Dienstag, 17. September 2024 | Christuskirche Eimsbüttel

Gottesdienst für Lehrerinnen und Lehrer zum Schuljahresbeginn

24. September 2024 von Kirsten Fehrs

Predigt zu 1. Könige 17,1-9

Ihr Lieben,

das ist ja mal eine interessante Geschichte zum Schuljahresanfang. Was für ein Text, hieß es da vorhin in der schönen Meditation. Was für ein Text! Nicht: eingängige Worte. Nicht nur ein Vers. Eher ein Handlungsverlauf – fast eine Geschichte.

Mit einem alten Propheten in der Hauptrolle. Prophet – also einer, der um die Zukunft weiß und Gutes und Unheil vorhersehen kann. Und der sich traut, die Wahrheit auszusprechen, klare Worte zu finden. Im Lernentwicklungsgespräch. Auf dem Elternabend. In der Lehrerkonferenz.

Da braucht es innere Klarheit und Mut, Sendungs- und Selbstbewusstsein. Interessant nun, dass viele Propheten in der Bibel erst einmal wenig begeistert sind, diesen Job von Gott zugewiesen zu bekommen. Sie zögern, stottern, flüchten, weil es ihnen geht wie wohl den meisten von uns. Sie zweifeln daran, ob ihre Gaben und Möglichkeiten ausreichen für eine so große Aufgabe. Sie werden sich im Gegenteil eher ihrer Grenzen bewusst. Wie das alles schaffen? So wie vielleicht auch bei Ihnen und euch in der Nacht vor dem ersten Schultag die Gedanken Karussell fahren.

Elia hat damit kein Problem. Jedenfalls wissen wir von keinen Zweifeln. Weil wir überhaupt nicht viel über Elia wissen, der im Koran Ilyas heißt und der einer der Gerechten ist. Jüdisch-christlich-muslimisches Urgestein, dieser Elia.

Im 1. Buch der Könige hüpft er wie Kai aus der Kiste, steht vor Ahab, dem König von Israel, der sich mit dem falschen Gott, nämlich Baal, eingelassen hat. – Tja und ich denke unweigerlich an all die Menschen, auch Jugendliche, wie sie sich verführen lassen von Hassideologien und lügnerischen Propheten. Man erreicht sie so schwer, oder? Das macht einen, glaube ich, manches Mal verzweifelt ...

Der Gott Israels nun, der ist über Ahabs Verbohrtheit ebenfalls verzweifelt, wütend verzweifelt. Er schickt seinen Propheten Elia und lässt ausrichten: zur Strafe: Dürre. Kein Regen mehr. Nicht mal mehr Tau. – Ob‘s das bringt?

Kollektivstrafe? Ihr merkt: Die Geschichte ist schon 2.500 Jahre alt, „old school“ sozusagen. Denn mit Drohungen kommt man heutzutage ja nicht mehr weiter. Zumindest nicht im Klassenzimmer. Obwohl ich verstehen könnte, wenn es bisweilen in einem zuckt: Wenn ihr nicht …, dann keine Klassenreise, kein Ausflug … Nein, nein, nein, drohen mit Kollektivstrafen, geht gar nicht! Bei Ahab funktionierte es auch schon nicht, dies zur Beruhigung.

Interessant nun auch: Elia kündigt die Dürre an, ich übersetze: Klassenfrequenzerhöhung, Streichung von Doppelbesetzungen, das neue Antragswesen für Förderkinder. Euch fällt bestimmt vieles ein, was einem im Moment das Gefühl gibt, die Kräfte könnten an all dem versiegen. So dass man am liebsten sagen würde: ohne mich. Ich geh‘ nach Hause, macht euren Kram allein. Gehen, wie Elias es tat.

Und der ging, vielleicht weil auch er die Dürre nicht aushielt? Weil all die Auflagen und Anforderungen so lebensfeindlich sind? Oder der eigene Anspruch, es gut und besser zu machen, zu hoch ist? Vielleicht geht es uns ja mitunter wie Elia, der sich an den versiegenden Bach kauert, total ausgepumpt.

Gründe gibt es derer viele. Zum Beispiel weil die Anstrengungen mit den eigenen Kindern oder den alten Eltern auch nicht gerade ohne sind. Oder die eigene Gesundheit kriselt. Und weil die chronische Überforderung durch immer mehr verhaltenskreative Kinder echt an den Nerven rüttelt. Und weil die Zweifel an aller Politik zunehmen, angesichts der ungeheuren Aufgabe, alle Kinder zu inkludieren und zu integrieren? Sicher ist: Man leidet.

Elia leidet. Das legt das Bild von Sieger Köder nahe. Lustig ist es jedenfalls nicht am Bach Krit. Oder unter dem Ginsterbusch. Manchmal ja auch nicht im Lehrer- oder Klassenzimmer. Und klar ist: Allein kann man dort nicht überleben. Es braucht einen Raben.

