Lebenswasser für die Durstigen
08. Oktober 2015
Predigt über Johannes 7, 37-39 anlässlich der 107. Generalversammlung des Ev. Bundes in Greifswald
Johannes 7, 37-39: Am letzten Tag, dem Haupttag des Festes, trat Jesus auf und rief laut aus:
„Wer Durst hat, soll zu mir kommen;
und es trinke, wer an mich glaubt!“
So, wie die Schrift sagt: „Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Leib fließen.“ Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn es gab noch keinen Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 107. Generalversammlung des Ev. Bundes, liebe Gemeinde!
Gerade ist Erntedank gefeiert worden. Auch das Judentum feierte eins seiner drei Erntefeste, das Laubhüttenfest. Jesus trat damals auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem auf. Es ist ein ausgelassenes Erntefest im Herbst, im September oder Oktober. Es ist geprägt von einer solchen ausgelassenen Freude, das ein Traktat des Talmud sogar sagen kann: „Wer das Laubhüttenfest nicht kennt, hat sein Lebtag keine Freude gesehen.“ (Sukka 5,1).
Eine vielfache religiöse Symbolik zeichnet es aus. Dazu gehörte auch, dass täglich Priester aus dem Teich Siloah Wasser schöpfen, es in einer Wasserprozession feierlich durch die Altstadt Jerusalems zum Tempel hinauftragen, es vor dem Brandopferaltar ausschütten und dabei für die kommende Regenzeit reichlich Regen und den unbegrenzten Segen für die zukünftige Heilszeit erbitten. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Wasser ist der Schlüssel zur Fruchtbarkeit. Wir Menschen sind auf Wasser angewiesen. Ohne Wasser können wir es nicht lange aushalten.
In der Stadt Jerusalem hat es zu dieser Jahreszeit seit 6 Monaten nicht mehr geregnet. Menschen und Landschaft dürsten nach Wasser. Da tritt Jesus in der Art alttestamentlicher Propheten auf und ruft laut in die Menge: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen, und es soll trinken, wer an mich glaubt!“ Hier ist einer von einem großen religiösem Selbstbewusstsein erfüllt. „Ihr habt Durst, eure Sehnsucht geht nach Gott. Ich kann sie euch erfüllen.“ Das ist unglaublich. Das ist ganz heiß – „heiße Religion“ wie der Berliner Philosoph Rüdiger Safranski sagen würde.
Aber das ist ganz anders als bei uns. Wir sind „heißer Religion“ gegenüber vorsichtig geworden. Der Zeitgeistanalytiker Safranski behauptet, der christliche Glaube, zumindest bei uns in Deutschland, sei mittlerweile zu einer so genannten „kalten Religion“ geworden. Heiße Religion sei heute zum Beispiel der gelebte islamische Glaube, selbst in seinen extremen und perversen Formen, die die westliche Welt aufschrecken. Aber auch in seinen moderaten Formen ist der Islam höchst lebendig. Er kommt uns immer näher. Nachdem wir in unserem Bundesland schon längst eine Reihe von islamischen Gebetsräumen haben, haben nun die Planungen für den Bau einer großen und imposanten Moschee in Rostock begonnen.
Seht, sagen die Religionsanalytiker, der christliche Glaube mag ja in Afrika oder Asien und Südamerika ausgesprochen lebendig sein, bei uns ist aus ihm das Leben gewichen. Da bleibt das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sinnzusammenhang. Aber ist es nicht so, wie Rüdiger Safranski sagt: „Die großen Kirchen leeren sich, aber das Angebot für den religiösen Hobbykeller wächst.“[1] Kalte Religionen faszinieren nicht mehr. Sie haben die Abkühlung innerlich akzeptiert. Sie haben sich auf das „Gesellschaftsdienliche herunterkühlen lassen“. Sie wissen auch nicht, wie man in einer pluralistischen Welt überzeugend den eigenen Werten folgen kann, ohne andere herabzusetzen, und geben sich deswegen eher neutral. In kalten Religionen ist der Glaube Privatsache. Es entwickeln sich Eigengesetzlichkeiten und die Werte, die im Raum der Religion gelten, sind andere, als die, die im Raum der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik gelten. Aber als kalte Religion geht es dem Glauben schlecht. Safranski beschreibt die Glaubenswelt der kalten Religion als „ein Gemisch aus Sozialethik, institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik, Museumsdienst, Kulturmanagement, Sozialarbeit“[2].
