Predigt anlässlich des Kanzeltausches zwischen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zu Micha 4, 1-4
08. November 2009
„Mauern überwinden!“ – so lautet das Leitwort für die diesjährige Friedensdekade, die Sie mit diesem Gottesdienst eröffnen. „Mauern überwinden!“ Mauern, die mich trennen von anderen Menschen, Mauern, die mich trennen von mir selbst, Mauern, die mich trennen von Gott.
Gruß: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sein mit uns allen! Amen.
Liebe Gemeinde!
Liebe Schwestern und Brüder!
I
Es ist für mich eine große Freude, hier heute bei Ihnen im Gottesdienst zu Gast sein zu können – an diesem Vorabend des 9. November 2009! Als einer aus der Nordelbischen Kirche bin ich bei Ihnen, so wie Bischof von Maltzahn etwa heute in Lübeck-Travemünde predigt oder Bischof Abromeit ganz im Westen Schleswig-Holsteins in Heide. Und andere Predigerinnen und Prediger mehr – etwa 40, von denen ich weiß in diesem kleinen Grenzverkehr an diesem Sonntag an dem wir die Predigerinnen und Prediger tauschen. Dass wir voneinander hören und einander erzählen die unterschiedlichen Geschichten und die unterschiedliche Geschichte wie wir sie erlebt haben.
II
„Mauern überwinden!“ – so lautet das Leitwort für die diesjährige Friedensdekade, die Sie mit diesem Gottesdienst eröffnen. „Mauern überwinden!“ Mauern, die mich trennen von anderen Menschen, Mauern, die mich trennen von mir selbst, Mauern, die mich trennen von Gott. Ich denke aber natürlich auch an die Mauer, an die wir Deutsche in Ost uns West wohl zuerst denken, wenn wir von der Mauer reden.
III
Wenn das Datum des 9. November wach gerufen wird, dann kann man sich der öffentlichen Erinnerung nicht entziehen – immer wieder dieselben Bilder der Menschen auf der Mauer, Bilder von den Kolonnen der Trabbis und Wartburgs durch ein Spalier staunender Wessis. So finde ich es etwa in dieser Zeitungsbeilage hier aus unserer Lokalzeitung im Norden Schleswig-Holsteins wieder, die zu diesem Wochenende herauskam. Bedenklich ist es doch, dass die Not und die Verzweiflung, die die Menschen damals aufbrachte gegen die Unterdrückung im Lande, gegen die Unfreiheit, kaum noch erinnert wird… Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich erinnere auch noch anderes. Ich denke zunächst an ein ganz anderes Ereignis - an die Geburt unseres ersten Sohnes Simon am 9. November 1982! Die Geburt eines Kindes – ein Wunder vor unseren Augen. Der 9. November 1982 war auch damals ein Tag mitten in der Friedensdekade. Wir erinnerten in einer Friedensandacht an den 9. November 1938 – an die Nacht, als in Deutschland die Synagogen brannten. Ein Schreckensdatum unserer Deutschen Geschichte!
Ich war als junger Pastor mitten drin im Getümmel der Friedensbewegung – mitten drin in den Auseinandersetzungen zwischen den Gegnern und den Befürwortern des NATO-Doppel-Beschlusses zur atomaren Aufrüstung: Bei uns im Westen ging es um die Pershing II-Raketen und die Cruise Missiles der US-Amerikaner – im Osten ging es um die SS 20-Raketen. Es waren Jahre der erbitterten politischen Auseinandersetzungen mitten im Kalten Krieg – bei allen bilateralen Entspannungsbemühungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokarischen Republik, die es auch gab. Sie werden sich erinnern: „Wandel durch Annäherung“ war die Devise der sozial-liberalen Bundesregierung gewesen – die CDU giftete damals dagegen und meinte, das sei „Wandel durch Anbiederung“ …
Wir diskutierten uns die Köpfe heiß in der Friedensgruppe, bei Mahnwachen auf dem Wochenmarkt, vor Kasernentoren. Man könne mit der Bergpredigt nicht die Welt regieren – hatte ein gerade abgewählter Bundeskanzler gesagt. Wir wollten ja auch nicht die Welt regieren. Aber wir wollten, dass die, die die Welt regierten, sich regieren ließen von den Worten Jesu, dass sie ablegten alle Furcht und dass sie vertrauen mochten dem anderen Frieden, den nicht die Welt, sondern Gott gibt, wie Johannes das im Evangelium formuliert.
Und dann wurden wir unterbrochen in unserer Wut und auch in unserem Eifer. Simon wollte ans Licht der Welt.
Ich brachte meine Frau in´s Krankenhaus und pendelte in den nächsten Stunden und Tagen zwischen Entbindungsstation und Kirche hin und her. Dort die Wehen – hier die Friedensgebete.
