26. Mai 2015 | Verchen

Die Geburt des christlichen Selbstverständnisses

26. Mai 2015 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt über Matthäus 16, 13–19 anlässlich der Verabschiedung der Selbitzer Schwestern

Christuserkenntnis und Selbstverständnis

Liebe Gemeinde!

Pfingsten heißt: Ohne Gottes Geist geht nichts! Petrus ist der erste Mensch, der ein Christusbekenntnis ausspricht: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ „Dieser Jesus von Nazareth ist der Messias.“ Er ist der seit 1000 Jahren erwartete Heilsbringer, der Stellvertreter Gottes auf Erden, der seinen Willen unter uns durchsetzen wird. – Einen bestimmten Menschen der Geschichte so völlig auf Gottes Seite zu stellen und ihn von allen anderen Menschen abzuheben, ist ungeheuerlich! Auch Jesus ist überrascht und antwortet auf dieses Christusbekenntnis, auf diese Messiaserkenntnis des Petrus: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Nicht durch schlussfolgerndes Denken oder menschliche Erfahrung ist es möglich, den Messias zu identifizieren. Das geht nur durch Offenbarung, geht nur durch Gottes Geist, geht nur, weil es der Vater im Himmel Petrus selbst gesagt hat.

Pfingsten, das heißt: Ohne Gottes Geist geht nichts! Als Pastor Brick und der damalige Superintendent Höflich mich 2002 baten, einen Brief nach Selbitz zu schreiben, um die Bitte, einen Konvent nach Verchen zu entsenden, zu unterstreichen, da war mir klar: Nur wenn die Selbitzer einen Wink des Geistes spüren, werden sie kommen. Sie werden nicht kommen, weil die Klosterkirche so schön ist und der Kummerower See so idyllisch. Sie werden nicht kommen, weil Pastor Brick oder Superintendent Höflich und die Verchener Gemeinde so nett sind oder weil die Menschen in Vorpommern sie brauchen. Das galt für viele andere Orte auch. Sie werden nur kommen, wenn sie spüren: Gott will uns dort, in Pommern, haben.

Und so schrieb ich einen Brief und erinnerte an ein Ereignis aus der Ausbreitungsgeschichte des Christentums. Der Apostel Paulus wollte Kleinasien systematisch bereisen, um Jesus Christus zu verkündigen und Gemeinden zu bauen. Aber der Geist Gottes durchkreuzte seine Pläne und ließ ihm im Traum einen Mann aus Mazedonien erscheinen. An der Schwelle von Asien nach Europa stand dann ein vom Geist Gottes gewirkte Traumgesicht, in dem der Mann aus Europa Paulus bat: „Komm herüber und hilf uns!“ (Apg. 16, 9). So kam Paulus durch einen Wink des Geistes Gottes nach Europa. Sodann haben wir gebetet, dass Gott, der Herr, die Schwestern zu uns führen möge.

Zu unserer Vision für einen geistlichen Aufbruch in Vorpommern hätte es wunderbar gepasst, wenn eine Kommunität durch Mitleben und Vorleben des Evangeliums das Zeugnis von Jesus Christus in die ländlichen Räume bringen würde. Und schließlich habe ich den Orden in Selbitz besucht und versucht, diese Gedanken in einem Gespräch noch einmal aufs Neue den Schwestern ans Herz zu legen.

„Kommt herüber und helft uns!“ Und die Schwestern kamen! 2003 waren sie da. Ich bin zutiefst überzeugt, der Heilige Geist führte die Schwestern zu uns. Ohne Gottes Geist geht nichts. So war es schon damals bei Jesus und Petrus und so ist es auch bei uns heute.

Jesus hatte sich mit seinen Jüngern nach Cäsarea Philippi zurückgezogen. Das war das Grenzland, ganz hoch im Nordosten Israels. Die Lage hatte sich für Jesus zugespitzt. An seiner Person und seiner Verkündigung schieden sich die Geister. Auf der Tagesordnung stand die Frage, ob er bleiben und die Folgen seiner Verkündigung und seines Wirkens aushalten sollte oder ob er ausweichen sollte, vielleicht ins Ausland gehen. Das wäre hier im Norden ganz einfach gewesen und niemand hätte ihn gekannt. Jesus stand vor der Wahl: Ausland oder Jerusalem. Jerusalem, das bedeutete den Stier bei den Hörnern zu packen und bewusst die Auseinandersetzung und die Entscheidung mit den führenden jüdischen Kreisen zu suchen.