Ganz anders Jesus, der alle, die einen metaphysischen Durst haben, zu sich ruft. Er, der Glaube an ihn, wird diesen Durst stillen. „Du suchst Geborgenheit, Sinn und Ewigkeit? Ich gebe es dir.“ Er sagt ja nicht weniger als dies: „Die Sehnsucht, die dich umtreibt, ich kann sie dir stillen. Die Leere und das Burn-out, die dich so zerschlagen sein lassen, ich kann sie dir füllen.“
Das ist heiße Religion! Da steht einer mitten in einem tosenden, tollen religiösen Tumult und lenkt alle Aufmerksamkeit auf sich. „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ Kann denn ein Mensch so etwas sagen? Natürlich sind wir in dieser Welt umher getrieben, suchen nach Geborgenheit und haben manches Mal auch Angst vor dem, was kommen mag, in unserm persönlichen Leben, im Leben unserer Liebsten und allgemein im Weltenlauf. Und Jesus steht da und verspricht: „Ich kann euch Ruhe geben für eure aufgeschreckten Seelen. Aber du musst schon empfinden, dass dir etwas fehlt.“ Die Selbstzufriedenen und Satten werden sich nicht angesprochen fühlen. Jesus sagt: Wen da dürstet, der soll kommen und trinken. Wir müssen es niemandem andiskutieren, dass er ja eigentlich auch Durst hat und es nur noch nicht gemerkt habe. Der Schöpfer hat seine Menschen so geschaffen, dass sie das höchste Glück, Erlösung, nur in seiner Nähe erfahren. Wer aber meint, dessen nicht zu bedürfen, dem ist – zumindest im Moment – nicht zu helfen. Die Erlösung schmecken, trinken, kann auch nur der, der an Jesus Christus glaubt.
Im Zentrum des christlichen Glaubens steht die Faszination durch Jesus Christus und die unbedingte Erfahrung: „Ich bin gemeint! Ich darf und soll zu ihm kommen und alles das, was mich belastet, niederdrückt, was mich als fehlerhaft und unvollständig mich empfinden lässt. Alles das soll ich und darf ich zu ihm bringen. Wer spürt, dass es mit seinem Leben nicht so läuft, wie es eigentlich laufen sollte. Wer weiß: Ich bleibe unter der Bestimmung, die Gott mir gesetzt hat. Kurz, wer sich als Sünder empfindet, der darf und soll zu Jesus Christus kommen. Jesus nimmt die Sünder an – das ist die Not, aus der heraus er uns helfen will.
Jesus sagt: Alles zu mir! Ich lass euch trinken von der Kraftquelle der Ewigkeit. Ströme lebendigen Wassers stehen euch zur Verfügung. Ich kann euch schon jetzt Anteil geben an Gottes ewigen Geist.
Der Evangelist fühlt sich herausgefordert, dieses gewaltige Prophetenwort Jesu, diesen Heilandsruf zu erläutern. Das Bibelzitat, auf das der Evangelist verweist, ist nicht so leicht zu entschlüsseln. Im Alten Testament wird an verschiedenen Stellen davon gesprochen, dass vom Tempel in Jerusalem ein Strom lebendigen Wassers ausgeht. (In der alttestamentlichen Lesung aus Hesekiel 47 haben wir es gehört.) Dieser Strom ist ein Bild für Gottes belebenden Geist. Und der Evangelist Johannes sagt ja an anderer Stelle, dass Jesus seinen Leib, seinen Körper, sich selbst an die Stelle des jerusalemischen Tempels gesetzt hat. So wie im Tempelkult Israels der Zugang zu Gott eröffnet werden sollte, so soll nun durch Jesus, durch die Beziehung zu ihm, Gott unter uns Wohnung nehmen (vgl. Kap. 2, 21). Aus dieser Kraft des ewigen Gottesgeistes könnt ihr eure Energie schöpfen für euer Tun und Lassen.
Liebe Gemeinde, das ist heiße Religion, die wir hier bei Jesus antreffen. Heiße Religion, wie sie Paulus nach Europa vermittelt. Wer in die Geschichte der Pommerschen Kirche hineinschaut, wird immer wieder auf Zeiten treffen, in denen die Religion auch unter uns sehr lebendig gewesen ist. Als Otto von Bamberg im 13. Jahrhundert das Christentum nach Pommern brachte, und in unsern Städten und Dörfern Jesus Christus verkündigte, in Gützkow und Demmin, in Wolgast und Usedom, da haben die Pommern ihre alte Religion als kalt empfunden und die neue, die ihnen Otto brachte, als heiß erlebt. Und unter dem Zustrom neuer Menschen wurde Pommern etwas Neues, was es vorher nicht gewesen war.
Zeiten heißer Religiosität sind nicht immer Zeiten des Wachstums der Kirche. Kirche kann auch gerade in solchen Momenten durch schwierige Situationen gehen. Ich denke an Dietrich Bonhoeffers Wirken in Pommern in einer schwierigen Zeit. Vor 80 Jahren begann Dietrich Bonhoeffers auf dem Zingsthof sein Modell des Gemeinsamen Lebens zu entwickeln. Auch das war für die Kirche eine schwierige Zeit. Und doch ist daraus so viel Kraft, nicht nur für Pommern, nicht nur für die Evangelische Kirche, sondern auch für die Katholische und nicht nur für die Kirche in Deutschland, sondern in der ganzen Welt erwachsen.
Bonhoeffer hat durch praktizierte Frömmigkeit, durch ganzheitliches Leben in der Nachfolge Jesu die Kraft gewonnen, die Menschen in dieser schwierigen Zeit brauchten, um in Entschiedenheit und Gottvertrauen ihren Weg zu gehen gegen ein menschenverachtendes, rassistisches Regime.
Als Folge lebendig gelebten Glaubens ziehen Menschen Konsequenzen im Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart, z.B. auf die Not so vieler Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Das Evangelium von Jesus Christus ist eine gute Botschaft für die Armen. Wenn wir uns deswegen in unserem Land Heimat schaffen für viele Arme, die als Fremde zu uns kommen, dann sind wir in der Spur dieses Jesus von Nazareth, den wir als Sohn Gottes bekennen. Und unser Land und unsere Kirche wird sich wohl auch unter dem Zustrom vieler Menschen verändern – wenn wir denn bereit sind auch unsere Kirchentüren auf zu machen und viele der Zuwanderer bei uns aufzunehmen.
Heiße Religion lebt nicht nur unter den Massen. Sie kann sich auch der vielleicht zu groß gewordenen Strukturen einer Volkskirche im Übergang zu einer Gemeindekirche bedienen. Unser Bestreben im Wandel unserer Kirche sollte nicht dahin gehen, möglichst viel Bedeutung für unsere Kirche zu erhalten, sondern lebendiges geistliches Leben in ihr zu ermöglichen. Dann wird sich die Bedeutung ganz von alleine einstellen. Auch heute in Vorpommern verhallt der Heilandsruf Jesu nicht ohne Antwort. Menschen werden aufmerksam auf diesen Jesus. Sie lassen sich taufen, keine Massen, aber für jeden einzelnen ist es lebenswichtig. Die Taufe gibt Zugang zu lebendigem Wasser, das Lebenserfüllung und ewiges Leben schenkt. Christen bringen sich ein und verändern ihre Umgebung. Und wir als Evangelische Kirche sind dafür da, dass der Heilandsruf Jesu auch heute unter uns weitergegeben wird: Jesus Christus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen; und es trinke, wer an mich glaubt!“
Amen.
[1] Rüdiger Safranski, Heiße und kalte Religionen. Der Islam verkündet Erlösung, die Christen haben den Glauben ans Jenseits verloren; in: Der Spiegel, Nr. 3 (18. 1. 2010), 119 bis 121, 120.