Licht kam in die Dunkelheit
16. Januar 2015
Festgottesdienst zu 25 Jahre KonsulT der Nordkirche, Predigt zu Jes. 60, 1-5 und Mt. 2, 1-12 „Licht kam in die Dunkelheit“
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Steh auf, werde licht, denn dein Licht kommt und der Glanz Gottes strahlt über dir auf!“
Was für eine wunderbare Verheißung haben wir da eben gehört aus dem 60. Kapitel des Propheten Jesaja – in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache. In der Luther-Bibel ja ganz ähnlich die fundamentalen Stichworte des Glaubens: Steh auf, Mensch! Werde leicht, heiter, fröhlich, frei! Denn – und das ist das Fundament des Glaubens: Dein Licht, dein Befreier, der Messias, Christus kommt – und darum strahlt über dir und aller Welt auf der Glanz Gottes. Dieser Glanz, dieses Glück, diese heilsame Glut Gottes. Ja, natürlich, liebe Schwestern und Brüder, „manche mögen´s heiß“ – wie ehedem Billy Wilder (mit Marilyn Monroe natürlich und anderen) – bei uns Christenmenschen wird es sogar richtig heiß, denn Gott selbst ist: „ein glühender Backofen voller Liebe“, wie Martin Luther sagt (WA 36, 425).
Darum also, weil die Liebe Gottes brennt, weil sie glüht, darum: Steh auf Mensch! Werde licht!
II
Es ist mir eine Freude und auch eine Ehre, unter dieser Verheißung des Propheten und des Epiphanias-Festes heute hier bei Ihnen und Euch von KonsulT dabei zu sein und mit Ihnen und Euch den langen Weg der 25 Jahre Konvents-Arbeit und Konventsinitiativen mit zu feiern. Ja, die Geschichte und Gegenwart Eures und Ihres Kampfes um Anerkennung und Gleichstellung ist eben auch ein eindrückliches Beispiel für die revolutionäre Kraft des Glaubens, der sich speist von dem Brot des Lebens, das da gebacken wird im glühenden Backofen voller Liebe Gottes zu seiner Welt und zu seinen Menschen. Und manchmal oder allzu oft braucht es Menschen, braucht es Gruppen, die mit Kraft und Beharrlichkeit die Isolierungen und Wärmedämmungen um diesen Glutofen beiseite räumen. Denn diese Glut will verschwenderisch sein. „Licht kam in die Dunkelheit“ – dieses Leitwort des Gottesdienstes wird ganz sicher die eine oder der andere von Euch und Ihnen auch ganz persönlich auf sich selbst und auf den eigenen Weg als schwuler oder lesbischer Christenmensch in und mit seiner Evangelischen Kirche beziehen. Ich bin sicher: Da ist auch im Persönlichen die eine oder andere Revolution des Glaubens abgegangen – meist doch mit heftigen Risiken und Nebenwirkungen: mit Ängsten verbunden, mit Brüchen und Verwerfungen und Lebenskrisen. Mit Wut auch und mancher Verzweiflung. Der Konvent hat auch darum eine hoch wichtige, seelsorgerliche Funktion und Aufgabe. Ich bin dankbar und stolz, dass es Euch als KonsulT gab und gibt. Und zwar als Konvent, als Gemeinschaft der Ordinierten, nicht als irgendeine Kampf-Organisation. Sondern als eine Gemeinschaft derer, die gesandt sind, Gottes Wort zu verkündige. Und ich bin stolz und dankbar, dass meine Kirche diesen Konvent in ihrer Mitte hat; bin dankbar für alle jene, die sich vor 25 Jahren auf den Weg gemacht haben, die immer wieder das Thema der homosexuellen Liebe wach gehalten und ihm den nötigen Raum gegeben haben – in einer Zeit, in der dies alles andere als selbstverständlich war. Auch darum gilt festzuhalten an der Verheißung:
„Steh auf, werde licht, denn dein Licht kommt!“
III
Der biblisch bezeugten Strahlkraft des göttlichen Lichts gilt es nachzuspüren – und wir finden sie aufgehoben im Epiphanias Fest: das Fest der Erscheinung Jesu Christi vor aller Welt – seine missionarische Mission als Licht für alle Völker: Gott leuchtet mit seinem Licht – Christus – hinein in unsere Welt, er erwärmt die frostigen Seelen und er richtet die Geknickten auf und die, deren Feuer zu erlöschen droht, entzündet er neu. Wir haben nicht mehr den Jesus im Stall, den wir besuchen können. Aber wir kennen das Licht, das er der Welt ist. Und immer noch können wir ihm folgen, diesem Licht. So taten es die Weisen aus dem Osten in der Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium, die wir gehört haben. Eine ganz eigenständige Weihnachtsgeschichte ist das, wiewohl sie in den Traditionen verschmolzen ist mit der Geschichte um die Krippe im Stall von Bethlehem. Gott kommt in die Welt, weist selbst den Weg. Fremde von weit her, die scheinbar Ahnungslosen und Neugierigen, die Kirchlich-Distanzierten, wie wir Kirchenleute leider allzu oft abqualifizierend reden, sie folgen dem Zeichen und zeigen uns, wo es lang geht.
