Frei werden vom Applaus der anderen
14. September 2014
13. Sonntag n. Trinitatis, Predigt zu Matthäus 6, 1-4
Liebe Gemeinde!
I
Einer der Predigttexte für den heutigen Sonntag steht beim Evangelisten Matthäus im 6. Kapitel. Er führt uns in die Bergpredigt Jesu, zu seiner programmatischen Vermächtnis-Rede an die Jünger, damit sie wissen, woran die Welt mit ihm ist: Nicht Lebens-Gebote light, sondern ernst machen mit dem Glauben:
„Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.“
Ja wie nun: Hatte Jesus nicht gerade gesagt: stellt euer Licht nicht unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, damit man’ s sehen kann?
Wenn heute einer etwas gibt für einen guten Zweck, dann wird daraus oft ein Event: Photos mit Menschen, die einen überdimensionierten Scheck in Händen halten, gibt es fast täglich. Der Kübel mit eiskaltem Wasser, der über dem Kopf ausgeschüttet wird. Ganze Fernsehsendungen dienen dem Zweck, Geld einzutreiben – und über eingeblendete Textbänder kann man die Namen der Menschen und Firmen verfolgen, die eingezahlt haben. Die Botschaft heißt: wir sind gut, wir denken nicht nur an uns – darum: denkt ihr an uns, wenn ihr kauft bei uns!
Ohne solche Aktionen könnten auch wir als Kirche und Diakonie, können andere Organisationen ihre Arbeit gar nicht mehr leisten: keine Katastrophenhilfe in dem Umfang bieten; keine Beratungsstellen unterhalten oder Sozialstationen; keine Orgeln sanieren und Kirchen erhalten; nicht gegen den Hunger in der Welt kämpfen. Die öffentliche Darstellung von Spendenaktionen dient ja auch dazu, die Menschen aufmerksam zu machen auf das Leid und die Not.
Keine von diesen Spenden ist verwerflich. Sie sind nicht nur nötig, sondern sie sind zu ehren als Beitrag für die gemeinsame Verantwortung. Trotz der bedrohlich zunehmenden Kluft zwischen Armen und Reichen auch in unserem Land – es gibt, Gott sei Dank, auch die Bereitschaft, das Leid in der Welt oder nebenan zu sehen, zu geben und zu teilen, um Not zu lindern. Also: Tu Gutes und rede darüber.
II
Aber eben, liebe Gemeinde: Oft genug geht es doch nach dem Motto: eine Hand wäscht die andere und nicht: die Linke weiß nicht, was die Rechte tut.
Es ist ja bezeichnend, dass dieses Sprachbild von der linken und der rechten Hand bei uns umgekehrt gebraucht wird: bei denen weiß die Rechte nicht, was die Linke tut, sagen wir, wenn wir zum Beispiel ein Behördenchaos kommentieren – oder auch uns wundern über so manchen Vorgang in der eigenen Nordkirche. Was dabei herauskommt, wenn der eine nicht weiß, was der andere tut, ist Chaos und Ärger.
Und außerdem: Ein Mensch ist darauf angewiesen, von anderen Menschen wahrgenommen zu werden, erst recht, wenn er Gutes tut. Er braucht die Bestätigung, die Schmeichelei, das Mitrechnen, falls er selber mal in Not gerät und auf Hilfe derer hoffen muss, denen er selbst mal geholfen hat. Auch die Empfangenden brauchen ein konkretes Gegenüber, um sich angenommen und geliebt zu fühlen und nicht bloß durchgefüttert und mit Almosen abgespeist.
„Habt acht auf eure Frömmigkeit!“
Jesu Mahnung geht in eine andere Richtung: warum gibt einer; was ist sein Motiv? Das ist die Frage. Geht es vor allem darum, selbst gesehen und geschätzt zu werden; geht es um die eigene Größe, um den Erfolg?
Wer so denkt, sagt Jesus: der hat seinen Lohn schon gehabt. Denn das Lob der anderen, die Anerkennung für gutes Handeln ist ihm sicher.
Also: nichts gegen gute Taten – aber sie sind noch nicht Nächstenliebe, noch nicht die Antwort auf die Frage des Schriftgelehrten an Jesus, was er denn tun soll, um das ewige Leben zu erringen. Sie sind noch nicht Ausweise gottgefälligen Lebens, sie schaffen noch nicht das Reich Gottes auf Erden.
III
Almosen, von denen Jesus spricht, sind zunächst auch anderer Art. In der damaligen Gesellschaft gab es keine Sozialgesetze, keine Arbeitslosenversicherung, Krankengelder oder Witwenrenten. Armut und Elend konnten nur abgemildert werden durch private Geldspenden. Almosen zu geben, ist die fromme Pflicht vor Gott und dem Nächsten. Wer aus diesen Selbstverständlichkeiten eigenen Nutzen oder Ruhm ziehen will, der lästert Gott.
