18. April 2025 im Schweriner Dom

Predigt am Karfreitag

18. April 2025 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Johannes 19,16-30

I

Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Was, liebe Geschwister der Karfreitagsgemeinde, was ist jetzt eigentlich noch zu sagen und zu tun? Nach all den Schmähungen und all dem Spott, nach all der Gewalt, all dem Schmerz, die dieser Mensch am Kreuz erlitten hat, die ihm von anderen Menschen gezielt und bewusst zugefügt wurden. Ohne Respekt für ein - sein - Menschenleben, ohne Mitleid, erbarmungslos und ausgerichtet auf nichts anders als einen grausamen und schmerzvollen Tod. Was ist jetzt eigentlich noch zu sagen oder zu tun? Das Kreuz ist stumm und macht stumm. Also erschüttert schweigen vielleicht. Oder unsagbares in Stille aushalten. Und dann tief bewegt weggehen, traurig, fragend und doch mit dem Gefühl, das alles nicht aushalten zu können und möglichst bald vergessen zu wollen. Nichts mehr damit zu tun haben. Ende. Aus. Schluss.

Was, liebe Geschwister der Karfreitagsgemeinde, was ist jetzt eigentlich zu sagen und zu tun? Angesichts all der Schmähungen und all dem Spott, angesichts all der Gewalt, all dem Schmerz, den gewaltsamen Toden, die Menschen tagtäglich irgendwo auf unserer gemeinsamen Erde erleiden. Gewalt und Tod, die ihnen von anderen Menschen gezielt und bewusst zugefügt werden. Ohne Respekt für ihr Menschenleben, ohne Mitleid, erbarmungslos.

Was ist zu sagen und zu tun? Erschüttert schweigen? Bewegt weggehen, traurig, fragend und mit dem Gefühl, doch nichts ausrichten zu können. Und deshalb davon nichts mehr wissen und sehen zu wollen. Nichts mehr damit zu tun haben. Ende. Aus. Schluss. Kein Blick mehr aufs Handy, keine Nachrichten, kein Radio, einfach nur Stille. Sendepause. Wobei mir ein Radiomitarbeiter einmal erzählt hat, dass es im Radio auf keinen Fall Pausen, schon gar keine längeren, geben dürfe. Zu lange Stille im Radio mache Zuhörer unruhig, verunsichere sie zutiefst.

II

Also doch besser sprechen und nicht schweigen. Aber was ist heute zu sagen und zu tun? Vielleicht zunächst dies: Das Kreuz und der Karfreitag blieben auch für uns bis heute nichts als stumm und erschütternd, wenn es allein beim Geschehen am Kreuz geblieben wäre. Wenn die Geschichte Gottes mit den Menschen hier einfach an ihr trauriges Ende gekommen wäre. Das Leid in der Welt wie in unserer Nachbarschaft, auch das Leid in unserem eigenen Leben blieben stumm und nichts als erschütternd, wenn es nicht die Sehnsucht nach einem menschlichen, einem guten Leben für alle gäbe. Und Gottes Versprechen, dass es das geben soll und geben wird.

Das Kreuz und der Karfreitag blieben also stumm, wenn sie in Beziehungslosigkeit und Isolation endeten, wenn Miterlebende und Zuschauende, wenn sich daran Erinnernde und des Geschehens Gedenkende auf sich geworfen wären - allein mit dem, was dort geschieht. Aber genau das ist nicht so. Schon der Evangelist Johannes schildert die Kreuzigung als ein vielfältiges Beziehungsgeschehen - ja, ich will es so sagen: als ein Beziehungen stiftendes Geschehen.

Als ein Geschehen, das Menschen, ob sie es wollen oder nicht, zueinander ins Verhältnis setzt, miteinander in Verbindung bringt. Die Soldaten, die Jesus zur Kreuzigung bringen, nehmen und kreuzigen ihn - sie müssen ihn anfassen und festhalten, sie kommen mit seinem Körper, mit ihm selbst in Kontakt. Ob sie je vergessen können, was sie ihm antun?

Jesus wird mit zwei anderen gekreuzigt - er in der Mitte, so berichtet es Johannes. Selbst in diesem grausamen Geschehen kommen zwei Menschen mit ihm in Kontakt, bilden mit ihm eine Gruppe, eine Leidensgemeinschaft - er in der Mitte.

Pilatus, der das Urteil über Jesus spricht, lässt ein Schild anbringen am Kreuz: „Er ist der Juden König.“ Und macht in drei Sprachen öffentlich, welche Bedeutung Jesus zugesprochen wird, wie Menschen sich zu ihm ins Verhältnis setzen - als ihrem König, dem wahren Herrscher über ihr Leben.

