25. Dezember 2023 | Gottesdienst zum Christfest, Dom zu Lübeck

Gottesdienst zum Christfest

26. Dezember 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Johannes 1

Liebe Gemeinde,

es steht alles auf Anfang. Das muss heute gesagt sein. Heute – an diesem Weihnachtsfest 2023, nach einem Jahr mit Endzeit-Gefühlen. Zumindest nach Monaten voller düsterer Nachrichten, die davon zeugen, dass es noch lange kein Ende hat mit der Gewalt und der Not und dem Elend in dieser Welt. Es steht alles auf Anfang.

„Brich an du schönes Morgenlicht … Du Hirtenvolk, erschrecke nicht … Dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu den Satan zwingen und letztlich Frieden bringen.“

Und also: Willkommen, kleiner Herre Christ. Mit dir steht alles auf Anfang. Der Morgen einer neuen Zeit bricht an. Wir müssen verrückt vor Hoffnung sein, so etwas zu singen und zu sagen – und zu glauben. Mag sein. Denn, ja, wir haben gestern am Heiligabend dieser großen Weihnachts-Liebesgeschichte Gottes mit uns zugehört, wie sie in einem Stall ihren Anfang nimmt. Wir haben die erschrockenen Hirten vor uns gesehen, wie sie – Schreck lass nach – auf einmal in diesem unglaublichen Licht stehen. Und von diesem Moment an sind sie eben nicht mehr am Rand der Gesellschaft, wie die letzten Underdogs. Nein, die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, nicht um die, die nach Glanz und Glamour schielten. Und die Engel setzen noch eins drauf in Punkto Gerechtigkeit: Friede auf Erden – und allen Menschen auf dieser Erde ein Wohlgefallen.

Wir müssen verrückt vor Hoffnung sein – und sollten es auch. Heraus ver-rückt nämlich aus den Sichtweisen, die unseren Blick auf die Weltgesellschaft derzeit so verengt. Und ziemlich ungnädig sein lässt. Etwa den Menschen gegenüber, die große Verantwortung in unserem Land tragen. Oder die bei uns Zuflucht suchen, wie einst das Jesuskind auch. Nein, mit ihm scheint ein neues Licht auf diese Welt. Das Licht der Gnade.

Gerade gestern wurde er geboren – ein kleiner, zarter, lichter Friedefürst. Es ist der Anfang von etwas ganz und gar Neuem, das uns retten kann. Und zwar jede und jeden von uns. Hanna Ahrendt hat das wunderbar ausgedrückt: „Jede Geburt ist wie ein Versprechen der Erlösung für die, welche selbst nicht mehr Anfang sind.“ Wir alle sind also mit dabei, bei diesem Anfang, der die Welt aus den Angeln hebt.

Und dieser Anfang liegt bei Johannes, wir haben es eben gehört, weit vor dieser Weihnachtsgeschichte von Lukas mit all den großen Gefühlen, den Zweifeln, der Angst und dem seligen Glück der Heiligen Nacht. Fast nüchtern und sehr philosophisch fügt Johannes seine Sicht der Dinge hinzu. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Ich liebe diesen Anfang. Weil er den Blick weitet und in die ganze Tiefe dessen einsteigt, wo wirklich der Anfang des Anfangs ist – im biblischen Buch nämlich ganz vorn, auf der ersten Seite. Als Gott – allein durch sein Wort – zuallererst das Licht schuf, Sonne, Mond und die Sterne am Firmament. Gott spricht – und es ward Licht. Tatsächlich.

