Beauftragung Diakonin Jordan und Diakon Hüttmann
10. März 2024
Gottesdienst am Sonntag Lätare, Predigt zu Lukas 22,54-62
Liebe Gemeinde,
heute umhüllt uns ein Hauch von rosa. Ernsthaft: Die Welt, diese geschundene und aufgewühlte Welt mit ihren Kriegen und ihrem Jammer, sie bekommt einen kleinen, feinen Rosaton. So wie es im Frühling ja ab und zu dieses sagenhaft schöne, seidige Abendrosé gibt, wenn es sich noch nicht ganz durchringen kann, ein glanzvolles Abendrotzu werden. So ein sattes Abendrot, wissen Sie, bei dem meine Mutter früher immer sagte: „Schau, jetzt backen die Engel im Himmel Brot.“
Nein, so weit ist es noch nicht, wie gesagt: nur ein zärtliches Rosé. Als Zeichen und Farbe nämlich für das kleine Ostern heute, bei dem sich das liturgische Violett der Passion und das Weiß von Ostern zusammentun, schön. Rosé. Oder: Lätare. Freut euch! Freut euch mit Posaunen und Trompeten. (Die mich eben schon mit Vorfreude auf den Deutschen Posaunentag im Mai erfüllten).
Freut euch – zumal es heute einen besonderen Grund gibt. So freue ich mich sehr, Ihnen liebe Frau Jordan, lieber Herr Hüttmann, den Segen zur Beauftragung zuzusprechen. Lange haben Sie auf diesen Moment hingelebt, haben mit herzergreifendem Engagement Kindern, Jugendlichen oder Seeleuten, Gehörlosen, Schwerhörigen, Alten und Neuen – ihr Ohr und ihre Lebenszugewandtheit geschenkt. Als Diakon und Diakonin, als Pragmatiker der Nächstenliebe sind Sie seit Jahrzehnten schon unermüdlich unterwegs. Äußerlich in Schleswig-Holstein und in der Stormarner Region. Aber auch innerlich. Stets haben Sie neue Aufgaben übernommen, oder besser: aus Gottes Hand genommen. So landeten Sie, liebe Frau Jordan, die Sie als Küsterskind früher aus der Kirche gar nicht wieder rausgekommen sind, nicht im Holzhandwerk, sondern werden dank der Diakonissen in Bethel Heilpädagogin, später Sozialpädagogin. Sie beglücken damit die Seemannsmission in Rostock, den Sozialraum Husum und überhaupt ist das Ihre Passion: Gott zu folgen mit dem Fuß auf weiten Raum.
Horizonterweiterung – das gilt auch für Sie, lieber Herr Hüttmann; aufgewachsen in Glinde bleiben Sie zum Glück nicht Versicherungskaufmann, sondern folgen dem Herzen und dem Großvater und werden Diakon. Nach etlichen Berufsstationen zwischendurch als Weinhändler, Kommunikationsdesigner und Coach wird klar: Die Kirche ist und bleibt Ihr berufenes Zuhause.
Ja, sie ist Ihrer beider Anker und Ziel. Gottesdienst in der Welt, in Leid und Freude, das ist’s! Und so erzählen Sie buchstäblich mit Händen und Füßen von Gott in dieser Welt.
Und liebe Gemeinde, nicht nur die zwei mit ihrer besonderen Berufung, mir begegnen derzeit so viele, die Gottvertrauen haben und Kraft und sich nicht irre machen lassen. Die anpacken. Hilft ja nix. (So wie offenkundig gestern etliche hier den Michel mal aufgeräumt haben, samt Hauptpastor, den man, auf dem Boden liegend, die Putten am Taufstein mit Hingabe hat putzen sehen ...) Ja, so viele Geschwister gibt‘s, die achtsam hinsehen und schon durch ihre lange Lebenserfahrung fest glauben, dass in jedem Menschen, wie untröstlich oder gebeutelt er oder sie sein mag, dass in jedem, auch in jeder Schattenexistenz, die Sonne wartet, wieder aufzugehen. Und sei es zunächst in Rosé.
Ich glaube, unser aller Seelen sehnen sich im Moment danach. Angesichts des nun schon zwei Jahre währenden brutalen Ukraine-Krieges eines despotischen, russischen Regimes. Wo aber auch – rosé! – der Mut wächst, sich in der Trauer um den Oppositionellen Nawalny aufzurichten und als Gegner des Regimes zu erkennen zu geben. Mit dem aufrechten Gang derer, die sich nicht mehr der Verzweiflung und Diktatur unterwerfen wollen. Ich bewundere diesen großen Mut aufrichtig – weil es Leib und Leben kosten kann.