Dann sind da die im Kreuzesgeschehen deutlich werdenden Verwandtschaftsbeziehungen: Maria, die Mutter Jesu, die die unmittelbare Verwandtschaft verkörpert, Maria, ihre Schwester, die für die erweiterte Familie steht, und Maria Magdalena, die als nicht unmittelbare Verwandte und Nachfolgerin ebenso wie der Jünger Johannes für den Kreis derer stehen, die um Jesus herum so etwas wie eine neue Familie bilden. Eine neue Familie, die sich nicht über Verwandtschaftsbeziehungen definiert, sondern durch die Beziehung zu Jesus als ihrem Mittelpunkt entsteht. Zwischen diesen Gruppen, seiner Ursprungsfamilie und seiner neuen Familie stiftet Jesus am Kreuz neue Beziehungen. Er verweist seine Mutter und seinen Jünger aneinander - schafft eine neue Gemeinschaft, die aus allen besteht, die sich, warum auch immer, auf Jesus beziehen. Eine Gemeinschaft, die weiß und erfährt, dass alle, die zu ihr gehören, nicht nur aneinander gewiesen, sondern aufeinander angewiesen sind.

Und schließlich: die Beziehung zu Gott. Auch diese Beziehung wird neu, verändert sich. Denn genau dort, wo aus Menschensicht alles hoffnungslos verloren und für immer am Ende scheint, genau dort wird deutlich: Auch hier ist Gott nicht verschwunden. Sondern auch, gerade hier ist Gott gegenwärtig, anwesend, schöpferisch tätig. Am Ort des Gekreuzigten bringt er die Kraft seiner Liebe zur Geltung: schafft aus Tod neues Leben und neue Zukunft.

Nach drei Tagen wird der am Kreuz Getötete von seinen Freunden als lebendig und wirkmächtig erfahren. Mit ihm verbindet sich seitdem die Botschaft: Gott hat Jesus Christus auferweckt - die alles Leben verneinende Macht des Todes hat er besiegt und überwunden. Seit damals bekennen Christen, dass Gottes Liebe stärker ist als Hass, Gewalt und Tod. Kreuzigung und Tod münden in die überraschende Einsicht, dass Jesu Leben nicht in der Beziehungslosigkeit, im Tod, sondern in Gottes Leben, in engster Beziehung zu ihm und mit ihm mündet.

Und was bedeutet das für unsere Beziehung zu Gott? Ich will es so sagen: es macht uns gewiss, dass Gott überall so gegenwärtig ist, wie Jesus es verkündigt hat: als Liebe. Voller Erbarmen. Bedingungslos, neues Leben schaffend. Und vielleicht ahnen wir: Auch in unserem Leben geschieht mehr, als unserem Erleben und unserer Erfahrung zugänglich ist, weil Gott auch in unserem Leben gegenwärtig ist - lebendig, wirkmächtig, rettend.

III

Was, liebe Geschwister der Karfreitagsgemeinde, ist also zu sagen und zu tun? Seht auf das Kreuz hier im Dom, dort oben. Aus dem Kreuz grünt und blüht es - aus ihm wächst neues Leben. Das Geschehen am Kreuz führt Menschen in eine neu verstandene Beziehung zu Gott und zu einer neuen Gemeinschaft zusammen. Zu einer Gemeinschaft, die durch die Beziehung zu Jesus und Gottes schöpferische Liebe geschaffen wird - eine Gemeinschaft, in der es keine Rolle spielt, woher man kommt, wer man ist oder wie viel man im Leben aufzuweisen hat. Eine Gemeinschaft, die sich nicht durch Abgrenzung und Ausgrenzung definiert, sondern als Hoffnungsgemeinschaft für alle. Eine Gemeinschaft, die darauf vertraut, dass Gott diese Welt von Grund auf verwandeln wird - so, dass Tod, Leid und Geschrei ein Ende haben. Mit dieser Zuversicht können wir gelassen und ruhig dafür eintreten, dass unsere wundervolle, verwundete und verletzliche Welt für alle eine gute Zukunft bietet. Dabei soll das, was unser Leben wirklich menschlich, nämlich mitmenschlich macht, nicht verloren gehen: Respekt und Rücksichtnahme, Nächstenliebe, Empathie, Güte und Wohlwollen. Denn sie sind es doch, die unser menschliches Zusammenleben und unsere Gemeinschaft wirklich stärken und schützen. Ich setze darauf, dass wir neu lernen: Nicht das, was wir haben oder womit wir andere klein machen und bedrohen können, macht uns zuversichtlich und gewiss. Sondern die Erfahrung, respektiert zu werden, die Fähigkeit, füreinander da zu sein und einander zu vertrauen, und nicht zuletzt die Liebe, die wir schenken und geschenkt bekommen. Lasst uns am Karfreitag neu verstehen und daraus Kraft und Zuversicht schöpfen: Am Kreuz ist nicht Gott am Ende, sondern der Tod.

Amen.

 

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