Heiliges Schauspiel – Gottesdienst und Theater
31. Januar 2012
„Ach, Theatermann sind Sie gewesen?! - Na, da ist ja wohl auch kein großer Unterschied zwischen Pastor und Schauspieler ...“ Noch klarer und direkter formulieren schon mal meine vier Söhne, wenn Sie ihren Vater in Aktion erleben: „Du kannst tun, was du willst, Vater: du bist und bleibst auch immer ein Schauspieler.“
Solche Reaktionen höre ich immer wieder, wenn ich davon erzähle, dass ich in den frühen 1970iger Jahren Theaterwissenschaft und Schauspiel studiert und am Theater gearbeitet habe, bevor ich zur Theologie und zum kirchlichen Dienst kam. Solche Reaktionen sind immer provozierend gemeint und drücken zugleich jene Faszination aus, mit der viele Menschen beidem, Theater und Kirche, begegnen. Ich verstehe diese beiden biographischen Strecken meines Lebens nicht als fremd zueinander, sondern komplementär. Beides war und ist mir lieb. Ich beziehe Nahrung aus den gemeinsamen Wurzeln.
Wenn meine Söhne meine Schauspielerei als Wesensmerkmal ihres Vaters identifizieren, dann höre ich nicht nur Kritik darin: ich weiß sehr wohl – als Schauspieler wie als Pastor – dass ich nicht selbst Autor des Stückes, Autor meines Lebens oder Autor meines Dienstes bin: ich führe auf, was mir anvertraut ist – Regie führt ein anderer, Autor gar ist ein anderer.
Meine Sehnsucht beides – Theater und Kirche – zusammen zu betrachten, ist natürlich biografisch begründet: da hat es einen interessanten und radikalen Bruch in meiner Lebensgeschichte gegeben (so etwas kommt in den meisten Lebensgeschichten vor). Und dann sucht man natürlich auf dem Lebensweg nach Zusammenhängen, nach Brücken, die den Bruch erklären oder gar heilen können. Und in meinem Fall komme ich tatsächlich auf interessante Analogien, die keineswegs das eine oder das andere desavouieren.
Was ich zum Theater sagen will, trifft auch auf mein Bild von der Kirche zu und umgekehrt. Dabei weiß ich sehr wohl, dass ich mich davor hüten muss, das eine durch das andere zu vereinnahmen, kenne sehr wohl die Unterschiede: Der Gottesdienst z. B. ist nicht Theater; und auf dem Theater geschieht nicht Gottesdienst. Und dennoch interessieren mich die gemeinsamen Wurzeln und die Analogien. Das Wort „Theater“ hat seine Wurzel im Altgriechischen: τό θέατρον „Schaustätte“; von θεάομαι „anschauen“. Es ist die Bezeichnung für die szenische Darstellung eines inneren und äußeren Geschehens. Auch unsere Kirchen sind „Schaustätten“, in denen innere und äußere Geschehen dargestellt werden. Die Heilsgeschichte Gottes mit der Welt. Und die Glaubensgeschichten der Menschen, die schauen, je neu. Es soll anschaulich werden das Geheimnis des Lebens.
II
Die theatralische Kunst in der abendländischen Kultur hat ihren Ursprung im Mysterienkult – also im Gottesdienst. Die Beziehungen zwischen Göttern und den Menschen sind Gegenstand der Tragödie, die das Leiden des Menschen durch sein problematisches Verhältnis zu den Göttern zeigt. Nach Aristoteles soll das Drama Menschen und Vorgänge nicht nur dem Auge und Ohr vorstellen, sondern die Tragödie soll Furcht und Mitleid und so eine Katharsis, eine Reinigung dieser Zustände bewirken; die Komödie aber eine wohltuende Freiheit und Heiterkeit des Gemüts.
