Gottesdienst zur Ordination
04. Mai 2024
Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Genesis 1
Liebe Gemeinde im Dom zu Lübeck,
geht Ihnen eigentlich auch manchmal nach, wie Sie der Mensch geworden sind, der Sie jetzt sind? Wie das alles anfing? Mit der ersten Liebe, den Berufswünschen, mit den Vorlieben und Talenten, die raus wollten in die Welt? Und was oder wer hat daran mitgewirkt, dass Sie nun heute in einer Kirchenbank sitzen, in diesem wunderschönen Dom? Als glaubender Mensch oder gerade auch zweifelnder, suchender Mensch? Mit welcher Musik hat womöglich Gott selbst in ihrem Leben aufgespielt, dass sie leise, eindringlich oder beständig überzeugt wurden: Ja, tatsächlich, ich bin von guten Mächten wunderbar geborgen?
Wie fing das alles an? Das haben wir uns auch auf der Ordinationsrüstzeit gefragt. Wie kam es dazu, dass die drei Ordinandinnen nun hier stehen, jede für sich ein Geschenk für unsere Kirche, die sich ja auch gerade in vielerlei Weise wünscht, neu zu beginnen. Wie fing es an, dass es eben nicht „genug“ damit war, Lehrerin zu werden oder Krankenschwester oder Tanztherapeutin oder Popstar? Die Erkenntnis von uns war – und vielleicht trifft dies auf die meisten zu: Es ist eine Annäherung. Ein Weg. Durch Begegnungen, auch mit Gott – und mit Jesus Christus, der in mir lebt und webt, ich weiß nicht wie. Ein Weg aber auch durch schmerzhafte Infragestellungen: Bin ich „genug“ Christin (Was immer das heißt …), um Pastorin zu werden? Und dann wiederum durch das beglückende Erlebnis, anderen geistlich etwas schenken zu können. Dass sie sich getröstet fühlen. Und verstanden. Irgendwie licht in der Seele.
Licht. So fing es also an. „Finsternis lag auf der Tiefe und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“ Allein durch das Wort, sagenhaft. Es werde Licht, das zuallererst. Großartig, wie Herr Unger dies eben an der Orgel musikalisch ins Bild gesetzt hat!
Und dann schafft der sagenhafte Schöpfer eins ums andere: Das Wasser soll sich sammeln, damit man Land sehen kann. Und dann all die vielen Lebewesen. Alles wird genau bedacht, keines wird vergessen: Fische, Vögel, Würmer, das Vieh. Die Menschen zuletzt. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass es genauso war. Die Reihenfolge stimmt, das bestätigen ja auch die Biologen. Nur bei den Zeitabständen gibt es unterschiedliche Meinungen …
Überhaupt der Unterschied – unser Schöpfergott liebt ihn hingebungsvoll. Schauen wir uns um. Eine ganze Kirche voller Unterschiede auf zwei Beinen, lauter einmalige Geschwister. Was für eine herrliche Vielfalt des Lebens, allein, was wir hier zusammenbringen an Lebensjahren, Meinungen, Gebeten, Augenfarben und Ohrmuscheln. So bunt und verschieden. Wie der Flughund. Der Maulwurf. Oder der Blauwal. Auf all das muss man erstmal kommen! Und was wären wir ohne Ameisenbären? Ganz zu schweigen von den guten und nicht nur langen Nasen der Hunde, die Hunderte Gerüche unterscheiden können. Und dann der Falke, der aus einem Kilometer Entfernung eine Libelle erspähen kann. Dafür kann er nichts und keinen riechen.
Die Natur, unser Sein lebt von der Verschiedenheit. So wars von Gott gedacht in seiner Höhe und Tiefe. Sehr gut, diese ganze Vielfalt, heißt es schließlich.
