11. März 2016 | Peter-Paul-Kirche, Bad Oldesloe

Eva und die anderen – was wir lernen können

11. März 2016 von Kirsten Fehrs

Vortrag für den Kreislandfrauentag Stormarn "Eva und die anderen - Frauenbilder der Bibel und was wir heute von ihnen lernen können" beim KreisLandFrauenVerband Stormarn

Anrede, 

ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie mich eingeladen haben zu Ihrem Kreislandfrauentag - in dieser schönen Kirche, die leider nicht zu meinem Sprengel gehört. Dafür aber die Stormarner Landfrauen! Sie wie überhaupt die Arbeit der Landfrauen liegen mir sehr am Herzen und so ist es mir eine Ehre, den Festvortrag heute halten zu dürfen.

Eva und die anderen… Frauen! Dieses Thema durfte ich mir aussuchen, vor längerer Zeit schon. Damals war mir im Auge, wie lebensnah die uralten biblischen und je auf ihre Weise starken Frauenfiguren sind. Und sich gemeinsam auf die Reise mit diesen Urmüttern des Glaubens und des Lebens zu machen, dazu möchte ich Sie heute ganz herzlich einladen. 

Zugleich will ich zugeben: Eva und Co musste ich mir auch wieder ein wenig heranholen. Denn so vieles scheint viel eher „dran“ zu sein. Und so vieles ist passiert, seit ich mir das Thema ausgesucht habe: Da ist zuallererst das Landeserntedankfest. Die Erlebnisse haben uns zusammen geführt und mich nachhaltig beschäftigt. Einmal die Erinnerung, wieviel wir in unserer Überflussgesellschaft täglich (!) wegwerfen. Dann die skandalös geringen Preise, besonders für Milch. Und drittens im Gespräch mit den Stormarner Landfrauen die Erkenntnis, dass nur noch 5% aktiv in der Landarbeit tätig sind! All dies nehme ich mit und nutze die Gelegenheit deutlich zu machen, wie wir als Kirche Ihren Dienst in der Landwirtschaft schätzen!

Wenige Wochen nach unserem Dank und unserem Nachdenken dann die Attentate in Paris, zu Jahresbeginn die Verunsicherungen durch Köln, derzeit die vielen Flüchtlinge an den Zäunen mit Stacheldraht vor immer mehr geschlossenen Grenzen in Europa, dazu eine starke Frau, eine Kanzlerin, die umstritten ist und zugleich so vielen aus dem Herzen spricht  – all dies und schließlich die Tatsache, dass es nach wie vor eine enorme Hilfsbereitschaft gibt in unserem Land. Es ist Tatsache, dass wir deutlich mehr sind als die, die so lautstark gegen Flüchtlinge protestieren! Bedrückend lautstark gerade jüngst hier in Oldesloe. Hakenkreuze an der Peter- und Paul Kirche – ja geht es noch??! Wir müssen deutlich machen, liebe Schwestern, vielleicht lauter als bisher: Es sind soviel mehr, die das nicht in Ordnung finden! Die im Gegenteil humanitäre Hilfe wie selbstverständlich leisten, auch in den Landfrauenvereinen. Wir müssen deutlich gegenhalten und sagen: wir haben andere Werte. Werte wie Demokratie und Religionsfreiheit und Menschenrecht – auch das auf Heimat. Gerade doch in Schleswig-Holstein haben es so viele Menschen erlebt, was es heißt, die Heimat zu verlieren bzw. hier eine neue Heimat zu finden.

