Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt würdigt „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ als Beispiel, wie Versöhnung gelingen kann
29. Oktober 2024
Die Nordkirche lädt am 31. Oktober 2024 zum Reformationsempfang ein. Im Zentrum stehen Impulse zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, einem Meilenstein des Dialogs zwischen der katholischen und evangelischen Kirche.
Unter dem Motto „Gemeinsam unterwegs“ lädt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) am 31. Oktober 2024 zum traditionellen Reformationsempfang. Im Mittelpunkt stehen gemäß dem Motto die Impulse der Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, und des Erzbischofs des Erzbistums Berlin, Dr. Heiner Koch, zur „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Vor 25 Jahren wurde dieses bedeutende Dokument in der Geschichte des Christentums von der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche unterzeichnet. Die Gemeinsame Erklärung des Lutherischen Weltbundes und des Heiligen Stuhls markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Versöhnung und Überwindung von Differenzen, die seit der Reformation im 16. Jahrhundert bestanden.
Menschliches Leben in einer gnadenlosen Zeit
Kristina Kühnbaum-Schmidt, die auch Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB) ist, würdigte die Bedeutung der Gemeinsamen Erklärung. „In einer zuweilen gnadenlosen Zeit, inmitten einer Welt, die unter Kriegen und vielfältigen Formen von Gewalt und Polarisierungen leidet, die die Menschheitsfamilie spalten, ist die Gemeinsame Erklärung ein Zeichen des Friedens und dafür, dass Versöhnung gelingen kann. Der lange und oft nicht einfache Weg zur Gemeinsamen Erklärung kann deshalb auch ein Modell dafür sein, wie in einer zerrissenen Welt Wege zu Versöhnung auch nach heftigen gegenseitigen Verwerfungen beschritten werden können. Oder: Wie es gelingen kann, in einer gnadenlosen Zeit auf die Kraft der Gnade zu vertrauen, sie wirksam werden zu lassen und so wirklich menschlich zu leben“, so die Landesbischöfin. Und sie zieht, so geht aus vorab bekannt gewordenen Auszügen aus ihrem Impuls hervor, Parallelen in unsere heutige Gesellschaft, in der sich viele Menschen überfordert fühlen, da von ihnen ständige Leistung und Perfektion erwartet wird. Der christliche Glaube biete, so Kristina Kühnbaum-Schmidt einen anderen Blick: „Das meint Rechtfertigung. Nicht wir müssen uns selbst rechtfertigen, sondern Gott rechtfertigt uns. Obwohl wir alles andere als perfekt sind, obwohl wir uns immer wieder in gnadenlose Zerstörungen verstricken, stellt Gott uns dafür nicht ins Aus. Sondern trotz unserer schuldhaften Verstrickungen im zwischenmenschlichen Bereich, gegenüber der Umwelt, in sozialer Ungerechtigkeit, in verpasste Gelegenheiten und lieblose Abstumpfungen hinein – trotz und angesichts all dessen eröffnet Gott uns neue Anfänge.“
Das Leben ist das größte Geschenk
Auch Erzbischof Dr. Heiner Koch zieht, wie aus vorab veröffentlichen Auszügen seines Impulses hervor geht, Parallelen von der Reformationszeit vor 500 Jahren zum Heute. „Das Leben selber, es ist das größte Geschenk! Niemand von uns hat sich selber ins Leben gesetzt. Die Liebe unserer Eltern, sie wurde uns geschenkt. Und welche traumatischen Folgen kann es auslösen, wenn Kinder vermittelt bekommen, sie müssten sich diese Liebe durch Wohlgefälligkeit und Angepasstheit verdienen“, so Erzbischof Dr. Heiner Koch und fragt weiter: „Die Grundlagen unseres Lebens, die Ressourcen unserer Erde, sie wurden ohne unser Zutun in unsere Hände gegeben. Doch wie gehen wir mit diesem Geschenk um?“
An der Seite der Schwachen, die nicht mithalten können
Der traditionelle Reformationsempfang beginnt um 17 Uhr mit einem geistlichen Impuls in der Katholischen Kirche Heilige Dreifaltigkeit Stralsund (Frankenwall 7, 18439 Stralsund). Die Präses der Landessynode der Nordkirche, Ulrike Hillmann, betont, dass beide Konfessionen angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in einer zunehmend säkularen Welt gemeinsam unterwegs sein können. „In einer weltweiten Gemeinschaft ebenso wie in der Heimat füreinander einzustehen, ist vor allem bedeutsam für die Schwachen, die nicht mehr mithalten können, die unterzugehen drohen. Ich bin davon überzeugt, dass dies eine wesentliche, wenn nicht die wichtigste Aufgabe der Kirchen überhaupt ist“, so Präses Hillmann.
