Gottesdienst am 20. Sonntag nach Trinitatis
13. Oktober 2024
Predigt zu 2. Korinther 3,3-6
Liebe Ordinand:innen, liebe Festgemeinde,
es ist doch so offensichtlich: Wir können uns sowas von freuen über und auf diese so engagierten, klugen acht Menschen, die sich heute mit Gottes Segen auf den Weg machen. Ein Oktett im Oktober, was will man mehr.
Es ist wunderbar, liebe Familien, Freunde, Assistentinnen und Anleiter, liebe Leute aus den Gemeinden, dass Sie diesen so wichtigen Moment begleiten. Denn ohne Sie säßen die Acht nicht hier. Sie haben sie ermutigt, erwartet, gestärkt, bisweilen herausgefordert. Zumal die Berufswahl – ich weiß das aus eigener Erfahrung – nicht jeden in der Familie gleichermaßen ins Entzücken treibt.
Denn einfach ist Ihre Aufgabe ja nicht. Und auch nicht immer familienfreundlich. Heute Pastorin und Pastor zu werden bedeutet eben, sich mitten hinein in große, fordernde Veränderungen zu stellen. Der Wandel betrifft nicht nur unsere Kirche, sondern unsere ganze Gesellschaft. Und er ist tiefgreifend, das spüren wir alle. Niemand, wirklich niemand kann gerade vorhersehen, wie unser Land und unserer Kirche in 20, 30 Jahren aussehen werden.
Sicher ist, unsere Kirche wird kleiner und ärmer sein. Es wird Streit und Konflikte um den richtigen Weg geben und Kämpfe um die schwindenden Ressourcen. Das wird Kraft kosten, Sie als Pastorinnen und Pastoren und alle, die sich mit unserer Kirche verbunden fühlen. Ja, das alles stimmt, aber dennoch: Wir leben in Hoffnung. Seit Adam und Eva, Jesus und Paulus. Stets. Trotz allem! Es ist unser Alleinstellungsmerkmal in diesen aufgerauten Zeiten: Hoffnungstrotz!
Denn trotz aller Krise war unsere Kirche schon lange nicht mehr so lebendig und experimentell unterwegs. Schon lange gab es nicht mehr so viel kreative Bewegung, so viele neue Ideen und inspirierende Projekte, auch von Ihnen.
Nicht alles wird sich bewähren, nicht alles wird Bestand haben. Aber die Offenheit ist da, teils aus der Not geboren, Dinge auszuprobieren, Freiräume zu nutzen, Theologie und Kirche neu zu denken. Gut so! Wir leben doch seit jeher den Geist der Freiheit, das ist unser christliches Fundament. Hoffnung und Freiheit!
Damit sagen wir, glasklar und gerade hier und heute: Eintritt frei! Eintritt frei für eine offene Kirche und für eine offene Gesellschaft! Immer wieder gehört das gesagt in diesen Zeiten, in denen eine unsäglich verengte Migrationsdebatte den Blick allein auf den Schutz der Grenzen fixiert und dabei den Schutz der Menschen komplett vergisst. Es braucht jetzt das Augenmaß derer, die für Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit, für Mitgefühl als tragende Werte einer Gesellschaft einstehen! Es braucht Sie – jetzt.
Sie haben sich für einen Beruf entschieden, der diese Werte lebt. Für einen Beruf, nicht für einen Job. Berufung steckt darin. Und klar, das bedeutet Verantwortung – und damit auch Last. Aber – das war das Schöne für mich bei der Ordinationsrüstzeit auf dem Koppelsberg – Sie alle, auf je eigene Weise, empfinden das Pastor:in-Sein als etwas so Reiches. Eben als sinngebende, verheißungsvolle, den Menschen freundlich zugewandte, hingebungsvolle Aufgabe.
Sie sehen sich berufen, den Ängsten der Menschen, der Enge der Angst, diesen Geist der Freiheit entgegenzulieben und sich immer wieder neu in dieser Kirche offen zu zeigen. Auch für die, die vielleicht unseren Glauben nicht teilen, sich aber mit uns interessieren und engagieren für Frieden und gegen Rechtsextremismus, für unsere Demokratie und für Menschenrechte, für das Klima und die Artenvielfalt, für Kultur und Kunst, für den Regenbogen und für die Kinder auch.
Eintritt frei! Sie haben so viele Chancen und Gaben dafür. In diesem Beruf mit seiner Vielseitigkeit und Innovationskraft. Und ich bin sicher: Es lohnt sich. Dass Sie dranbleiben, wenn einen die manchmal so nervigen Hindernisse ausbremsen. Die Menschen brauchen Ihren Hoffnungstrotz. Ihre Zuwendung auch und Inspiration, Ihren wachen Geist und Ihren Mut, Ihre Erfahrung und Ihr Wissen. Und unsere Gesellschaft – davon bin ich zutiefst überzeugt – braucht diese Kirche, als Haus, das, so Fulbert Steffensky, die Träume von einer besseren Welt verwaltet.
Wer auch sonst sollte dies in diesen für viele traumatisch-kriegerischen, bedrohlich unsicheren Zeiten tun? Wer sollte sonst die Fahne der friedvollen Konfliktlösung hochhalten? Diesen Traum vom Shalom und der Versöhnung der Völker, den Traum von der Liebe, die die Hand des Nächsten hält und als einzige die Kraft hat, den Hass zu überwinden. Mit der Ordination gesegnet und begabt leben Sie nun mit vielen anderen in diesem Haus der Träume – Eintritt frei!