Ich danke Ihnen von Herzen,  liebe Landfrauen, für Ihr Engagement auf so vielfältige Weise. Zum Glück sind es insgesamt viele, die sich von den Schicksalen anrühren lassen und helfen, in der Stadt und auf dem Land. In einem Dorf etwa im Lauenburgischen, auch meinem Sprengel, war das zunächst gar nicht so selbstverständlich: Als kurzfristig etliche syrische Flüchtlinge ins Dorf ziehen sollen, gab es erst einmal Aufruhr. Die Bürgermeisterin wendet sich an die Kirchengemeinde – und von da an beginnt eine wunderbare Geschichte: Der Pastor appelliert instinktsicher an den ehemaligen Gemeindewehrführer der Feuerwehr und seine Frau, eine Landfrau. Die sind bei ihrer sozialen Ehre gepackt und gründen mit Freunden in enormer Schnelligkeit ein Netzwerk der Hilfe, in das gefühlt das halbe Dorf eingestiegen ist. Während einer Andacht erzählen einige von ihren Erlebnissen. Ich bin schwer beeindruckt, auch übrigens wie vertraut sie und die Syrer, die mit in die Kirche gekommen sind, miteinander umgehen. Man habe sich gegenseitig etwas geben können, sagt eine, die Deutsch unterrichtet. Sie ist glücklich, dass sie den Jugendlichen etwas beibringen kann. Zu einer syrischen Familie gewandt sagt sie doch tatsächlich: Danke, dass ihr mich adoptiert habt.

Eine andere erzählt, dass das ganze Dorf herzlicher geworden ist. Friedlicher. Zwei zum Beispiel, die schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen haben, wurden zu einer syrischen Familie geschickt, um eine Lampe einzubauen. Und dabei haben sie sich dann – quasi über die Leiter hin – die Hand zur Versöhnung gereicht.

Unser Land verändert sich. Und- ist das schlecht?! Nein. Schlecht wäre, wenn den Menschen nicht dieses Licht aufginge, dass wir auch etwas empfangen! Dass Sinngebung und Integration etwas Gegenseitiges ist. Und dass wir als Christenmenschen außerdem jede Menge zu geben haben: Kleidung und Lampen, aber auch Nähe, Freundschaft und  - ganz wichtig: Trost.

Denn: „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Mit dieser Jahreslosung 2016 aus dem Buch Jesaja (Jes. 66,13) hätte man die aktuelle  Situation gar nicht besser treffen können. Und zugleich hätte ich gar nicht besser wieder zum Thema des Vortrages hinführen können, der sich um die Frauen in der Bibel dreht: Gott tröstet - wie eine Mutter.

Mutter Gott. Entgegen anders lautenden Gerüchten ist in den alten biblischen Schriften immer wieder von ihr die Rede. Von den weiblichen Seiten Gottes. Nicht nur vom Herrn der Welt. Sondern auch von der Mutter des Lebens. Buchstäblich bei Adam und Eva fängt diese Tradition an, heißt ja Eva: Mutter des Lebens. Sie ist das Urbild des Lebendigen – und führt auf eine interessante Spur: Sie wird nämlich geschaffen – ebenso wie Adam  - nach dem Ebenbild Gottes. Heißt umgekehrt: Gott ist mindestens zwei, Mann UND Frau. Und das wiederum hat eine Botschaft:  Es lebe der Unterschied! Wir sind von Anfang an nicht-gleich. Differenziert. Von der Schöpfung her wird der Unterschied geliebt statt befürchtet. Das ist doch heute eine enorm aufregende Botschaft – gerade wenn es jetzt um Integration gehen muss und damit um die gegenseitige Würdigung des Nicht-Gleichen. Unbekannten. Nicht im jeweils Gleichen entsteht Ergänzung, sondern der Unterschied erst macht uns vollständig und lässt einen nicht allein…

Der Mensch als Gottes Ebenbild  – das bedeutet auch: Frau wie Mann ist gefordert, das Leben als Gottes Eigentum zu schützen. Du darfst nicht töten – weil du damit immer Gott direkt angehst. Darin ist dann in jedem Fall jedes Geschöpf gleich, ob Frau oder Mann, Muslim oder Jüdin, Kind oder Greis: jedes Geschöpf hat eine Würde, die unantastbar ist. So wie Gott unantastbar – oder hebräisch übersetzt: heilig -  ist. Aus diesem Gedanken heraus, der ja zugleich den ersten Satz unseres Grundgesetzes bildet, leiten sich elementare ethische Grundsätze ab und Haltungen: Menschlichkeit, Solidarität, Nächstenliebe. Hochaktuell gerade in Punkto Flüchtlinge. Oder zum Thema  „Sterben in Würde“. Jedes Leben ist heilig. Nicht zur Zerstörung, Verunglimpfung, Diskriminierung freigegeben. Und auch nicht beiseite geschoben, lieblos oder hilflos. Die Eva, die weibliche Seite Gottes – sie spricht genau eine andere Sprache.