Das Mittelalter ist die Zeit, wo im christlichen Raum besonders im Zusammenhang mit den kirchlichen Feiern zu Weihnachten und Ostern sich das geistliche Spiel entwickelt. Zuerst wurde der Gottesdienst erweitert durch mimische Darstellung, später entstanden selbständige Spiele mit heilsgeschichtlichem Inhalt (z. B. Oberammergau – Passionsspiele, die Celler Ostern usw.). Immer schon wird in Theater und Kirche nicht nur irgendein Spiel vorgeführt, sondern immer wird alles dargestellt, inszeniert: Im Drama die Welt. Im Gottesdienst in einen dramatischen Bogen gefasst das ganze Leben. Darum geht es der Kirche in ihren darstellenden Formen, dem Gottesdienst vor allem: Den Spielplan Gottes in unseren menschlichen Rollen kreativ zu gestalten, schöpferisch ins Spiel zu bringen die Verheißungen. Über einen Text aus der Bibel zu predigen, heißt auch, diesen Text zu inszenieren im Gottesdienst (Henning Luther). Es ist wesentlich Auftrag der Kirche, die Beziehung zwischen Gott und Mensch in Szene zu setzen. Der Gott, zu dem die christliche Kirche sich bekennt, ist ein Gott in Beziehungen. Und wo Beziehungen sind, entstehen dramatische Formen, übrigens auch immer Formen der Liturgie. Es geht im Raum der Kirche darum, das Evangelium so zu kommunizieren, zu inszenieren, dass die Wahrheit nicht abstrakt „vorgeführt“ wird, sondern dass die Wahrheit sich in der konkreten Situation für konkrete Menschen als Wahrheit ereignet. Entsprechendes gilt für das Schauspiel, so meine ich. Beide, das Geschehen auf dem Theater und in der Kirche haben ihren Sinn nicht in sich selbst, sondern haben Verweisungscharakter. Sie verweisen auf die verkündete, hinter dem Dargestellten liegende Wahrheit.
III
Neben diesem Grundsätzlichen gibt es weitere Analogien zwischen Theater und Kirche.
Da sind die Räume, in denen die Inszenierungen sich entfalten: Die auf das Zentrum des Geschehens ausgerichteten Räume mit ihren Bühnen, den nie zufällig angeordneten Auftritten und Abgängen. Auch im Gottesdienst ist Dramaturgie – nämlich Liturgie! Und Bühne, Ort der Inszenierung: Altarraum, Chorraum, Kanzel, Lesepult, die Taufe – alle sogenannten Prinzipalstücke sind niemals zufällig angeordnet. Sie folgen dem Spielplan dessen, dessen Wort für wahr befunden worden ist. Es wird auf die Bühne gebracht, was Menschen berührt; es wird in Szene gesetzt, was außergewöhnlich, von allgemeiner Bedeutung ist oder sein soll. Und wer die Bühne betritt, weiß um den besonderen Ort, weiß, dass er gesehen wird – und will das auch!
Das, was am Theater Lampenfieber genannt wird, empfinde ich bis heute vor jedem Gottesdienst. Da ist die Spannung vor jedem Auftritt, das sichere Gefühl: Jetzt musst du dich zeigen mit dem, worum es Dir geht; Du wirst angreifbar und verletzbar. Und auch der kirchliche Darsteller braucht am Schluss der Vorstellung den Applaus, die Rückmeldung, dass angekommen ist, was er ausgesandt hat. Und dann sind da die Zuschauenden. Es gelingt immer wieder unterschiedlich gut, sie zu erreichen oder einzubeziehen in das Spiel. Und was für den Gottesdienst die Kerngemeinde, ist auf dem Theater die Gemeinde der Abonnenten. Sogar das Sakristei-Gebet vor Gottesdienstbeginn hat am Theater seine heidnischen Variante: dreimal über die Schulter spucken vor der Premiere!
Also: Wer am Theater oder in der Kirche arbeiten will, braucht eine gesunde Portion Narzissmus. Du musst auf die Bühne wollen, deine Rolle spielen, du musst „Rampensau“ sein wollen – wie wir das beim Theater genannt haben. Und es gibt – hier wie dort – immer einen Kampf: das Duell zwischen Rampensau und innerem Schweinehund. Jeder, der auf die Kanzel geht, wird auf dem Weg dorthin auch von dem Gedanken beschlichen, dass es woanders jetzt auch ganz schön wäre…
Wer eine Botschaft „rüberbringen“ will, braucht den ausgeprägten Willen, gehört und gesehen zu werden. Wer zur Identifizierung einladen will, muss selber Bürge der Wahrheit sein, die er verkündet - so drückte der Theologe Ernst Lange es aus. Die Kunst der Darstellenden hier wie dort ist es, den Narzissmus in den Dienst zu stellen der Botschaft. Darum braucht es die Professionalität der Darstellenden hier wie dort: Narzissmus und Selbstkontrolle – beides!Der Schauspieler / Priester muss verstehen, was er tut. Zur Identifikation mit der Rolle gehören das Wissen und das Bewusstsein, dass es sich um Darstellung handelt. Identifikation ist nicht Verschmelzung. Jede Geste bleibt Geste. Für Berthold Brechts Theorie über den Beruf des Schauspielers gehört das ins Zentrum. Wo ein Schauspieler verschmilzt mit seiner Rolle, schafft er gefährliche Illusionen, ist Unterscheidung zwischen Realität und Spiel nicht mehr möglich.Ein Beispiel ist der Schauspieler Hans-Jürgen Wussow, der in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts über viele Jahre den Professor in der „Schwarzwaldklinik“ gab. Er konnte irgendwann nicht mehr aus seiner Rolle oder mochte nicht mehr heraus: er schrieb medizinische Beratungsbücher, gab Sprechstunden usw.
Kein wirklich guter Schauspieler erliegt der Verführung, die Distanz zur Rolle aufzugeben.
IV
Schon während meiner Schulzeit habe ich für mich das Theaterspielen als eine Möglichkeit zu nutzen versucht, das, was mich beeindruckte, auszudrücken. Immer, dann auch im Studium, war für mich das Theaterspiel ein Spiel mit Nähe und Distanz. Der geschützte Raum der Inszenierung bot mir die Möglichkeit, die Realität aus der Distanz zu betrachten und zu begreifen und so mein eigenes Leben ins Spiel zu bringen. Dabei lag die Lust am Spiel gerade darin, andere auf dem Weg der Erkenntnis mitzunehmen. Prägend waren für mich Inszenierungen in Hamburg in den frühen 1970iger Jahren: Der „Vietnam-Diskurs“ von Peter Weiß; Rolf Hochhuths „Stellvertreter“. Gerade wird dieses in der Fachwelt oft als unspielbar bezeichnete Stück, das sich mit dem Holocaust und der Rolle der Kirche darin auseinandersetzt, in München gezeigt, in einer Inszenierung des Regisseurs der Oberammergauer Passionsspiele!
Als ich Theater machte, war die Hoch-Zeit des politischen Theaters, das die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf die Bühne brachte. Wir wollten etwas mit dem Theater jener Zeit: Verändern, mitreißen, aufrütteln, ent-rüsten. Wir wollten, ganz im Sinne von Brechts Theorie des „epischen Theaters“ die Realität zur Darstellung bringen; nicht Gefühlsbewegung und Gefühlsgenuss sollte die Wirkung des Theaters sein, sondern Belehrung des Verstands, Appell an den Willen der Menschen, die bessere Zukunft zu gestalten. Es soll mit Berthold Brecht dem Theater nicht um eine schöne Darstellung nur gehen, sondern um Konfrontation mit der Realität, die schließlich über sie hinausführt.
Die entscheidende Wende in der Theaterlandschaft hatten Autoren wie Gerhard Hauptmann schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutionär angestoßen. In seinem Stück „Die Ratten“ bringt er menschliche Sehnsüchte und Triebe auf die Bühne. Damit verbindet sich eine Sicht auf das Theater, das berühren will. In Hauptmanns Theater ist jeder Mensch, nicht nur die Götter und Königsdynastien, tragödienfähig. Und nicht mehr die Götter, sondern die Umstände, das Milieu, bestimmen die Menschen. Echte Lebensgeschichten werden gezeigt. Das waren große theaterästhetische Umbrüche, die auch den Blick des Publikums auf Theater veränderten. Plötzlich erkannte man sich in den Figuren und Geschichten wieder. Für Gerhard Hauptmann machen „Konflikte, fieberisch bewegte Seelen, alles unter Eintritt einer großen Leidenschaft, die glüht, brennt, lodert, rast“ ein Drama aus (G. Hauptmann, Die Kunst des Dramas, 1908/09).Nicht länger lehnt sich der Zuschauer zurück und sagt: ja, ja, so sind sie, die Großen, Fernen, Mächtigen. Jetzt kann er nicht mehr übersehen, dass er in einen Spiegel schaut, blickt er zur Bühne: so sind wir, das kenne ich von mir…
In einer wunderbaren Überzeichnung des postdramatischen Theaters schreibt Peter Handke seine „Publikumsbeschimpfung“ Anfang der 70er Jahre. Da werden plötzlich die Zuschauenden zu Protagonisten, das Theater dreht sich um! Fluchtartig verließen damals die Zuschauer die Theatersäle!
Solche Entwicklung lässt sich auch in der Kirchengeschichte, in der Entwicklung der Gottesdienste beobachten: als die Reformatoren die lateinische Sprache ablösten durch die deutsche, konnte plötzlich jeder und jede mitgehen, sich selbst in der Inszenierung wahrnehmen, aussprechen und ausgesprochen hören, was ihn oder sie selbst bewegte. Man konnte die Messe nicht mehr abtun als fernes Schauspiel.
In der von der Aufklärung geprägten Neuzeit tauchen dann Beteiligungsformen auf, dramatische Umsetzungen der biblischen Texte usw., die davon leben, dass jede Distanz aufgegeben wird.
Höhepunkt und Wendemarke in meiner eigenen Biographie war die Mitarbeit an einer Inszenierung am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg 1973: „Abaelard und Heloise“ - ein Drama über eine unglückliche Liebe zwischen dem Abt von Cluny und einer Äbtissin im Mittelalter. Verbotene Liebe. Ein Spiel von der Gefangenschaft im Klerus, der Unerbittlichkeit der Dogmen und der Kraft der Liebe. Einer zerbricht an der Liebe, hin- und hergerissen zwischen der Frau und dem Gelübde. Schließlich wird der Abt entmannt. Eine Inszenierung von Karl Paryla, einem Freigeist aus Wien. Er scheute sich nicht, Bibeltexte auf die Bühne zu bringen, Liturgie gekonnt zu inszenieren - der Gottesdienst war der Rahmen dieser Inszenierung. Und was eben noch die Kanzel war, Ort des Wortes Gottes, war in der nächsten Szene ein Bordell. Schließlich eine Kreuzigungsszene von einer Dichtheit und Schlichtheit, wie sie nur im liturgischen Rahmen entsteht. Da kamen für mich exemplarisch Kirche und Theater zusammen: Echtheit, darstellerische Kraft ohne Bloßstellung oder Engführung, die Ambivalenz der Gefühle durfte leben. Darum entstand plötzlich ein wunderbarer Ort für Identifikation und Auseinandersetzung. Da habe ich wohl mehr gelernt von Theologie, Kirchengeschichte und Liturgie, als in manch klugem Seminar. Und dann – u. a. Verse aus dem 139. Psalm – hinreißend rezitiert von der Schauspielerin Ursula Gompf, wenn ich ihren Namen richtig erinnere. Letztendlich verdanke ich jenem Erlebnis die Kraft zum Umschwung in meinem Leben. Neugierig hat mich das gemacht auf die Bibel und die Theologie. Neugierig auf die dort wie nie zuvor erlebte Kraft des Glaubens - dargestellt in gebundener Form - auf dem Theater. Nicht in der Kirche!
V
Gewiss, meine Damen und Herren, man kann auch folgendes erleben:Einen Theaterabend mit schlechten Schauspielern, miesem Bühnenbild und einfallsloser oder überladener Inszenierung, eine Qual und Zumutung - und es gibt beim Gottesdienst Vergleichbares.
Manche hochstilisierten Kunstformen in Theater und Kirche fliehen die Auseinandersetzung. Vermeiden, was nötig ist und wozu es Theater und Kirche gibt: Begegnung mit dem Grund des Lebens so, dass diese Begegnung auch in ihrer Schmerzhaftigkeit heilend ist, zum Schalom führt.
In seinen „Schriften zum Theater“ führt Berthold Brecht aus: „Die heutige Welt ist den heutigen Menschen nur beschreibbar, wenn sie als eine veränderbare Welt beschrieben wird.“ Dies ist für mich seither ein Postulat auch für meine Identität als Theologe. Darum nämlich geht es auch im darstellenden Handeln der Kirche, um die Konfrontation mit der Realität der Welt und mit der Realität Gottes. Es geht darum, diese Spannung zu inszenieren und ins Spiel zu bringen, sie begehbar zu machen, in Form zu bringen. Darum empfinde ich den Satz Brechts von der Notwendigkeit, die Welt als veränderbar darzustellen, als eminent theologischen Satz. Denn die Konfrontation mit dem Wort Gottes führt nicht in die Zufriedenheit, sondern in die Unzufriedenheit mit der Welt, wie sie ist; sie beruhigt nicht, sondern schafft Unruhe. Die Kreativität dieser Unruhe ist zu inszenieren und zu gestalten. Anders ist sie nicht auszuhalten. Theater und Kirche haben ihre Berechtigung da, wo sie in Bewegung, in Veränderung führen. Ja, es geht um nichts Geringeres als um die Wende vom Tod zum Leben!
Dazu braucht die Kirche die Mittel des Theaters. Dazu brauchen wir das Spiel, die Lust und den Eros als Kraft des Lebendigen. Theater und Kirche sind nicht Räume der Fremdwahrnehmung nur, sondern der Selbstwahrnehmung. Das macht die Sache so faszinierend - gefährlich. Darum braucht es die Inszenierung, den in Szene gesetzten, geschützten Raum. Es geht der Vorführung um Führung hinein in die Geheimnisse des Lebens, ums Mitnehmen. Darum brauchen Theater und Kirche gute Führung, Regie, Darstellungskunst.
Ich sagte bereits, dass es m. E. in der Kirche um die Inszenierung der Begegnung zwischen Gott und Mensch geht. Nicht nur im Gottesdienst, aber da besonders. Die Inszenierung beschreibt das Geheimnis, begeht es, umspielt, umtanzt es; sie macht es begehbar, begreifbar - ohne es plump zu lüften. Inszenierung geschieht, damit das Geheimnis ein Geheimnis bleiben kann. Aber eben: Gott als Geheimnis der Welt (Eberhard Jüngel)!
VI
Der Gottesdienst ist für mich der Ort, an dem das, was für mich existentielle Bedeutung in Theater und Kirche hat, Zuspitzung erfährt und auf den Prüfstand gerät. Zugleich ist aber das, was ich zum gottesdienstlichen Geschehen sagen will, exemplarisch zu verstehen für alle Verkündigungsformen, auch in der Seelsorge, im Unterricht und in Gesprächsrunden.
Für mich stellt sich überhaupt nicht die Frage, ob Formen der Theaterkunst im Gottesdienst ihren Platz haben dürfen. Wenn Theater ein Sammelbegriff ist für darstellende Formen, dann ist Gottesdienst selbst Theater, in Szene gesetztes Drama. Die Liturgie ist der Spielplan für die Begegnung zwischen Gott und seinen Menschen. Und diese Begegnung braucht Inszenierung. Und weil es sich bei diesem Spiel um den Ernst des Lebens handelt, sind alle Eingriffe in diesen dramatischen Bogen mit höchster Vorsicht und Professionalität zu vollziehen.
In den letzten Jahren ist in unserer Kirche die Sehnsucht nach gestalteten Formen des Gottesdienstes neu erwacht. Und wir brauchen dringend die Kunst des Theaters und die Professionalität in der darstellenden Kunst, um diese Lebensader wieder zu öffnen.
Vielleicht lohnt es sich, sich diesen Schatz der Kirche über Theater-Gesichtspunkte neu anzueignen, von außen sozusagen. Die Agende für unsere Gottesdienste ist eine Gestaltungs-Aufgabe. Und wer sich einmal dieses Drehbuch anschaut, die Agende, wird vielleicht, auch wenn er am gottesdienstlichen Geschehen nicht so teilnimmt wie ein Abonnent, den Reichtum der kreativen Formen entdecken: die Gänge, die Bewegung, die Spannung, die aufgebaut wird im Kyrie zum Beispiel, entlastet im Gloria; Wort und Antwort, Dialoge; Abendmahl, Segen - alles Szenen, die darauf warten, vielfältig im Gestalten neu entdeckt zu werden. Es geht im Gottesdienst darum, dass das Wort eine Gestalt gewinnt und dass das Evangelium aufgeführt wird. Darum singen wir ja auch zusammen im Gottesdienst.
Dieser dramatische Bogen muss immer neu inszeniert, gestaltet werden. Im Kontakt zu Text, Thema, Rolle, Zuschauer, Situation. Das ist das klassische Rollen-Studium. Keine Szene ist zufällig. Jeder Schritt deutet.
Bei der Frage, wie viel Theater in der Kirche sein darf und soll, geht es ja um viel mehr als um Laienspiel-Aufführungen o.ä. Es geht darum, dass wir Raum bieten für Formen, die Menschen einladen, sich selbst mit ihren Fragen, ihrem Suchen, ihrer Freude und ihrem Leid, ihrer Sorge und ihren Hoffnungen hineinzugeben in gestaltete Formen. Darum gehören alle Formen des Spiels - Bibliodrama, Bibeltheater, Rollenspiel, Pantomime, Tanz, Musik usw. in die Kirche hinein, sind selbst Ur-Formen der Verkündigung.
Darum wünsche ich mir und unserer Kirche die lebendige Offenheit für die Spielformen des Theaters als Spielformen des Lebens selbst.
Christenmenschen und Theaterleute können von der Welt nur reden als einer veränderbaren: Das Alte ist vergangen, siehe, ich mache alles neu! Um diese Sehnsucht der Menschen und um diese großartige Verheißung geht es auf der Bühne des Lebens. Und bei uns in den Kirchen. Dazu brauchen wir ein den Glauben daestellendes Ensemble derer, die auf die Bühne hinaus gehen und den Mund auftun, damit die Welt das Wort Gottes hört so, dass sie es nicht überhören kann!