Festgottesdienst zur Einweihung elf neuer Fenster in der St. Marienkirche
13. August 2021
Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zu Lukas 18, 9-14.
I
Den Himmel sehen! Jetzt und hier - ja, das ist möglich. Hier in der Grimmer St. Marienkirche. Den Himmel sehen durch Kunstwerke aus Licht und Glas! Dazu laden ihre neuen Fenster ein: den Himmel zu schauen. 11 neue Fenster im Kirchenschiff; zwei neue Fenster in der Wakenitzkapelle. Es ist mir eine Freude, die Einweihung dieser prächtigen neuen Fenster mit Ihnen feiern zu können! Und zugleich das Ensemble zu entdecken, das heute zusammen mit den Fenstern im Raum der Stille, im Chorraum und der Mauritiuskapelle erst richtig sichtbar wird.
Mit Ihnen in der Grimmer Kirchengemeinde bin ich allen von Herzen dankbar, die über Jahre mit großem persönlichen Einsatz und finanziellem Engagement dafür gesorgt haben, dass wir heute fasziniert und dankbar zugleich auf und durch diese Fenster des Künstlers Thomas Kuzio sehen können. Allen voran natürlich dem Grimmer Kirchengemeinderat und Pastor Schmidt, der Ehepaar Weisbrod Russ-Stiftung, der Oetker-Stiftung und der Friede Springer-Stiftung sowie allen weiteren Beteiligten, die ich jetzt nicht alle namentlich nennen kann.
II
Wer einen Raum betritt, auch diesen Raum der St. Marienkirche, spürt ganz unmittelbar dessen Atmosphäre, hört den Klang des Raumes, wie wir es gerade tun, nimmt das Zusammenspiel der unterschiedlichen Materialien wahr, sieht das Spiel von Licht und Schatten, von Farben und Formen und hört auf das Flüstern der Mauern und Säulen. Was könnten uns diese Mauern wohl alles erzählen aus der so reichen Grimmer Kirchengeschichte? Von den Streitigkeiten um Zahlungen des Zehnten an den Schweriner Bischof im frühen Mittelalter, von den zahlreichen Taufen am Taufstein, von der Erneuerungen und Veränderungen an diesem Kirchbau, von den vielen Geistlichen, die hier bis zur Reformation eine eigne Gemeinschaft, einen Kaland bildeten, von den Veränderungen in der Reformationszeit, den Zerstörungen im dreißigjährigen Krieg, der Besetzung durch napoleonische Truppen 1807, als diese Kirche zum Heu- und Strohmagazin wurde und dann den Umbrüchen im 20. Jahrhundert. Diese Kirche ist ein Ort, der immer auch die Veränderungen und Umbrüche de Gesellschaft widerspiegelte und an dem diese ihren Niederschlag fanden. Welche Lieder dieser Kirchraum wohl gehört haben mag? Und von wie vielen laut gesprochenen, still geflüsterten oder unhörbar geseufzten Gebeten mögen diese Kirchenmauern wohl getränkt sein?
All das schwingt mit, wenn wir diese Kirche, diesen Raum für uns und unserem Glauben betreten. Das Licht, das durch die Fenster fällt, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nicht nur weil es uns zu sehen hilft, sondern weil es in besonderer Weise auch die Spiritualität dieses Raumes zum Schwingen bringt. Der Schweizer Architekt Peter Zumthor hat einmal gesagt: „Ich muss gestehen, dass das Tageslicht, das Licht auf den Dingen mich manchmal so berührt, dass ich darin manchmal fast etwas Spirituelles zu spüren glaube. Wenn die Sonne am Morgen wieder aufgeht - was ich immer wieder bewundere, das ist wirklich fantastisch, sie kommt jeden Morgen wieder - und sie beleuchtet die Dinge wieder, dann meine ich, dieses Licht, das kommt nicht von dieser Welt! Ich verstehe dieses Licht nicht. Ich habe da das Gefühl, es gibt etwas Größeres, das ich nicht verstehe. Ich bin sehr froh, ich bin unendlich dankbar, dass es das gibt.“
III
Ja, das Licht, das auf uns scheint, kommt nicht aus uns selbst. Es steht nicht in unserer Macht. Vielleicht sagen wir Menschen deshalb einander so gern, in welchem Licht wir uns selbst und andere sehen, und verwenden viel Mühe darauf, uns selbst ins Licht, gern ins rechte Licht zu rücken. Denn in welchem Licht wir uns selbst sehen oder sehen möchten, das sagt auch viel über uns selbst und unser Leben, unseren Glauben aus. Davon erzählt das Evangelium dieses Sonntags, das von zwei Menschen berichtet, die in den Tempel gehen.