Ich möchte das verdeutlichen anhand der anderen Urmütter, die in Jesu Stammbaum besonders erwähnt werden. Sie heißen u.a. Rut und Tamar und Rahab. Letztere gar war eine Hure – heißt: Gott zeigt sich in denen segensreich, die uns erst einmal zutiefst befremdenRahab, so wird es im Buch Richter erzählt, lebt als bekannte Stadthure auf der Stadtmauer Jerichos, im wahrsten Sinne ausgegrenzt. Sie ist die einzige, die die Stärke und den Mut hat, in ihrem Haus die israelitischen Kundschafter zu verstecken, die dann letztlich das Volk Israel zur Rettung verhelfen. Dank Rahab. Gottes Geschichte mit uns baut eben nicht auf die Heldinnen und Helden, sondern eher auf die Persönlichkeiten, die etwas hinter sich haben und die eine Stärke gewinnen dadurch, dass sie die Courage haben anstößig zu sein. Beherzt. Eben nicht „artig“, erwartungsgemäß- angepasst. 

Besonders wichtig ist mir deshalb auch Rut. Ihr ist in der Bibel ein eigenes kleines Buch gewidmet. Ein Buch, in dem es vor allem um zwei Frauen und Landarbeiterinnen geht: Um Rut und um ihre Schwiegermutter Naomi. Naomi und ihre Familie stammten aus Bethlehem, und als es dort eine Hungersnot gab, zogen sie nach Moab, ins Ausland also. Dort heiratete ihr Sohn eine einheimische Moabiterin, eben jene Rut. Dann starben die Männer. Naomi will in ihre Heimat zurückkehren, denn die Not dort ist inzwischen vorbei. Sie sagt zu Rut: Du willst bestimmt hier in deiner Heimat Moab bleiben. Doch Rut denkt gar nicht daran und spricht einen der anrührendsten Texte aller Zeiten: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden…nur der Tod wird dich und mich scheiden.“

Über dieses Wort habe ich herzlich oft gepredigt, weil Brautpaare ihn sich als Trauspruch gewählt hatten. Allzu verständlich. Es hielt sie nichts davon ab, dass diesen Satz eine Schwiegertochter zur Schwiegermutter sagt. Und bei näherem Zusehen hat das ja schon eine besondere Lebensweisheit: Denn es ist ja oft eine besondere Beziehung zwischen Ehefrau und Schwiegermutter. Gerade auf dem Land: beide sind eng aufeinander angewiesen. Manchmal entsteht tiefe Freundschaft, manchmal ist es quälend und belastend. Familiengeschichten sind eben nicht immer Trostgeschichten. Oder Mutgeschichten. Sie sind oft Wutgeschichten. Hier bei der Ruth ist es anders und ich glaube, es liegt daran, dass beide über sich selbst hinaus schauen können. Beide wissen, dass sie eingebettet sind in ein größeres Ganzes: Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott. Man steht zusammen, auch als Familie, aber man ist nicht ausschließlich aufeinander fixiert. Auch nicht darauf, vor allem die Fehler der anderen aufzusuchen. Die gesunde Distanz ist das Geheimnis vielleicht jeder Beziehung, jeder Freundschaft. Weil manchmal allzu große Nähe auch große Reibung bedeuten kann...

