Lebensmittel verdienen unseren Respekt
07. Oktober 2018
Landeserntedankfest, Predigt zu Jesaja 58,7-11
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
In diesem Jahr waren meine Gedanken noch häufiger als sonst bei unseren Landwirten. Fast jeder Wetterbericht eine neue Enttäuschung: Wieder kein Regen! Von Tag zu Tag wurden die Folgen der Dürre sichtbarer. Wo sonst volle Ähren im Sommerwind wogten, war die Kargheit auch für landwirtschaftliche Laien wie mich zu erkennen. Man begann zu ahnen, wie verzweifelt es zum Beispiel in einigen afrikanischen Ländern zugehen muss, wenn mitunter jahrelang kein Tropfen Regen fällt…
Ich weiß, manche bei uns haben eine gute Ernte eingefahren – bei Obst etwa oder wem in den Küstenregionen der Morgentau zu Hilfe kam. Aber nach schwierigen Vorjahren hat dieses Dürrejahr zur Folge, dass nicht wenige Betriebe in ihrer Existenz bedroht sind. Lasst uns die Sorgen dieser Menschen an diesem Tag nicht vergessen! Mit ihnen zu fühlen, ihnen nach unseren Möglichkeiten beizustehen und sei es dadurch, dass sie bei uns ein offenes Ohr für ihre Sorgen finden – darauf kommt es an. Die Kirchenkreise Mecklenburg und Pommern haben daher ihre Kirchengemeinden aufgerufen, betroffenen Pächtern auf Antrag die Pachten zinslos zu stunden. Ein Zeichen der Verbundenheit.
Schwestern und Brüder, dieses Jahr hat deutlich gemacht: Gute Ernten sind keine Selbstverständlichkeit! Nach wie vor ist es ein Grund zur Dankbarkeit, wenn wir genug zu essen haben. Die fachkundige Arbeit der Menschen, die in Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion tätig sind, und gutes Wetter und Gottes Segen müssen zusammenkommen. So können wir selbst in diesem schwierigen Jahr froh und dankbar sein, nicht auf eine Hungersnot zuzugehen.
Es wird wichtig sein, aus den Erfahrungen dieses Jahres die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dabei denke ich nicht nur an die Züchtung dürrebeständiger Sorten, sondern auch und vor allem an den Klimawandel und wie wir gegensteuern können – persönlich wie als Gesellschaft. Doch heute ist der Tag des Dankens und des Feierns. Das wollen wir tun.
Wie kann unsere Dankbarkeit Ausdruck finden?
Manches kommt mir in den Sinn: Die Haltung der Ehrfurcht vor Lebensmitteln beispielsweise! Ich werde nicht vergessen, wie meine Mutter es nicht ertragen konnte, als wir Kinder einmal beim Aufdecken des Abendbrots herumdallerten und das große Brotmesser in den Brotlaib stießen. Nach der Flucht hatten sie und ihre Familie gehungert. Seitdem war Brot etwas Kostbares, wenn nicht gar Heiliges, mit dem man kein Schindluder trieb. Vielleicht müssen wir nicht Lebensmittel ‚lieben‘, wie manche Supermarktkette es werbewirksam vorgibt. Aber Lebensmittel verdienen unseren Respekt – aus Respekt vor all jenen, die dieses Essen produziert haben, aus Respekt vor dem Segen, ohne den es diese Nahrung nicht gäbe, aus Respekt davor, dass es noch immer nicht für alle Menschen dieser Erde genug zu essen gibt. Das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln in unserem Land dagegen ist ein Skandal.
Dankbar zu sein, kann auch heißen, das eigene Herz weit werden zu lassen und für Menschen in Not da zu sein. „Den Hungrigen dein Herz finden lassen“, nenntJesaja das – und verheißt nicht weniger als Verwandlung des Lebens durch Gott:
„Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ (Jes 58, 10f)
Letztlich geht es bei allen Problemen um konkrete Menschen, um das, was sie bewegt und was sie in ihrer Entwicklung fördert oder hemmt. Ich denke zum Beispiel an Kevin, zehn oder elf Jahre alt. Er lebt in Rostock-Toitenwinkel, in der ‚Platte‘. In der dortigen Kirchgemeinde gibt es eine Begegnungsstätte namens „Fischkutter“, wo Kinder ein warmes Mittagessen bekommen und ihre Freizeit sinnvoll gestalten können. Auch Kevin geht regelmäßig dahin. Eines Tages sagte Kevin zu einer Mitarbeiterin:
„Ich finde es toll, dass es euch gibt. Und immer was zu essen. Nur eins ist blöd. Dass ihr schon um 18 Uhr zumacht.“
„Warum ist das blöd?“, fragte die Mitarbeiterin zurück.
