16. März 2025 im Schweriner Dom

Predigt am Sonntag Reminiszere

16. März 2025 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Joh 3,14-21

Ich sehe ihn noch vor mir, unseren Griechisch-Lehrer im Studium, damals in Göttingen. Lebhaft, nicht sehr groß, meist in grüner Kleidung, wie frisch von der Jagd, machte er sich jeden Vormittag in der theologischen Fakultät auf die Jagd - nach denen, die ihre griechischen Vokabeln oder ihre Grammatik nicht gut genug gelernt hatten. Wenn er wollte, konnte er einen vor den versammelten Theologie-Studierenden regelrecht jagen durch die grammatischen Formen und die Übersetzungen von Bibeltexten und Kirchenvätern. Nicht wenige von uns hatten deshalb nicht nur Respekt, sondern regelrecht Angst vor den Griechischstunden. Ich muss gestehen, dass ich Glück hatte - die natürlich nur sehr wenigen wenigen Male, die ich nicht perfekt vorbereitet war, hat er es nicht gemerkt.

Bei allem Respekt und mancher Angst, war uns allen aber auch klar: dieser Griechischlehrer wollte, dass wir Theologiestudierenden richtig gut Griechisch lernten, Damit wir wirklich verstünden, was da im griechischen Urtext des Neuen Testamentes geschrieben steht. Damit dann auch wir - und nicht jemand anderes für uns - die Texte des neuen Testamentes verstehen, übersetzen und auslegen könnten. Zugleich war er davon durchdrungen, uns einige Bibelverse sozusagen in Kopf und Herz zu schreiben - als eiserne Ration für geistliche Notzeiten - so oder so ähnlich hat er das ausgedrückt. Es waren nur wenige Verse, die er uns zum Auswendig-lernen auf Griechisch und Deutsch aufgab - die aber mussten sitzen. Perfekt. Manche davon kann ich bis heute, wenn das Griechische auch ein bisschen wackeliger sitzt als damals. Einer dieser Verse, die wir damals auswendig lernten, stammt aus unserem heutigen Predigttext. Auf Griechisch beginnt er so:

ουτος γαρ ηγαπεσεν ο θεός τον κόσμον …Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Ja, dieser Satz ist wirklich so etwas wie eine eiserne Ration, oder wie ein Anker zum Festhalten in schweren Zeiten. Wenn du dir keinen einzigen Satz aus der Bibel merken kannst, aber diesen, dann hast du alles, was du brauchst. Denn in diesem Vers steckt in nuce alles drin, was den christlichen Glauben ausmacht: Gottes unbeirrbare Liebe zu uns Menschen und zu seiner ganzen Schöpfung - also zu uns und allen unseren menschlichen wie nicht-menschlichen Mitgeschöpfen. Gottes Bekenntnis zu Christus als seinem Sohn, der in seinem Namen und mit seinem Leben, seinen Worten und Taten bezeugt hat, wie sich Gottes Liebe für uns und unser Leben zeigt: in Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Güte, Versöhnung und Frieden. Die Hingabe Jesu, der nicht andere, der nicht uns opfert, damit er ein gutes Leben hat, sondern der sein Leben gibt, damit wir das Leben haben. Jetzt und in Ewigkeit. Was für eine große, eine erstaunliche und wunderbare Zusage: Du gehst nicht verloren, was auch geschieht, denn du bist schon längst gerettet und auf immer gehalten in dieser unendlichen und unbeirrbaren Liebe Gottes. Dafür steht Christus mit Leib und Leben ein. Vergiss das nicht - niemals: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Dieser Vers ist auch deshalb von so großer Bedeutung, weil er uns erinnert: es wäre eine tiefgreifende Fehlorientierung unseres Glaubens, wenn wir nur danach fragten, was wir als Christenmenschen tun sollen, ohne danach und zuerst zu fragen, was Gott für uns getan hat.[1] Es geht also darum, Jesus Christus nicht nur und allein als ein Beispiel für ethisch richtiges Verhalten zu sehen, sondern das, was mit ihm und durch ihn geschehen ist, als eine unser Leben von Grund auf verändernde Geschichte zu verstehen und - zu glauben. Also darauf zu vertrauen und nachzuvollziehen, was das bedeuten mag: Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet.

Ja, ich weiß: das sind heute morgen keine einfachen Worte. Und wenn vom göttlichen Gericht oder einem himmlischen Richter die Rede ist, möchten viele vielleicht lieber abschalten: zu schwer, zu rätselhaft, vielleicht auch: zu unbequem. Dabei geht es bei der Rede vom Gericht Gottes und Christus als unserem Richter um gute Nachrichten, ja, um die gute Nachricht, die uns und unser Leben grundlegend betrifft. Ich will es so sagen: Mit dem Gericht Gottes ist zunächst einmal ein klares Ende markiert: Dieses Gericht beendet alles Böse. Es steht sozusagen zwischen der Welt, wie sie jetzt ist und uns Menschen, wie wir jetzt sind und dem Reich Gottes. Im Reich Gottes als allumfassender, göttlicher Liebe, als Frieden, Versöhnung, Barmherzigkeit ist kein Platz mehr für das, was unser menschliches Leben so oft prägt, so oft schwer und unerträglich macht, so oft regelrecht vergiftet. Im Reich der Liebe Gottes ist kein Platz für Machtrausch und Todessehnsucht. Kein Platz für rigorose Selbstbehauptung, die anderen keinen Raum mehr lässt. Kein Platz für Unterdrückung, Elend und Lieblosigkeit, für Hass und Ich-Besessenheit. Damit Gottes Liebe so umfassend gelten kann, muss aber alles das, was ihr im Wege steht, zu Ende gehen. Ein für allemal. Das versucht die Rede vom Gericht Gottes in ein Bild zu fassen.

