Musikalische Vesper Erster Advent, 1. Dezember 2024 | Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg

Eröffnung der 66. Aktion Brot für die Welt

13. Januar 2025 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Matthäus 21,1-11
Bischöfin Kirsten Fehrs

Liebe Adventsgemeinde,

Hosianna, gelobt sei, der da kommt! Die Menschenmenge in unserem Evangelium brodelt vor Freude und Erwartung: Jesus kommt. Endlich! Seht ihr, da! Er zieht gleich ein – in diese Stadt. In unsere Herzen! Mit ihm soll sich endlich von Grund auf wandeln, was so bedrückend ist und mühsam und so voller Kampf und Hass. Denn er, er ist ein König der Hoffnung. Einer, der die Welt aus den Angeln hebt.

Advent. Wir warten voller Ungeduld. Heute ist das so, wir haben es eben im Interview gehört. Und damals war es so – in diesem Heiligen Land, das schon damals zu kämpfen hatte mit so viel Gewalt, Krieg, Hunger und Not.

Deshalb sind sie alle gekommen, voll inniger Sehnsucht, um diesen Retter, diesen Jesus zu begrüßen. Sie singen, legen ihre Kleider auf den Weg, streuen Palmzweige auf die Straße. Und rufen, nicht schön, aber laut: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Alle scheinen sie es zu wissen: „Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiäa.“ Von Zweifeln, von Widerspruch, von Nicht-Jublern in dieser Menge ist keine Rede. Das muss der wahre König sein. Die Hoffnung in Person. Hosianna!

Und dann kommst du, Jesus. Ärmlich gekleidet. Auf einem Esel. Wahrlich kein Triumphmarsch. Kein prächtiger Schimmel, nein, eine junge Eselin trägt dich in das aufgeregte und zugleich so verwundete Jerusalem. Die Eselin – sie ist deine Hoffnungsträgerin.

Und mir geht das Gespräch von eben nach. Die Erzählung von all den Verwundungen in Ruanda. Und wie sehnsüchtig Traumatherapeuten erwartet werden, um Heilung zu bringen. Sie sind nicht Jesus, klar, und sie reiten auch nicht auf Eseln, auch wenn es dort derer viele gibt, die genau das tun, was Esel seit Jahrtausenden tun: Menschen und Lasten tragen.

Aber es gibt natürlich auch Autos und Busse. Und wenn die Helferinnen und Heiler damit tatsächlich bei den Sehnsüchtigen ankommen, werden sie freudig erkannt und begrüßt? Vielleicht sogar mit allzu großen Hoffnungen erwartet?

Was mich an diesem Evangelium fasziniert, das ja am Ersten Advent in der Erwartung der Geburt Jesu und auch am Palmsonntag, zu Beginn der Karwoche gelesen wird, in dem also die Hoffnung immer auch um das große Leid weiß, was mich an diesem Einzug nach Jerusalem fasziniert: Jesus schweigt. Er zieht in Jerusalem ein, Riesenaufzug, doch kein Wort von ihm. Keine gewinnende Predigt, keine programmatische Erklärung, nicht mal eine geheimnisvolle Andeutung. Nichts. Im Moment der größten Erwartung: Schweigen.

Und wenn wir bedenken, wie es weitergeht in dieser alten Geschichte von Jesu Geburt – immer wieder begegnet uns dieses erstaunliche Schweigen. Klar, Jesus konnte vor seiner Geburt nichts sagen, aber Josef und Maria auf ihrem Weg nach Bethlehem, Maria schwanger, auch übrigens auf einem Esel, auf dem ganzen langen Weg: kein Wort. Im Moment größter Erwartung: Schweigen.

Vielleicht, weil die große Erwartung immer auch ängstlich macht? Oder auch die eigene Angst, den übermenschlichen Erwartungen nicht zu genügen, wahlweise Gott zu gebären oder die Welt zu erlösen? Schweigen sie aus Angst vor dem Scheitern? Aus Angst vor Ohnmacht oder gar Tod? Aus Angst, später auf der Flucht das Jesuskind nicht schützen zu können, wie es doch so viele Mütter auf der Flucht derzeit erleben?

Was ist das für ein Schweigen? Ist es ehrfürchtig? Demütig? Beschämt? Ist es wütend? Überwältigt? Bescheiden? Hilflos? Alles möglich.

Schweigen begegnet uns auch in Ruanda. Ein Schweigen der unaussprechlichen Scham, der nicht sagbaren Schuld. Ein Schweigen des Verdrängens und zugleich des Weiterleben-Wollens. Ein Schweigen, das lastet. Ein Schweigen, das unter der Oberfläche brodelt und schleichend Leben und Gemeinschaft vergiftet, weil das Trauma, das Grauen millionenfachen Mordens, heimlich und unerkannt weitergereicht wird an die nächste und übernächste Generation; wir haben es eben eindrücklich gehört. Eine Generation, die heute gar nicht mehr weiß, woher all der Schmerz kommt, der jede Lebensfreude nimmt, ein Schmerz, der Leben lähmt und entmutigt – und ja, auch aggressiv macht.

