26. Januar 2021 | Greifswald/Kiel

Erster Nordkirchen-Kunstwettbewerb

26. Januar 2021 von Tilman Jeremias

Laudatio

Liebe Künstler*innen, liebe Kirchensleut, liebe Gäste,

es ist mir eine große Freude und eine hohe Ehre, heute hier sprechen zu dürfen. Gern wäre ich allerdings besonders Ihnen, liebe Künstler*innen, auch persönlich und analog begegnet, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen über Ihre Werke.

Ich beginne mit dem Dank. Und der gebührt zunächst Ihnen, den zahlreichen Kunstschaffenden, die Sie sich am Wettbewerb beteiligt haben. Wie schön, dass Sie dabei waren und sind! Sie haben uns buchstäblich die Augen geöffnet und eine neue Perspektive auf die Krise ermöglicht. Aus verschiedenen Ihrer Werke ist mehr oder weniger direkt zu erkennen, wie sehr die Coronakrise auch eine Kulturkrise ist, mit geschlossenen Ateliers, Ausstellungsräumen, Museen und Theatern. Und mit existenzbedrohenden Folgen für zahlreiche unter Ihnen und Ihre Kunst. Umso wichtiger, gerade diese tiefgehende Krise selbst Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung werden zu lassen! Und wir haben von Ihnen eine enorme Fülle an Deutungen bildender und darstellender Kunst erhalten, emotionale und mentale Eye-Catcher. Vielen Dank dafür!

Ebenso herzlichen Dank möchte ich aber auch Euch Initiator*innen des Wettbewerbs sagen. Ihr, Maria Pulkenat aus dem Zentrum Kirchlicher Dienste in Rostock, und Luise Klafs und Matthias Wünsche vom Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche, habt diesen Wettbewerb konzipiert, ausgeschrieben und organisiert. Ihr wart dabei selbst kreativ tätig in der Krisenreflexion. Ihr habt gezeigt, in welch fruchtbaren Dialog Kirche und Kunst eintreten können, wenn sie beide nah dran sind an den Menschen unserer Zeit und deren Nöten. Und ihr habt auch den heutigen Tag hervorragend organisiert.

Auch den weiteren Mitgliedern der Jury, Frauke Lietz und Ruzica Zajec, möchte ich herzlich danken. Die virtuellen Treffen unserer Jury haben mir große Freude bereitet mit den intensiven Debatten über die Kunstwerke, der erheblichen Qual der Wahl unter den über 60 Einsendungen, mit unseren Deutungen der künstlerischen Deutungen. Euch allen vor allem Dank für den anregenden, spannenden Austausch!

Zu Beginn der Coronakrise im März 2020 wurde uns als Kirchen und der Theologie Sprachlosigkeit vorgeworfen, und das sicher mit gewissem Recht. Zu hören waren und sind in endlosen Zahlenketten und Analysen die führenden Virolog*innen, in immer neuen Maßnahmen die Politiker*innen der Exekutive. Uns allen anderen scheint die Rolle zuzukommen zu lauschen und zu folgen. Und tatsächlich: Wir als Kirchen tun uns schwer mit vollmundigen Deutungen der Krise. Am ehesten kommt uns der abgrenzende Satz über die Lippen, anders als bei der mittelalterlichen Pest könnten wir heute nicht mehr davon reden, Gott schicke die Pandemie als Strafe für unser sündhaftes Leben. Was aber stattdessen? Hat Gott etwa mit dem Virus nichts zu tun? Dann würden wir seine Belanglosigkeit für unsere konkrete Geschichte behaupten. Warum aber schickt Gott das Virus oder lässt sein Wüten wenigstens zu? Bekommen wir gerade erbarmungslos die Grenzen modernen Machbarkeitswahns aufgezeigt? Ist Corona ein einziger Aufruf zu ökologisch-nachhaltiger Umkehr? Oder ist es einfach eine Krankheit wie jede andere, die möglichst effektiv mit medizinischer Wissenschaft bekämpft gehört?

Warum schließlich all das Leiden und Sterben, die Einsamkeit, die Einschränkungen, die ökonomische Not, die Verschärfung globaler Ungerechtigkeit?

Kirche und Theologie reden und deuten mittlerweile wortreich, aber nach meiner Beobachtung eher tastend, stotternd, fragend.

