24. Dezember 2014 | Dom zu Schleswig

Gloria in excelsis Deo

24. Dezember 2014 von Gothart Magaard

Heiliger Abend, Predigt

Liebe Gemeinde,

„Frohe Weihnachten“, das haben wir uns alle heute sicher schon mehrfach gewünscht: beim Bäcker – am Telefon – auf dem Markt  - im Weihnachtszimmer – oder auf dem Weg zu dieser Christnacht. Frohe Weihnachten – Merry Christmas – Joyeux Noël: dieser Wunsch geht heute in vielen Sprachen einmal um unseren Erdball. Zwei knappe Worte nur: gesprochen seit Jahrhunderten, in friedlichen Zeiten, in angespannten Zeiten und in Zeiten des Krieges.

In diesem Jahr haben wir uns an den Ausbruch des ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren erinnert. Und so habe ich mich gefragt: Wie klang wohl der Weihnachtswunsch damals, vor einhundert Jahren, an Heiligabend 1914 in den flämischen Schützengräben vor Ypern? Oder zu Hause bei denjenigen, die in den Monaten davor Todesnachrichten von ihren gefallenen Männern und Vätern erhalten hatten?

In den Schleswiger Nachrichten vom Wochenende war ein Bericht von einem besonderen Projekt zu lesen: Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse des Bernstorff Gymnasiums aus Satrup waren von ihrer Partnerschule aus der Stadt Preston nach Großbritannien eingeladen worden. Gemeinsam haben sie eines außergewöhnlichen Ereignisses gedacht: des sogenannten „Weihnachts-Friedens“ an der Westfront in Belgien im Jahre 1914. Dort haben sie zusammen mit den englischen Schülerinnen und Schülern über die Kriegsereignisse vor 100 Jahren gesprochen, haben auf dem Fußballplatz in einer Schweigeminute der gefallenen Soldaten gedacht und dann gegeneinander Fußball gespielt, so wie damals.

Lennart, 14 Jahre alt, beschrieb seine Gedanken so: „Man kann sich heutzutage nur sehr schwer vorstellen, dass sich vor 100 Jahre die Länder so stark bekriegt haben, und dass der eine Tag Frieden für jeden etwas ganz Besonderes war! Wir können dankbar sein, in dieser Zeit leben zu dürfen und nicht wie früher jeden Tag um unser Leben zu bangen.“

Was war damals geschehen an der flämischen Front? Deutsche und englische, französische und belgische Soldaten, eigentlich Todfeinde bis aufs Blut, hatten mancherorts spontan die Kriegshandlungen eingestellt und auf dem Schlachtfeld gemeinsam Weihnachten gefeiert.

Es gibt eine Zeichnung davon, wie alles begann, das Titelbild der „Illustrated London News“ vom 9. Januar 1915. Die Bildunterschrift lautete damals: „Ein deutscher Soldat mit Tannenbaum eröffnet einen spontanen Waffenstillstand.“

Dieses Bild möchte ich Ihnen beschreiben, weil es etwas wiedergibt von der großen Sehnsucht und Utopie des Friedens, die in dieser so anderen Heiligen Nacht auf einmal Realität wurde.

Drei Soldaten stehen im Niemandsland zwischen den feindlichen Schützengräben, getrennt durch einen Stacheldrahtzaun. Zwei stehen diesseits des Stacheldrahts, wir schauen ihnen über die Schulter und können ihre Gesichter im Profil erkennen. Ihnen gegenüber hinter dem Stacheldraht steht ein Soldat mit einem kleinen Tannenbaum und einem Licht in der emporgereckten Hand. Seine Haltung erinnert an die New Yorker Freiheitsstatue. Er scheint den anderen etwas entgegen zu rufen, sein Blick ist offen, ja erregt. Hatte er vielleicht zuvor Weihnachtslieder auch von der feindlichen Seite gehört und sich dadurch ermutigt auf den Weg gemacht? Könnte er Worte mitten im Niemandsland Worte aus der Weihnachtsgeschichte gerufen haben: „Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude! Denn Euch ist heute der Heiland geboren…“

Die beiden feindlichen Soldaten ihm gegenüber schauen ihn staunend an, das Gewehr in der rechten Hand haltend. Das aufgesteckte Bajonett zeigt in den Himmel. Im Hintergrund sieht man mehrere Soldaten aus dem gegenüberliegenden Schützengraben aufsteigen, sie kommen eilend über das Feld. Und am Horizont sieht man einen Lichtkegel in den Himmel leuchten.

Heiligabend 1914 - ein Bild von der Westfront, irgendwie unwirklich und utopisch – inmitten eines grausamen Krieges. Ausgerechnet im Niemandsland zwischen den verfeindeten Parteien geschah Unglaubliches. Auf dem Todesstreifen, auf dem die Gefallenen nicht einmal begraben werden konnten.

Frieden bricht aus mitten im Krieg. Todfeinde legen ihre Waffen nieder und feiern gemeinsam Weihnachten. Deutsche, französische, britische Soldaten singen Weihnachtslieder, wünschen sich „Frohe Weihnachten“ – „Merry Christmas“ – „Joyeux Noel“. Im Tauschhandel wechseln Tabak und Pfeifen die Seiten, englischer Plumpudding und Zigarren und Knöpfe ihrer Uniformen als Erinnerung. Die Männer erzählen sich gegenseitig von ihren Frauen und Kinder, und reden über die Sehnsucht, dass dieser verdammte Krieg endlich enden möge. Und dann, dann wird Fußball gespielt – das war der eigentliche Anlass für die denkwürdige Begegnung der deutschen und englischen Schülerinnen und Schüler.