Wunderbar ist diese Geschichte komponiert um die kontrastreichen Personen herum. Da sind die Weisen, die sternkundigen Leute aus der Ferne, die sich auf den Weg gemacht haben, den neugeborenen König der Juden, den der Stern ankündigt, zu suchen. Und sie gehen nach Jerusalem – natürlich gehen sie in die Hauptstadt, zum Sitz der Schriftgelehrten, die müssen es ja wissen.
Und dann ist da der König Herodes, den die Bibel als machtdurstigen Herrscher beschreibt, der vor der Ermordung der Kinder nicht zurück schreckt, um seine Macht zu erhalten. Die Kunde von der Geburt eines neuen Königs – sie löst bei ihm Entsetzen aus. Herodes kennt die Sehnsucht der Menschen nach dem Messias. Er weiß, dass alle menschliche Macht ihr Ende findet, wenn der Messias die Gottesherrschaft aufrichtet. An dem Arme-Leute-Kind im Stall von Bethlehem endet die Gewalt der Mächtigen. Herodes kennt den alten Psalm, den Maria in ihrem Lobgesang singt von dem Gott, der die Gewaltigen vom Thron stößt, der die Niedrigen erhöht und die Hungrigen speist, die Reichen aber leer ausgehen lässt. Da haben wir sie wieder: die revolutionäre Kraft des Glaubens an den Gott, der die Gerechtigkeit liebt, ja, der selbst die Gerechtigkeit in Person ist.
All das strahlt uns entgegen: „Steh auf, werde licht. Denn dein Licht kommt!“
Da, im Stall von Bethlehem, nicht in den Palästen der Welt, wird der Glaube zur Gewissheit, führt er zur Entdeckung neuen Lebens. Gott zeigt sich, lässt sich finden von denen, die nach ihm suchen und fragen, die sich auf den Weg machen, von seinem Licht sich anziehen lassen.
Hier ist die Szene der Heiligen Nacht angesiedelt: Gott kommt herunter, geht dahin, wo niemand mit ihm rechnet: Durchs Land getriebene Leute, ausgemergeltes Hirtenvolk. Und, wenn ich an die Geschichten denke, die sich ranken um die Weisen aus dem Osten: Alle drei von weit her, alle drei mit Migrationshintergrund. Auch das zeigt: Hier ist nichts mit Abgrenzung und Ausgrenzung! Sondern hier passiert Integration par excellence. Hier wirst Du willkommen geheißen und darfst Dich wärmen am glühenden Backofen voller Liebe!
IV
Und so ist es ja auch in der Geschichte von den Weisen, die der König Herodes losschickt, nach dem Kind zu forschen. Eine Widerstandsgeschichte des Glaubens ist das!
Wie gesagt: Gott durchbricht die Trennungen! Ob er Gender-Grenzen kennt? Oder gar für unüberwindlich hält? Der an ihn Glaubende muss das doch mit Fug und Recht bezweifeln, denn hier jedenfalls ist klar: Gott führt zusammen, was zusammen gehört! Da ist kein Unterschied vor diesem Gott zwischen denen da oben und denen hier unten. Weil er selbst in die Mitte rückt. Jesus gibt die entscheidende Richtung vor, in die unser gemeinsamer Weg zu gehen hat, wohin unsere Füße und Sinne sich auszurichten haben: zu Gott hin – hören, was er sagt; sehen, was er tut; spüren, was er berührt. Auf ihn haben wir unsere Kraft auszurichten, wenn wir Kirche bauen und Gesellschaft gestalten. Nicht haben wir zu hören auf verzagtes Warnen. Wir haben nicht darauf zu schauen, dass wir ja nicht anecken. Wir haben zu fragen: was dient dem Licht der Welt, dass es leuchten kann in der Finsternis?!