Und erweisen sich gerade darin als anschlussfähig für künstlerische Hermeneutik. Oder anders gesagt: Wo unsere Sprache sichtlich an ihre Grenze kommt, helfen kreative Ausdrucksformen. Ich weiß, ich weiß, schon Künstler*innen nach einer Deutung zu fragen, ist heikel. Soll doch ein Kunstwerk durch sich selbst sprechen und freien Interpretationsraum erschließen. Aber Kunst ist eben immer auch ästhetische Reaktion auf das Zeitgeschehen. Nicht wenige Ihrer Einsendungen enthielten neben dem Werk selbst Reflexionen über die Krise, über das Verhältnis von Kunst und Religion oder Deutungsansätze für die Arbeit selbst. So spricht Ihre Kunst in unsere Krisenzeit, nachdenklich, tiefsinnig, aufrüttelnd- provozierend, aber auch tröstlich-hoffnungsvoll, humorvoll-überraschend.

Wir als Betrachter*innen werden durch die Rezeption der erlebten Kunst selbst zu Deutenden. Anhand und mittels der Betrachtung erschließen sich neue Zugänge zur als krisenhaft erfahrenen Gegenwart. Unsere Wahrnehmung, die Aisthesis, die Ästhetik, hilft uns einzuordnen und zu verarbeiten.

In diesem Sinn noch einige kurze Bemerkungen zu unseren drei Haupt-Preisträger*innen. In diesem Sinn will sagen: Es sind Andeutungen der eigenen Wahrnehmung und der der Jury, die niemals beanspruchen wollen oder können, der gewollten Deutung von Ihnen als Künstler*innen nahe zu kommen:

„Sie tanzen“ von Achim Kirsch und Stina Kurzhöfer: Wie schön, dass hier die Kunstform des Tanzes begegnet und damit intensivste Leiberfahrung in Zeiten der digitalen Entleiblichung und Distanz! Bizarre Tier-Mensch-Wesen schweben graziös durch den Raum, faszinierend technisch projiziert. Tänzerisch-leicht nehmen sie uns mit hinein in Berührungen und Begegnungen in Zeiten der Abstandsregelungen, indem sie einander immer wieder nahe kommen, einander zufällig begegnen und sich wieder trennen. Eine Choreographie zur tanzenden Aufhebung der verordneten Distanz.

„Dys-tanz“  heißt die Arbeit von Shirin Goldstein und Marc Wiesel. Der Natodraht ist drastisches Symbol der Gefangenschaft in erzwungener Isolation. Doch in der Performance kommt diese Isolation in Bewegung, Hände durchbrechen das Gefängnis und bekommen in der Spiegelung segnenden Charakter. Gedankensplitter verdeutlichen die gemeinsamen Aufgaben von Kunst und Religion in Krisenzeiten.

Schließlich Bernd Englers „Waiting for Easter“: Sein kinetisches Kunstwerk legt nahe, dass die Krise sich auch in unserem Kopf abspielt. Die schwarzen Kabelbinder als Symbole der Angst- und Todesgedanken versuchen in einem ständigen Kampf, die bunten Ostereier als Hoffnungszeichen zu unterdrücken. Doch diese ploppen immer wieder hoch, lassen sich buchstäblich nicht unterkriegen. Welch starkes Bild der Hoffnung! Ostern als Chiffre für neues, unbeschwertes Leben, auf das zu warten sich allemal lohnt.

Herzlichen Glückwunsch für diese in unseren Augen gelungenen Beispiele, die Krise künstlerisch zu deuten, ideenreich, bildstark, voller Humor und Nachdenklichkeit! Ebenso herzlichen Glückwusch aber auch Ihnen, liebe Frau Hoffmann, für den Jurypreis, und allen anderen Teilnehmenden, die uns die Entscheidung so schwer gemacht haben!

Als Kunst und Kirche sitzen wir im gemeinsamen Krisenboot, zwischen Verzweifeln und Hoffen, Schmerz und Trost, verordneter Passivität und Aktionismus, zwischen Erschöpfung und Aufbruch, Erschrecken und Zuversicht. Dieser Wettbewerb war und ist für mich eine Sternstunde im gemeinsamen Deuten. Es zeigt sich: Wir brauchen einander. Religion ohne Kunst ist leblos. Kunst ohne die tiefen religiösen Lebensfragen bleibt oberflächlich. Lasst uns in Kontakt bleiben, im Dialog, in Streit und Spiel, und einander so immer wieder bereichern!

Ich danke Ihnen.

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