junge Leute mit ihrer Sexualität verantwortlich umgehen? Der Konfirmandenseelsorger und Studentenpfarrer Bonhoeffer weiß auf diese Fragen zu dieser Zeit auch keine Antwort. („Wir wissen nicht, was wir tun sollen…“), aber er weiß, wohin sich sein Blick mit dem Wunsch auf eine Antwort richtet: „Aber unsere Augen sehen nach dir!“ Bonhoeffer hat noch keine Antwort, aber er weiß, nur der Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus kann weiterhelfen.
Nach dieser Predigt schreibt Bonhoeffer an einen anderen Freund: „Mir spitzt sich das Problem immer schärfer und unerträglicher zu. Neulich habe ich über 2. Chronik 20, 12 gepredigt. Da habe meine ganze Verzweiflung mal abgeladen. Aber weiter bin ich deswegen auch nicht gekommen.“ Aber es waren entscheidungsschwangere Wochen für Dietrich Bonhoeffer im Sommer 1932. Er schreibt später an eine Bekannte, seine erste Verlobte, wie er weitergekommen ist:
„… Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher und undemütiger Weise. Ein wahnsinniger Ehrgeiz, den manche an mir gemerkt haben, machte mir das Leben schwer und entzog mir die Liebe und das Vertrauen meiner Mitmenschen. Damals war ich furchtbar allein und mir selbst überlassen. Das war sehr schlimm. Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Das ist auch wieder sehr schlimm zu sagen. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben – und ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebändigt mein eigener Herr. Ich weiß, ich habe damals aus der Sache Jesu Christi einen Vorteil für mich selbst, für meine wahnsinnige Eitelkeit gemacht. Ich bitte Gott, dass das nie wieder so kommt. Ich hatte auch nie, oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibelbefreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung. Da wurde es mir klar, dass das Leben eines Dieners Jesu Christi der Kirche gehören muss und Schritt für Schritt wurde es deutlicher, wie weit das so sein muss.
Dann kam die Not von 1933 … Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf.“
Auf seiner Suche nach Gott hat Bonhoeffer im Laufe des Jahres 1932 eine Entscheidung getroffen, die für sein Leben ausschlaggebend geworden ist. Es war eine Grundentscheidung für sein Leben, die alles veränderte und die sein Leben spannend gemacht hat. Bonhoeffer hatte Gott gefunden. Genauer gesagt, er war Christ geworden. Er hatte seinen Willen, in seinem Leben viel erreichen zu müssen und alles selber bestimmen zu wollen, aufgegeben und war in die Nachfolge Jesu Christi eingetreten. Er wird später seinen Theologiestudenten davon erzählen und sie ebenfalls in diese Nachfolge einladen. Er wird den Vikaren im Predigerseminar in Zingst und Finkenwalde sagen, dass die Nachfolge Jesu Christi das Wichtigste im Leben eines Menschen ist. So hält er im Jahr 1932 eine Andacht, in der er die Theologiestudenten auffordert, wie es einer der damaligen Zuhörer schildert: „Wir sollten doch nicht vergessen, dass jedes Wort der Heiligen Schrift ein Liebesbrief Gottes an uns ganz persönlich ist, und hat uns die Frage gestellt, ob wir Jesus lieb haben.“
Mit dieser Entscheidung für die konsequente Nachfolge Christi hat sich Dietrich Bonhoeffer gegen jede Art von Religion gestellt, die Christus für die eigenen Ideen und Wünsche einspannen möchte. Nachfolge bedeutet intensive Konzentration auf Christus, nur auf ihn hören, nur hinter ihm hergehen. Als Bonhoeffer sich so auf Christus einlässt, wird es ihm plötzlich unmöglich, den Krieg weiterhin theologisch zu rechtfertigen. Mehr noch: er nimmt die Bibel ernst und damit auch die Aussagen Jesu über die Gewaltlosigkeit. Was er 1928 in Barcelona noch vehement abgelehnt hatte, erscheint ihm nun als zwingende Notwendigkeit: „Der christliche Pazifismus … ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf.“
Bonhoeffer meint nun, endlich eine Basis, ein Fundament für sein Leben gefunden zu haben. An seinen ältesten Bruder Karl-Friedrich schreibt er 1935: „Aber ich glaube nun endlich zu wissen, wenigstens einmal auf die richtige Spur gekommen zu sein – zum ersten Mal in meinem Leben. Und das macht mich oft sehr glücklich… Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten. Und mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus sei so etwas.“
Weil sich Bonhoeffer nun für Frieden, Gerechtigkeit und Christus einsetzt, ist er von Vornherein mit dem nationalsozialistischen Regime verquer. 1935 übernimmt er die Leitung einer Ausbildungsstätte für Vikare der Bekennenden Kirche. Unter der Bekennenden Kirche versteht man den Teil der Evangelischen Kirche, der jeder Einmischung des Staates, eben des nationalsozialistischen Staates, in kirchliche Belange ablehnte. In der Kirche sollten nur die Bibel und das Bekenntnis zu Christus gelten, nichts anderes. Eines dieser Seminare sollte in Pommern sein. Es beginnt in Zingst, auf dem Zingsthof, und wird dann später nach Finkenwalde bei Stettin verlegt. Dieses Predigerseminar war illegal, hat die Gestapo zu fürchten und wird schließlich auch Ende September 1937 polizeilich geschlossen. Ab dieser Zeit findet ein großer Teil der Tätigkeit Dietrich Bonhoeffers hier in unserem Raum, in Pommern, statt. Aber auch hier spaltet der Widerstand gegen den Nationalsozialismus Gesellschaft und Kirche. Bonhoeffer erscheint vielen als zu radikal. 1935 und 1936 war Bonhoeffer mit seinen Vikaren auch immer wieder in Greifswald. Bald tat sich aber zu den Mitgliedern der Theologischen Fakultät eine tiefe Kluft auf. Auch Greifswalder Kirchengemeinden waren nicht bereit, Dietrich Bonhoeffer und seinen Leuten Gemeinderäume für Veranstaltungen zu überlassen. Da erklärte sich die Gräfin Behr von Behrenhoff – kurz hinter Weitenhagen, direkt hier bei Greifswald gelegen – bereit, ihr Gutshaus für Veranstaltungen Bonhoeffers und der Theologiestudenten, die ihn hören wollen, zur Verfügung zu stellen. Wenn es einmal gelang, eine Kirche zu bekommen, dann predigte Bonhoeffer und 500 Besucher waren dann keine Seltenheit.
