8. Oktober 2023 | Schleswiger Dom

„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“

17. Oktober 2023

Predigt anlässlich der Verabschiedung von Gothart Magaard aus seinem Amt als Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein

Die Gnade unsere Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch! Amen.

Liebe Festgemeinde!

„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Zugegeben, dieser erste Satz des Abschnitts aus dem 1. Petrusbrief hat einen besonderen und ernsten Klang für mich – am heutigen Tag. Und ich habe mehr als einen Moment nachdenken müssen, was mir das heute sagen soll.

Zunächst:  Ganz so ernst ist die Lage für mich als Pastor und Mensch und für uns als Kirche im Norden bei näherem Hinsehen ja nun wirklich nicht. Es ist ein Übergang, ein Transitus, der heute vollzogen wird. Für mich persönlich ist es einer aus dem bischöflichen Amt in den Ruhestand, für unsere Kirche ein Übergang in der Leitung von dem Einen zur Anderen. Das alles ist einfach gut und richtig so. So soll es sein.

Und diese Übergangssituationen, die Schwellensituationen von Hier nach Dort, haben ja vor allem etwas Verheißungsvolles – denn in dem Abschied liegt das beginnende Neue. Hier liegen Lernchancen und Gelegenheiten sich neu zu orientieren als Mensch und als Kirche. Es sind Orte der neuen Vergewisserung dessen, was Gott mit uns auf unseren Wegen durch die Zeit vorhat.

„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Ernst gemeint ist das aber natürlich schon. Der Verfasser des Briefes kommt gewissermaßen noch einmal auf den Anfang zu sprechen: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ – das ist ja der Auftakt der öffentlichen Predigt des Jesus aus Nazareth. Mit diesen Worten von der nahen Zukunft Gottes wurde die christliche Gegenwart in ein Spannungsverhältnis gesetzt, das bis heute anhält – und das wir als Christenmenschen und Kirche so lebensnotwendig brauchen.

Denn mit unseren Anfängen in Glaube, Hoffnung und Liebe und dem fragmentarischen, auf das wir dann immer wieder zurückblicken müssen, brauchen wir doch die Hoffnung auf Vollendung – auf das Ende aller Dinge im Sinne dieses „Immer-nur-anfangen-Könnens“, das unsere menschliche Lage ist.

„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Und ernst ist unsere Lage natürlich auch – die Zukunft ist für viele nicht mehr das offene und weite Land, das wir mit Klaus-Peter Hertzsch herbeisingen werden. Und wenn auch nicht das Ende aller Dinge, so sind bereits und werden doch viele Dinge zu einem Ende kommen, die uns vertraut waren, Lebensgewohnheiten und Selbstverständlichkeiten.

Das wird in vielerlei Hinsicht notwendig sein, um nachhaltig zu leben – und es ist schmerzhaft. Auch für uns als Kirche, die wir ja auch eine Kirche im Übergang sind – hin zu einer neuen, veränderten Gestalt.

Die Nähe, von der wir heute hören, hat in alledem, was einem an Ernstem durch den Kopf gehen kann, etwas Befreiendes. Denn diese Nähe lähmt ja nicht, sie soll vielmehr Kräfte freisetzen, das Nahe-Liegende zu tun:

„Seid besonnen und nüchtern zum Gebet! Seid gastfrei untereinander ohne Murren! Dient einander, ein jeder und eine jede mit der Gabe, die er und sie empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“

Diese Aufforderungen und Ermutigungen an die Gemeinde im Übergang sind für mich heute mit vielen Menschen und Erinnerungen verknüpft. 

Gastfreundlichkeit, um mit ihr zu beginnen, habe ich selbst vielerorts erlebt. Wovon könnte ich erzählen: von meinen zahllosen Besuchen in den Kirchenkreisen und vielen Kirchengemeinden, z.B. Sülfeld, Altenholz, Neukirchen, Eckernförde und regelmäßig hier im Dom, und bei der Bachwoche in Greifswald und der Krippenandacht im Hamburger Michel. Auch von den Besuchen der Konvente der Pastorinnen und Pastoren.

Von den Besuchen und Begegnungen in den diakonischen Einrichtungen und Beratungsstellen mit ihren professionellen Netzwerken der Nächstenliebe im ganzen Land.

Und vor allem von dem großen Engagement von den vielen Menschen, die dieser Kirche ihr gastfreundliches Gesicht geben: von Herzblut, Witz und Charme, von Solidarität und gelebtem Trost – aber auch von Ermüdung.

Unsere Kirche kann die Krisen der Gesellschaft nicht berührungslos an sich vorüberziehen lassen, manches daran durchlebt sie vermutlich sogar in einer besonderen Intensität. Ihre Botschaft ist nicht von dieser Welt, aber ihre Gestalt ist in dieser Welt verhaftet:

Möge es gelingen, bei allen Veränderungen unserer Organisationsform  „Volkskirche“ zu bleiben. Offen, reflektiert, vielschichtig und möge es uns gelingen, Gottes Menschenfreundlichkeit nicht als Floskel in dieser Welt zu verkündigen, sondern für Menschen spürbar werden zu lassen.

Ich denke bei der Gastfreundschaft aber auch besonders an die Jahre 2015 und 2016 und das, was so viele Menschen ohne großen Vorlauf mit Herz und Hand auf die Beine gestellt haben, um Geflüchteten ein Ankommen und eine Beheimatung zu ermöglichen. Und viele tun es noch heute.