Viel weiter zurück als die anderen Evangelisten also geht Johannes. Bei ihm beginnt die Weihnachtsgeschichte in einer Zeit, in der im Weltenraum noch nichts war, außer dem Wort, das zunächst noch ganz bei Gott war. Aber nun! „Das Wort ward Fleisch.“ Das Wort wird irdisch und verletzbar, ein Mensch wie wir, mit Haut und Herz, zusammengesetzt aus 100 Billionen Zellen. Gottes Sohn. Willkommen, kleiner Herre Christ, Licht der Welt. „Und in ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“

Und so wohnt dieses Licht des Lebens nun unter uns. Licht. Das ist das Gemeinsame! Hier treffen sich die Evangelisten, ob nüchtern oder mit großen Gefühlen: Am Anfang war dieses unglaublich klare Licht. Wir hier im Dom wissen etwas von dem Geheimnis dieses Lichtes. Nicht grell, sondern hell. Die Schatten auf der Seele fliehen. Und die Klarheit des Herrn leuchtet fortan um uns. Ja, hier und heute scheint ein anderes Licht auf die Welt – eines, das der Not nicht ausweicht und das den Trost der Welt zu den Traurigen bringt. In Sterbezimmer und einsame Stunden, zu den Geflüchteten dieser Tage, zu den politischen Gefangenen, die im Dunklen der Diktaturen ihr Leben zu retten versuchen – ja überhaupt in so viele Kriegsgebiete auf der Erde.

Überall braucht es dieses Licht. Wie gut, dass seit einer Woche die Pfadfinder das Friedenslicht von Bethlehem in unsere Häuser und Kirchen tragen, Tausende sind‘s. Jedes Jahr wird in der kleinen Geburtsgrotte in Bethlehem dieses Friedenslicht entzündet, damit es dann über Tel Aviv nach Wien und von dort aus in die ganze Welt strahlt. Suchet den Frieden, heißt das Motto dieses Jahr. Suchet den Frieden, denn er fehlt. Und mit ihm fehlt an so vielen Orten die Menschlichkeit. Wärme, buchstäblich. Es fehlt Geborgenheit für die Kinder. Heimat für die Ausgebombten. Es fehlen Krankenhäuser für die Verwundeten.

Mir gehen all die nach, die jetzt im Dunklen sind. All die Kinder, in der Ukraine – und natürlich auch in Bethlehem, in dem es kein Weihnachten gibt, sondern eine eher unheimliche stille Nacht. Und: Werden die israelischen Kinder je dieses Trauma verkraften, in den Tunneln der Hamas-Terroristen gefangen gehalten und bedroht worden zu sein? Und was ist mit den Kleinen, die im Gazastreifen so dringend sauberes Wasser brauchen, Brot und Medizin? Gute Güte, diese ganzen Kriege sind doch auch eine einzige humanitäre Katastrophe! Und keiner hat die Kinder, die Zivilbevölkerung vorher gefragt.

Deshalb dürfen wir nicht nachlassen darin, für alle Leidenden zu beten – und zu handeln. Mit dem Friedenslicht, mit Brot für die Welt, aber auch besonders in diesem Jahr mit seinem 7. Oktober mit unserem klaren Bekenntnis: Nie wieder Antisemitismus, Leute, nie wieder ist jetzt! Nie dürfen wir vergessen, dass dieses kleine lichte Krippenkind in Bethlehem ein jüdisches ist. Aus ihm ist unser Christentum erwachsen. Und mit ihm der Auftrag Jesu, die Würde der Kleinen zu achten. Und deshalb all diesen Kriegsherren der Welt in aller Entschiedenheit die Tür zu weisen.

Deshalb braucht es das Friedenslicht von Bethlehem. So viel Licht wie nur geht. Sehr berührend dabei, dass es in diesem Jahr eine 12-jährige palästinensische Christin gewesen ist, die dieses Licht schon im November in die Welt geschickt hat. Was für ein Zeichen der Versöhnung!

Mehr davon! Mehr Versöhnungsgesten. Hoffnungsmutige. Helle Lieder. Mehr Licht. Von allem anderen nämlich in der Weihnachtsgeschichte haben wir derzeit mehr als genug. Wir haben unsichere Zeiten und unzählige Menschen auf der Suche nach Raum und Herberge. Wir haben Krieg und Krisen, Despoten und Idioten – und Angst haben wir auch.