„Na ja“, antwortete Kevin, „meine Mutter sagt: ‚Trau dich ja nicht, vor 20 Uhr nach Hause zu kommen. Du gehst mir auf die Nerven.’“
Was ist das für ein Leben für diesen Jungen – der sich herumtreiben muss und erst spät nach Hause kommen darf, weil die Mutter seine Gegenwart nicht erträgt – und morgens ist der Kühlschrank leer, weil der hungrige Bruder nachts das bisschen, was da war, aufgegessen hat?!
Und was ist das für ein Leben für die offenbar völlig überforderte Mutter? Was hat sie so werden lassen, dass sie ihrem Kind die lebenswichtige Wärme nicht gibt, vielleicht nicht geben kann? Wie muss sie sich betäuben, um dieses Elend zu ertragen…
Es ist eine Aufgabe unserer gesamten Gesellschaft, dass alle Heranwachsenden gute Startbedingungen für ihre Entwicklung haben – nicht nur eine Aufgabe für politisch Verantwortliche. Gewiss, Kinderarmut und Bildungsverlierer sind Herausforderungen, denen auch durch bessere politische Rahmenbedingungen begegnet werden muss. Doch Menschen wie Kevin und seine Mutter haben Nachbarn. Sie brauchen Menschen, die sich ihnen im Alltag zuwenden und Anstöße für ein besseres Leben geben.
Zugleich – und darauf kommt es mir an – geht es bei all dem nicht nur um Ansprüche, denen wir gerecht werden sollen. Vielmehr, für Jesaja ist es voller Verheißung, sich dieser Verantwortung zu stellen:
Manchmal sagt eine Stimme in uns: ‚Du bist viel zu wenig, was kannst du schon tun’. Schwester, Bruder, das ist nicht wahr, du bist wichtig! Es ist gut, dass es dich gibt. Du wirst gebraucht, dein offenes Herz, dein phantasievoller Geist, dein Gerechtigkeitssinn. Es kommt auf dich an, auf jede und jeden von uns. Keine falsche Bescheidenheit! „Dein Dunkel wird sein wie der Mittag.Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“
Manchmal sagt eine Stimme in uns: ‚Gott hat kein Ohr, Gott ist stumm’: Das ist nicht wahr, du wirst gehört werden! Sicherlich: Gott erfüllt nicht all unsere Wünsche. Aber er steht treu zu seinen Verheißungen. So gehen unsere Gebete nicht ins Leere, sondern sind gut aufgehoben bei ihm. Wenn Gott antwortet, dann erschallt da keine Donnerstimme aus dem Off. Doch auf einmal ist da ein Einfall, der weiterhilft, oder der Vorschlag eines Freundes, der einen Weg zeigt – und Gott hat mich nicht im Stich gelassen. So verstehe ich es, dass der Prophet sagt: „Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten.Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“
Manchmal sagt eine Stimme in uns: ‚Finde dich ab damit, du bist ein Niemand’: Das ist nicht wahr, du wirst einen Namen haben! „Du sollst heißen: Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen kann. Du wirst nicht verschwinden im Grau der Anonymität. Du wirst erkennbar sein. Wofür zu leben sich lohnt, wirst du wissen. Dein Name wird vielleicht nicht berühmt sein. Aber es wird ein guter Name sein – der Erde verbunden, dem Leben zugetan, zu tun, was Not ist: zu heilen, was gespalten oder gar zerbrochen ist; dass Menschen Wege zueinander finden; zusammen zu halten, was zusammen gehört! „Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Wenn das keine Aussichten sind!
Auch auf diese Weise können wir unsere Dankbarkeit erweisen: Ob in politischer Verantwortung oder als schlichte Bürger – es kommt auf uns an. Wo wir hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, uns einsetzen für die Bewahrung der Schöpfung – wir werden gehört werden. Wir werden einen Namen haben – vielleicht nicht immer bei den Menschen, aber verbürgt bei Gott.
Amen.