Brot für die Welt hilft – wie immer auf ganz besondere Weise. Hier eben nicht mit einer Wasserpumpe. Saatgut. Dem Bau einer Schule. Sondern mit Therapie. Brot für die Welt hilft, zur Sprache zu bringen, was ausgesprochen werden muss, damit die Wut die Seele nicht aufzehrt. Hilft, Worte auf die Welt zu bringen, damit es Heilung geben kann. Für Einzelne, für das ganze Volk. Was für ein Projekt, genau das zu unterstützen! Nahrung für die Seele. Denn in jedem Schmerz, der zu Sprache kommen darf, steckt die Hoffnung auf Wandel. Worte säen Wandel. Und manchmal sind sie so wichtig wie Weizen.

Das Schweigen beenden. Ich schaue auf unsere biblische Tradition. Die weiß auch darum, dass einem manchmal die Worte fehlen. Und – natürlich – alles hat und alles braucht seine Zeit. Auch das Schweigen.

Aber dieses Schweigen hier, um das es geht, macht einsam. Manche Problemberge wachsen ins Unermessliche, wenn sie nicht geteilt werden. Menschen können und sollen nicht alles mit sich allein ausmachen. Sie brauchen das Gespräch, das Hören und Reden, den Austausch, Trost und Ermutigung und ab und zu auch mal einen klugen Rat oder eine kritische Nachfrage.

Jesus beendet sein Schweigen, kaum ist er in Jerusalem. Da sieht er so viel Böses und so vieles im Argen und regt sich mächtig über die Händler auf, die den Jerusalemer Tempel, den heiligen Ort, missbrauchen. „Mein Haus soll ein Bethaus heißen, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus!“

Die Wut über das Unrecht bricht das Schweigen. Vielleicht auch in Ruanda. Die Wut über das Unrecht, das sich fortsetzt, wenn es nicht gesehen, ausgesprochen und bearbeitet wird. Der Wut eine Sprache zu geben, kann unerhört entlasten. Weil sie einen auf diese Weise nicht mehr gefangen nimmt, sondern positive Kraft fürs Leben freisetzt!

Das Schweigen in der Weihnachtsgeschichte beendet ein Engel. Es ist eine wunderschöne Geschichte. Mit einem beherzten „Fürchtet euch nicht!“ landet der Engel direkt vor den herzensklammen, angststummen Hirten. Fürchtet euch nicht – und prompt löst es die Angst, die Enge des Herzens und damit auch die Zungen. Zumindest die Hirten erzählen alles weiter, was sie erlebt und gesehen hatten. Sie tragen es weiter und in alle Welt. Genau sie. Diese armen Randgestalten der Geschichte. Genau ihretwegen sitzen wir heute hier im Michel und feiern Gottesdienst. Es können große Dinge passieren, wenn aus verängstigten Schweigern lebensstarke Botschafter der Hoffnung auf Wandel werden. Damals in Bethlehem, heute in Ruanda, wer weiß das schon.

Deshalb lege ich Ihnen allen die diesjährige Aktion von Brot für die Welt sehr ans Herz. Unsere Geldbeutel – oder Paypal-Konten – für eines der ärmsten Länder der Welt zu öffnen, ist eine sehr feine Art, Jesus in Empfang zu nehmen. Das Projekt in Ruanda steht dabei beispielhaft für die vielfältige Arbeit von Brot für die Welt, das allerorten Menschen hilft und Samen für den Wandel sät. Dafür genau zieht Jesus ein, jedes Jahr wieder, in unsere Herzen zum Ersten Advent. Und mit ihm die Hoffnung, dass uns stets neue Kraft zuwächst, die Verhältnisse zu ändern.

Diese Hoffnung auf Wandel brauchen ja nun auch wir. Adventliche Ermutigung, um nicht im ängstlichen Schweigen ob der Weltlage zu versinken. Inmitten des Leides der Hoffnung die Tür öffnen, dass alles gut wird, das ist Advent. Und sei es nur ein Moment vom „alles gut“, ein Moment des Glücks, geben wir ihm eine Chance. Nicht allein die Krise sehen, sondern glauben, hoffen, lieben. Unbeirrt. Denn wir wissen doch – frei nach Hanns-Dieter Hüsch:

Jesus kommt

Der Freund der Kinder und der Tiere

Mit fester Freude lauf ich durch die Gegend

Ich grüße freundlich

Möchte die Welt berühren

Jesus kommt

Mein Herz schlägt ungemein

Macht Sprünge

Mein Auge lacht und färbt sich voll mit Glück

Jesus kommt

Alles wird gut. Amen.

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