Genau deshalb spricht Johannes von dem Wort, das Licht wurde. Und Fleisch. Gott hält all der Angst die Menschlichkeit entgegen, indem er selbst Mensch wird. Gott setzt dieses lichte Kind, er setzt sich selbst in die Welt. Und mit ihm nicht pompöses Machtgebahren, sondern Zärtlichkeit. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er uns seinen kleinen Sohn schenkt. Und die Liebe hört auf, allein eine Sehnsucht zu sein – sie wird Tatsache. Tatsächlich Liebe, Mensch – durch sein Wort.

Tatsächlich Liebe – Love actually, das ist übrigens auch ein wunderbarer Weihnachtsfilm. Vielleicht kennen Sie ihn? Er feiert just seinen 20. Geburtstag. Elf herrlich komische und zugleich anrührende Liebesgeschichten verwickeln sich darin zu einer einzigen großen Weihnachtserzählung. Verliebt von Mann zu Frau zu Mann zu Kind. Und klar gibt es Hindernisse, Schüchternheit und Verletzlichkeit, aber auch Humor und Freundschaft und Erleuchtungen – und mindestens 111-mal kommt die Liebe zur Welt, tatsächlich, weil so viele es machen wie Gott. Sie werden Mensch.

Das beginnt in der allerersten Szene, eben dem Anfang des Anfangs. In einer Flughafen-Empfangshalle in Heathrow, wahlweise Hamburg, New York, Tel Aviv – und man schaut neu hin, was man an Orten wie diesen erleben kann. Wie nämlich die Liebe Geschichte schreibt. Da sind zwei Männer, alte Freunde offenbar, die sich nach einem kurzen Innehalten ganz still umarmen. Unmittelbar daneben schließt eine Großfamilie laut lachend die Heimgekehrte in mindestens dreißig Arme gleichzeitig. Zwei Liebende sind zu sehen, die mit einem Seufzer ineinander fallen und sich – ungeachtet der amüsierten Zuschauer – sehnsüchtig küssen. Ein kleines Mädchen sehe ich, das auf ihren Großvater zuläuft und ihm selig die Ärmchen um den Hals schlingt. Man sieht Menschen über Menschen, die in diesen Anfängen ihrer Begegnung nur dies eine wollen: ihre Liebe zeigen. Da ist so viel Freude zu sehen, gelöste Gesichter, erfüllte Sehnsucht und anrührende Zärtlichkeit. „Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.“

So auch mit dem Wort, ganz am Anfang des Films, während sich die Menschen umarmen: Als am 11. September 2001 das entführte Flugzeug ins World Trade Center stürzte, wurden in den letzten Minuten vor dem Aufprall ausschließlich Liebeserklärungen per SMS versandt. „Ich liebe dich, was immer geschieht“, „Vergiss nie, was wir uns waren“, „Danke dir für deine Liebe“ das waren die Botschaften, die die Welt erreichten. Nicht der Schrecken, nicht die Angst, nicht der Hass auf die Gewalttäter – das letzte Wort hatte die Liebe.

Und mir leuchtet wieder einmal ein, dass diese Liebe, die mit dem Krippenkind auf die Welt kommt, dass diese Lebensliebe Gottes etwas ganz Reales und Irdisches ist. Keine abgehobene Phrase, sondern die höchstselbst zu erfahrende Tatsache, dass wir ohne Liebe vergehen würden. Ohne Zuneigung und das Du, das dich sieht, keine neuen Anfänge. Ohne gegenseitige Achtung und innere Bindung, die einen zugehörig macht, keine Versöhnung. Die Weihnachtsbotschaft ist eindeutig: Nur die Liebe hat die Kraft, den Hass zu überwinden, wie das Licht die Finsternis. Oder mit Johannes gesprochen: Sie ist „das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Damit die Hoffnung Beine bekommt. Auch in Bethlehem, der kleinen Stadt. Dort, wo die Weihnachtsengel einst sangen die frohe Botschaft hell: Komm auch zu uns und bleib bei uns, O Herr Immanuel. Von Herzen wünsche ich Ihnen ein liebevolles, lichtes Weihnachtsfest – mit dem Frieden Gottes, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Hoffnungskind. Amen.

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