von Landesbischof Dr. Andreas von Maltzahn, Schwerin

Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien und in Mecklenburg 1933-1945“ am 7. Oktober 2007 im Schweriner Dom

07. Oktober 2007 von Andreas von Maltzahn

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Nach der ersten Beschäftigung mit der Thematik der Ausstellung „Kirche, Christen, Juden  in  Nordelbien und in  Mecklenburg  1933-1945“ bewegen  michScham und Bestürzung:
• Wie war es möglich, dass meine Kirche, von der ich so viel Gutes empfangen habe – die Evangelisch-lutherische Landeskirche Mecklenburgs –in  der Zeit des Nationalsozialismus zu  weiten  Teilen  dem Ungeist desRassedenkens und des Antisemitismus nichts entgegen zu setzen hatte?
• Ja, mehr noch: Wie war es möglich, dass man ein so willfähriges Werkzeug arischer Selektionsbestrebungen war?
Die Fakten:
• Nachdem die neugewählte, mehrheitlich deutsch-christliche Synode Landesbischof Rendtorff die Befugnisse entzieht und Walter Schulz zumLandeskirchenführer ernennt, wird  schon am 30. September 1933  der„Arierparagraph“ in der Landeskirche eingeführt. Im Kirchengesetz heißtes: „Geistliche und Kirchenbeamte, die nichtarischer Abstammung sind,oder die mit einer Person  nichtarischer Abstammung  verheiratet sind,können in ein kirchliches Amt nicht berufen werden.“
• Am 1.Mai 1934 werden die Kirchenbücher beim Oberkirchenrat zentralisiert, um die Ariernachweise leichter bearbeiten zu können – ein bis dahineinmaliger Vorgang  in  den  evangelischen Kirchen. Pastor Edmund  Albrecht wird  der leidenschaftlich  engagierte Leiter der Kirchenbuchabteilung.
• Am 18.März 1935 wird die Kirchenbuchabteilung in „MecklenburgischeSippenkanzlei“ umbenannt.
• Am 15.August desselben Jahres veröffentlicht das Kirchliche Amtsblattden Aufruf „Jüdische Geschäfte meiden!“
• Eine Woche nach den Novemberpogromen 1938 erscheint im KirchlichenAmtsblatt „Ein Mahnwort zur Judenfrage“ von Landesbischof Schulz, indem er diese Pogrome rechtfertigt. Darin heißt es u. a.:
„An die Herren  Geistlichen  der evangelisch-lutherischen  KircheMecklenburgs ergeht hiermit die Aufforderung, . . . ihre Verkündigung in Predigt und Seelsorge so auszurichten, dass . . . den deutschen Menschen dazu verholfen werde, dass sie ohne falsche Gewissensbeschwerung getrost alles daran setzen, eine Wiederholung der Zersetzung des Reiches durch jüdischen Ungeist von innen herfür alle Zeiten unmöglich zu machen. Wie unser Herr Jesus Christus selber ausdrücklich bestätigt hat, ist des Menschen Nächsterder, der die Barmherzigkeit an ihm tat. (. . .) Den Führer gilt daherunsere Liebe als unserem Nächsten, ihm unsere unverbrüchlicheGefolgschaft und Treue auch in dem dem deutschen Volke aufgetragenen Kampf gegen  die Juden!“ (Nächster ist also  nicht, werder Barmherzigkeit bedarf, sondern  der „barmherzige“ Führer –was der Jude Jesus auch noch bestätigt haben soll!!)
• Am 13.Februar 1939 heißt es im „Kirchengesetz über die Stellung der Juden“: „Juden können nicht Angehörige der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs werden.“ Die Geistlichen  werden  von  der Pflicht zuAmtshandlungen für Christen jüdischer Herkunft entbunden.
• Dagegen regt sich endlich Widerstand: Am 1.März 1939 erheben 131 Pastoren  der Bekennenden  Kirche gegen  dieses Kirchengesetz Einspruch.Neun Tage später richten die Pastoren Aurel von Jüchen und Karl Kleinschmidt einen offenen  Protestbrief in dieser Sache an  LandesbischofSchulz.
• Im Dezember 1941  wird  auch  in Mecklenburg  die Aufhebung  jeglicherGemeinschaft mit Christen jüdischer Herkunft bekannt gegeben, was wiederum zu Protesten der Bekennenden Kirche führt.

Christen jüdischer Herkunft wie Friederike Glüsing werden gemieden wie Aussätzige. Nur wenige Menschen  durchbrechen  die Isolation und  besuchen  dieFamilie. Einer von ihnen war Propst August Wiegand.

Andere Schicksalsgenossen wie Walter Ladewig werden wegen  „Rassenschande“ ins Gefängnis geworfen und systematisch in die Verzweiflung getrieben –die Gefängnisseelsorger stehen ihm nicht bei.

Auch von einzelnen Beispielen von Zivilcourage ist zu berichten:
• Aurel von Jüchen  half bei Löscharbeiten eines von  SA-Männern  angezündeten Hauses und wurde dafür körperlich misshandelt.
• Pastor August Wiegand war Vertrauensmann des Berliner „Büro Grüber“,das Juden zur Ausreise in das sichere Ausland verhalf. Seine Tochter rettete die Menora der Schweriner Synagoge durch die Kriegszeit hindurch.
• Pastoren wie Friedrich und Martin Hübener verteidigten die Stellung dergetauften Juden als vollgültige und gleichberechtigte Christen.
• Rosemarie Dessauer, eine Christin jüdischer Herkunft aus Berlin, wird inmecklenburgischen  Pfarrfamilien  versteckt und  vor der Deportation  bewahrt.
• Von den Protesten der Bekennenden Kirche habe ich schon gesprochen.
Und doch bleiben bedrückende Fragen:
• Warum gab es so wenig Widerstandskraft in der Landeskirche gegen denRassenwahn? Welche theologischen Defizite haben dazu beigetragen?
• Und wenn es Widerstand gab – warum blieb er mehr oder weniger binnenkirchlich? Warum verteidigte man bestenfalls Juden, die getauft waren?

Ein Teil der Antwort lautet: Der Antisemitismus in Deutschland im Allgemeinenund in den deutschen Kirchen im Besonderen hat ein lange Tradition. Landesbischof Walter Schulz konnte die Novemberpogrome mühelos mit Hasstiraden desgroßen Reformators Martin Luther rechtfertigen. In seinem „Mahnwort zur Judenfrage“ zitiert er Luther endlos mit Passagen wie dieser:
„Was wollen wir Christen  nun  tun mit diesem verworfenen, verdammten Volk der Juden?
. . .Erstens, dass man  ihre Synagogen  oder Schulen  mit Feuer anstecke . . . Und solches soll man tun unserm Herrn und der Christenheit zu  Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien  und solch  öffentlich  Lügen, Fluchen  und  Lästern  seines Sohnes undseiner Christen wissentlich nicht geduldet noch gebilligt haben.Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbrecheund zerstöre . . .
Zum dritten, dass man  ihnen  nehme all ihre Betbüchlein  undTalmudisten, darin solche Abgötterei, Fluch und Lästerung gelehrt wird.
Zum vierten, dass man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren . . .“

„Schlangengezücht“, „Teufelskinder“ – so hat Luther von Juden gesprochen!

Doch die Wurzeln eines christlichen Antijudaismus finden sich schon im NeuenTestament selbst. Der christlich-jüdische Dialog hat auf der Ebene der Theologie hier wichtige Einsichten gewonnen – diese müssen nun in die Ebenen unserer Gemeinden hinein vermittelt werden. Solche Vermittlung muss verstärkt angegebener Stelle Anliegen  von  Bibelarbeit und  Predigt sein! Bei allem, wasman  kritisch  gegen  die „Bibel in  gerechter Sprache“ einwenden  mag  – sienimmt sich zu Recht dieser Aufgabe an.

Aber es geht längst nicht nur um die richtige Interpretation antijüdisch übersetzter oder entsprechend verstandener Bibelstellen. M.E. geht es ganz grundsätzlich um unser Selbstverständnis als Christen gegenüber dem jüdischen Volk alsdem Volk, dass Gott zuerst und bleibend erwählt hat. Und die Frage nach unserem Selbstverständnis mündet letztlich in die Frage: Begreifen und verinnerlichen wir endlich, „dass unser christlicher Glaube ein Zweig am Baum des Judentums ist und aus seinen Wurzeln sich nährt“ (Matthias Kleiminger), wie es das 11. Kapitel des Römerbriefes nahelegt? Und finden solche Einsichten  auch den Weg in das Glaubensleben unserer Gemeinden? Nicht nur aus Gründen desRespekts voreinander, sondern  auch  um unserer selbst willen  erhoffe ich  dies sehr.

Meine Damen und Herren, wir brauchen solche Besinnung ebenso, wie wir dieErinnerung an die

eigene Geschichte brauchen. Ausstellungen wie diese helfen 

uns, ein Schuldbekenntnis wie das der Landessynode vom November 1998 mit

Herz und Verstand nachzuvollziehen. In der Synodenentschließung heißt es:

„Wir gedenken in diesen Tagen der Pogromnacht, die vor 60 Jahrenzum Fanal für den Holocaust an den Juden wurde. Mit Scham müssenwir bekennen, dass damals viele Christen  geschwiegen  haben  undängstlich beiseite schauten. Noch mehr belastet uns, dass die antisemitische Rassenideologie in  die Gesetzgebung  unserer Landeskircheeinfließen  konnte und damit nicht nur geduldet, sondern aktiv unterstützt und zum eigenen Anliegen gemacht wurde. Ö entliche Verlautbarungen  aus dieser Zeit, die zwar keine Gesetzeswirkung  hatten,aber als offizielle Stellungnahmen der Kirche zu  verstehen  waren,brachten noch deutlicher die Identifizierung mit rassistischem Gedankengut und  ihre Verklärung zu  einer göttlichen  Botschaft zum Ausdruck.“
Der biographische Ansatz der Ausstellung, die wir heute eröffnen, berührt undlässt über die Jahrzehnte hinweg  mitfühlen. Die Vorträge des Rahmenprogramms werden das Verständnis vertiefen.

Wenn wir heute das historische Versagen unserer Kirchen erinnern, dann tunwir das nicht als Menschen, die damals standhafter, widerstandsfähiger mutigergewesen wären, sondern als Menschen, die in ihrer Zeit wach bleiben wollen,damit es nicht einst auch über uns heißen muss – und ich zitiere Niklot Besteaus einem Wort an die Gemeinden unmittelbar nach dem Kriegsende:
„Längst ehe die Scheinordnung . . . zerbrach, war das Recht verfälscht. Längst ehe man  die Menschen mordete, waren  die Menschen  zu  Nummern und  daher nichtig  geworden. Wessen  Lebennichtig geworden ist, dem fällt es nicht schwer Leben zu vernichten. … Scheu  vor dem Leiden  hat maßloses Leiden  über uns gebracht.“
Mut, Zivilcourage, ein  positives inneres Verhältnis zur Demokratie – all diesdarf man von uns schon als Bürger dieser Gesellschaft erwarten. Erst recht sindhier Christen gefordert!

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