Gemeinsam unterwegs
Anschließend folgen die Teilnehmenden des Reformationsempfanges dem Motto des Abends und pilgern gemeinsam mit der Ökumenischen Pilgerinitiative Vorpommern in die Kulturkirche St. Jakobi (Jakobiturmstraße 28a, 18439 Stralsund / barrierefrei). Für Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche, ist dieser gemeinsame Weg mehr als symbolhaft. „Wie schön, dass wir den Reformationstag heute so selbstverständlich evangelisch und katholisch feiern. Das könnte ein Impuls sein für unsere auseinanderdriftende Gesellschaft, dass es besser ist, gemeinsam unterwegs zu sein, als sich gegenseitig zu bekämpfen“, so Jeremias. „Es gehört zu den Schattenseiten der Religionen, dass sie zum Vorwand für Auseinandersetzungen, Unterdrückung und Kriege verwendet wurden und werden. Die Gemeinsame Erklärung hat es geschafft, jahrhundertelange Gräben zu überwinden, ohne die je eigene Position zu verleugnen“, betont der Bischof. Der Abend klingt mit Gesprächen beim Imbiss aus.
Hintergrund Rechtfertigungslehre
Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die vor 25 Jahren von der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche unterzeichnet wurde, ist eines der bedeutendsten Dokumente in der Geschichte des Christentums. Die Gemeinsame Erklärung des Lutherischen Weltbundes und des Heiligen Stuhls markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Versöhnung und Überwindung von Differenzen, die seit der Reformation im 16. Jahrhundert bestanden.
Wie wird der Mensch vor Gott gerecht?
Martin Luther sowie weitere Frauen und Männer der Reformation vertraten die Ansicht, dass der Mensch allein durch den Glauben und die Gnade Gottes gerechtfertigt wird – nicht durch eigene Werke. Die katholische Kirche hingegen betonte, dass der Glaube zwar grundlegend sei, aber auch gute Taten notwendig seien, um Gott gnädig zu stimmen. Die Kritik der Reformatoren richtete sich zu ihrer Zeit besonders gegen den Ablasshandel (Verkauf von Ablassbriefen, die im Namen Gottes die Sünden der Käufer begnadigen). Die unterschiedlichen Auffassungen über die Frage, wie der Mensch vor Gott gerecht wird, standen jedoch noch jahrhundertelang einer Verständigung zwischen beiden Kirchen im Wege.
Gemeinsames christliches Kernverständnis
Die Gemeinsame Erklärung von 1999 stellt einen Durchbruch dar, weil beide Kirchen sich auf ein gemeinsames Kernverständnis der Rechtfertigungslehre einigen konnten. Sie bekräftigt, dass der Mensch allein durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wird – und zwar durch den Glauben, nicht durch eigene Verdienste. Gleichzeitig wird anerkannt, dass der Glaube den Menschen dazu inspiriert, gute Werke zu tun, wobei ebenfalls Übereinstimmung darin besteht, dass sich der Mensch sein Seelenheil durch nichts „erkaufen“ kann
Beispielgebend für Konfliktlösung
Diese Erklärung ist deshalb so bedeutend, weil sie über den theologischen Diskurs hinaus zeigt, dass selbst in scheinbar ausweglosen religiösen Konflikten ein Dialog und eine Verständigung möglich sind. Diese Einigung gilt als starkes Zeichen für den gemeinsamen Glauben beider Kirchen an die versöhnende Kraft Gottes und ihre Einheit durch Jesus Christus. Sie steht als Beispiel für die friedliche Annäherung und Zusammenarbeit zwischen ehemals verfeindeten Glaubensrichtungen.
Zustimmung weitere christlicher Weltgemeinschaften
Seit der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Augsburg haben drei weitere christliche Weltgemeinschaften ihre Übereinstimmung mit dieser bekundet: 2004 der Weltrat methodistischer Kirchen und im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 die Weltgemeinschaft reformierter Kirchen und die Anglikanische Weltgemeinschaft.
Hinweise an die Redaktionen
Fotos vom Reformationsempfang können Sie zeitnah am Abend des 31. Oktober 2024 im Pressebereich auf nordkirche.de herunterladen. Die Verwendung der Fotos für Ihre Berichterstattung ist bei Nennung des angegebenen Fotocredits für Sie frei.