In diesem Gericht und vor dem liebenden Gott lässt sich nicht verbergen, wie wir wirklich sind. Wir müssen es auch nicht mehr verbergen, nicht einmal mehr vor uns selbst. Denn: wenn es einen Ort gibt, wo ungeschminkt und ungefiltert zur Sprache kommen und angesehen werden kann, wer und wie wir sind, dann ist es vor Christus, der uns unbedingt und vorbehaltlos liebt. Denn Christus unterscheidet und trennt uns von dem, was wir Liebloses getan haben. Darauf zu vertrauen, das zu glauben, das anzunehmen als eine Wahrheit über uns und unser Leben, das macht den Glauben an Christus aus. Und das hat schon jetzt lebensverändernde Wirkung, in mehrfacher Hinsicht:

Zum einen lässt es uns ansehen und anerkennen, was lieblos ist an unserem Verhalten. Und hilft, das zu bereuen und es zu beenden, dafür um Vergebung zu bitten, und neu anzufangen. Zum anderen lehrt es uns zu unterschieden zwischen gut und böse, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Licht und Finsternis. Denn beides, Gutes und Böses, gibt es ja in dieser Welt, in unserem Leben, und die Möglichkeit zu beidem gehört zu jeder und jedem von uns. Was aber ist das Böse? Der Theologe Ingolf Dalferth beschreibt es so: „Alles, durch das Menschen verletzt, gedemütigt und erniedrigt werden, wodurch Leid geschaffen, Leben geschädigt und zerstört und Lebensmöglichkeiten vorenthalten oder vernichtet werden, das ist böse. Und alles, was dem entgegenwirkt, ist gut.“ Im Prüfen und damit im Unterscheiden von gut und böse besteht die immer neue Herausforderung für uns und unser Leben.

Deshalb: Bleibt bei der Wahrheit. Lasst der Lüge keinen Raum. Tretet ein für Gerechtigkeit: Habt ein Auge auf die, die an die Seite gedrängt und sprachlos gemacht werden. Sprecht für sie, reicht ihnen die Hand, teilt mit ihnen, was ihr habt. Vergesst nicht, Visionen und Bilder des Friedens zu suchen, stärkt das Miteinander unterschiedlicher Menschen hier bei uns, sucht und bleibt im Kontakt mit Menschen in anderen Ländern. Lasst nicht zu, dass Feindbilder wachsen und Kriege heraufbeschworen werden. Haltet euch in allem fest an Gottes Wort, wie es Jesus Christus verkörpert hat. Lasst ihn die entscheidende Orientierung für Herz und Hand und Tat und Leben sein. Und vergesst nicht: dabei ist keine und keiner von uns allein. Wir Christ:innen sind eine weltweite Gemeinschaft. Niemand möge die Kraft unterschätzen, die von dieser Gemeinschaft ausgehen kann: von Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Versöhnung. Denn Empathie, Warmherzigkeit, der Blick und das offene Herz für die Not von Anderen sind alles andere als überholt oder überflüssig - im Gegenteil, sie sind das, was wir von dem lernen, dem wir nachfolgen, von dem wir erzählen und der dabei an unserer Seite ist: Jesus Christus, höher als alle Mächte und Gewalten.

Und dann: Leben in einer grundlegenden Haltung der Hoffnung. Und zwar der Hoffnung, dass der Weg zu Gottes Fülle unumkehrbar ist: Frieden, Barmherzigkeit, Versöhnung, Liebe. All das hat schon längst begonnen - auch gegen allen Augenschein. Nicht als etwas, was wir Menschen herstellen - dieses Versprechen ist allzu oft und allzu tief immer wieder enttäuscht worden. Nein, christliche Hoffnung richtet sich nicht zuerst darauf, dass wir Menschen all das herstellen, sondern dass Gott es uns schenkt, ja, dass er uns all das in Christus bereits geschenkt hat. Hoffnung hat also mit dem zu tun, was wir Menschen uns nicht selbst verschaffen können. Hoffnung richtet sich darauf, dass dermaleinst alles in gute Ordnung kommt, „und zwar in die Ordnung, welche Gott von Anfang an gewollt hat“[2] und die auf uns zukommt. Diese Zukunft Gottes, die schon längst angebrochen ist, auch gegen allen Augenschein geduldig zu erwarten, macht den christlichen Glauben aus.

In all dem lasst uns nicht vergessen: wir leben bereits in Gottes Gegenwart, in der Gegenwart Christi, umfangen von seiner Liebe, seiner Güte, seiner Barmherzigkeit. In jedem Gottesdienst feiern wir, dass er mitten unter uns ist. Jetzt und hier und in jedem Leben an jedem Tag. Denn: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Amen.

 


[1] Vgl. zu dieser Formulierung Eberhard Jüngel, Das Opfer Jesu Christi als sacramentum et exemplum. Was bedeutet das Opfer Christi für den Beitrag der Kirchen zur Lebensbewältigung und Lebensgestaltung?, in: ders. Wertlose Wahrheit. Theologische Erörterungen III, Tübingen 2003, 261-282, 263.

[2] Athina Lexutt, „Damit allein tröste ich mich, darauf baue ich, da steht meine Hoffnung, da will ich mich lassen finden.“ Martin Luther und die Hoffnung, EvTh 78, 2018, Heft 4, 246-263, 255.

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