Gloria in excelsis Deo: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. So sangen die Engel in der Heiligen Nacht auf den Feldern von Bethlehem. So sangen auch die eigentlich verfeindeten Soldaten gemeinsam auf den Schlachtfeldern von Ypern. Und so singen wir heute hier im Dom in weltweiter Verbundenheit.

Friede auf Erden: ein frommer Wunsch in seliger Weihnachtsstimmung, damals mitten im Krieg, und auch heute in dieser Heiligen Nacht? Hat sich mit der Geburt Jesu, die wir Christinnen und Christen Jahr für Jahr überall auf der Welt feiern, etwas dauerhaft verändert? Worauf können wir hoffen? Was bewegt uns dazu, dass wir die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit nicht einfach ad acta legen können?

An der Westfront 1914 hielt der Weihnachtsfrieden an manchen Stellen nur wenige Tage, an anderen bis in den Januar 1915 hinein. Doch dann sorgten die Befehlshaber beider Kriegsparteien dafür, dass wieder geschossen wurde. Also alles umsonst und vergeblich? - Ja, so könnte man denken. Und angesichts der Schrecken und Kriege auch in unseren Tagen könnte man verzweifeln und resignieren.

Doch die Zusage der Engel auf den Hirtenfeldern, dass Frieden werde, diese weihnachtliche Sehnsucht so vieler Menschen, sie ist durch alle Schrecken dieser Welt hindurch immer lebendig geblieben. Sie lässt uns auch in diesem Jahr wieder Weihnachten feiern. Sie bewegt uns in die Kirche zu gehen, auch in dieser Heiligen Nacht.

Woran liegt das, was spricht uns an in unseren Herzen, was bewegt uns, darin nicht nachzulassen, für den Frieden zu beten und uns auch tatkräftig dafür einzusetzen? Ich denke, das liegt darin begründet, dass Weihnachten in seinem Ursprung nichts mit romantischen Idealen zu tun hat. Im Gegenteil. Die Weihnachtsgeschichte spielt mitten unter uns.

Die scheinbar unumstößliche Wahrheit, dass nur starke, große und mächtige Menschen die Welt verändern können, wird in der Geburt in der Futterkrippe bestritten. Gott kommt als Mensch, genauer gesagt als hilfebedürftiges Kind in die Welt, um sie zu heilen. Ein auf die Hingabe anderer angewiesenes Neugeborenes ist unser Heiland und Retter.

Das war und das ist eine starke Kritik an den Mächtigen dieser Welt. Es hat etwas Subversives, etwas Umstürzlerisches, das Regime und Diktatoren in Schrecken versetzt, damals wie heute – auch König Herodes hatte das genau verstanden...

Wir haben vorhin die alten Weissagungen der Propheten gehört. Worte von der Sehnsucht nach Frieden auf Erden, nach Recht und Gerechtigkeit, Weisheit und Erkenntnis – alle verbunden mit der Hoffnung, dass einer kommen wird, der dies konsequent leben wird und damit andere anstecken wird, ihm nachzufolgen.

Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir uns erinnern, dass Frieden möglich, aber nicht selbstverständlich ist. So wie die Jugendlichen in England. Oder wie wir uns an Karfreitag im deutsch-dänischen Grenzland an die Schlacht von Düppel erinnert haben und dankbar sind für das gute Miteinander von Deutschen und Dänen nördlich und südlich der Grenze. Wir erleben hier, dass Frieden und Versöhnung gelebt werden. Und zugleich werden wir aufmerksam für die Opfer von Krieg und Vertreibung, die zu uns als Flüchtlinge kommen. Wie gut, dass sich in unserem Land viele, viele Menschen dafür einsetzen, dass diese Menschen – Erwachsene, Alte und Kinder – sich hier willkommen und sicher fühlen können.

Ich habe diese Hilfsbereitschaft in den vergangenen Wochen vielerorts erlebt, zuletzt Ende der vergangener Woche, als ich zu einer Feier der Gemeinschaft der Yeziden Schleswig-Holsteins in eingeladen war. Dort wurde auch von den Schrecken und Grausamkeiten berichtet, unter denen Verwandte und Freunde der Anwesenden im Irak noch heute zu leiden haben. Es wurde aber auch erzählt von der jahrhundertealten guten Nachbarschaft zwischen Yeziden und Christen im Mittleren Osten. Im Raum waren auch viele Menschen, die den Yeziden in Husum und Umgebung durch Deutschkurse, Lotsendienste und vieles mehr signalisieren: Ihr seid bei uns willkommen.

Der Weihnachtsfrieden: Die Schülerinnen und Schüler aus Satrup und Preston haben sich an ihn erinnert und sind sich mit Offenheit und Respekt begegnet.
Auch bei der Feier der Yeziden und ihrer Freunde und Unterstützer aus Husum und Umgebung war etwas davon zu spüren.

So feiern auch wir ihn in dieser Heiligen Nacht. Wir schauen auf das Kind in der Krippe und lassen uns in unserer Hoffnung nicht beirren. Wir halten daran fest, auf dass es Weihnachten werde: in unserer Welt, in unseren Häusern und in unseren Herzen.

Frohe Weihnachten – Merry Christmas – Joyeux Noel. Amen

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