Diesen Mut nun hatte Petrus nicht, so erzählt es unser Predigttext. Immerhin, im Schatten des Gartens folgt er trotz der Gefahr seinem geliebten Jesus, um ihm nahe zu sein in seinen schwersten Stunden. Anders übrigens als die anderen Jünger. Am Abend zuvor noch, beim letzten Abendmahl, haben sie zusammengesessen. Und er, Petrus, hat den Mund ziemlich voll genommen. „Herr, ich werde mit dir ins Gefängnis gehen und in den Tod!“ Und dann, ja, dann sieht Petrus im Schutz des dunklen Gartens, wie sie ihn verhöhnen, bespucken und schlagen. Der Schweiß rinnt Petrus den Rücken herunter vor Todesangst. Die ganze Zeit hofft er verzweifelt, dass Jesus sich endlich wehrt, dass er nicht nur sagt, er sei der Messiasretter, sondern es endlich tut: dass er den Römern ins Gesicht schlägt und dem Land Freiheit und Gerechtigkeit schenkt, die Völker erlöst und …
„Gehörst du nicht zu ihm?“ Erschrocken fährt Petrus zusammen. „Mensch, nein, ich kenne ihn nicht.“ Und Petrus merkt in diesem Moment verzweifelt: Er kann sein Versprechen, seine große Liebe nicht halten. Er knickt ein, wird haltlos. Was für eine Szene dort am Feuer, wo er Wärme gesucht hat und nun im Licht mit all seinen Schattenseiten erkannt wird. Nein, ich kenne den nicht. Dreimal verleugnet Petrus diesen seinen Jesus, für den er einst alles verlassen hat, weil er gemeinsam mit ihm dem Friedensreich Gottes, endlich, auf die Welt helfen wollte! Nein, ich kenne ihn nicht. In diesem Moment spürt er, wie Jesus in anschaut: „Und der Herr wandte sich und sah Petrus an.“
„Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“Immer, wenn dieses Evangelium gelesen wird, höre ich den herzzerreißenden Gesang des Evangelisten in der Johannespassion von Bach, der mir jedes Mal unter die Haut geht. Petrus weint – so, so bitterlich. Und der Hahn kräht. Am Ende des gemeinsamen Weges von Jesus und Petrus ist kein Friede. Sondern ein gefolterter, an Leib und Seele leidender Jesus, seinen Schächern restlos ausgeliefert. Ihn erwartet unendliches Leid, Qual und Tod. Da ist so viel Scham in diesem Petrus, der an sich selbst scheitert. Da ist so viel Schuld. Und er weinte bitterlich.
In diesen Tagen der Passion bewegt mich (und viele) eines besonders: die Ergebnisse der ForuM-Studie, die auf 870 Seiten deutlich macht, dass und wie es sexualisierte Gewalt in der Kirche gegeben hat. So viel Leid haben betroffene, zumeist ja sehr junge Menschen erlitten, auch in den Heimen der Diakonie. So oft wurden sie nicht gehört. Und deshalb ist es wichtig, dass wir offen darüber sprechen und nicht mehr schweigen: Wir sind als Kirche an ihnen zutiefst schuldig geworden. Weil wir sie nicht geschützt haben. Sondern im Gegenteil, weil wir Verantwortung leugneten und den Tätern damit in die Hände gespielt haben. Da ist so viel Versagen gewesen. Scheitern. Die Scham des Petrus steht auch für unsere Kirche. Und sie weint bitterlich.
Der Hahnenschrei des Verrates – er muss in unserem Ohr wohnen. Uns mahnen. Aufrütteln. Und ja, in der Nordkirche haben wir seit über zehn Jahren vieles an Aufarbeitung und Prävention auf den Weg gebracht. Wenn man so will ein Hauch von Rosé. Aber es braucht noch viel mehr, nicht nur „Maßnahmen“, sondern unsere innere Beteiligung, liebe Geschwister, eine gemeinsame Haltung der Aufmerksamkeit. Es ist eine gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, hier konsequent aufzuarbeiten. Nur so können wir glaubwürdig Anwältinnen und Anwälte für die Mitmenschlichkeit sein, die wir sein müssen in diesen Zeiten. Für die Zukunft. Für eine Kirche, die ein sicherer Raum des Vertrauens sein will. Und nicht zuletzt für eine Demokratie, die der Würde des Menschen Aufenthaltsrecht gibt. Deshalb der Hahnenschrei. Er verhindert, dass wir vergessen, rüttelt uns wach.