Und natürlich, liebe Schwestern und Brüder, und das wussten wir damals auch: Wir wohnten sicher unter unserem Weinstock und Feigenbaum – anders als die friedens- und umweltpolitisch engagierten Schwestern und Brüder in der DDR! Sie waren es doch, und nicht wir im Westen, die die Vision des Propheten Micha noch ganz anders durchzufechten hatten als wir. „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ Wir hatten das Logo – sinnigerweise ja mit der Skulptur, die die Sowjetunion vor das Gebäude der UN in New York aufgestellt hatte – der Schmied, der das Schwert zu Pflugscharen umarbeitet – auch überall auf unseren Transparenten und auf unseren grünen oder grauen Parkas. Aber bei uns war das nicht verboten. In der DDR aber war es durchaus verboten – und die Schwestern und Brüder, die Repressalien fürchten mussten, waren es, die das verbotenen Logo aus ihren Parkas kreisförmig ausschnitten, so das das Loch im Parka für alle sichtbar markierte, welcher Vision der oder die da nachfolgte, die das Loch im Parka hatte. Die Vision war da – eben weil sie nicht da war. Die Worte waren lebendig – eben weil sie abgetötet werden sollten. Hier erwies sie sich als subversiv und stark – die Kraft des Wortes, die Kraft der Guten Botschaft von einer Welt, in der sich erfüllen soll die Vision einer Welt, in der Frieden geschafft wird – ohne Waffen!
Und – im Kleinen wie im Großen erwies es sich für uns als wahr und wirklich, was Gott verheißen hat: „Mitten in der Woche des Friedens ist uns ein Kind geboren“ – so haben wir damals auf die Geburtsanzeige für Simon geschrieben. Und in der Tat: kein stärkeres Zeichen des Friedens ist mir denkbar, als dass neues Leben hineindrängt in die Welt – Zeichen der Hoffnung. Und Zeichen der Mahnung: damit dieses neue Leben sich entfalten kann, müssen Mauern fallen, müssen Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden. So ist jeder Geburtstag meines Sohnes eine kraftvolle Erinnerung natürlich an die Geschichte unseres Volkes und Landes. Aber eben immer auch eine machtvolle Erinnerung an Gott, der uns das Leben schenkt: ein anderer Friede, als die Welt ihn gibt.
IV
Für mich, liebe Schwestern und Brüder, ist das, was ich hier beschreibe, eine Erfahrung des Glaubens und ein Beispiel für die theologische Wahrheit, die bei Martin Luther zu lernen ist: Als Christ zu leben heißt: Den Glauben in´s Leben ziehen! So habe ich, der Wessi, immer schon in den achtziger Jahren zur Kirche in der DDR geschaut. Was da geschah, geschah aus der Kraft des Glaubens. Die fegte die Angst nicht weg und längst nicht alle hatten ihr Erschrecken im Griff. Die Demokratiebewegung in der damaligen DDR war schon längst im Gange, die aktiven „Umweltbibliotheken“ und andere Initiativen unter dem Dach der Kirche zogen immer weitere Kreise, an unzähligen Orten gab es friedliche Montagsdemonstrationen, denen meist ein Friedensgebet voran ging. „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete“ – so sagt es ein Offizier der Staatssicherheit im Roman von Erich Loest mit dem Titel: „Nikolaikirche“.
Ja, liebe Schwestern und Brüder, auf dieses Gottesleuchten waren die Stasi und die Regierung nicht vorbereitet. Und auch wir im Westen nicht immer und nicht alle.
Die Gebete und die Kerzen der Christenmenschen bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, sie waren ein lebendiges Zeichen für die Präsenz, ja für das Leuchen Gottes hinter Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen. Die Leuchten Gottes, Kerzen und Gebete, waren ein Widerschein des Glanzes Gottes – ein Gottesleuchten gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Das Gottesleuchten brannte und brennt, damals und heute. Der Glanz Gottes mitten unter den Menschen; in ihrer Hand die Kerzen, in ihrem Mund die Gebete. Die friedliche Revolution Gottes – für die Freiheit der Kinder Gottes – sie veränderte und sie verändert das Antlitz der Erde, in Leipzig rund um die Nikolaikirche und überall – auch hier in Rostock rund um die Universitätskirche.