Einer dieser beiden sieht sich selbst in einem hellen Licht - und betrachtet sich darin als Lichtgestalt. Das geht aber nur, wenn er den anderen, der still neben ihm steht - und am besten auch gleich noch alle anderen dazu - in den Schatten stellt. Und so betet er: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Leute.“
„Nicht so wie die anderen Leute“. Bei diesem Beter kommt keiner gut weg. Denn nur dann funktioniert sein Bild von sich selbst, nur dann kann er sich in dem Licht sehen, in das er sich rücken möchte. Ein Licht, in dem allein er glänzt. Alle anderen blendet er aus, macht sie unsichtbar. Für ihn sind sie nichts als lediglich die dunkle Folie, auf der das eigene Leben um so heller heraussticht.
Der Mann, der mit ihm im Tempel ist und ebenfalls betet, spürt das wohl sehr genau. Er bleibt erst einmal stumm. Er traut sich Gott nicht unter die Augen. Er weiß, dass er nicht so lebt, wie es sein Mitbeter von sich sagt. Gottes Gebote zu erfüllen, das gelingt ihm oft nicht. Weil er sich dessen bewusst ist, beansprucht er nichts, außer - in Gottes Nähe sein zu dürfen. Er traut sich nicht einmal, aufzuschauen. Und so bringt er nur ein paar Worte heraus: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
IV
Diese Geschichte, die Jesus erzählt, spielt in einem Tempel. Sie ereignet sich vor Gott. Deshalb sollten wir die beiden Beter nicht nur in dem Licht sehen, indem sie sich selbst sehen. Sondern wir sollten sie mit Gottes Augen, in Gottes Licht sehen. Eben weil es um diese beiden in der Gegenwart Gottes geht. Und da gilt: Gott blickt nicht auf das, was sie waren, sondern auf das, was sie jetzt sind. Was das bedeutet, hat der den mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart einmal so gesagt: „Wie Gott dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist.“
Gott sieht auf uns in seinem Licht - in dem Licht, das uns selbst und unser Leben erhellen - hell machen will. Dieses Licht ist Christus. Das Licht der Welt. So heißt es im Johannesevangelium: „Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Christus ist das Licht, in dem Gott uns sieht. Ein Licht, das bereits da ist, das nicht erst von uns gemacht oder hergestellt werden muss. Dieses Christus-Licht ist da. Hell, beständig und klar. Wir müssen nicht selbst Licht werden oder sein. Aber an uns ist es, den Schein dieses Lichtes nicht zu hindern. Sondern ihn zu unterstützen und selbst gewissermaßen durchscheinend zu werden für dieses Licht. Durchscheinend zu werden für Christus. Wie die Fenster dieser Kirche das Licht durch sich hindurchscheinen lassen, so ist es an uns, Gottes Licht durch uns hindurch in dieser Welt scheinen zu lassen. Und so Gottes Worten inmitten der vielen täglichen Worte Gehör zu verschaffen. Damit seine Liebe zum Zuge kommen kann. Was mag das für Sie, für die evangelische Kirchengemeinde hier in Grimmen konkret heißen: Gottes Worten Gehör verschaffen, seine Liebe zum Zug kommen lassen? Ich bin gespannt, davon heute noch mehr zu hören und mehr zu erfahren.
Einen Gedanken will ich aber dazu legen: Wenn das Licht Christi durch uns hindurch scheint, wenn seine Worte durch uns gesagt werden, wenn seine Liebe durch uns gelebt wird, wenn wir so durchscheinend für ihn werden - kommt nicht dadurch auch erst richtig zum Vorschein, zum Leuchten, wer und wie wir selbst sind? Auch bei den Kirchenfenstern kommt ja erst so richtig zur Geltung, was sie ausmacht, welche Farben und Formen in ihnen schlummern, wenn das Licht durch sie hindurch scheint.
VI
„Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Mögen die neuen Kirchenfenster uns alle an Christus, der das Licht der Welt ist, erinnern. Mögen sie uns erinnern: Entscheidend ist nicht, in welchem Licht wir uns sehen. Entscheidend ist, dass Gott uns im Licht der Liebe und Barmherzigkeit Christi sieht. Entscheidend ist, dass durch sein Licht durch uns hindurch scheint und wir diese Welt heller, liebevoller, barmherziger werden lassen.
Möge das Licht Christi also hier in Grimmen und überall auf der Welt durch uns alle scheinen und leuchten. Damit wir etwas vom Himmel sehen, schon hier und jetzt. Und dabei aus Glauben so leben und arbeiten, wie Martin Luther es beschrieben hat: „Der Glaube ist ein lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal darüber stürbe und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig.“
Amen.