Immer wieder rühmen sich Politiker dafür, dass sie soziale Leistungen verteidigen oder durchsetzen: Kindergeldzahlungen sollen erhöht oder umgeschichtet werden; für die Betreuung der Kleinkinder soll Geld bereit gestellt werden; die Bildungsausgaben sollen nicht sinken; die Renten sollen sicher sein … Und natürlich erwarten jene, die sich dafür ins Zeug legen, Lob und Anerkennung. Aber das sind ja Wohltaten, die die Leute nicht für sich tun – sondern für die, die wirklich Hilfe brauchen in einem Sozialstaat, wie wir ihn zum Glück ja haben. Schließlich sind es Selbstverständlichkeiten, dass armen Menschen geholfen wird, dass das soziale Netz gestärkt wird; dass Kinder nicht in die Armutsfalle laufen und Familien die nötige Unterstützung finden; dass Alte nicht um den Lohn gebracht werden ihrer Lebensarbeitszeit. Darüber muss man doch nicht reden. Aber spätestens, wenn einer sich mit seinem Tun auf Gottes Willen beruft, wenn Kriege geheiligt werden – dann wird es höchste Zeit für Jesu Mahnung:
„Habt acht auf Eure Frömmigkeit…“
Das griechische Wort, das Matthäus gebraucht, hat die doppelte Bedeutung von „Frömmigkeit“ und „Gerechtigkeit“ oder „Rechtschaffenheit“. Um die echte, die wahre Frömmigkeit geht es Jesus: nicht um das Nachplappern frommer Sätze und um fromme Gesten. Es geht um die Übereinstimmung von Glauben und Tun, von Glauben und Leben.
Jesus definiert Frommsein völlig anders, als es geläufig geschieht. Ein frommer Mensch gilt oft als fern der Welt, nach innen orientiert, sanft, verträglich und, eben: schwach. Wer fromm ist, von Gott redet und von der Liebe, gilt als Fremdling; ein Träumer – nicht von dieser Welt.
„Habt acht auf eure Frömmigkeit“: Jesus sieht das genau anders herum. Der Fromme wendet sich der Welt zu. Er ist barmherzig, weil sein Herz warm ist, voll von Gottes Liebe. Beten und Tun des Gerechten gehören zusammen. Wer glaubt, sieht die Welt, wendet sich ihr zu, nimmt Stellung, fragt nicht nach Ausgewogenheit oder Anstößigkeit. Wer glaubt, der mischt sich ein, der gibt sich nicht zufrieden mit dem, was ist; der spürt auf die Ungerechtigkeit, die Lieblosigkeit. Frömmigkeit in Jesu Sinn ist das Gegenteil von Selbstgerechtigkeit.
Natürlich: auch wer von Gott erzählt, muss gehört werden wollen, wahrgenommen werden wollen. Aber er weiß, dass das nicht das Entscheidende ist. Das Entscheidende ist, dass Gott selbst in der Mitte ist. Dass Gott groß gemacht wird – und dass Jesus lecker gemacht wird den Menschen. Dafür ist die Kirche da! Darum sind die wirklich Frommen frei, den Mund aufzutun für die Schwachen. Es geht Jesus darum, dass der Glaube hilft zu unterscheiden die Geister, mit denen es die Welt zu tun hat.
IV
Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt das sehr eindrücklich: Der Fremde, der Migrant, der Sektierer da von den Samaritanern; einer von den Schmuddelkindern, mit denen man nicht spielt; einer aus der „Parallelgesellschaft“ – er ist es den Jesus als Vorbild malt vor unsere Augen.
Jesus selbst handelt sozusagen im Vorübergehen, wie es das Evangelium vom barmherzigen Samariter zeigt. Jesus tut, was nötig ist, handelt und redet ohne Rücksicht auf die Reaktion der Menschen um ihn herum; redet und handelt ohne Rücksicht auf Konventionen, ohne jede Berechnung der Wirkung. Er speist die Menschen nicht ab mit Almosen; gibt nicht nach dem Maßstab, was er entbehren kann, sondern gibt, was gebraucht wird. Er lässt sich leiten von Gottes Wort, von seinem Zutrauen in das, was Gott will und vor hat mit ihm.
Er ist ganz und gar bei den Menschen, ihnen zugewandt. Er weiß, dass aus der Zuwendung zu anderen, aus der Hingabe die eigene Kraft wächst: dass, wer hingibt, empfängt; dass Lohn aus den Himmeln nicht Entgelt, sondern wieder Liebe ist. Er fragt nicht: was habe ich davon? Er sieht, was notwenig ist, was die Not wenden kann.
Und, liebe Gemeinde, welch ein Glück: von solcher Art der Barmherzigkeit, von dieser Art der Almosen, des Gebens, gibt es viel mehr, als wir sehen und wahrnehmen unter uns – im Verborgenen eben: da pflegen Menschen ihre kranken Angehörigen zu Hause; da begleiten und besuchen Menschen Sterbende; da arbeiten Menschen unentgeltlich in sozialen Einrichtungen; in Tafeln, Beratungsstellen, in der Telefonseelsorge – sie geben ihre Gaben, ihre Zeit und auch ihr Geld. Es gibt die vielen Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas, in Bildung und Erziehung, die weit über das bezahlte Maß an Zeit und Kraft hinaus sich einbringen in den Dienst an den Menschen.
Ein Ehepaar hatte sich aussenden lassen von unserem ZMÖ nach Indien. Die beiden wollten dort in einem Krankenhaus für einige Zeit medizinische Hilfe leisten. Sie wussten: die Not der Menschen, insbesondere der Kinder, ist groß. Sie kamen in ein Krankenhaus, wurden herzlich empfangen, herumgeführt. Man organisierte Rundreisen. Sie hatten in dem Krankenhaus ein Behandlungszimmer. Warteten auf Patienten. Aber es kamen merkwürdig wenige. Sie hatten den Eindruck, die medizinische Versorgung in dieser indischen Region funktionierte gut – auch ohne sie. Bevor sie dem Impuls nachgaben, wieder zurück in die Heimat zu gehen, beschlossen sie, etwas anderes auszuprobieren. Statt der Komm-Struktur bauten sie eine Geh-Struktur auf. Mit Fahrrädern machten sie sich auf den Weg in die Dörfer. Sie suchten die Menschen auf, wo sie leben, in den Bergen, abgeschnitten oft von den Zentren. In den Familien fanden sie schamhaft versteckte, zum Teil mehrfach behinderte Kinder und Alte. Sie bauten eine ambulante medizinische Versorgung auf für jene, die ihre Scham nicht überwinden können. Nach nur wenigen Wochen sprach sich herum, was diese beiden Menschen taten.
„Wir haben oft über die Geschichte vom Barmherzigen Samariter nachgedacht“, erzählten die beiden, „und vor allem über unsere Rolle. Wir sahen: ganz oft und meist waren wir wie der Wirt in der Geschichte. Da bringt man Menschen zu uns, dass wir sie versorgen. Und wir tun, was wir können. Nun plötzlich waren wir in der Rolle des Samariters. Hinsehen, hingehen, wahrnehmen. Tun, was nötig ist. Wir sind Gott dankbar, für diesen Rollentausch!“
In der Geschichte sind beide Rollen wichtig. Da ist der, der sich erbarmt, der sich zu dem Verletzten beugt. Der tut, was nötig ist. Und da ist der mit den Anschluss-Kompetenzen, wie wir sagen würden.
So sind wir mit unserer Diakonie und den vielen Menschen, die dort Dienst tun, in beiden Rollenfeldern zu finden.
Das ist schöpferisches Tun, wie Gott es uns zutraut. Ein Tun, das das Prinzip von Zahlen und Gewinnen, von Input – Output neu definiert. Denn wer hingibt, der empfängt! Wer verschenkt – wird reich!
Wenn ein Kind uns seine Freundlichkeit, sein Lachen oder vielleicht sogar sein liebstes Spielzeug schenkt, dann nicht, weil es erwartet, dafür Gutes zu bekommen, sondern dann tut es das deswegen, weil es Freundlichkeit erlebt hat, weil das Antlitz über ihm freundlich leuchtet ohne Bedingung und ohne Berechnung, ohne Preis!
„Habt acht auf Eure Frömmigkeit“: Was wir haben an Glauben, Zeit und Mut und Liebe ist gefragt, Trost und Mahnung – Gaben und Güter, von denen wir selber leben: Leben teilen – das ist fromm!
Das Geben, die Hingabe, das rechte fromme Leben – es geschieht eben nicht in lauten Tönen, ist kein Event. Es geschieht im Verborgenen eher, fast beiläufig, wie im Vorübergehen. Es ist der Gang durchs Leben mit offenen Ohren, mit offenen Herzen und Sinnen: sehen, was nötig ist; hören die Sehnsucht, die Fragen nach Geleit und Orientierung, nach Trost und Rat. Stehenbleiben, hinwenden. Die Menschen sehen in Freude und Leid. Den Mund aufmachen für die Schwachen, für die Fremden die Tür öffnen. Eintreten für das Recht: “ … und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.“
Unsere Frömmigkeit also soll entsprechen der Leitlinie, die Jesus vorgibt und die da heißt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern oder Schwestern, das habt ihr mir getan.“ Wer nach Christus fragt und seiner Größe – der wird frei von der Abhängigkeit, frei vom Applaus anderer Menschen. Der wird frei zur Liebe. Solche Freiheit ist der Lohn des Himmels!
Amen