Die Kirche, liebe Schwestern und Brüder, ist bei all´ dem bei Ihrer Sache geblieben. Ich bin in einem Interview gefragt worden, was denn der besondere Beitrag der Kirche damals gewesen sei, vor 20 Jahren? Das Besondere ist, so sagte ich, dass sie getan hat, wofür sie da ist, wozu der Herr der Kirche sie sendet: zu verkündigen das Wort denen, die in Ängsten und in der Finsternis sitzen. Erzählen vom Frieden. Erzählen von der Gerechtigkeit Gottes, die fließt wie ein Bach. Stimme geben, denen es die Sprache verschlägt. Raum geben denen, die nicht wissen wohin. Segnen die, die weg wollen. Der Welt ein Licht sein auf dem Berge. Ausrichten, was uns eingegeben ist: „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Kirche ist immer politische Kirche, das Evangelium ist immer ein in die Öffentlichkeit gerichtetes Wort. Eine Kirche, die sich ihrem Auftrag verpflichtet weiß, eine öffentlich wirkende und wahrnehmbare Kirche zu sein, die ist mit dem Lob Gottes auf dem Lippen und mit dem Gebet im Mund und mit den Kerzen in der Hand Kirche Jesu Christi. Sie ist bei ihrer ureigensten Sache, wenn sie Heimatlosen eine Heimat bietet; wenn sie in Wort und Tat bei denen ein Licht aufleuchten lässt, die im Dunkel wohnen; wenn sie den Mund auftut für die, denen Angst die Kehle zuschnürt.
V
Das ist für mich ein Teil der Vision, die sich auch beim Propheten Micha findet und die dort als eine Wallfahrt aller Volker hinauf zum Berg Zion beschrieben wird: „Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Völker zurecht weisen in fernen Landen.“ – so sagt es der Prophet.
Gewiss, Gottes Weisung ist gemeint, die da ausgehen wird und wirken in die Völker der Welt hinein – aber die Kirche ist Dienerin dieser Weisung Gottes an die Völker. Das tut sie mit der Verheißung, die ihr vom Herrn der Kirche, von Jesus selbst, gegeben ist. Aber das tut sie zugleich in der Not, in die sie mitten hinein gestellt ist in diese Welt. Und da denke ich bei aller Freude und bei allem Stolz darüber, dass die Kirchen bei der friedlichen Revolution im Jahre 1989 eine zentrale und führende Rolle gespielt haben, auch an die Verstrickungen, in die sich eine Kirche verfängt, die sich auf den Marktplatz der politischen Auseinandersetzung stellt. Da gehört sie hin! Die Kirchen brauchen sich ihrer Rolle bei der friedlichen Revolution des Jahres 1989 in keiner Weise zu schämen. Die Vision des Propheten Micha war in ihr lebendig und wirksam und sie wird es auch bleiben in der Zukunft.
Und ist es nicht auch ein Zeichen, dass Mauern überwunden sind, wenn wir drei Kirchen im Norden Deutschlands uns auf den Weg machen, etwas Neues zu schaffen? Bei aller Sorge, dass gewachsene Kulturen verschwinden könnten: ist das nicht ein kraftvolles Zeichen des Friedens und der Freiheit, dass wir miteinander auf dem Weg sind, hören lernen mit den Ohren der anderen und sehen mit den Augen der Geschwister? Dass wir uns gemeinsam erinnern an Geschichte und Geschichten und mit allen Unterschieden erleben, wie wir eins werden in Christus? Er baut schließlich seine Gemeinde, indem er anfängt, die Zäune abzubrechen, die zwischen den Nahen und den Fernen sind, die Zäune der Feindschaft nämlich – so erzählt es einzigartig der Epheserbrief, wenn er zusammenfasst: er, Christus ist unser Friede! Er fügt uns ineinander, so dass wachsen kann das Haus des Friedens und der Gerechtigkeit!
Dazu sind wir auf dem Weg! Noch lange nicht sind wir am Ziel. Noch lange nicht sind alle Mauern überwunden. Denn immer noch werden Schwerter geschmiedet und kommen Menschen und Völker um durch das Schwert. Immer noch wissen viele Menschen auch bei uns nichts anzufangen mit den Formen der Demokratie, und sie sehnen sich zurück zu starken Helden und immer noch sind zu hören die furchtbaren Töne und Parolen, die den 9. November 1938 möglich gemacht haben. Immer noch ist der 9. November auch ein Tag, an dem zu bedenken ist das Weghören, Wegsehen, Weglaufen, Mitlaufen… Dass Mauern gefallen sind und Freiheit die Menschen umfing, ist Gott zu danken: Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm – dazu hat er sich gezeigt, dazu hat er uns gebraucht und dazu wird er uns weiter brauchen.
Wir als Christenmenschen sollen Gott da nicht im Wege stehen – und darum bleibt als Aufgabe vor uns, dass Mauern überwunden werden sollen. Die Vision des Micha gilt es weiter zu träumen und immer wieder neu in´ s Leben zu ziehen. Dafür lasst uns beten und arbeiten. „Es soll nicht geschehen durch Heer und Kraft, sondern durch meinen Geist“, spricht Gott. So wird es sein, unser Herz erschrecke nicht!
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all´ unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen