Grußwort zu Amos 5,24
27. Februar 2025
Happy Birthday, liebe Flupis, zum Dreißigsten! Plus. Seit 1994 nämlich seid ihr für so viele Menschen ein einziger Ausdruck von Glaube, Liebe, Hoffnung – Kreuz, Herz, Anker (wie auf dem Sankt-Pauli-Tattoo).
Und ja, wir müssen diesen Geburtstag feiern, in aller Ambivalenz, denn an euch liegt‘s wahrlich nicht, dass so viele geflüchtete Menschen in Not sind und Hilfe suchen und überdies die Humanität von über 20 Prozent der Deutschen vergangenen Sonntag abgewählt wurde.
Feiern wir also 30 Jahre ungebrochene Nächstenliebe im Rechtskostüm, die lauter Punkte gemacht hat in Sachen Mitmenschlichkeit. Lebenshilfe. Hoffnungstrotz. 30 Jahre Fluchtpunkt-Gemeinschaft, die in einer immer ungnädigeren Gesellschaft der Achtung Kirchenasyl gibt.
Eine Gemeinschaft, die andere – und bisweilen ihr einander – durch Krisen trägt. Mit Oberflupi Anne, die in ihrer geerdeten, ja manche geradezu einschüchternden Fachkompetenz eine solche Warmherzigkeit ausstrahlt. Wunderbar war es, auf der vergangenen EKD-Synode zu erleben, wie sie Argument für Argument die Diskussion, sagen wir, anwärmte.
So seid ihr, liebe Flupis: geradlinig. Erinnern wir uns allein, wie diese Herzensweite, wie die Liebe zum Leben hier an diesem Ort ihren zehnjährigen Lampedusa-Geburtstag gefeiert hat, dank euer aller Engagement.
Und so berührt es mich wirklich im Herzen, dass wir tatsächlich Euren 30. feiern! Im Blick auf die Anfänge ist das nämlich gar nicht so selbstverständlich. Man muss sich nur einmal vorstellen, dass beim Aufbruch 1994 die Finanzierung gerade mal für 15 Monate sichergestellt war. Und dass vor zehn Jahren, als wir hier das Zwanzigjährige gefeiert haben, gar nicht sicher war, wie es weitergehen würde.
Aber siehe da: Fluchtpunkt hat alle Sparrunden und Strukturreformen, alle Hürden und Widrigkeiten überlebt. Vielleicht auch, weil die Entschlossenheit, mit der ihr euch für das Recht der Schwächeren einsetzt, so unaufgebbar richtig, so unumstößlich christlich, so unhinterfragbar überzeugend ist. Eben: ein ungeheurer Segen! Zuvorderst für die vielen Menschen, die hier in höchster Not Rat und Hilfe bekommen haben.
Aber auch für unsere Kirche ist Fluchtpunkt ein Segen. Kirche wird nur glaub-würdig, wenn sie nicht allein sonntäglich auf die Gerechtigkeit für alle Menschen hofft, sondern werktäglich für Recht und Gerechtigkeit Sorge trägt. Ganz im Sinne des Propheten Amos (5,24) „Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Maßstab und Grundlage dieses Rechts ist und bleibt der Schutz der Würde eines jedes Menschen. Jeder Mensch ein Ebenbild Gottes. Jeder Mensch ein einmaliges und von Gott geliebtes Geschöpf, heilig – eben: unantastbar.
Die Würde ist unantastbar – und muss es bleiben. Dies gerade jetzt in unserem Land konsequent den Demokratiefeinden und Hetzerinnen entgegenzuhalten, ist Christenpflicht, nichts weniger, liebe Geschwister. Zu erinnern, allemal auf dieser Geburtstagsfeier: Diesen jüdisch-christlichen Wurzelgrund haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes ja nicht umsonst in unantastbare Grundrechte gegossen: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ (Artikel 2), „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ (Artikel 3), „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ (Artikel 16). Steht alles da, schwarz auf weiß!
Die das – in der Kürze so unsagbar stark – geschrieben haben, wussten wahrlich um den Wert der Menschenwürde. Sie haben sich nach der Katastrophe von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, einem an Grauen nicht zu überbietenden Holocaust und einem mörderischen Zweiten Weltkrieg auf den humanitären Wurzelgrund besonnen.
Militärisch und moralisch zerstört hat Deutschland Halt gesucht und gefunden in einer neuen Ordnung der Mitmenschlichkeit. Aufgestanden aus Zerstörung, Menschenverachtung und Amoralität. Unantastbar ist die Würde des Menschen. Gerade auch der Menschen, die fliehen müssen vor Verfolgung und Krieg.
80 Jahre nach Kriegsende, 30 Jahre nach Gründung von Fluchtpunkt, zwei Tage nach dieser Bundestagswahl, in der erschreckend viele Menschen gegen eine offene, mitmenschliche und barmherzige Gesellschaft gestimmt haben, dürfen wir nicht müde werden, die Würde sowie die Freiheits- und Schutzrechte aller Menschen zu betonen und zu verteidigen.
Deshalb ist und bleibt die Arbeit von Fluchtpunkt so ungeheuer wichtig. Denn das Wasser des Rechts, von dem Amos spricht, fließt in Flüchtlings- und Asylfragen wahrlich nicht mild und sanft. Es ist reißend, stört und zerstört; es löst auf und untergräbt. Die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden sind ja nach wie vor umstritten und eine Zielscheibe für Populisten; wir hatten dazu in den vergangenen Wochen leider genug Anschauungsmaterial.