Ja, die großen europäischen Fragen der Migration sind komplex. Sie brauchen eine durchdachte, der Komplexität gerecht werdende und im Angesicht unserer Werte zu rechtfertigende Lösung – und zugleich: Ja, es braucht genauso und auch weiterhin Herz und Hand für die, die als Fremde in unsere Dörfer und Städte kommen.  

Es braucht auch weiterhin die leidenschaftliche Achtung der Menschenwürde, die das Ertrinken im Meer nicht zum tragischen Normalfall erklärt.

Und es braucht in alledem eine Diskussions- und auch Streitkultur, die Verständigung darüber ermöglicht, welchen Weg wir gehen wollen – und verantworten können, vor Gott und den Menschen.

„Dient einander mit der Gabe, die er oder sie empfangen hat …“  ein zweites. Ich habe mein Bischofsamt stets als Teil dieser vielfältig begabten Gemeinschaft verstanden. Und sie ist mir oft auch außerhalb der kirchlichen Gremien begegnet.

Ich denke auch an die vielen Menschen, die sich aus christlicher Motivation oder anderer Motivation in den Institutionen und Verbänden und in der Kultur dieses Landes engagieren.

Dass wir in einer lebendigen Demokratie leben, das habe ich bei vielen Gelegenheiten in Kiel erlebt, aber auch im ganzen Land. Und dass wir in einem funktionierenden Rechtsstaat leben da bot Schleswig viele gute Möglichkeiten zum Gespräch  beides ist ein kostbarer Rahmen für unser Zusammenleben, um den wir ringen müssen, den wir auch verteidigen müssen, wenn er angefeindet und ausgehöhlt wird.

Und natürlich gehört dazu, mit unseren vielfältigen Gaben um die großen Themen dieser Zeit zu ringen: der Klimaschutz mit all seinen Herausforderungen und Zielkonflikten, der Kampf gegen die Kinderarmut und für gute Perspektiven der Jugendlichen auch bei uns.

Und das Ringen um Frieden und Gerechtigkeit im Kleinen wie im Großen, für die es alle keine einfachen Lösungen gibt und die wir nur gemeinsam, mit allen Menschen guten Willens lokal und global denkend, zugleich in den Blick nehmen können.

Für diesen Weg wünsche ich uns Hoffnung. Die Hoffnung, die die Fähigkeit hat, im Chaos der Gegenwart die Vorboten einer neuen Wirklichkeit zu sehen. Nüchtern, ohne Panik, ohne Aktionismus. Aber kontinuierlich und, um Axel Hacke zu zitieren, auch heiter. Denn zur Heiterkeit gehört, die „eigenen Möglichkeiten nicht zu vergessen und Verwandlung zu akzeptieren, Beweglichkeit zu pflegen, auch die Leichtigkeit. Die Milde, die Güte, den Gleichmut“. Auch dazu helfe uns Gott.

Und zu den Gaben, die wir teilen, gehören schließlich auch die Begegnung, das Gespräch und die Zusammenarbeit mit Christenmenschen aus anderen Konfessionen: mit unseren römisch-katholischen Geschwistern und all den anderen, mit denen wir ökumenisch gut verbunden sind.

Mit unseren dänischen Nachbarinnen und Nachbarn im Grenzland, wo so viel Verbundenheit und Verständnis gewachsen ist und wir perspektivenreich im engen Austausch über „Gott und die Welt“ sind.

Und mit den Brüdern und Schwestern der Anglikanischen Kirche in Ely, Durham und Lichfield, mit denen wir in einem vielfältigen Austausch stehen und eine lebendige Versöhnungsarbeit erleben.

Dazu der enge Austausch, Begegnungen und Freundschaft mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden und der Schura SH. Da ist in den letzten Jahren viel gewachsen in Begegnungen zwischen Muslimen, Juden und Christen – nicht erst seit der gemeinsamen Unterstützung der Kampagne für einen Gottesbezug in der Verfassung.

Auch dafür bin ich heute am Ende meiner Amtszeit sehr dankbar, wie für alle kritischen und auch liebevollen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, nahe dran, in der Bischofskanzlei, im Bischofsrat, im Landeskirchenamt, im Konvent der Pröpstinnen und Pröpste, in der Synode, in der Gemeinschaft der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in Politik und Zivilgesellschaft – Ihnen und Euch allen, die heute hier sind- und ganz besonders meiner Frau und meiner Familie.

„So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.“ Vom Beten und Tun des Gerechten – diesen Gedanken Dietrich Bonhoeffers, in Anlehnung an die klösterliche Tradition des „Ora et labora“, hatte ich bei meiner Bewerbung um das bischöfliche Amt in einem Vortrag in den Mittelpunkt gestellt.

Die konsequente Hinwendung zu Gott im Gebet, die Bereitschaft, von ihm alles zu erwarten, vor allem die Bereitschaft, unseren kleinen Stimmen Gehör zu schenken, und zugleich im Tun dem Weg der Gerechtigkeit zu folgen – das scheint mir noch immer der entscheidende Rat zu sein, wie unsere Kirche bei Trost und bei ihrer Sache sein kann.

Und wie auch der Alltag eines Ruheständlers verheißungsvoll sein mag. Die Nähe der Zukunft Gottes, des Endes all dieser irdischen Dinge, trägt das Antlitz Jesu Christi – menschenfreundlich, bedingungslose, leidenschaftliche Hingabe für uns – dieses Ende soll kein Schrecken sein.

Mit einem Gedanken Dietrich Bonhoeffer, geschrieben in seinen Notizen aus der Haft, möchte ich darum auch schließen.

„Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen.

Datum
17.10.2023
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