Gebet von Bischöfin Nora Steen anlässlich der Gedenkveranstaltung des Landes Schleswig-Holstein
27. Januar 2025
Ich bete heute zu Gott.
Ich halte DIR hin: Die Schuld einer ganzen Gesellschaft – auch der Kirchen. Die Schuld derer, die an der deutschen Vergangenheit Verantwortung getragen haben.
Ich halte dir das Versagen hin, nicht hingesehen und nicht gehandelt zu haben.
Viele Millionen Menschen mussten sterben, weil Rassenideologie und faschistischer Größenwahn zu einer Unmenschlichkeit geführt haben, für die es keine Worte gibt. Und die dennoch immer wieder benannt und angeklagt werden muss.
Gott, wir wissen heute: Es war möglich. Menschen aus Fleisch und Blut. Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, Großmütter, Kinder, Kollegen sind schuldig geworden.
Und es ist heute an uns dafür zu sorgen, dass es nie wieder dazu kommt.
Ich bete heute zu DIR und bitte DICH für die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Für die 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die ermordet wurden.
Für Millionen anderer Menschen, für Roma und Sinti, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer politischen Gesinnung ihr Leben lassen mussten.
Und: ich bete heute auch für die vielen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer. Ich bitte dich für alle Opfer unmenschlicher Gewalttaten. Gerade an diesem Ort, von dem bis zum Ende der NS-Zeit Leid und Unrecht ausgingen und Verbrechen an der Menschlichkeit verübt wurden. Gerade hier bitte ich um die Kraft der Versöhnung und um Frieden. Schenke uns wache Sinne, um hinzusehen und nicht zu schweigen, wenn auch heute Unrecht geschieht. Wenn Jüdinnen und Juden, wenn Menschen anderen Glaubens oder anderer Kulturen wieder Angst haben müssen in unserem Land.
Ich bitte dich: Gott, erbarme DICH.
Gemeinsames Gebet der Bischöfin Nora Steen und Militärrabbiner Shmuel Havlin
Havlin: Wir stehen hier als Menschen aus zwei Religionen, Judentum und Christentum
Steen: Mit verschiedenen Traditionen, mit unterschiedlichen Ritualen
Havlin: Und wir stehen hier gemeinsam, mit der Hoffnung auf mehr Frieden in der Welt und mit der großen Bitte um ein besseres Miteinander auf dieser unseren einen Erde.
Steen: Wir stehen hier an diesem Tag auch mit verschiedenen Perspektiven und Verantwortung. Uns trennt die Schuld. Uns trennt, dass Jüdinnen und Juden und so vielen anderen Gewalt angetan wurde, ihnen unendliches Leid und Unrecht geschehen ist – auch durch uns als Kirche.
Havlin: Wir gedenken heute denen, die Entrechtung und Ermordung zum Opfer fielen. Wir spüren Schmerz. Und sind besorgt, weil die Vergangenheit heute wieder greifbar und nah ist.
Steen: Jeden Tag aufs Neue müssen wir uns zum Nie Wieder bekennen. Den Geist der Wahrheit in uns stärken, Mut zur Courage wahren, unsere Geschichte kritisch bearbeiten – gerade an Orten wie diesen.
Havlin: Möge die Menschenwürde unser Handeln bestimmen.
Steen: Möge Freude am Gegenüber unsere Schritte leiten.
Havlin: dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen
Steen: Das ist die Verheissung der Psalmen, der Tehilim,
Havlin: des Lieder- und Gebetsbuchs des Volkes Israel
Steen: zu finden in der Hebräischen Bibel, unserem Alten Testament
Gemeinsam: Amen