Als könnte man nicht auch stolz darauf sein, dass so viele Menschen aus aller Welt immer noch denken, dass sie in Deutschland gut, zumindest besser als anderswo behandelt werden. Ja, wir könnten auch stolz sein, dass Deutschland aus der menschenverachtenden Geschichte etwas gelernt hat und sich Menschenwürde und Menschenrechte als Grundlagen allen staatlichen Handelns ins Grundgesetz geschrieben hat.
Und wir als Kirche können und dürfen stolz sein, dass es den Fluchtpunkt gibt. Seit dreißig Jahren getragen vom Respekt vor dem Menschen in seiner Würde, woher immer er kommt. Auf eurer Website steht: „Den Schutz der Verfassung überlassen wir nicht dem Verfassungsschutz.“ Das ist mal ein demokratisches Statement! Weil der Schutz der Menschenrechte eben nicht nur Sache der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft sein muss. Weil die Grundrechte nur lebendig sind, wenn es Menschen gibt, die sie verteidigen. Seit 30 Jahren tut Fluchtpunkt das. Exemplarisch großartig und deshalb in der Nordkirche und bundesweit bekannt und hoch geschätzt für die fachlich exzellente Arbeit mit jeder Menge Rückgrat.
Drei Jahrzehnte ein Ort gelebter Menschenfreundlichkeit. Wider den Zeitgeist. Denn wer sich um Flüchtlinge kümmert, ist ja nicht nur für jemanden da, sondern auch gegen jede Form der Menschenverachtung. Es ist auch eine Arbeit gegen einen Nationalismus, der meint, dass außerhalb des Eigenen nichts von Interesse und Aufmerksamkeit sei. Es ist eine Arbeit gegen die Angst, die Rechtsextreme schüren, indem sie suggerieren, alles Fremde sei eine direkte Bedrohung. Es ist eine Arbeit gegen Maßnahmen, die geflüchtete Menschen in die Gefängnisse und in den Tod schicken.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Dieser Geist, der im Fluchtpunkt weht, ist der Geist der Liebe, der Kraft und der Besonnenheit. Der Anwaltschaft und der Zuwendung.
Trotz allem Engagement, und das sollten wir nicht verschweigen, konnte Fluchtpunkt so manchem Menschen in Not nicht helfen. Weil die Möglichkeiten begrenzt sind. Das ist so. Dabei ist es so schwer auszuhalten, wieviel Unrecht und Ungerechtigkeit Geflüchtete ertragen müssen, jeden Tag. Da bleibt so viel zu tun! Und also: Es macht einen großen Unterschied, dass es euch von Fluchtpunkt gibt. Denn hier sind Recht und Gerechtigkeit Programm. Ihr seid ein Ort der Hoffnung – und der Ermutigung.
Und vor diesem und an diesem Ort verbeuge ich mich, ganz aufrichtig, voller Hochachtung vor all den Menschen, die diese Arbeit über Jahrzehnte getragen und auch ertragen haben. Die nicht aufgegeben haben – trotz aller Widrigkeiten. Die ihr euch nicht habt einschüchtern lassen, sondern immer weiter geglaubt, geliebt und gehofft haben. Danke für so viel Kreuz, Anker, Herz! Und dabei schließe ich auch die ein, die sich in Diakonie und Kirche, Gremien und Synoden hartnäckig und nachhaltig für die Finanzierung eingesetzt haben, einschließlich all der Einzelspender:innen, um Fluchtpunkt wirklich als staatsunabhängige Beratung zu erhalten.
Danke euch Flupis, die ihr haupt- und ehrenamtlich so viel Herz in diese Arbeit hineinlegt. Danke für eure Hingabe, Kraft, Geistesgegenwart, mit denen ihr Menschenleben gerettet habt. Und danke dir, liebe Anne, dich möchte ich noch einmal besonders nennen. Nützt ja nix! Heute ist auch dein Ehrentag. Von Anfang an bist du Herz und Seele von Fluchtpunkt. Es ist dein Lebenswerk! Das sehen übrigens auch alle deine Mitarbeitenden so – und so hat mich in wirklich anrührender Weise die Bitte erreicht, folgende Sätze in meinen Dank einzubauen, was ich von Herzen gern tue: „Anne Harms hat sich in all den Jahren, die es Fluchtpunkt gibt, immer wieder in den Wind gestellt, ist angeeckt, da, wo es nötig war, in der Öffentlichkeit, manchmal in kirchlichen Gremien. Für ihr Team und für die Menschen, für die wir uns gemeinsam einsetzen. Dafür sind wir ihr als Mitarbeitende sehr dankbar. Fluchtpunkt wäre ohne ihre freundliche Entschlossenheit nicht, was es ist.“
Dem schließe ich mich vollumfänglich an. Und dass Gott dir über all die Jahre einen solch langen Atem, so viel Kraft und Mut geschenkt hat, dafür bin ich – im Namen unserer Nordkirche – unendlich dankbar.
Feiern wir also – ausgiebig! Und wünschen wir Gottes Segen: Bleibt gesegnet, liebe Flupis, mit Liebe, Hoffnungstrotz und Finesse, bleibt behütet in eurem Leben – und bleibt sehnsüchtig! Ich danke euch.