Offensichtlich ist Jesus verunsichert. Er fragt nach der Resonanz, die er bei den Menschen hervorruft: „Wer sagen die Leute, das ich sei?“ Ja, man hatte gemerkt, dass der Geist Gottes in besonderer Weise mit diesem Mann aus Nazareth unterwegs war. Auf der Suche nach einer Einordnung dieses Phänomens Jesus von Nazareth greifen die Menschen aus Galiläa auf traditionelle Antworten zurück. Irgendwie hat man das, was Jesus verkündete und wie er auftrat, doch schon bei Johannes dem Täufer oder bei Elija oder bei Jeremia oder bei irgendeinem anderen der Propheten gehört – oder? Da fragt Jesus nun seine Jünger unvermittelt und direkt: „Und wer sagt ihr, das ich sei?“ Petrus, schon immer Wortführer der Jünger, antwortet: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“

Christus, das ist das griechische Wort für des hebräische Wort Messias. Das bedeutet „Gesalbter“ und hat die Jünger sofort an den mit dem seit 1000 Jahren in der Nachfolge Davids erwarteten Messias erinnert. Da klangen Bibelworte an, die sie schon als Kinder auswendig gelernt hatten, wie zum Beispiel aus dem 2. Psalm, der zur Inthronisation eines Königs in Jerusalem gesprochen wurde: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ (Psalm 2, 7). Gott würde sich zu dem von ihm erwählten Heilsbringer für Israel und Retter der ganzen Welt bekennen.

Da ist es für Jesus ganz klar. Diese Erkenntnis ist Menschen aufgrund ihrer geschöpflichen Begrenztheit und ihrer Hinfälligkeit nicht möglich. Einen solchen Einblick in das erwählende Handeln Gottes kann kein Mensch aus sich heraus haben, sondern nur dann, wenn es ihm von Gott, von außen, durch Offenbarung gegeben wird. Hinter der Erkenntnis, dass dieser Jesus von Nazareth der von Gott gesandte Erlöser ist, der Christus, muss Gott selber stecken. Genau das führt Jesus aus und antwortet auf die Christuserkenntnis des Petrus: „Du bist Christus!“ mit einer Aufgabenzuschreibung für Petrus: „Du bist Petrus!“.

Spricht Petrus aus, welches Amt Jesus im Heilsplan Gottes erfüllt, so schafft Jesus für Petrus ein neues Amt, das für die zukünftige Gemeinde von großer Bedeutung ist: „Du bist Petrus und auf diesem Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ Wer Christus erkennt, muss auch bereit sein, sich selbst von diesem neu definieren zu lassen. Aus der Christuserkenntnis wächst ein neues Selbstverständnis. Christus sagt uns, wer wir wirklich sind.

Und dieser Fischer vom See Genezareth, dieser offensichtlich begeisternde und begeisterungsfähige Mann, eine Führungspersönlichkeit, soll die Grundlage, die Basis sein, auf die Jesus seine Gemeinde bauen will. Jesus gebraucht hier ein Wortspiel. Denn der Name Petrus bedeutet im Griechischen Felsen. Und auch diese Zusage eines Amtes für Petrus ist nun ungeheuerlich. Denn diese Person, sein Wirken, seine Erkenntnis soll eine gute Grundlage für den Gemeindebau sein.

Darum geht es. Um den Bau der Gemeinde. Deswegen veranstaltet Gott diese ganze Vorstellung. Er will Gemeinde bauen. Liebe Gemeinde, was uns fehlt in Vorpommern sind Menschen, die Gott mit dem Mund loben und mit ihrem Leben ehren. Uns fehlt lebendige Gemeinde. Jesus aber will Gemeinde bauen. Jesus will Menschen, die gemeinsam den Willen Gottes leben. Gemeinde, das ist ein Stück Himmel auf Erden. Diese Gemeinde Gottes gibt es in vielfältigen Formen. Eine Form ist die ganz normale Ortsgemeinde. Menschen, die in einer Region wohnen und sich in einem Kirchenraum zum Gottesdienst treffen. Daneben gibt es – wir haben es ja gerade hier in Verchen gelernt – auch andere, intensivere Formen Glaubensgemeinschaft zu leben, zum Beispiel ein Kloster. Ein Kloster ist eine vom Gebet getragene, konzentrierte Form der Gemeinde. Daneben gibt es noch andere, oft auf Lebensphasen beschränkte Formen Gemeinde zu leben, wie zum Beispiel in der Jungen Gemeinde oder der Studentengemeinde.

Aber in welcher Form Gemeinde auch immer existiert. Sie hat die Zusage Jesu, dass die Gemeinde bleibt. Wir leben in der Zeit eines Umbruchs. Manchmal sind wir erschrocken, was aus unserer guten alten pommerschen Kirche wird. Es hat schon viele Veränderungen gegeben und wir werden auch in Zukunft nicht von Wandel verschont bleiben. Die Formen mögen sich wandeln, doch die Gemeinde Jesu Christi als solche wird bleiben. Jesus sagt: Selbst die geballte Macht der Vergänglichkeit, die „Pforten der Hölle“ können ihr nichts anhaben. Liebe Gemeinde, diese Zusage ist sehr tröstlich. Sie tröstet uns auch in einer Situation des Abschieds von uns lieb gewordenen Schwestern, über deren Ankunft vor zwölf Jahren wir uns unglaublich gefreut haben und mit deren Wirken unter uns wir einen Aufbruch verbunden haben. Aber wenn selbst die Pforten der Hölle der Gemeinde nichts anhaben können, dann werden wir die Veränderung durch den leider notwendigen Weggang der Schwestern als Gemeinde ebenfalls aushalten.

Der Apostel Petrus bekommt durch Jesus eine ungeheure Vollmacht. Er bekommt die „Schlüssel des Himmelreichs“ überreicht. Was ist das? Was ist das Petrusamt? Ist dieses Petrusamt nur auf diese besondere, einmalige Person des Petrus bezogen? Oder meint es die Begründung eines Amtes, das im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder neu besetzt werden muss, so dass mit diesem Worten Jesu am Anfang der Kirche bereits das Papstamt begründet wäre? Gibt es eine Nachfolge in der Sendung durch Gott, eine sogenannte „apostolische Sukzession“?

Entscheidend ist die Christuserkenntnis und das Christusbekenntnis. Auf die Klarheit kommt es an, zu wissen, wen wir in Jesus Christus vor uns haben. In der Nachfolge des Petrus steht Jede und Jeder, der in dieser Deutlichkeit wie Petrus die Wahrheit über Jesus Christus erkennt und vor den Menschen bezeugt. In der Klarheit der Verkündigung liegen die Schlüssel zum Himmelreich. Eine Kirche, die den Menschen nicht deutlich verkündigt, was es mit Jesus auf sich hat, die seine Bedeutung als Erlöser verdunkelt und nicht klar sagt, wie Christus uns hilft, in den Himmel zu kommen, eine solche Kirche schließt den Menschen den Himmel zu und baut keine Gemeinde auf. „Binden und lösen“ das meint, etwas im Glauben für verbindlich erklären oder für unverbindlich erklären zu können. Es gibt eine klare Erkenntnis des Gotteswillens und deswegen können wir auch in Jesu Namen bestimmte Dinge für verboten oder für erlaubt erklären. „Binden und lösen“ das meint nichts anderes als die Anwendung und Auslegung des Gotteswillens. Das eine geht und das andere geht eben nicht im Namen Gottes. Die Lehre der wahren Kirche, der Kirche in der Nachfolge des Petrus, hat ewigkeitliche Konsequenzen.

Liebe Schwestern, gerade das war und das ist an Euch so anschaulich geworden. Die Verchener haben Euch beobachtet und waren beeindruckt. So sieht Christsein aus. Eure Weise die monastischen Tugenden „Armut, Keuschheit und Gehorsam“ zu leben, spiegelte sich in dem, wie ihr in Verchen mit den Pommern lebtet: Bescheiden und einfach, auf Gott konzentriert und in Liebe allen Menschen zugewandt. Es war Eure Erkenntnis Jesu Christi, die Euch zu solchem Selbstverständnis führte. So seid Ihr durch Eure bloße Existenz ein deutlicher Hinweis auf Gott und eine Einladung zu einem Leben mit ihm.

Aber nun kommt der Abschied. Und da fragen viele: Was ist nun mit der Klarheit der Christuserkenntnis und dem Vorleben des Glaubens? Ist das nun hier unter uns nicht mehr nötig? Hatte der Heilige Geist die Schwestern nicht hierher geführt und ist ihre Aufgabe nicht unter uns? – Aber alles hat seine Zeit! Wir haben elf wertvolle Jahre miteinander gelebt. Nun haben diejenigen, die die Freude hatten, mit den Schwestern zu leben, die Aufgabe, Christus zu bekennen und den Glauben zu leben. Jesus war mit seinen Jüngern nur drei Jahre zusammen. Auch damals wäre noch so viel zu sagen und zu tun gewesen, aber dann war der Weg Jesu auf dieser Erde zu Ende und er ging zurück zum Vater. Pfingsten sandte er uns seinen Geist. Und auch Paulus ist immer nur eine begrenzte Zeit in den Gemeinden gewesen, um dann zu neuen Orten und neuen Ufern aufzubrechen. Wir sind dankbar für jedes gemeinsame Jahr, für jeden Monat, für jede Stunde, die wir miteinander gehabt haben. Und ich bin gewiss: Es werden ewigkeitliche Folgen bleiben. Es gibt Menschen, denen ist der Himmel aufgeschlossen worden. Und wir werden in der einen Kirche Jesu Christi in Beziehung bleiben, auch wenn wir räumlich getrennt sind.

Liebe Schwestern, Ihr habt uns viel gegeben, aber Ihr werdet auch viel mitnehmen aus Pommern. Ihr seid um pommersche Erfahrungen reicher geworden. Und wenn es nur dies ist, dass viele in Pommern Sehnsucht haben nach klarer Christuserkenntnis und gemeinsamen Leben. Im Gebet, im Wachsen der Christuserkenntnis und in der Zuverlässigkeit, für das einmal Erkannte auch einzutreten, bleiben wir miteinander verbunden. Der lebendige Gott, der in Jesus Christus uns seinen Willen deutlich gezeigt hat und der in seinem Geist unter uns ist, führe uns in Franken und in Pommern auf seinen Wegen und am Ende führe er uns zu sich.

Amen.

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