Denn: Ja, es ist doch offensichtlich: „Ihr seid ein Empfehlungsschreiben, das von Christus kommt.“
So heißt es im Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem 2. Korintherbrief, bei dem ich nun endlich angekommen bin. „Ihr seid ein Empfehlungsschreiben. Zustande gekommen ist es durch unseren Dienst. Es wurde nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes. Es steht auch nicht auf Steintafeln, sondern in den Herzen der Menschen. Diese Zuversicht haben wir durch Christus. Von uns aus sind wir dazu gar nicht fähig. Wir können uns nicht etwas zuschreiben, als hätten wir es aus eigener Kraft erreicht. Sondern es ist Gott, der uns dazu befähigt hat. Er hat uns die Fähigkeit verliehen, Diener des neuen Bundes zu sein. Und die Grundlage dieses Bundes sind nicht Buchstaben, sondern der Heilige Geist. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“
Was für ein Text! Ein Herzensbrief. Raus aus der Enge – in die Weite. Diese Zeilen stammen von einem, der sich erstmal zur Wehr setzen muss, weil da offenbar Konkurrenz unterwegs war. Lauter Wanderprediger, die feine Empfehlungsschreiben vorweisen können. Und da ist Paulus, der von sich ja immer gerne im Plural schreibt. Er hat kein Empfehlungsschreiben. Umfassend begabt findet er sich auch nicht. Kein großer Redner, eher schüchtern, klein, vielleicht auch verwachsen. Er leidet unter seinen Schwächen. Kennen wir doch auch, denn jeder und jede von uns hat so ihre Baustellen. Niemand kann alles. Niemand ist rundum die Idealbesetzung. Und das ist auch gar nicht nötig. Paulus sieht die Menschen, die ihm am Herzen liegen, die Christus am Herzen liegen und schreibt einfach: Ihr seid mein Empfehlungsschreiben, schaut euch an, so lebendig, so geist-reich! Von Christus inspiriert. Et voilà. Wovor sollten wir uns fürchten?
Interessant, diese Denkfigur über Gemeinde: Wenn eine Gemeinde blüht und glüht, wenn sie lebendig miteinander unterwegs ist, ist das besser und glaubwürdiger als jedes Empfehlungsschreiben für den Apostel, für den Pastor, für die Pastorin … Oha, und was ist, wenn die Gemeinde gerade Stress hat und vor sich hindümpelt?
Wie gut, dass Paulus weiterdenkt und den pastörlichen Allmachtsphantasien – und Versagensängsten – schnell ein Ende bereitet. „Wir können uns nicht etwas zuschreiben, als hätten wir es aus eigener Kraft erreicht.“ Nicht aus menschlicher Kraft beflügelt der Geist der Freiheit das Herz. „Es ist Gott, der uns dazu befähigt.“ Es hängt nicht an dir.
„Es ist Gott, der uns befähigt.“ Was für ein wunderbarer Satz: Gleich über den Schreibtisch hängen! Gegengift gegen jede Form der Selbstüberhöhung und jeden abgründigen Leistungsdruck. Ja mehr noch, der koreanische Künstler Nam June Paik hat es unvergleichlich auf den Punkt gebracht; das hing lange in unserer Küche: „When too perfect, lieber Gott böse.“
Ihr werdet viel bewegen, liebe Geschwister, Ihr werdet Menschen begeistern, und ihr sollt dabei wissen: „Er hat uns dazu befähigt, Diener des neuen Bundes zu sein.“ Allerdings. Denken wir an den Anfang des Gottesdienstes: So viele Fähigkeiten, Gaben, Möglichkeiten liegen in Ihnen. In Hülle und Fülle. Und diese Gaben gilt es auch einzusetzen. Volle Kanne, bitte nicht zurückhaltend sein. Bitte nicht sparsam sein mit sich selbst! Säen, pflanzen, gießen und ernten. Predigen, zuhören, beraten, konzipieren – und ja auch: verwalten. Alles so gut es geht. Es wird Früchte tragen.
Es ist also ein feiner Vorschlag, den Paulus uns hier für dieses Amt, für die geistliche Leitung nahebringt: Es kommt auf die Haltung an, sagt er. Leben und arbeiten im Bewusstsein, dass es der lebendige Geist Gottes ist, der uns lebendig macht und kreativ, sorgfältig, tröstend, stärkend, wie es eben gerade nötig ist. Das macht so einen riesigen Unterschied: Nicht wir sind es, die diesen Geist in uns und in unserer Gemeinde schaffen müssen. Wir müssen nicht Gott spielen.
Es reicht Pastorin zu sein – und Mensch. Fehlbar, manchmal schwach, müde, angenervt, ungerecht und schlecht gelaunt. So ist es. Das ist kein Makel, sondern das Leben. Und wenn es denn so ist, das Leben, ehrlich: Unsere Kirche wird‘s überleben. Sie lebt, weil und insofern Gottes Geist in ihr lebendig ist. Was für eine unglaublich gute Burn-out-Prophylaxe.
Wir und Sie werden diese Kirche nicht retten, und – nebenbei – auch die Welt nicht. Da halte ich unsere Möglichkeiten doch für recht überschaubar. Aber Sie werden beitragen, der Menschenfreundlichkeit Gottes, dem Recht auf Leben und der Vergebung einen Landeplatz auf unserer Welt offen zu halten. Einen Landeplatz in den Herzen und Seelen der Menschen, damit dort die Angst und die Enge und der Kleingeist, der ja allerorten die Luft zum Atmen nimmt, nicht tötet, sondern Menschen sich wieder aufrichten. Damit das Leben blüht und die Hoffnung.
Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie von diesem Geist beseelt leben und arbeiten können. Dass Sie sich, davon getragen, eben nicht über-arbeiten, damit Sie gesund und froh bleiben. Und dazu gehört auch eine wichtige Erinnerung: Sie werden auch bezahlt fürs Bibellesen und Beten. Großartig oder? Es ist ein wunderschönes Amt, das auf Sie wartet. Amen.