Die Wahrheit unserer Kirchenbilder
21. Februar 2015
Zukunftskonferenz des Kirchenkreises Dithmarschen zum Thema "Kirche: 'ein glühender Backofen voller Liebe'"
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
ein Bäckergeselle hat mir aus seiner Lehrzeit erzählt. Jeden Morgen fuhr er mit seinem Moped die 15 km bis zu seiner Lehrstelle. Im Winter kam er so manches Mal halb eingefroren dort an. Als erstes stellte er sich vor den heißen Backofen und taute langsam wieder auf. Danach konnte er sich dann an die Arbeit machen.
Ihre heutige Synode, liebe Schwestern und Brüder, ist für mich so etwas wie ein heißer Backofen, an dem man sich wärmen kann. Ich beglückwünsche Sie zu dem Vorhaben, sich einen ganzen Tag Zeit zu nehmen, um Kraft und Geist zu tanken als Kirche in Dithmarschen.
Sie wollen schauen, wo Sie stehen in den Kirchengemeinden und Diensten und Werken. Dabei schauen Sie nicht nur auf sich, sondern auch auf den Kontext, in dem Sie leben. Sie schauen genau hin auf die Lebenswirklichkeit, an der Sie alle teilhaben.
Und Sie wollen sich inspirieren lassen für andere und für neue Haltungen, Ideen und Wege. Nicht alles muss dabei neu erfunden werden, vieles Gute und Bewährte aus Ihrem Kirchenkreis werden Sie sich gegenseitig vorstellen.
Bei alledem ist es nötig einen geistigen Kompass zu haben, mit dessen Hilfe Sie in allem, was Sie denken, tun und lassen, die richtige Richtung einschlagen.
Mir helfen dabei Bilder, die sich mir eingeprägt haben.
Solch ein Bild ist das von Gottes Wesen, wie Martin Luther es 1522 in einer seiner berühmten Invokavit-Predigten beschrieben hat. Heute, am Samstag vor dem Sonntag Invokavit, erinnern wir uns daran, welches Bild er von Gott beschrieben hat: „Denn Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht“.[1]
Ohne Gott und die Kirche gleichsetzen zu wollen, möchte ich mir mit Ihnen zusammen einmal vorstellen, dass die Menschen in Dithmarschen, in Lunden, in Heide, Eddelak oder Brunsbüttel Kirche so erleben: als „glühenden Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht“.
Wie kann das konkret aussehen, wie fühlt sich das an?
Fulbert Steffensky hat mitten im nordelbischen Reformprozess im Jahr 2003 einen Vortrag vor der Landessynode gehalten, der mich nachhaltig beeindruckt hat.[2] Ich möchte in einem ersten Schritt Luthers Gottesbild mit Steffenskys Vision von Kirche in Verbindung bringen.
In einem zweiten Bogen werde ich Ihren Prozess im Kirchenkreis Dithmarschen in den Kontext im Sprengel Schleswig und Holstein stellen.
Schließlich möchte ich mit Ihnen als drittes auf ausgewählte Ergebnisse der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD schauen, also den Bogen noch einmal weiter ziehen.
1. „Kirche- ein glühender Backofen voller Liebe“
Gott loben – Gesicht zeigen – das Recht ehren:
in Gemeinschaft und Vielfalt
Kirche erlebt jede und jeder anders. Es macht einen Unterschied, ob wir als Kind, als Jugendlicher, als Mann oder als Frau leben. Es macht einen Unterschied, ob wir arbeitslos sind und von Hartz IV leben müssen oder ein geregeltes Ein- und Auskommen haben. Es macht einen Unterschied, ob wir in einem Dorf ohne Kaufmann, ohne Arzt, ohne Schule oder in einer Stadt mit guter Infrastruktur leben.
Jede und jeder von uns erlebt Kirche anders – und wenn die Verantwortlichen in Kirche, Kirchenkreis und Diensten und Werken aufmerksam sind, dann werden sie genau hinschauen, was in ihrem Ort konkret gebraucht wird und angesagt ist.
So sind die harten Fakten, die Propst Crystall vorhin geschildert hat, richtig für den gesamten Landkreis Dithmarschen. Aber es enthebt uns nicht von der Aufgabe, an jedem Ort genau hinzuschauen, was für Themen die Menschen aktuell beschäftigen.
Dafür gibt es keine ewig gültigen dogmatischen Konzepte und Kirchenbilder. Gleichwohl brauchen wir einen Kompass, der uns die Richtung weist.
Wer unter Ihnen schon länger in kirchlichen Gremien unterwegs ist, hat schon so manchen Reform- und Strukturprozesse hinter sich: viele Sitzungen, endlose Debatten, kluge Referate, sorgfältig erarbeitete Entwürfe. Es ist ein mühsames Geschäft und so mancher kluge Entwurf landete am Ende doch im Papierkorb.
Vielleicht geht es Ihnen da ähnlich wie mir: Ich freue mich immer, wenn wir bei allen nötigen Strukturdebatten immer mal wieder Zeit finden, um über unsere Bilder von Kirche zu diskutieren. Sie sind es ja letztlich, die uns alle antreiben, uns in der Kirche zu engagieren. Auch hier gibt es zumeist nicht richtig oder falsch. Über die Wahrheit unserer Kirchenbilder muss immer vor Ort gesprochen und gestritten werden.
Im Jahr 2003 hielt der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky einen Vortrag auf der nordelbischen Synode unter dem Titel: „Gott loben, das Recht ehren, Gesicht zeigen. Das Wesen und die zentralen Aufgaben der Kirche“. Gott loben, das Recht ehren, Gesicht zeigen – so beschreibt Steffensky die zentralen Aufgaben der Kirche.
Ich möchte sie mit Ihnen zusammen genauer anschauen und als viertes hinzufügen, dass diese zentralen Aufgaben immer in konkreten und vielfältigen Gemeinschaften vor Ort geschehen. In alledem können wir eine Kirche erleben „wie ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht“.
Gott loben
Vor allem Tun oder Lassen, vor allen Aktivitäten ist es nötig, als erstes zu hören, uns zu verbinden mit unseren geistlichen Wurzeln. Ob im Kirchengemeinderat, in der Mitarbeiterrunde, in Fachausschüssen der Diakonie, wann auch immer wir uns treffen: die geistliche Besinnung zu Beginn vergewissert uns unserer Kraftquellen.
Die persönliche praxis pietatis, ob es in Stille geschieht, im Lesen der Losungen, wenn wir der ökumenischen Bibellese folgen, beim Gebet zu den Mahlzeiten oder beim Abendgebet: Wir tun dies, weil es uns mit Gottes Geistkraft verbindet. Die Pflege unserer Kirchen als geistliche Orte, die Möglichkeit dort Kerzen anzuzünden, das Auslegen von Kirchenbüchern, in die sich die Besucher eintragen können, die offene Kirche – unsere Kirchen schaffen Raum für die Begegnung mit Gott.
Gott loben: das ist die Voraussetzung und Quelle all unseres Tun und Lassens in der Kirche. Im Hören auf Gottes Wort, im Gebet und im Lobe Gottes vergewissern wir uns unserer Identität als Kirche.
Gesicht zeigen
Wer seine Kirche liebt, braucht dies nicht zu verstecken. Gesicht zeigen, das bedeutet offen und selbstbewusst missionarische Kirche sein. Gerade in unseren Zeiten, in denen Religion bewusst zur Legitimation von Gewalt herangezogen wird, ist es angesagt, dass wir deutlich machen: Wir handeln bewusst als Christinnen und Christen, wir zeigen uns als Kirche Jesu Christi, und wir tun dies als missionarische Kirche. Allerdings und klar gesprochen: Missionarische Kirche sind wir nur, wenn wir es gewaltfrei und absichtslos sind.
Ich weiß um die Geschichte der christlichen Kirche, in der Mission leider allzu oft mit Gewalt einhergegangen ist. Ich weiß um die Schuld, die die Kirche auf sich geladen hat: um Zwangsbekehrungen, um das Töten sogenannter Ungläubiger, die sich nicht bekehren wollten. Aber ich weiß auch, dass unsere Kirche sich bewusst abkehrt von solch falsch verstandener Mission.
Fulbert Steffensky bringt es auf den Punkt: Mission „ist die gewaltlose, ressentimentlose und absichtslose Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzepts … Wenn ich etwas liebe und wenn ich an etwas glaube, dann liegt es im Wesen dieser Liebe, dass sie öffentlich zeigt, was sie liebt. … Man gibt sich selber ein Gesicht, man identifiziert sich selber und erfährt, wer man ist, indem man zeigt, wer man ist und woran man glaubt. Wir werden Kirche, indem wir uns als Kirche zeigen. Besonders junge Menschen brauchen nichts dringender als dies: dass Menschen sich ihnen zeigen; dass ihr Gesicht und ihre Lebenskonturen erkennbar werden. Lehren heißt, zeigen, was man liebt. Menschen werden wahrscheinlich nicht lieben, was wir lieben. Aber sie lernen, dass man überhaupt etwas lieben und für etwas stehen kann.“[3]
Wenn das z. B. von Jugendlichen im Konfirmandenunterricht erlebt wird, dann sind wir Kirche im besten Sinne.
Wenn Erwachsene in Glaubenskursen die Gelegenheit bekommen, offen über ihre Gewissheiten, aber auch über ihre Fragen und Zweifel zu sprechen, dann zeigen wir als Kirche, was uns am Herzen liegt, was wir lieben. Das geschieht an vielen Orten, auch Sie als Synode sind heute solch ein Ort. So zeigen wir Gesicht, so sind wir missionarische Kirche.
Das Recht ehren
„Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht“, heißt es in Psalm 103,6. Bei Jesaja heißt es gleich im ersten Kapitel (1,17): „Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!“ Als christliche Kirche tun wir gut daran, auch immer wieder die Hebräische Bibel, das Alte Testament zu lesen. Wenn wir darin lesen, werden wir in vielem geerdet. Um solche Erdung müssen wir uns immer wieder bemühen. Nur dann sind wir als Kirche relevant für das Leben der Menschen, und der Glaube an Gott gewinnt für sie an Plausibilität. Um mit Worten von Elisabeth Moltmann-Wendel zu sprechen: „Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen.“[4]
Wie kann das konkret aussehen? Im Januar habe ich die Kirchengemeinden im Sprengel in einer Umfrage gebeten, von ihrer Arbeit mit Flüchtlingen zu berichten. Die Antworten von 107 Kirchengemeinden des Sprengels zeugen von einem überwältigend großen Einsatz in allen Kirchenkreisen. Im Kirchenkreis Dithmarschen wurden laut den Rückmeldungen im Januar 114 Flüchtlinge betreut. Vermutlich sind es noch mehr, da nicht alle Kirchengemeinden sich gemeldet haben, wohl aber in der praktischen Flüchtlingshilfe tätig sind.
In einer parallel laufenden Umfrage vom Dezember letzten Jahres bei den Diakonischen Werken ergab die Rückmeldung aus Ihrem Diakonischen Werk, dass 330 Asylsuchende in der Migrationssozialberatung Hilfe gesucht und bekommen haben. Gerade die Flüchtlingsarbeit ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie Kirchengemeinden und Dienste und Werke, hier das Diakonische Werk, wie wir gemeinsam als Kirche der Sache Gottes dienen.
Das ist eine diakonische Kirche, die das Recht ehrt, die Liebe für den nahen und fernen Nächsten konkret spürbar werden lässt, die Seelsorge und Beratung in Fragen des Lebens anbietet und sich als prophetische Stimme und Anwältin der Schwachen und Opfer versteht, egal welchen Glaubens.
Aktuell wird ja politisch die Frage des Kirchenasyls diskutiert. Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, wie wichtig es ist, dass uns dieses Instrument erhalten bleibt. In Fällen der Gefahr von Leib und Leben, in Fragen der Gefährdung von Menschenrechten gewähren Kirchengemeinden nach sorgfältiger Prüfung Kirchenasyl. Hier zeigen wir als Kirche Gesicht, hier stellen wir uns nicht neben, hier ehren wir das Recht.
Gemeinschaft und Vielfalt
Gott loben, Gesicht zeigen, das Recht ehren, dies geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern in der Regel, wenn Menschen zusammen kommen in Freud und Leid, weil sie ein bestimmtes Problem berührt, aber auch um gemeinsam zu feiern.
Erlauben Sie mir auch hier als Beispiel von der Flüchtlingsarbeit zu sprechen. Auf ihrer Kirchenkreis-Website steht ein Artikel unter der Überschrift „Herzlich willkommen in Dithmarschen“. Im Januar trafen sich im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Tellingstedt Asylbewerber und Einheimische. Ein Organisatoren-Team hatte zum Willkommenscafé eingeladen. Dieses Team setzte sich aus ganz verschiedenen Menschen zusammen: Amtsvorsteher, Pastor, VHS und DRK, Sozialverband und diakonisches Werk, verschiedene Kirchengemeinden der Region. Es kamen 80 Menschen, Einheimische und Asylbewerber.
Nach innen vergewissern wir uns in Treffen wie diesem unserer Identität als Kirche; nach außen zeigen wir darin die Verbundenheit mit der Gesellschaft. Gemeinschaft und Vielfalt schließen sich nicht aus, die Begegnung mit dem Fremden und Anderen bereichert uns. Wir erleben Kirche als weltweite Kirche über den eigenen Ort hinaus.
Kirche: „ein glühender Backofen voller Liebe“
Ich denke, Ihre heutige Synode zeigt mit unterschiedlichsten Beispielen: Die Menschen im Kirchenkreis Dithmarschen, auf Helgoland, in Tellingstedt, Wesselburen, Marne oder Meldorf – können Kirche so erleben: als „glühenden Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht“.
2. „Hier stehe ich – ich kann auch anders“ – vergleichbare Prozesse im Sprengel Schleswig und Holstein
Dass Kirche sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen muss, das betrifft nicht nur den Kirchenkreis Dithmarschen. Überlegungen zur verstärkten Zusammenarbeit und Kooperation von Kirchengemeinden, speziell die Neustrukturierung in regionalen Verbünden und Netzwerken werden derzeit auch in den Nachbar-Kirchenkreisen aktiv diskutiert.
Der Kirchenkreis Nordfriesland ist dabei, sich in neun „Kirchspielräume“ aufzuteilen, darunter noch einmal in kleinere Regionen, die vermehrt zur Zusammenarbeit aufgerufen sind. Zugleich hat der Kirchenkreis ein Jahresthema für alle kirchlichen Einrichtungen ausgerufen: „Ein Platz für Dich“ – das wichtige Thema der Inklusion. Ich konnte es in dieser Woche miterleben bei einem Fachtag des Kindertagesstättenwerkes zum Thema.
Der Kirchenkreis Schleswig-Flensburg diskutiert aktuell ein Konzept „kirchengemeindlicher Handlungsräume". Es sieht vor, gemeindliche Handlungsräume mit mindestens 5.000 Gemeindemitgliedern zu bilden, denen zwei Pastorinnen und Pastoren, hauptamtliche Kirchenmusik und Gemeindepädagogik, Küsterdienst, Reinigungskräfte und Sekretariat zur Verfügung stehen.
Im Kirchenkreis Mecklenburg gibt es schon länger die Anstellung von Mitarbeitenden in den Propsteien und auf ehemals landeskirchlicher, jetzt der Ebene des Kirchenkreises. So werden die für die Zukunft unserer Kirche so wichtigen Stellen für Mitarbeitende auch unter heutigen Bedingungen erhalten.
Auch im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg werden immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen zentrale gesellschaftliche Themen bewegt, wie z. B. das Thema „Armut in der Gesellschaft“. Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder Kinderarmut wurden öffentlich diskutiert.
Im Kirchenkreis Ostholstein gibt es wohl die am weitesten reichende Form regionaler Zusammenarbeit. Zur Finanzierung der zentralen Arbeitsaufgaben fließen 20 Prozent der Kirchensteuerzuweisungen für die Gemeinden der Region in einen Fonds, dessen Gelder gemeinsam verwaltet und eingesetzt werden.
Zugleich hat sich der Kirchenkreis ein Motto gegeben: „Kirche am frischen Wasser".
Sie sehen: Bei allem Bemühen um adäquate Strukturen sind auch die anderen Kirchenkreise immer wieder thematisch unterwegs. Kirche zeigt Gesicht, das wird daran deutlich.
Ich lade Sie an dieser Stelle herzlich ein zur Kirchenkonferenz in einem Monat, am 21. März nach Breklum. „Hinter‘m Horizont geht‘s weiter - Wirklichkeit und Zukunft von Kirche in ländlichen Räumen des Sprengel Schleswig und Holstein“ lautet das Thema.
Die Frage ist aufgetaucht, ob es sich für Sie lohnt, nach dem heutigen Tag auch nach Breklum zu fahren. Ich finde Ja: Die Kirchenkonferenz soll laufende Prozesse im Sprengel zum Thema miteinander vernetzen, neue Impulse hervorbringen (auch durch den Blick über den eigenen Kirchenkreis bin in die Nordkirche und EKD hinein), Impulse, die dann in den einzelnen Kirchenkreisen oder auch untereinander verabredet weitergeführt werden. Zudem sollen leitende Personen in ihren Entscheidungen inhaltlich unterstützt werden.
Die Kirchenkonferenz ist eine sinnvolle Weiterführung Ihrer heutigen Themensynode. Wenn sie an der Konferenz teilnehmen, können Sie dort ihren Stand der Diskussionen mit einfließen lassen, sich ggf. mit anderen vernetzen oder auch für die eigenen Prozesse vor Ort weitere Inspirationen und Informationen erhalten.
3. Die 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD
Zum Schluss möchte ich mit Ihnen auf ausgewählte Ergebnisse der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD schauen, also den Bogen noch einmal weiter ziehen.
Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung: Aus Sicht ihrer Mitglieder ist die evangelische Kirche zunächst eine „Kirche bei Gelegenheit“ und eine diakonisch-engagierte Kirche.
Lassen Sie mich einige konkrete Ergebnisse aufzählen:
1. Die Kasualien, gerade die Bestattung, haben aus Sicht der Kirchenmitglieder eine zentrale Bedeutung. Sie wirken weit über die Ortsgemeinde hinaus, erreichen dabei auch Konfessionslose. In inhaltlich überzeugenden, persönlich zugewandten und sorgfältig inszenierten Amtshandlungen zeigen wir Gesicht, sind im besten Sinne missionarische Kirche.
2. Die Diakonie ist nicht nur aus inhaltlichen Gründen eine wichtige Lebensäußerung des Glaubens, sondern sie ist auch ein wichtiges Aushängeschild für die Kirche. Dies trifft nicht nur auf unsere Mitglieder, sondern auch auf mehr als jeden zweiten der befragten Konfessionslosen zu. Eine enge Zusammenarbeit von Kirchengemeinden und Diakonie und gemeinsame Projekte zeigen, wie wir als Kirche das Recht ehren.
3. „Ich brauche keine Religion für‘s Leben“ ist ein deutlich häufigerer Grund für einen Austritt aus der Kirche als die „Kirchensteuer“. Der wissenschaftliche Beirat der KMU wertet dies als „religiöse Indifferenz“, man könnte auch von Gleichgültigkeit sprechen. An dieser Stelle möchte ich zwei Dinge betonen: Zum einen sollte angesichts der Hochschätzung der diakonischen Arbeit der Kirche überlegt werden, wie das kirchliche Profil dieser Arbeit noch stärker herausgestellt werden könnte. Zum anderen ist dies aber nicht nur eine Frage an die Diakonie, sondern an die Relevanz all unseren Tun und Lassens in allen kirchlichen Feldern.
4. Ein wichtiges Ergebnis: Die Evangelische Kirche ist für ihre Mitglieder vor allem durch ihre gottesdienstliche Praxis bedeutsam. Das gilt ähnlich für Menschen ohne konfessionelle Bindung, die ebenfalls befragt wurden. Gottesdienste im Lebenszyklus und im Jahreskreis erfreuen sich besonderer Beliebtheit. Das spricht für einen an vielen Orten ja schon praktizierten Mix aus traditionellen Gottesdienstformen und „Gottesdiensten bei Gelegenheit und am besonderen Ort“. Mit Freude denke ich an einen Gottesdienst „am besonderen Ort“ bei Ihnen zurück, den „Kuttergottesdienst“, an dem ich teilnehmen konnte.
5. Wichtige Repräsentanten der Kirche sind die Pastorinnen und Pastoren, und zwar nicht nur über den Sprechkontakt, die Face-to-face-Begegnung, sondern auch über die Kenntnis (vom Sehen oder namentlich). Die Pastorinnen und Pastoren wirken also nicht nur durch den direkten Kontakt, sondern auch dadurch, dass sie Gegenstand „distanzierte[r], aber wohlwollende[r] Beobachtung“ werden – z. B. bei Gottesdiensten, Kasualien, Festen in der Gemeinde oder im Stadtteil. Hier kommt ihnen eine öffentliche Rolle zu, die für viele Kirchenmitglieder ausreichend und zugleich bedeutsam ist.
6. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen den Pastorinnen und Pastoren eine „Schlüsselrolle“ für die Wahrnehmung der Kirche als Ganzer zu. Das ist eine Anerkennung für ihren tagtäglichen Einsatzes in Gemeinden, Werken und Einrichtungen, den ich auch persönlich unterstreichen möchte.
7. Was den persönlichen, den face-to-face-Kontakt betrifft, so ist der Kontakt und die Anknüpfungsmöglichkeiten für die Menschen über die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche gleichwohl nicht zu unterschätzen. Gemeindesekretärinnen, Kirchenmusikerinnen, Diakone, Küster, Erzieherinnen und Religionslehrer – sie alle stehen auch für die Kirche vor Ort – auch dies ein Ergebnis der Studie.
8. Dafür spricht auch ein Ergebnis der Studie, dass viele vermutlich aus ihrer eigenen Glaubensbiographie heraus bestätigen können: Die Bedeutung religiöser Sozialisation in der Kindheit und im Jugendalter. Da dies in den Familien immer weniger geschieht, werden alle Angebote der Kirchengemeinden in diesem Bereich umso wichtiger. Nicht allein deswegen, aber im Blick darauf braucht es neben den Pastorinnen und Pastoren auch die anderen Mitarbeitenden in der Verkündigung mit ihren speziellen Ausbildungen und Gaben.
9. So finde ich es nicht nur wichtig, sondern notwendig, dass bei allen Überlegungen zur regionalen Zusammenarbeit die Chancen genutzt werden, vom Stellenumfang her sinnvolle Mitarbeiterstellen zu schaffen. Strukturelle Veränderungen wie z. B. Anstellungen in der Region oder im Kirchenkreis sind daraufhin zu prüfen, ob sie wirksame Instrumente für den Erhalt von Mitarbeiterstellen darstellen.
10. „Nur 1-2 % der Konfessionslosen können sich einen Eintritt in die Kirche vorstellen – Mission zwecklos.“ Diese These reizt mich zur Entgegnung. Ich möchte es verbinden mit einem anderen Ergebnis der KMU. Mehr als 1/3 der sogenannten „Jungen Alten“, also der Menschen zwischen 60 und 69 Jahren können sich einen „Neuanfang im eigenen Leben“ vorstellen. Da sehe ich nicht nur Potential für die Gewinnung von Ehrenamtlichen, sondern auch für die Anknüpfung an den Glauben.
Wie wäre es einmal mit Geburtstagsglückwünschen zum 60. Geburtstag von der Kirche? Ohne dass ich Ihnen jetzt noch „ein weiteres Projekt“ zu dem vielen nahelegen möchte, dass Sie eh schon tun: Heute geht es ja um Anregungen, und so bitte ich Sie das folgende Beispiel auch zu verbuchen.
Pröpstin Lenz-Aude aus dem Kirchenkreis Schleswig-Flensburg hat 50- und 60-jährige Gemeindeglieder, als sie noch Gemeindepastorin war, über mehrere Jahre hinweg mit persönlichen Schreiben zum Geburtstag gratuliert und viele überraschte und durchaus wohlmeinende Rückmeldungen daraufhin bekommen. Gerade von denen, die der Kirche nicht so nahe standen, bekam sie Reaktionen, und zwar nur positive. Meistens kam der Dank durch Anrufe, und manches Mal verabredeten sie sich dann zu einem Gespräch. Die häufigste Reaktion: „Erstaunlich, dass jemand schreibt und nichts will außer gratulieren und Gottes Segen wünschen ohne Verbindung mit einer Anfrage oder Einladung zu irgendwas. Nur freundliche Aufmerksamkeit ohne Hintersinn.“
Zum guten Schluss möchte ich meine Gedanken mit einem Gedicht von Dorothee Sölle beschließen und damit auch wieder auf Luthers Bild des „glühenden Backofens“ zurückkommen.
Der Ofen
Als jakob klein war hat er zeitungen ausgetragen, sie lagen im korb vorn am fahrrad
im winter war es früh dunkel und regnete, einmal stürzte jakob mit dem rad
der korb fiel um und die abendausgaben lagen nass und verdreckt auf dem boden
jakob war elf, und es war sein erster job
er muss zuhause angerufen haben, konnte aber nicht sprechen
dann kam sein vater, sie hoben die nassen papiere auf
zuhause hat vater, sagt jakob, sie einzeln aufgefaltet
und auf den ofen gelegt zum trocknen
er hat mich ganz fest umarmt, sagt jakob,
er hat nie gesagt, dass es nicht wichtig sei, alles wurde warm und trocken
dann fuhren wir zusammen im auto
und mit schwung warf er die getrockneten zeitungen in die offenen loggien der vorstadthäuser
als jakob diese geschichte erzählte, konnte ich den geruch
von nassem dreckigen zeitungspapier, das trocknet, nicht aus der nase kriegen
außerdem fiel mir der martin luther ein,
der gott einen backofen voll liebe nannte,
daran habe ich eigentlich selten gezweifelt,
nur dass ich oft nicht wusste
wo der ofen stand
Lassen Sie uns doch heute gemeinsam nachdenken und die Orte suchen und finden, wo der Ofen steht und das Feuer brennt.