Tja – und heute denke ich oft, wenn ich diese menschenverachtenden Aussprüche von so manchem höre: Oje, so viel Einfalt. Leider, das muss man deutlich sagen, oft braune Einfalt. Wir leben in einer derzeit doch ziemlich aufgerauten Gesellschaft, in der das Anderssein mehr als schlecht wegkommt. Demütigungen, rassistische Angriffe, Abwertungen anderer Meinungen, Religionen, Nationen und Lebensformen, zunehmender Antisemitismus. Das ist leider an der Tagesordnung. Und das in unserem Land!
In einigen Wochen, am 23. Mai feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Artikel für Artikel ein Meisterwerk der Gründungsväter und -mütter. Klare Sprache, klare Haltung. Der Schutz der Würde des Menschen und seiner Individualität, der Schutz von Glauben und Gewissen, der Auftrag, Schutz den Asylsuchenden zu gewähren – der unabdingbare Schutz überhaupt von Leben ist konstitutiv für unsere Demokratie, die der Verschiedenheit die Ehre gibt. Allem voran ist die Würde des Menschen unantastbar, ja heilig. Denn der Mensch ist Gottes Ebenbild, haben wir eben gehört. Wer ihn verletzt, verletzt Gott.
Es ist uns eine Ehre, sagten die Ordinandinnen, dies im Pastorinnenberuf stark zu machen. Gegenzuhalten, auch politisch, wenn Menschenrecht nicht gewürdigt wird wie derzeit so oft. Auch weil manche allein sich selbst zum Maßstab machen. Mit einer kompletten Bezogenheit aufs Ich, die so unglaublich blind macht. Ichlinge nennt man sie in der Soziologie heutzutage. Die fixiert sind allein auf die eigene Freiheit; die der anderen ist den Ichlingen herzlich egal. Und die allein ihre eigene Besonderheit wahrnehmen und die der anderen gar nicht mehr.
Der Philosoph Günter Anders hat das vergnüglich in eine Schöpfungs-Anekdote gefasst:
„Als die Mücke zum ersten Male den Löwen brüllen hörte, da sprach sie zur Henne: „Der summt aber komisch.“ „Summen ist gut“, fand die Henne. „Sondern?“ fragte die Mücke. „Er gackert“, antwortete die Henne. „Aber das tut er allerdings komisch.“
Wir haben bei unserer Ordinationsrüstzeit auch Momente der Komik erlebt. Bei allem Ernst im Gespräch erhellte uns doch immer wieder die Einsicht, dass Humor nicht wirklich schädlich ist, allemal in einem Amt, das einem auch Respekt einflößen kann. Es liegt eine heilsame Selbstrelativierung darin, den ureigenen Maßstab – ganz im Sinne unseres Predigttextes – auch mal ein wenig herunterzuholen vom Berg des Höchstanspruchs.
Denn bei Licht betrachtet, das ist erleichternd, legt die Schöpfungsgeschichte bei aller Liebe zur Vielfalt einen einheitlichen Maßstab an. Nicht im Sinne einer Uniformität, sondern eines gemeinsamen Wertekanons: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde.“ Heißt ja auch: Alle Menschen stehen, so wie sie da sind, Gott gleichermaßen nahe. Sie sind, ja, wir sind, wie wir hier sind, seine Geschöpfe und seine Kinder. Universal. Kinder, die deshalb von Anfang die gleichen Chancen in ihrem Leben bekommen müssen. Ob in Nord, Süd, Gaza, Israel. Menschenwürde ist eben unantastbar, und sie ist unteilbar. Wir sind eben nicht nur ein bisschen, wir sind ganz und gar Ebenbild Gottes! Sensationell, oder?
Es gehört mit zu schönsten Momenten während unserer Ordinationsrüstzeit, als Sie Drei dies auf sich selbst bezogen haben, ohne selbstbezogen zu sein. Als Sie einander angefangen haben, neu zu sehen, was das Besondere der jeweils anderen ist. Wie Sie wurden, die Sie sind. Mitsamt ihrer kleinen Welt. Auch, wie Sie Gott gefunden haben. Oder besser: Gott Sie. Und es war ja beileibe nicht so, als hätte es immer gleich „Zoom“! gemacht. Tausendmal berührt, das schon eher. Tausendmal von Gottes Kraft berührt, etwa durch diesen einen Bibelvers, der durchs Leben trägt, liebe Vanessa Hoffmann. Oder durch den so besonderen Liebesdienst im Altenheim der katholischen Ordensschwestern, liebe Lilly Schaack, oder durch die Tiefe der Meditation, in der uns Gott begegnet, liebe Anne Pumperla.
Tausendmal berührt auch durch tiefgehende Momente der Gemeinschaft auf dem Kirchentag, in Taizé, im Brüsseler Europa-Büro. Durch die so gern studierte Theologie. Durch Freundschaften und elterliche Prägung, durch spirituelle Erfahrungen und Lebensgeschichten, die von Gottes Nähe und Wirklichkeit durchwebt sind. Als Kind Gottes eben. So liebenswert, aufmerksam und klug tragen Sie reiche Erfahrung in sich und suchen Sinn und Ziele, was werden soll. Auch in unserer Kirche. Und dies durchaus mit kritischem Geist – glücklicherweise.
Dass diese unsere Kirche Räume offenhält fürs vielfältige Sosein, das ist Ihr Wunsch, für den Sie richtig arbeiten wollen. Für eine lebendige, pulsierende, geistreiche Kirche, die eine wache Zeitgenossin bleibt. Und die deshalb in den geschäftigen Werktagen eine besondere Rolle spielt, weil sie die Pause kennt. „Denn Gott sah an alles, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut. So ruhte Gott am siebten Tag und segnete ihn, weil er an ihm ruhte.“
Die Kirche unseres Schöpfergottes versteht sich aufs Loben und Ruhen, sie ist deshalb gut, weil sie auch eine Kirche der Stille ist. Wir haben, wenn man es geschäftig ausdrücken will, einen Markenkern: die Pause. Den siebten Tag. Damit der Mensch endlich mal wieder geduldiger wird und weniger anspruchsvoll und dankbar und nicht so meckerig. Eben runterkommt. Gott gab uns Atem, damit wir leben! Wir sollten also wieder lernen, richtig auszuatmen und einzuatmen. Mitsamt der Atempause, die dem Rhythmus innewohnt. Genauso brauchen wir eine Kirche, die atmet: einatmen und den Geist der Liebe und des Erbarmens in sich aufnehmen, und ausatmen – aktiv dieser Liebe in der Welt Gestalt geben. Und dann eben: Pause. Hinschauen, was da alles entstanden ist, gute Güte. Diese Schönheit. Diese zierlichen Seltenheiten. Dieses Wunder des Unterschiedes. Und wir können staunen: Was es nicht alles gibt! Sehr, sehr gut.
Liebe Ordinandinnen, wenn wir Sie Drei gleich mit kraftvollem Segen ins Pastorinnenleben senden, dynamisch nach vorn, Eltern, Anleiterinnen, Freundinnen, diese Domgemeinde, dann tun wir dies gemeinsam auch im Glauben, dass Gott Ihnen dazu Kraft gibt – und die Pause. Sie haben so viel Lust, endlich loszulegen in ihrer Aufgabe und anzufangen, gut so. Denn heute steht alles auf Anfang. Und es ist doch wunderbar zu wissen, dass genau diesem Anfang nicht nur Zauber, sondern auch das Lob des siebten Tages innewohnt. Mögen Sie Freude haben und behalten in diesem Amt, Freude an und mit den Menschen, die ihnen anvertraut sind.
Und Gott? Gott sieht sich das an. Sieht uns an, liebe Geschwister, und freut sich auch. Freut sich an uns und diesem Fest und sagt: Ja, wirklich, das ist alles sehr, sehr gut.
Wie auch sein Friede, höher als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.