Und dann kommt das Schönste an dieser Geschichte: „…und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“ Die, die Gott suchen und finden, werden frei für neue Lebens-Wege. Die Weisen sind ungehorsam, gehen auf Gottes Geheiß hin einen anderen Weg in ihr Land, gehen nicht zu Herodes!
Der Gehorsam gegen Gott führt dann und wann in den Ungehorsam gegen die Macht der Welt; beschreibt und schickt auf einen ganz anderen Weg als gefordert.
V
Liebe Schwestern und Brüder, das ist oft mühsam zu lernen, gewiss. Denn die Wahrheit ist konkret – Gottes Wahrheit auch!
Ich will erzählen die Geschichte von einem in Indonesien geborenen Mann. Er kam Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts in unsere Familie. Mein Großvater, der Exportkaufmann war in der Nachkriegszeit, als die Geschäfte mit Asien wieder blühten, er hatte ihn aus Indonesien sozusagen „mitgebracht“. Er war, als er kam, wohl 18 Jahre alt. Er studierte und lebte mit unserer Familie und war vor allem für meine ältere Schwester und mich ein lieber Freund – und unsere erste Begegnung mit einem Menschen, der „nicht von hier“ war. Er erzählte spannende Geschichten von dem durch die Kolonialisation niederländisch geprägten Indonesien, von Ausgrenzung, Verfolgung usw.
Er war ein kreativer Mann: er malte wunderbare Bilder, entwarf und fertigte Strickmoden – bis heute bestrickt er uns. Er kochte für uns indonesisch und war ungewöhnlich fröhlich und ausgelassen.
Irgendwann fand er den Anschluss an die Kirchengemeinde. Begeistert wurde er aufgenommen im Kreis der Jungen Gemeinde, besuchte Gesprächsabende und Gottesdienste, sang im Chor.
Es dauerte nicht lange, und er ließ sich taufen. Ein frommer, tief im Glauben angekommener Christenmensch mit viel Liebe zu den Menschen in seiner Umgebung.
Eines Tages – ich weiß nicht mehr die Umstände und den Anlass – wurde seine Homosexualität offenbar. Für uns, für meine Schwester und mich und für die meisten in der Familie änderte sich gar nichts. Er blieb der liebe Kerl natürlich, mit dem wir gern um die Häuser zogen. Aber für andere war er plötzlich ein anderer geworden, ein Fremder, ein Aussätziger.
Er war plötzlich unbehaust. Viele von denen, die eben noch stolz waren, ihn in ihrer Mitte zu haben, schnitten ihn. Gerade manche von den Frommen in der Gemeinde ließen ihn links liegen. Er war nicht mehr von allen erwünscht im Gesprächskreis, im Chor. Er war schrecklich allein. Und dass gerade viele seiner engen Christen-Freunde ihn plötzlich reduzierten auf seine Sexualität und ihn ausstießen, hat ihn damals tief getroffen. Er war ausgesetzt den ausgrenzenden Kräften – und das zu einer Zeit, als es den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches noch gab. Die Gemeinde hat sich, so sehe ich das heute klarer als damals, versündigt an ihm.
In der Familie durfte seine Homosexualität nie Gesprächsthema sein. Immerhin war er weiter willkommen. Und er selbst gab seine Liebe zu uns nicht auf. Und er gab seinen Glauben nicht auf. Er wusste: das Feuer des Wortes Gottes ist heller als viele Köpfe in Gesellschaft und Kirche es waren und manchmal sind.
Er ist irgendwann nach Amsterdam gezogen, wo große Teile seiner Familie zu Hause waren. Er hat geheiratet und lebt dort mit seinem Mann. Und immer, wenn es etwas zu feiern gibt in der Familie, sind die beiden dabei, freuen sich mit uns, sind traurig mit uns. Und sie sind Christenmenschen, fromme Leute geblieben, die unterscheiden zwischen dem Wort Gottes selbst und seiner Auslegung und Traditionen.
An ihn muss ich immer denken in allen Diskussionen gegen manch einseitige Auslegung der Bibel, gegen eine Hermeneutik der Abgrenzung. Auch an ihn denke ich, wenn ich an den Kampf der letzten zwanzig Jahre denke um die selbstverständliche Annahme der homosexuell liebenden Menschen – auch im Pfarramt! An ihn denke ich, wenn die Lebensform-Debatten toben, wenn wir wieder und wieder entängstigen müssen sozusagen, hinweisen auf den Gott, der grenzenlos liebt, der den Menschen mit Würde ausstattet, die wirklich unantastbar sein muss. Ihm verdanke ich, glaube ich, dass ich selbst viele Vorbehalte nicht entwickelt habe. Ich liebe diesen Menschen wie er ist und danke Gott, dass er ihn in unsere Familie „geschmuggelt“ hat. Ich weiß, dass Gottes Herrlichkeit in ihm wie in jedem Menschen aufleuchtet: schwarz und weiß; schwul und hetero; Mann und Frau; stark und schwach… - Gott hat uns geschaffen als seine Ebenbilder, allesamt!
