16. November 2024 | Hauptkirche St. Jacobi Hamburg

Grußwort zum Konzert des War Requiems von Benjamin Britten

16. November 2024 von Kirsten Fehrs

Ein großartiges musikalisches Friedensprojekt, das dürfen wir heute hier in St. Jacobi am Vorabend des Volkstrauertages erleben!

Ein einziges flehentliches, lautes, trauriges sehnsüchtiges Friedensgebet inmitten weltwunder Zeit. Ich habe es einmal mitsingen dürfen und erinnere noch gut, wie sehr diese Musik Herz und Seele aufwühlt. Die Spannung zwischen der Wucht der Trauer und der spirituellen Kraft der Versöhnung reicht tief. Und so hat diese Musik auch die Kraft, Menschen und Nationen, Geschichte und Gegenwart miteinander zu verbinden.

Ich möchte mich von Herzen dem Dank von Pastorin Lisa Tsang anschließen. Danke allen, die diesen Abend ermöglicht haben, allen, die heute für uns musizieren und singen – als Zeichen der Hoffnung, die nicht etwa zuletzt stirbt, sondern zuallererst lebt.

Denn es ist furchterregend aktuell, was wir gleich hören werden. Das War Requiem vertont die Schrecken des Krieges. Jeden Krieges. Es ist ein Aufschrei angesichts des Leidens, das jeder Krieg verursacht. Benjamin Britten hat damit die wohl bedeutendste Antikriegskomposition des 20. Jahrhunderts geschrieben. Ein Auftragswerk für die Wiedereinweihung der Kathedrale von Coventry, die von der deutschen Wehrmacht 1940 zerstört wurde, wie große Teile der Stadt.

Und um die Tiefe dieser Komposition zu erfassen: „Coventrieren“ war in der Nazi-Presse eine Wortneuschöpfung, wenn es ums Zerstören und Vernichten ging. Dies eingedenk ertönte also im Mai 1962 dieses Requiem, ein Totengebet in den klassischen liturgischen Teilen einer Totenmesse, zur Erinnerung und Mahnung.

Es scheint mir heute so wichtig wie 1962, die Grauen kriegerischer Gewalt zu erinnern, sie an sich heranzulassen, sie anzuhören. Denn das Mit-Gefühl für die Opfer des Krieges ist die Grundlage jeder Friedensarbeit

Und – Gott sei‘s geklagt – wir müssen nicht in Geschichtsbüchern lesen, um vom Krieg zu wissen. Die tägliche Nachrichtenlage reicht. Bisweilen nicht mehr aushaltbar ist es, zu sehen, wie vor allem die Zivilbevölkerung leidet, wie unzählige Unschuldige getötet werden und humanitäre Missionen ins Visier geraten. Soldaten fallen. Sirenen zerreißen den Schlaf der Kinder in Beirut, Tel Aviv und Bachmut. Familien verbringen Tage und Nächte in Kellern und Bunkern, Millionen, die hungern und traumatisiert in ihren Ängsten gefangen sind, in der Ukraine, im Heiligen Land, im Sudan, in Syrien …

Wie in all dem Sterben die Hoffnung lebendig bleibt? Aus den Ruinen der zerstörten Stadt entstand mit Conventry das Zentrum des inzwischen weltweiten Netzwerkes für Frieden und Versöhnung, der Nagelkreuzgemeinschaft. Seit vergangenem Sonntag gehören auch alle fünf Hamburger Hauptkirchen dazu. Als Teil nun dieser grenzenlos mutigen, hoffnungstrotzigen Geschichte der Versöhnung und der Arbeit für Frieden zwischen Völkern und Nationen.

Als im März vergangenen Jahres König Charles von England sich für seinen Antrittsbesuch in Deutschland wünschte, in den Ruinen unseres hamburgischen Mahnmals Sankt Nikolai just die Versöhnungs-Litanei von Coventry zu beten, hat dies unsere ganze Stadt berührt. Und auch dem König selbst ging es nahe.

80 Jahre nach der Zerstörung von St. Nikolai durch die Engländer, beim Angriff auf Hamburg, Operation Gomorrha genannt. „Father forgive“ heißt es in dem Gebet. Das hatte der Erzbischof von Coventry 1948 in die Wand der zerstörten Kapelle gemeißelt.

Nicht: Vergib den Deutschen. Sondern: Father forgive. Vater vergib. Allen. Allen Nationen. Allen, die Schuld tragen und sei es, dass sie sich dem Krieg nicht genug entgegengestellt haben. Alle brauchen wir Vergebung, um uns versöhnen zu können. Nur so wird Frieden. Vater vergib. Was für Worte in dieser Zeit – bewegen wir sie in unseren Herzen.

Gerade nun an diesem Abend, der ganz im Sinne des Komponisten unsere Friedenssehnsucht stärken möge und unsere Kraft, Frieden zu schaffen, wo immer es uns möglich ist. Getragen vom Geist der Versöhnung, der einst aus verhassten Feinden in Deutschland und England Partner und Freundinnen gemacht hat.

Und so mögen wir am Ende, wenn der letzte Ton verklungen ist, als Menschenfreunde in diese Welt gehen, erfüllt vom Frieden, höher als alle Vernunft.

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