Erstaunliche Tiere, diese Raben übrigens. Es gibt davon nicht viele in der Bibel. Nur Noah schickt einen aus, als die Sintflut aufhört, weil Raben so lange und ausdauernd fliegen können. Aber er kommt zurück, ohne Land gefunden zu haben. Die zweite Runde dreht die Taube; die hat dann mit dem Ölzweig im Schnabel Weltruhm erlangt. Der Rabe, der Pionier, der Vorflieger, hat hingegen einen zweifelhaften Ruf als Galgenvogel und Unglücksrabe – zumindest im christlichen Abendland. Im Orient und von diversen griechischen Göttern hingegen wurde er als weiser Ratgeber und heiliger Wegweiser verehrt. So verschieden ist der Blick auf ein und denselben Vogel.

Unzweifelhaft: kluge, hochintelligente Tiere. – Wussten Sie, dass Raben Nüsse vor stehende Autos an Ampeln legen, sie von den darüber rollenden Reifen knacken lassen und sie bei der nächsten Rotphase einsammeln? Aber auch: Räuber und Lämmerfresser. Nicht nur lieb.

In der Literatur ist er beliebt, von Hans Huckebein, dem Unglücksraben bei Wilhelm Busch, bis zum kleinen Raben Socke. Mein Lieblingsrabe ist der Rabe Abraxas, der der kleinen Hexe streng und liebevoll beibringt, eine wirklich gute Hexe zu werden und ihr hilft, es den bösen Hexen richtig zu zeigen. Sie erinnern sich, wie der lange Lernweg beginnt: Die kleine Hexe saß auf der Bank vor dem Backofen, hatte das Hexenbuch auf den Knien liegen und hexte. Der Rabe Abraxas saß neben ihr und war unzufrieden. „Du sollst einen Regen machen“, krächzte er vorwurfsvoll, „und was hext du? Beim ersten Mal lässt du es weiße Mäuse regnen, beim zweiten Mal Frösche, beim dritten Mal Tannenzapfen!“ Manchmal muss man eben alles dreimal erklären ...

Ein solches Tier mit so vielen Seiten und Facetten, Gaben und Möglichkeiten beauftragt Gott also, sich zu kümmern. Nach der Melodie, ich lege dir eine Last auf, ich traue dir viel zu, aber ich stärke dich auch. Mit Brot (und Antipasti), aber eben auch mit all den Lebensgaben, die die Raben mitbringen, als engagierte Pioniere und intelligente Flugkünstler, weise Ratgeber, kluge Wegweiser, flinke Sammler und Überlebenskünstler, ergo: geduldige, menschenfreundliche Lehrerinnen und Lehrer.

Das Brot des Raben ist kostbare Stärkung, Überlebensmittel. Weil in ihm die Fülle des Lebens steckt. Für Elia, der noch große Kämpfe vor sich hat.

Und es ist Stärkung auch für Sie. Denn klar, dürre Zeiten gibt es in jedem Schuljahr. Das hat die Textmeditation gut beschrieben. Zeiten, in denen alle Kräfte erschöpft scheinen und die Sorge groß wird, wie man bis zum Ende, des Tages, der Woche, bis zu den nächsten Ferien durchhalten soll. Denn Ihre Aufgabe, Ihr Auftrag ist groß.

Sie sind es, die stellvertretend für unsere Gesellschaft, Tag für Tag für die Zukunft sorgen. Und sich um die Zukunft sorgen, um die Zukunft einzelner Schüler. Und auch um die Zukunft unserer Gesellschaft – und unsere Demokratie – in diesen krisenreichen Zeiten. Sie stecken Ihre Kraft und all Ihre Gaben in die Bildung von Kopf, Herz und Hand der nächsten Generation. Dabei haben Sie nicht nur Erfolg.

Elia übrigens auch nicht. Aber er hat sich gerade gemacht – wie Sie ja auch. Indem Sie versuchen, auch all die vielen jungen Menschen auf- und anzunehmen, die aus aller Welt hoffnungsvoll und mit viel traumatisiertem Gepäck zu uns kommen. Sie sind es, die jungen Menschen Hoffnung geben und sie lehren, an sich selbst und ihre Möglichkeiten zu glauben. Die nicht aufhören, die Gaben, die Güte und die Schönheit der Kinder zu sehen, heraus-zu-sehen aus all den trotzigen, schweigsamen, schüchternen, wütenden, frechen Schichten darüber. Dieses Schön-Sehen ermöglicht so viel Leben. Sie haben die Gabe dazu. Auch inmitten düsterer Tage und Stimmungen, die Ihnen natürlich auch nicht fremd sind, weil die Umstände manchmal so widrig sind und die Arbeit immer auch Stückwerk ist.

An solchen Tagen möge dann bitte ein göttlicher Rabe anfliegen, noch besser zwei oder eine ganze Schar und möge Sie stärken mit Brot und Gemeinschaft und der Erinnerung an all das Gute, für das Sie leben und arbeiten.

Und dann wechseln Sie wie von Zauberhand die Seiten und werden zu den geflügelten Freunden der Kinder und Jugendlichen, die ihnen anvertraut sind, und füttern sie mit Lebensbrot. Rabenbrot. Das über die Dürren des Lebens hinweghilft. Hier. Heute. Jetzt. Und dann, ja dann: Berühren sich Himmel und Erde. Amen.

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