Unserem indonesischen Freund hätte so etwas wie KonsulT gut getan: Eure Beharrlichkeit, für Recht und Gerechtigkeit einzustehen. Euer Mut, ganz eigene Wege zu gehen und nicht auf vorbestimmten oder gar fremd bestimmten Kirchen-Wegen zu bleiben. Ja, da war mancher Ungehorsam der Welt und der Kirche gegenüber nötig, damit das Licht, das die Dunkelheit ausleuchtet für alle sichtbar und erhellend scheinen kann.
Ich danke ganz besonders dafür, dass der Stil der Auseinandersetzung nie wiederum ausgrenzend ist, dass jene, die festhalten und ablehnen, nicht verletzt und missachtet werden. Ich danke für den Mut, mit dem KonsulT das Gespräch sucht – gerade in den letzten Jahren – mit denen, die im Zweifel sind. Es ist mit ein Verdienst von KonsulT, dass wir nach der Fusion zur Nordkirche nicht hinter Beschlüsse zurückgegangen sind, die in Nordelbien gefasst worden waren. Es ist mit KonsulT zu verdanken, dass Menschen sich geöffnet haben und in offene Dialoge eingetreten sind.
VI
Wo die menschliche Macht auf die göttliche stößt, wo die Mächtigen sich ergreifen lassen von dem Licht aus der Höhe: da verwandeln sich Pläne. Und so mischt sich der Jesus später immer wieder in die Angelegenheiten der Welt ein. Er erzeugt natürlich Wut und Ablehnung hier und da, er riskiert sein Leben, wie wir wissen. Aber er verändert die Herzen und Sinne so vieler Menschen, zeigt auf die falschen Wege und leuchtet aus die rechten Wege. Und er nimmt die Seinen mit auf gutem Weg.
Die Begegnung mit Jesus, die Erscheinung Gottes in der Welt verändert unsere Wege. Wer Jesus entdeckt, ihn anbetet, wird frei für seine Wege. Ja, er oder sie wird auch frei, Gutes zu tun und das Beste zu suchen, damit unsere Kirche und unsere Gesellschaft allen Menschen dient, niemanden ausgrenzt und diskriminiert. Und so verstanden ist der Weg von KonsulT auch nach 25 Jahren noch überhaupt nicht zu Ende.
Schon gar nicht angesichts der Situation im Land und in der Welt. Ich werde immer unruhig, wenn Leute unterwegs sind, und wenn sie das Spaziergang nennen, die vorgeben, die „Werte des christlichen Abendlandes“ zu bewahren! Wir müssen wachsam sein angesichts des zunehmenden Einflusses rechtskonservativer Kreise.
Ich bin nicht zu vereinnahmen von jenen, die sich sorgen um eine „Islamisierung“ unserer Gesellschaft. Aber ich blicke mit Sorge auf viele islamisch geprägte Gesellschaften außerhalb Europas, in denen Homosexualität unter Strafe, zum Teil unter Todesstrafe steht! KonsulT und wir alle haben in dieser Hinsicht nicht nur Verantwortung für das Leben und den Dienst und die Gemeinschaft in unserer Landeskirche oder in der EKD. Wir haben miteinander Verantwortung über unsere Grenzen hinaus. Und wir sollten das Netzwerk unserer weltweiten Partnerschaften nutzen, für die unantastbare Würde aller Menschen, für die Gleichheit der Ebenbilder Gottes einzutreten. Es gibt auch für und mit Euch noch viel zu tun! Denn auch dazu ruft ja der Prophet Jesaja auf. Der ist ja schließlich nicht betriebsblind oder high vom Hochgefühl der Gottesliebe. Ganz im Gegenteil, seine Sinne sind nicht umnebelt, sondern hellwach. Darum sein Aufruf an uns: „Schau nur: Finsternis bedeckt die Erde und dunkle Wolken die Völkerschaften … Ergebe deine Augen und schau!“ Heilsamer MISS-KLANG (Herrlich – der Name Ihres Chores!) tut not also: Nur Mut, sagt der Prophet – nur Mut, zeigen uns die Weisen aus dem Osten! Amen