Hunger und Durst nach Gerechtigkeit
31. Oktober 2015
Reformationstag, Andacht über Matthäus 5, 1 – 10 anlässlich des Reformationsempfangs der Nordkirche
Die Seligpreisungen Jesu - Worte, die klingen wie die Musik aus einer anderen Welt und deren Schlagkraft wirkt wie ein Hammer. Schön und einprägsam. Besser kann man von der Welt, wie Gott sie gemeint hat, nicht reden, als Jesus es getan hat. Deswegen wurden diese außergewöhnlichen Worte Predigttext für den Reformationstag. Sie bezeugen die Botschaft, die verschüttet war und in der Reformation wieder entdeckt worden ist. In den Himmel kommt, wer alles von Gott erwartet und nicht auf sich selbst vertraut. Dabei entwirft Jesus ein Bild von einer Welt, wie sie Gottes Willen entspricht. Was in Zukunft Gottes Welt bestimmt, ist für alle, die sich von Gott bestimmen lassen, schon heute absolute Verpflichtung. Ich kann nicht in Gottes Ewigkeit der Gerechtigkeit den ersten Rang einräumen und in der Gegenwart allen Ungerechtigkeiten freien Lauf lassen.
Reformation und die Eine Welt heißt das Jahresthema für das Themenjahr 2016, das mit dem heutigen Tage beginnt. Im Unterschied zu allen begrenzten Gemeinschaften in der Vergangenheit und in unserer Gegenwart spricht Jesus universalistisch. Da geht es nicht um Mecklenburger und Pommern, nicht um Linke und Rechte, schon gar nicht um Mann und Frau, auch nicht um Deutschland und Europa, gar nicht zu denken an das sogenannte christliche Abendland, sondern es geht um die Eine Welt und die Menschen, die auf dieser Welt leben. Und es geht dabei immer um die Frage der Gerechtigkeit.
Jesus redet von den geistlich Armen. „Arm im Geist“ sind die, die wissen, „dass sie ganz und gar Gottes bedürfen“[1].
Er redet von denen, die Leid tragen. Sie benötigen Trost und werden ihn bekommen. Er spricht die Gewaltlosen, die Sanftmütigen an. Sie werden am Ende das Land und die Welt besitzen. Jesus preist die selig, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten und verheißt ihnen, dass sie von Gerechtigkeit satt werden werden. Gottes Wesen ist Barmherzigkeit. Darum preist Jesus die selig, die auch in ihrem Leben barmherzig sind. Gerade und klare Menschen sind das Ziel Gottes. Solche Menschen werden niemanden betrügen. Wie wahr diese Aussage ist, sehen wir wenn wir in diesen Tagen zur Deutschen Bank oder zu VW schauen. Betrug und Unwahrheit zahlen sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus. Schließlich: Die Friedenstifter entsprechen voll und ganz dem Willen Gottes. … So geht es weiter. Jesus sagt im Namen Gottes für diese eine Welt, die Gottes Welt ist, Gottes Gerechtigkeit an.
An wen denken wir heute, wenn von den Leidtragenden, von denen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, gesprochen wird? Mir stehen unwillkürlich die Bilder der Flüchtlinge vor Augen, die aus Syrien und anderswo zu uns strömen. Seit einigen Tagen sind die Essensrationen in den UN-Flüchtlingslagern wieder um 25% gekürzt worden, weil die UNO nicht mehr genug Geld hat, all die Menschen zu versorgen. Ein gut Teil derer, die sich dann zum zweiten Mal aufmachen, um einen sicheren Ort zu finden, an dem sie mit ihren Familien leben können, wird zu uns nach Deutschland kommen, der entsprechende Anteil auch nach Mecklenburg-Vorpommern.
Doch auch bei uns begegnen sie vielfacher Ablehnung. Die Kriminalität würde steigen, wenn Flüchtlinge kommen, wird vermutet. Dabei waren es deutsche Attentäter, die in Hunderten von Fällen allein in diesem Jahr das Recht gebrochen haben und Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt haben. Es war ein deutscher Rechtsextremist, der die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker schwer verletzte. Sicher, das sind in Deutschland kleine Minderheiten, aber sie sind – wie man sieht – brandgefährlich. Die wirkliche Gefahr geht bei uns von deutschen Mitbürgern aus. Und das ist traurig, ein Jammer und eine Schande! Damit uns die Maßstäbe nicht verrutschen, nur weil einige so laut schreien, ist es gut, wenn wir auf die seit 2000 Jahren zu vernehmende Stimme Jesu hören. Schon seit dieser Zeit redet Jesus von der Einen Welt. Die Menschen aus Syrien, Eritrea und Afghanistan sind unsere Schwestern und Brüder. Den Leidtragenden und nach Gerechtigkeit Hungernden aus aller Welt gilt unsere Nächstenliebe genauso wie dem Langzeitarbeitslosen aus Grimmen, der schwerkranken Frau aus Wismar oder der alleinerziehenden Mutter aus Pasewalk. An unserem Umgang mit den Flüchtlingen wird sich zeigen, ob wir Jesu Seligpreisungen richtig verstanden haben.
Wir leben längst in Einer Welt. Der Universalismus Jesu war ein Meilenstein in der Geschichte unserer Zivilisation. In den letzten Jahrzehnten unterlagen wir nur dem Irrtum, als sei die Globalisierung lediglich ein ökonomisches Phänomen. Aber es geht nicht nur darum, teure Autos weltweit zu verkaufen und billige Textilien einzukaufen. Hinter ökonomischen Prozessen stehen Werte. Ich kann nicht ein T-Shirt für 5 € kaufen und dann meinen, ich habe mit den Produzenten dieses T-Shirts, dem Plantagenbesitzer, den Baumwollpflückern, den Webern und Nähern und noch vielen anderen nichts zu tun. Die möchten ebenfalls ihre Familien ernähren. Jesus lehrt uns Verantwortung, Verantwortung in der einen Welt. Wir haben darauf zu achten, was aus den Menschen wird, die für uns arbeiten.
Wir haben es der Reformation und dem Reformator Martin Luther zu danken, dass wir die Bibel und besonders die Lehre Jesu so ernst nehmen. So sagte Luther zu den Seligpreisungen Jesu: „Denn das ist die Summe von diesem Evangelio, dass unser lieber Herr Christus uns hie vormalet, was er für Jünger haben, wie es ihnen auf der Welt gehen und was sie hoffen sollen.“[2]In unserem kulturellen Gedächtnis sind diese Werte und diese Vorstellung vom Leben beheimatet. Wir können nicht so tun, als ginge uns das nichts an, was aus den Menschen wird, die mit ihrer Arbeit unser Leben bereichern. Denn diese Menschen hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Jesus sagt: „Sie sollen satt werden.“ Amen.
[1] U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments, I 4, Neukirchen 2005, 65. Im Anschluss an Christoph Kähler und Ulrich Lutz.