Gutes Stichwort. Denn die Frauen in der Bibel haben darin eine Stärke, weil sie die offenen Konflikte aussprechen, oft auch austragen, und sie nicht unter den Teppich kehren. Sie zeigen etwa den Schmerz keine Kinder gebären zu können wie Rahel. Dann die Eifersucht ihrer Schwester Lea, die zwar Kinder gebären kann, aber die Liebe dessen nicht erringt, den sie begehrt. Es sind zutiefst menschliche, ja es sind Frauenthemen. Die Sara etwa, die im Alter – als es ihr nicht mehr nach der Frauen Weise ging – dennoch ein Kind gebiert. Eine Geschichte, die es in sich hat. Weil die Engel des Herrn, als sie ihr diese gute Hoffnung verkünden, Sara erst einmal lachen lassen. „Männer!“, mag sie gedacht haben. Und dann spricht der Engel sie darauf an. Und sagt: Fürchte dich doch nicht vor dem Neuen in deinem Leben! und so gebiert sie tatsächlich einen Sohn. Isaak. Das heißt aus dem Hebräischen übersetzt: „Gott lacht mit“. Was für eine Wendung! Es geht um „Frauengeschichten“. Um Wechseljahre, buchstäblich. Um Lebenskrisen, Trennungen, Verliebtheiten, Lebensumbrüche. Und genau darin immer um die Unterschiedlichkeit der Frauen, wie ihr Lebensentwurf aussieht. Es gibt unzählige Lebensentwürfe von Frauen in der Bibel, die friedlich nebeneinander stehen bleiben. Und ich denke: Wie oft passiert es heute, dass mein Lebensentwurf – mit oder ohne Kinder, mit oder ohne Beruf, mit oder ohne Mann, oder gar mit Frau – von anderen beurteilt, ja abgewertet wird. Weil die andere Lebensart halt nicht genauso wie die eigene ist….

Eine Geschichte, die besonders damit ringt und die die Unterschiedlichkeiten von Lebensentwürfen von Frauen nahezu typisiert, ist die von Maria und Martha. Vermutlich kennen Sie die Geschichte: Die Schwestern Maria und Martha haben Jesus zu Besuch. Und die eine – Martha – übernimmt die Rolle der Gastgeberin. Wie es sich geziemt. Räumt auf und kocht und sorgt für den Gast. Tüchtig, die Martha. Nichts Verkehrtes daran. Maria indes sitzt zu Füßen Jesu und hört ihm zu. Hingebungsvoll denkend. Wird von der genervten Schwester getadelt, sie solle endlich mal in die Strümpfe kommen anstatt da die ganze Zeit herumzusitzen. Doch Maria wird von Jesus in Schutz genommen: Frauen gehören nicht automatisch in die Küche, sondern mit hinein in die Gespräche über Gott und die Welt. – Welche von beiden wären Sie gerne? Die zuverlässige Martha, die für sich eine Aufgabe erkennt und sie ohne Umschweife erledigt) oder Maria, die sämtliche Konventionen ignoriert und intuitiv handelt, die innehält und nachdenklich die Welt in die gute Stube holt?

Wer wären Sie? Ja, wer sind Sie?

Ich vermute, dass Sie sagen würden: beides gehört zu mir. Vielleicht das eine mehr, das andere weniger. Sowohl die pragmatische, organisatorische Seite, dieses: Daran – Davon, nicht lange reden: tun! Was bleibt einem auch ehrlich gestanden anderes übrig? Aber die andere Seite gibt es eben auch, die träumerische, verletzliche; die nachdenkliche. Diese beiden Seiten wurden und werden oft gegeneinander ausgespielt – Hausfrau und Mutter gegen die Kontemplative oder gar die Karrieristin. 