Nachdem Bonhoeffer mit seiner illegalen Fortsetzung der Ausbildungstätigkeit für die Vikare bereits ab 1937 in den kirchlichen Untergrund gegangen war, entschloss er sich 1939, in der politischen und militärischen Widerstandsbewegung gegen Hitler mitzuarbeiten. Sein Schwager Hans von Dohnanyi (übrigens der Vater des früheren Berliner Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi) besorgt ihm zur Tarnung seiner Aufgaben als Verschwörer und damit er nicht als Soldat an die Front geschickt wird, eine Tätigkeit bei der Spionageabwehr der Wehrmacht. Bonhoeffer ist nun selbst erschrocken, wohin ihn sein Weg geführt hat. Er, der Pfarrer, ist nun ins Zwielicht geraten. Gewissermaßen ist er nun der Vertrauensmann Gottes und der Spionageabwehr der Deutschen Reichswehr. Kann er als christlicher Pazifist überhaupt dabei mitmachen, Hitler auszuschalten? Bonhoeffer weiß, dass, wer das Schwert nimmt, auch durch das Schwert umkommen wird. Er unterstellt sich dem Richterspruch Gottes. Er erklärt aber auch, „dass er als Pastor nicht nur die Pflicht habe, die Opfer eines wild gewordenen Mannes, der sein Auto in einer bevölkerten Straße wie ein Rasender fährt, zu trösten; er müsse auch versuchen, ihn zu stoppen.“
Bonhoeffer berät die Verschwörer, er unternimmt konspirative Reisen ins Ausland, um mit den feindlichen Regierungen Kontakt aufzunehmen und von ihnen zu erfahren, wie sich diese nach einem Attentat auf Hitler gegenüber Deutschland verhalten würden. Aber die Verschwörung wird aufgedeckt. Bonhoeffer wird zwei Jahre lang inhaftiert, bevor er am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz hingerichtet wird. Im Gefängnis lernt Bonhoeffer, wie er es nennt, „den Blick von unten“ kennen.
Wie fühlte sich Bonhoeffer in dieser Situation? Es war durchaus nicht so, dass die Ausweglosigkeit seiner Lage und die erniedrigenden konkreten Umstände einfach so an ihm abgeprallt wären. Vielmehr ist er zutiefst erschüttert, spielt sogar mit Selbstmordgedanken. Bonhoeffer ist zeitweise am Ende. Wieder kann man das Bibelwort aus 2. Chronik 20 auf ihn selber anwenden: „Wir wissen nicht, was wir tun sollen, aber unsere Augen sehen nach dir.“ Seine ganze Hoffnung, seinen Trost und Halt findet Bonhoeffer in Jesus Christus. Bonhoeffer redet immer wieder von Jesus, nicht von dem großen, unnahbar fernen Gott, der irgendwo in einer Sonderwelt existiert. Entscheidend ist, von Gott so zu reden, wie er in unsere Welt eingegangen ist, vom Gott in unserer Welt, nicht vom Gott im Jenseits unserer Welt.
So ist Dietrich Bonhoeffer mit Jesus Christus nie fertig geworden. Er hat in seinem Leben gemerkt: Der christliche Glaube ist nicht eine Information, die man zur Kenntnis nehmen kann, er ist auch nicht eine Lehre, zu der man ja oder nein sagen kann, sondern er ist eine Beziehung zu einem lebendigen Gegenüber. Dieses Gegenüber erscheint mir manchmal als gute Mächte, die mich in meinem Leben führen und begleiten und auch in schweren Situationen nicht allein lassen. Manchmal aber merke ich, da ist Einer, der auf mich wartet.
Christsein bedeutet nicht, von vornherein alles zu wissen, was ich zu leben und zu glauben habe. Christsein bedeutet aber, den Einen zu kennen, in dessen Nachfolge mein Leben nicht in die Irre geht. Zu solch einem Leben möchte ich sie heute Abend einladen. Wenn auch Sie in den Höhen und Tiefen Ihres Lebens nicht alleinsein wollen, dann sind Sie in der Gemeinschaft dieses Herrn gut aufgehoben. Und wenn Sie vor lauter Fragen nicht mehr weiter wissen, dann ist es immer noch gut, jemanden zu haben, dem Sie diese Fragen stellen können.
Das vorletzte Lebenszeichen, das Dietrich Bonhoeffer seiner Verlobten und seiner Familie hat zukommen lassen, ist das Gedicht „Von guten Mächten“, das Bonhoeffer an der Jahreswende 1944/ 45 für seine Lieben gedichtet hat.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Amen. So ist es.
Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit
Bahnhofstr. 35/36
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