Wir werden die Taten und die Verwundungen nicht einfach so los, liebe Geschwister. Die ganze Bibel erzählt von diesen Wunden und von denen, die sie zufügen. Aber sie erzählt auch, dass Menschen neu anfangen können. So wie Petrus. Und zwar nicht trotz seines verzweifelten Scheiterns, sondern mit dieser Schuld. Menschen können neu anfangen, wenn sie hinsehen, auch auf sich selbst, und sich stellen. Wenn sie trauern und bitterliche Tränen weinen. Im Schmerz, aber auch als Angesehene Gottes. Denn „der Herr wandte sich und sah Petrus an.“ Dieser Blick Jesu auf seinen Petrus, er ist die Wende, kein Urteil. Kein „Siehste!“ liegt darin, kein Vorwurf. Dieser genaue Blick offenbart vielmehr, was im Schatten liegt. Schmerzhaft, ja, aber zugleich lösend. Es ist ein Blick auf die Wahrheit, denn erst sie macht frei.
Kürzlich las ich die beeindruckende Geschichte von Derek Black – einst Kronprinz der amerikanischen Rechtsextremen. Aufgewachsen in einer Familie, die öffentlich für die „Vorherrschaft der weißen Rasse“ kämpft, verbreitet Derek schon als Teenager in seiner eigenen Radioshow rassistische Theorien. Subtil will er das Gesetz, das allen Menschen die gleichen Rechte gewährt, abschaffen. Im Sommer 2010 beginnt Derek, im Westen Floridas Geschichte zu studieren, es ist ein liberaler Campus. Den Kommilitonen verschweigt Derek seine politische Überzeugung. Er genießt die Gemeinschaft mit anderen: „Es gab für mich zwei Ebenen, die politische und die persönliche. Politisch wollte ich, dass die Rassen getrennt voneinander leben. Aber ich habe nie schlecht über Einzelpersonen gedacht. Ich dachte: Es ist okay, wenn ich mit ihnen befreundet bin, solange ich ihnen nicht zu nahekomme.“ Durch einen Zufall fliegt Dereks Doppelleben jedoch auf. Sein Umfeld distanziert sich von ihm, er wird bedroht und beschimpft. Anders der jüdische Student Matthew: „Ich bin überzeugt davon, dass Menschen sich ändern können. Und vielleicht, habe ich gedacht, hat Derek einfach nie Zeit mit einem Juden verbracht.“ Matthew lehnt Dereks Ansichten entschieden ab. Aber er knüpft und hält den Kontakt mit ihm. Baut ihm eine Brücke in die andere Welt. Die beiden Männer diskutieren nächtelang. Sie spüren, dass sie viele Gemeinsamkeiten haben. Matthew nimmt Derek mit zu Menschen, die dieser früher nur mit Abscheu betrachtet hätte. Langsam bekommt Dereks Gedankengebäude Risse. Er fragt sich, woran er noch glauben kann, besucht seine Familie und fühlt sich fremd. Drei Jahre nach seinem Studienbeginn distanziert Derek sich öffentlich von rechtsextremen Ansichten. Seine Familie bricht mit ihm. Die Freundschaft zu Matthew hält bis heute.
Es gibt für jeden Menschen einen neuen Anfang. Weil es eben zugleich Mitmenschen gibt, viele sitzen ja hier, die nicht aufgeben, Brücken zwischen den Welten zu bauen. Mit dem tiefen Glauben in sich, dass in jedem Menschen Licht und die Sehnsucht nach Freundschaft und Achtung wohnt, ja, Kraft zu guter Veränderung.
Deshalb Lätare. Freut euch heute. Jesu, meine Freude! Trotz dem alten Drachen, Todesrachen und der Furcht dazu. Das scheint heute auf, liebe Geschwister, dieses satte, trotzige Leben! Noch ist es Rosé, aber bald, in drei Wochen, bläst‘s den Trauergeistern gehörig den Marsch! Also: Lätare – freut euch – über Gottes Lebensgeschenk. Über das, was sich jetzt schon davon entdecken lässt. Freut euch übereinander, die ihr euch liebt. Freut euch über zwei wunderbare Diakon:innen. Und, liebe Geschwister, denkt immer daran, bald, ganz bald werden wir das glänzende, satte Morgenrot der Ostern sehen. Und dann schauen wir in diesen wunderschönen Himmel, und wissen: Das ist das wahre Leben. Mit all seinen Genüssen. Samt Osterfrühstück. Und fragen:
„Mudder, wat is de Heben so rot?“
„Dat sünd de Engel, de backen dat Brot.
De backen all de seuten Stuten,
för all de lütten Leckersnuten.“
So nähre uns Gottes Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen