Ein russischer Kirchenmann lehnt sich gegen den Krieg auf

Erzbischof Bischof Brauer ringt um Frieden: Ich bitte darum, nicht aufzugeben!"

"Wir sind eine Geisel von einem Menschen", sagt Erzbischof Brauer. Eine freie Meinungsäußerung sei für Kriegsgegner in Russland gefährlich. Er und seine Familie leben momentan in Deutschland. Anfang Mai sprach er auf der Sondersynode der Nordkirche zum Thema Frieden.
"Wir sind eine Geisel von einem Menschen", sagt Erzbischof Brauer. Eine freie Meinungsäußerung sei für Kriegsgegner in Russland gefährlich. Er und seine Familie leben momentan in Deutschland. Anfang Mai sprach er auf der Sondersynode der Nordkirche zum Thema Frieden. © Hübner, Nordkirche

13. Mai 2022 von Julia Krause

Zweieinhalb Monate – so lange dauert der Krieg in der Ukraine bisher an. In diesen Monaten haben hunderttausende russische Bürger ihr Land aus Protest gegen den Angriffskrieg Putins verlassen. Einer von ihnen ist Dietrich Borissowitsch Brauer, Erzbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Russland (ELKR).

Bischof Brauer hat viel zurückgelassen, als er in diesem Frühjahr seinem Gewissen folgte und Russland verließ: Seine Gemeinde, seine Kollegen, seine Freunde, sein Zuhause. Offiziell befindet er sich auf einer Dienstreise auf Einladung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit anschließendem Sabbatical.

Im eigenen Land unerwünscht

Das, was seine Kirche in Russland eher nicht laut sagt, ist: Brauer hat kurz nach dem Beginn der russischen Militäroffensive für den Frieden gepredigt und wurde damit für die russischen Staatsführung zu einem Problem. Das Präsidialamt ließ ihn, wie auch andere hochrangige Kirchenvertreter wissen, dass es eine Unterstützung der Politik des Präsidenten wünsche.

„So etwas von Kirche zu erwarten, ist einfach frech. Eine Erpressung“, sagt Brauer im Rückblick. Er habe in erster Reaktion versucht, innerhalb des Landes ökumenische Partner zu finden, die seine Meinung teilen. Doch was er fand, war eine Mischung aus Angst und Verständnis für die sogenannte Spezialoperation. „Es gibt natürlich auch Stimmen in der russischen Gesellschaft, die anders denken. Aber es sind nicht allzu viele“, resümiert er.

"In Deutschland kann ich frei beten"

Der Schmerz über diese Erkenntnis ist ihm deutlich anzumerken, er ringt um Worte, während er erzählt, was er selbst bis Ende Februar nicht für möglich gehalten hat: Es gibt keine freie Meinungsäußerung mehr, auch für die Kirche nicht. Also reiste er zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland. „Hier kann ich frei beten und auch frei meine Position sagen“, so Brauer.

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Erzbischof Brauer ist Anfang Mai zu Gast bei der Sondersynode der Nordkirche. Sie endet mit einer Friedenserklärung, in der unter anderem der Schutz von Kriegsdienstverweigerern gefordert wird. © Hübner, Nordkirche

Da er als Russlanddeutscher aufgewachsen ist, mag das ein naheliegender Schritt sein. Einfach ist der Weg deswegen noch lange nicht. Zwar beherrscht Brauer die Sprache perfekt. Doch er hat keinen deutschen Pass, sondern anders als seine Amtsvorgänger nur die russische Staatsbürgerschaft. Was also soll werden aus einem Friedensbotschafter, dem in seiner Heimat Haft droht, sollte er seine Aussagen nicht umgehend widerrufen?

Schutz von Deserteuren gefordert

Die Nordkirche hat auf ihrer jüngsten Synode diskutiert, ob sie sich für eine Erweiterung des Bleibe- und Asylrechts ausspricht. In der jüngst verabschiedeten Friedenserklärung heißt es dazu: "Die Synode fordert den Schutz von Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem Krieg nicht beteiligen wollen". Ob diese Botschaft auch auf politischer Ebene Widerhall findet und eine Änderung in Richtung Asylrecht bewirkt, ist jedoch völlig offen.

Doch selbst wenn, bleibt unklar, was mit nicht-militärischen Gegnern des Krieges passiert. Haben sie eine Bleibeperspektive in Deutschland?

"Wir sind eine Geisel"

Brauer selbst mag noch gar nicht so weit in die Zukunft denken. „Im Moment ist es ganz wichtig, das tägliche Brot wahrzunehmen. Täglich das Vaterunser zu beten“, sagt er und ergänzt: „Wir können nicht in die Zukunft schauen.“ Er hoffe, dass es eine friedliche Zukunft für sein Land gebe, und damit auch eine Rückkehr für ihn und seine Familie. „Aber noch ist der Kelch nicht ausgetrunken. Ich kann nur wiederholen: Wir sind eine Geisel von einem Menschen.“

Doch es gebe auch Hoffnung: Die jüdische Gemeinschaft etwa, lasse sich nicht beugen. Sie habe Stellung gegen den Krieg bezogen, erzählt Brauer. Selbst in Belarus, das als sehr Russland-freundlich gilt, gebe es Gemeinden, die sich mit dem Bischof solidarisieren. „Wir sind nicht allein“, sagt er.

Angst ist menschlich, aber sie lähmt

Für alle, die in seinem Land noch hadern und mit ihrem Gewissen kämpfen, hat er noch eine weitere, versöhnliche Botschaft: „Manchmal kriegt man zu schnell Angst und distanziert sich. Das ist menschlich“, so Brauer. „Ich kann keine Anschuldigungen machen. Ich bitte einfach darum, nicht sofort aufzugeben.“

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