24.12.2024 | Schleswiger St. Petri-Dom

Predigt in der Christvesper über Jesaja 9,1-6

26. Dezember 2024

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.

Die Worte des Propheten Jesaja, die wir vorhin gehört haben, gehören zu einem der schönsten und tiefgründigsten Texte der Bibel. Ein prophetischer Text.

Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. 

Worte, die den Abgrund und das Dunkel kennen, das es in jedem Leben gibt. Wenn sich die Traurigkeit ums Herz schlingt und das Atmen kaum mehr möglich macht. Wenn die unzähligen Mäntel und Kinderjacken und Frauenkleider, die in diesem vergangenen Jahr in den Kriegen und Gewalttaten dieser Welt durch Blut geschleift wurden, einen metallischen Geruch in der Luft hinterlassen und klar ist – es wird nie mehr so, wie es vorher war. Die Angst im Krieg, die Last der Unterdrückung.

Es sind Worte, die die bleierne Schwere dieser Tage kennen – die vielen trauernden und verletzten Menschen in Magdeburg im Herzen und die leidenden Kinder in Gaza. Die noch immer verschleppten Geiseln aus Israel. Und auch in der Ukraine – nichts erlöst und nichts leicht. Die Angst vor Nächten in dunklen Kellern, die schlafenden Kinder im Arm, ungebrochen.

Und dann, in diese ja nicht schönzuredende Realität hinein: Es wird hell. Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht! Lauter Jubel. Große Freude. Und der Grund so einfach wie zauberhaft:

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;

Ein Kind ist uns geboren. Ein Sohn ist uns gegeben. Und er hat wunderbare Namen. Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Dieser Text ist vor sehr langer Zeit entstanden. Wenn es dunkel wurde, wurde es dunkel. Und man saß zusammen, aß, ging schlafen. Aber Licht. Licht, das war besonders. Das Fackeln einer einzigen Kerze macht einen Unterschied, das wissen wir alle.

Die kleinste Kerze kann einen Unterschied machen. Das schwächste Licht erhellt meinen Blick und auch der verhaltenste Jubel durchbricht die Stille.

Um diese zarte Freude geht es heute, am Heiligen Abend. Denn auch das Weihnachtswunder ist in der Dunkelheit unserer Nächte entstanden. Es war anfangs nur ein einziger Stern. Ein Stern, der den Hirten leuchtete und daraufhin wies – es lohnt sich, loszugehen. Hin ins Ungewisse – der Sehnsucht folgend, dass es anders und besser werden kann, als es jetzt ist.

Das wirklich Gute an dieser uralten Weihnachtsgeschichte ist – sie ist absolut bodennah. Eine ungewollt schwangere junge Frau, ihr ebenso junger unbeholfener Mann – die aus Gründen, die nicht in ihrem Ermessen liegen, unterwegs sind. Und dann nirgendwo einen Ort finden, an dem das Kind geboren werden kann. Dann – dieser Stall, eine Grotte, die wahrscheinlich keiner Überprüfung durchs Jugendamt standhalten würde – da kommt es dann zur Welt. Das Gotteskind. Und es kommt eine buntgemischte Besuchergruppe zustande. Verschlafene Hirten, die sich direkt vom Feld aufgemacht haben. Menschen mit Migrationshintergrund, die gigantisch teure Geschenke bringen. Und die Esel und Ochsen dieser Welt, die natürlich auch immer da sind, wo was passiert.  

Hier, an dieser Krippe, inmitten dieser verrückt zusammengewürfelten Gesellschaft, da fängt es an. Da findet unser Herz etwas, das uns ganz tief innen anrührt. Egal, wie alt wir sind. Und die klare Aussage ist ja: Gott ist hier, bei dem Kind. Und Gott ist das Kind. Und wir werden teil dieser ganz und gar anrührenden Geschichte, weil auch wir alle mal Kind waren und Kind sind. Besonders heute, am Heiligen Abend.

In die Dunkelheit der Nacht: Licht! Sei es auch noch so zart.

Heute Abend leuchtet das Licht der Krippe, das Licht dieser unglaublichen Geschichte, in unsere Herzen hinein. Zieht auch unsere Sehnsucht dorthin, zum Stall, und mit ihr den Wunsch, dass dort auch ein Platz für uns, für mich, für dich sein möge, in dieser buntgemischten Gesellschaft.

Und genauso ist es ja. Für uns alle ist dort Platz. So, wie wir sind. Mit unseren Verrücktheiten, mit unseren Gaben und unseren Grenzen. Mit allem Dunklen und allem, was leuchten will.

Eine zusammengewürfelte Gesellschaft um die Krippe herum. Und genau das ist das wirkliche Weihnachtswunder. Dass Gott nicht in eine sterile perfekte Szene hineingeboren wird, wie es manche Krippendarstellungen vermuten lassen, sondern mitten ins Leben, wie es eben ist.

Die Kernbotschaft des christlichen Glaubens lautet also: Wir sind willkommen. Wir sind geliebt. So, wie wir sind. Wir müssen uns vor Gott nicht verstellen, uns nicht klüger oder anständiger machen, als wir sind. An der Krippe darf alles sein und wir dürfen alles mitbringen – die passenden und die unpassenden Geschenke.

An die Krippe sind aber auch die eingeladen, die ganz am Rand unserer Gesellschaft sind. Die hier im Dom gar nicht auftauchen würde. Heute Morgen habe ich schon hier in der Jugendanstalt in Schleswig einen Gottesdienst gefeiert. Die inhaftierten jungen Männer waren mit großer Aufmerksamkeit dabei. Auch sie haben eine zweite Chance verdient, wieder mit dabei zu sein, nachdem sie ihre Haftstrafe abgesessen haben.

An der Krippe sind alle willkommen. Diese Aussage klingt banal, ist sie aber nicht. Wir haben ja im vergangenen Jahr immer wieder gemerkt: Das Thema Willkommenskultur ist nahezu zu einem Unwort geworden. Es geht eher um Abschottung, um Sicherung der Grenzen, um damit innere Sicherheit zu gewinnen. Und doch merken wir immer wieder an tragischen Ereignissen: Die innere Sicherheit wird nicht an den Außengrenzen entschieden, sondern hier bei uns – sie wird entschieden durch die Frage, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen. Ob wir aufmerksam sind füreinander. Ob Integration gelingen kann oder ob wir dieses Ziel schon längst aufgegeben haben. Es ist also kein Luxus, sich mit dieser bunten Stallgemeinschaft von Bethlehem zu beschäftigen. Es ist essentiell.

Wie aber ein Zusammenleben verschiedener Kulturen, Religionen, verschiedener politischer Ansichten oder auch gar keiner Ansichten funktionieren kann, steht auf keiner Gebrauchsanleitung. Wir müssen uns darum kümmern. Und zwar: Wir alle. Gerade das hat ja Magdeburg in den vergangenen Tagen so eindrucksvoll gezeigt. So entsetzlich die Tat eines einzelnen Menschen auch gewesen ist – so sehr unsere Solidarität allen gelten muss, die jetzt unter diesen Folgen zu leiden haben – genauso hat die übergroße Solidarität fremder Menschen miteinander auch gezeigt: Wir brauchen uns. In der Trauer, im Schmerz. Es ist gut zusammenzustehen, weil wir es allein nicht schaffen. Wir brauchen einander. So schlicht und so schwer ist es! Oder, wie es ein Mann im Interview gesagt hat, der auch zur Mahnwache auf den Weihnachtsmarkt gekommen war: Ich kann doch jetzt nicht zu Hause auf dem Sofa sitzen, da würde ich doch verrückt werden – wir müssen jetzt alle zusammen trauern.

Dass das möglich ist in unserem Land, ist ein Geschenk. Die lange Menschenkette, eine Lichterkette gestern – 4000 Menschen. Mit der Parole – gebt Hass keine Chance. Was für ein Hoffnungszeichen. Auch, wenn parallel andere demonstriert haben und eher versucht haben, Hass zu schüren.

Genau das ist die Kraft unserer Gesellschaft. Und die dürfen wir uns auf keinen Fall kaputt machen lassen!

Weihnachtlich gesprochen: Es ist die Kraft einer Liebe, die stärker ist als jeder Hass. Es ist das Leuchten des Lichts, das mächtiger ist als jede Dunkelheit.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.

Hier, an der Krippe im Stall – und eigentlich ist ja jede Kirche, auch jeder Dom, nichts anderes als der Stall von Bethlehem, kommen wir bunt zusammengewürfelt zusammen.

Hier beginnt die Geschichte. Jedes Jahr von Neuem und jedes Jahr wunderbar. Jesus ist geboren! Und Friede ist uns verheißen. So singen es die Himmlischen Heerscharen. Und das Licht von Bethlehem scheint in unsere Herzen. Hell und warm.  

Amen

Datum
26.12.2024
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