Und Jesus macht es uns nicht unbedingt einfacher, wenn er über Maria ausdrücklich sagt: Sie hat das gute Teil gewählt. Kein schöner Satz für Martha. Jedenfalls auf den ersten Blick. Auf den zweiten enthält er eine Botschaft, die heutzutage wichtiger geworden denn je: Nämlich der Stimme des Herzens ein Recht zu geben. Es gibt Situationen, da ist die Ratio, der Verstand unterlegen - und erst recht die Konvention. Und ich merke auch, wie es zu meinem Alltag als Bischöfin gehört: die Intuition, die Herzenssprache zum Zuge kommen zu lassen. Und das heißt erst einmal: hören, nicht texten. Ich versuche auf die Stimmen in mir und die Stimmungen um mich herum zu lauschen. Einschätzen. Sortieren. Einfühlen. Die Geschäftigkeit einmal zur Seite zu schieben und gespannt auf den oder die andere zu sein.Mein Glück dabei macht aus, dass ich immer, wenn das gelingt, den Eindruck habe, den Menschen viel näher gekommen zu sein.

Ich könnte noch sehr viele Frauengeschichten aus der Bibel erzählen: über Maria, die Mutter Jesu. Oder über Maria Magdalena. Darüber, dass sie die ersten waren, die Ostern den Auferstandenen gesehen haben. Das ist ja so unerhört klar: Die ersten Zeuginnen waren Frauen! Sie sehen, liebe Schwestern: Mit den biblischen Frauenfiguren eröffnen sich neue Botschaften und ein weites Gottesbild. Eines, das Männer über lange Jahrhunderte der Tradition beiseite gelegt haben – doch auch das ist Geschichte. Seitdem Frauen die Bibel – zum Beispiel auch bei Weltgebetstagen – mit ihren Augen, aus ihrer Sichtweise lesen, entstehen neue Horizonte. Wunderbar fand ich auch aus diesem Grund die Jahreslosung. Mit ihr begann und mit ihr schließe ich, indem ich Sie noch einmal ein paar Minuten hineinnehmen möchte, Gott als Mutter zu denken. „Ich will dich trösten wie einen seine Mutter tröstet.“ 

Wie eine Mutter, die ihre Kinder mit zärtlichen Worten stillt. Wie eine Mutter ist Gott, die sich so oft nach ihren Söhnen und Töchtern sehnt, wenn sie ihren Weg gegangen sind – manchmal so weit weg von ihr. Eine Mutter, die nicht aufhören kann an ihre Kinder zu denken. Die manchmal nachts wachliegt und sich sorgt, weil die Haustür einfach nicht aufgeschlossen wird. Die Mutter, die sich darüber wundert, was ihre Kinder tun. Und was sie getan haben – so viel Unsinn war dabei, gute Güte! Und dann geht ihr nach, wie sehr sie sie liebt – auch wenn das für ihre Kinder manchmal nicht zu verstehen ist. Oder sie einander fremd geworden sind.

Und ich stelle mir vor, dass Gott lange schon darauf wartet, dass wir sie besuchen. Dass sie wie so oft am Küchentisch sitzt und in dem alten Buch der Erinnerungen blättert. Und ich sehe vor mir, wie sie Seite um Seite umblättert und sich erinnert: Ja, so war die Welt, als sie neu war und meine Kinder - sie waren so jung! Und sie sieht uns vor sich mit all den wunderschönen Farben unserer Haut, mit all den verschiedenen Formen uns zu freuen und zu tanzen. Sie bewundert all unsere Errungenschaften: die Musik, die wir gespielt, die Bilder, die wir gemalt, die Ideen, die wir gesponnen haben, die Arbeit, die wir geleistet haben.

Dann gibt es Seiten in diesem Buch, die sie gern überschlagen würde. Ihre Kinder, die ihre Heimat Erde zerstören, die sie ihnen geschaffen hat. Geschwister, die einander Schmerzen zufügen und in Ketten legen. Und sie denkt an die vielen Namen all der Kinder, die sie verloren hat durch Krieg und Hunger, Erdbeben und Flucht, durch Unfall und Krankheit. Und sie denkt daran, wie oft sie verzweifelt an diesem Tisch gesessen hat, weil sie nicht aufhalten konnte, was sie kommen sah.

Ja, und wie wäre es, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir uns tatsächlich vornehmen würden, Gott einmal wieder zu besuchen? Sie würde uns, stelle ich mir vor, ganz freundlich einen Platz anbieten an ihrem Küchentisch, frischen Tee kochen und sich dann ganz ruhig zu uns setzen. Wir sind ein bisschen nervös -  immerhin trinkt man nicht jeden Tag mit Gott Tee - und wir wissen auch nicht so richtig, wo wir beginnen sollen. Und dann fangen wir ein bisschen an zu schwätzen, wie man es oft macht, wenn einem unbehaglich ist und man nicht weiß, was kommt.  

„Sch…., still“, sagt sie in die Worthülsen hinein. Und dann schiebt sie ihren Stuhl zurück und sagt: „Lass dich einmal anschauen.“ Und sie schaut. Mit einem einzigen Blick sieht Gott unser ganzes Leben: Das, was neu geboren werden will, vielleicht schon bald, und das, was längst für uns gestorben ist. Sie sieht unser großes Glück, diese Dankbarkeit gerade in diesem Moment, und sie versteht all unseren Kummer. Sie sieht uns, als wir jung waren und dachten, dass es nichts gäbe, was wir nicht tun könnten. Und sie sieht uns in unseren mittleren Jahren, als unsere Kräfte unbegrenzt schienen, als alle uns brauchten und wir soviel aufbauen konnten. Und sie sieht uns in unseren späteren Jahren, als wir - weise geworden - fühlten, dass der Körper nicht mehr verlässlich war. Und sie sieht uns, wie wir auf einmal allein in einem Zimmer wachliegen, in dem einst zwei schliefen. 

Und dann würde Gott sagen: „Und nun erzähl mir, wie geht es dir?“ Und endlich können wir sagen, wie es ist: wen wir lieben, wen wir nicht lieben können, warum wir verletzt sind und was wir zerbrochen und verloren haben. Wo wir uns nicht gekümmert haben, schuldig geworden sind, aber auch all das, was uns so glücklich und reich und dankbar macht.

„Weißt du noch“, sagen wir. Und sie nickt. „Es war vieles auch schwer für mich. Und dann war ich so wütend auf dich, Gott, dass du mir diesen Schmerz zugefügt hast.“ „Oh, es tut mir leid, dass ich dir wehtat“. „Ich weiß, ich hätte auf dich hören sollen. Aber damals musste ich es auf meine Weise tun.“ „Ich weiß“, nickt sie, „ich weiß.“

Als es endlich nichts mehr zu sagen gibt, beginnt Gott zu summen und versetzt uns zurück in eine Zeit, als wir nicht einschlafen konnten, erschöpft vom Erzählen und aufgewühlt von dem, was die Welt bewegt. Und wir erinnern uns, wie sie uns stets aufgehoben hat und hin– und hergetragen. Das war‘s, wo wir lernten, Tränen abzuwischen. Von ihr lernten wir, jemanden im Schmerz zu trösten, Leiden tragen zu helfen. Bis heute. Nebenan in der Flüchtlingsunterkunft und morgen im Hospiz.

Und wir merken: Es war ein guter Besuch. Wir können gehen. Unseren Weg. Sie bringt uns zur Tür, schaut uns nach. Freundlich. Mit viel Segen. Dass wir nur gut durchs Leben kommen, denkt sie. Dass wir klug bleiben und besonnen und uns ja nicht fürchten. Aber sie ist ja da, denkt Gott, und lässt die Tür offen. So dass wir jederzeit kommen können. Um zu reden, zu handeln, zu fragen. Oder um uns, starke Frau!, trösten zu lassen. 

Jetzt bin ich am Ende meines Vortrags angekommen. Und eigentlich auch wieder am Anfang. In jedem Fall danke ich Ihnen für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen eine gesegnete Osterzeit – mit Begegnungen, mag sein mit starken Frauen aus der Bibel, die uns diese Geschichte Gottes glaubwürdig machen. Sie gebe uns Kraft, diese Geschichte, die unbeirrbar erzählt, dass das Leben siegt und die Hoffnung nie stirbt.

Ich danke Ihnen.

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