Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt im Gottesdienst des Medienfestes am 11. Juli 2023

11. Juli 2023 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

„Entdeckung der Menschlichkeit“

Liebe Geschwister!

„Es ist mir eine Ehre, hier zu stehen und vor euch auf dem diesjährigen evangelischen Kongress zu predigen.“ So begann sie: die erste öffentliche Predigt einer künstlichen Intelligenz beim Evangelischen Kirchentag im vergangenen Monat. Klang zwar recht hübsch offiziell, aber für einen Kirchentag war der richtige Sound so wohl eher nicht getroffen. Hier, beim Medienfest der Nordkirche in Hamburg, will ich es so sagen: Wunderbar, dass es dieses Fest gibt! Wunderbar, dass wir zusammen Gottesdienst feiern. Und schön, deshalb heute hier bei Euch, bei Ihnen zu sein! kann ich sagen. Ich freue mich sehr auf den heutigen Abend mit seinen Begegnungen und sicher auch neuen Einsichten!

II

Was kann Künstliche Intelligenz? Machen wir zu der Geschichte, die wir vorhin gehört haben, die Probe aufs Exempel. Ich habe ChatGPT gefragt: „Was sollte eine Predigt über den Sündenfall zum Ausdruck bringen?“ Antwort der KI: „Etwas ist schief gelaufen“. Dieser Satz war als Zwischenergebnis gemeint, weil sehr viele Menschen gleichzeitig im Chat waren und die KI von der schieren Masse überfordert war. „Etwas ist schief gelaufen.“ Ob wir es wirklich bei dieser Bilanz zur Geschichte vom Sündenfall bewenden lassen sollten? Wir werden sehen. Hören wir noch einmal in die Geschichte hinein.

III

„Ihr werdet sein wie Gott,“ verspricht die säuselnde Schlange. Und trifft damit die Versuchung des menschlichen Egos schlechthin. Der Schlange gelingt der erste Deep Fake der Menschheitsgeschichte: „Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von keinem der Bäume im Garten essen dürft?“ Eine Frage wie aus dem Bilderbuch für intrigantes Streuen von Zweifeln. Oder für die Schaffung alternativer Fakten. Eigentlich war ja sehr eindeutig, was Gott gesagt hatte. Und die Frau hatte es auch richtig verstanden: alle Bäume, alle Früchte, nur nicht vom Baum der Erkenntnis. Aber, so suggeriert die Schlange, ist nicht gerade der der besonders, ja vielleicht sogar der einzig interessante Baum? Und: Will Gott denn nicht, dass die Menschen selbst entscheiden, was Gut und was Böse ist? Wo doch Verstand und Intelligenz eine Gabe Gottes sind, da wird doch wohl nötig, ja sogar geboten, auf jeden Fall aber erlaubt und gut sein, sie zu gebrauchen!

IV

Es lohnt sich ein Blick darauf, was diese Versuchung in der Bibel so anziehend macht. Die Früchte sind eine „Augenweide“, haben wir gehört, nicht: weil ihr Genuss schön macht oder gesund; oder weil ein Biss in diesen Apfel sagenhafte Liebe verheißt. Das ist der Stoff anderer Literatur. In der Schöpfungsgeschichte ist als Frucht begehrt, was Erkenntnis verspricht. Das ist der ganz heiße Stoff für die Menschen von Anfang an: Erkenntnis zu haben - wie Gott. Zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, wird Doktor Faustus einmal sagen.

Statt solcher Erkenntnis ist Allwissenheit die Versuchung unserer digitalen Gegenwart: Allein die Möglichkeit, Myriaden von E-Mails, Telefonaten und persönlichen Daten auslesen zu können, rechtfertigt für viele den Status Quo, davon jenseits aller ethischen Aspekte Gebrauch zu machen. Viel zu wissen bedeutet allerdings noch nicht, schöpferisch zu sein. Denken wir nur an die Einfallslosigkeit des SED-Regimes. All die abgehörten Telefonate vermochten keine schöpferische Antwort auf die Frage generieren, wie mit dem elementaren Wunsch der Bevölkerung nach Freiheit und Veränderung umzugehen sei.

V

Das Aufregende an der KI ist nicht allein, dass sie geschredderte Stasi-Akten ebenso leicht entschlüsseln kann wie Gen-Sequenzen. Sondern atemberaubend ist ihre Lernfähigkeit. Was aber kann KI nicht? Anna Zweig, Sachverständige der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags Künstliche Intelligenz (KI), sagte kürzlich: Eine wichtige Beobachtung sei für sie, dass KI keine Gnade ausüben kann. Die allerdings spielt in unserem christlichen Menschenbild und unserem evangelischen Glauben eine entscheidende Rolle. Weil sie zwischen Mensch und Tat unterscheidet - eine begangene Tat gilt es zu verurteilen, auch zu bestrafen, aber der Mensch, der sie begangen hat, soll nicht mit seiner Tat in eins gesetzt werden. Er oder sie soll die Chance bekommen, umzukehren, zu bereuen und einen neuen Anfang zu wagen.

VI

Was ist schöpferisch? Ob KI das Ende des Journalismus ist, werden Sie heute beraten und beantworten. Für die Theologie bedeutet KI zunächst einmal: einen weiteren Impuls, die Bilder der Bibel zu deuten. Und gern auch im Gespräch, im Kontakt mit KI. Deshalb an dieser Stelle noch so viel zur Geschichte vom Sündenfall: KI bringt sie auf den kurzen Satz: „Etwas ist schief gelaufen.“ Und ich vermute, dass viele Menschen und auch viele Theolog:innen diese Geschichte genau so verstehen. „Etwas ist schief gelaufen.“

Ich möchte dem eine andere und geradezu konträre Deutung entgegensetzen: „Etwas ist fundamental richtig gelaufen.“ Denn mit der sogenannten Geschichte vom Sündenfall macht die Bibel deutlich, worin die menschliche Versuchung besteht: sein zu wollen wie Gott. Keine Unterscheidung mehr zu sehen zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Sie setzt damit ein großes warnendes Ausrufezeichen: Wo immer Menschen sich an die Stelle Gottes setzen - und damit zu Herren über Leben und Tod, anderer Menschen wie anderer Geschöpfe, wo immer sie ihre Rolle als mit anderen verwobenes Geschöpf, als ein Teil des verbundenen Lebens auf diesem Planeten verwechseln mit der Rolle des Schöpfers, mit der Rolle Gottes - da droht Unheil. Da droht Leben missachtet statt geachtet zu werden. Da drohen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, und letztlich Vernichtung und Tod. Auch deshalb wird der Apostel Paulus später sagen: der Tod ist der Sünde Sold. „Etwas ist fundamental richtig gelaufen“ - denn die Erzählung vom sogenannten Sündenfall zeigt letztlich auf, wie wir Menschen sind und worum es in unserem Leben gehen könnte. Und sie schenkt Erkenntnis. Nämlich dazu, was es bedeuten könnte, unser Leben als das eines Geschöpfes Gottes zu verstehen und zu leben: „Wir sind, obwohl wir auch nicht hätten sein können. Dass wir leben, verdanken wir einer Wirklichkeit, ohne die wir nicht wären. Wir können leben, weil uns immer wieder mehr Möglichkeiten zugespielt werden, als wir von uns aus hätten erwarten oder erreichen können.“ „Wir zerstören Lebensmöglichkeiten anderer dadurch, dass wir da sind und wie wir leben. Aber wir werden auch zum Ort, wo immer wieder Neues geschieht.“ Und zwar für uns und für andere und das gerade dort, wo wir nicht damit rechnen können. All das zeigt uns auf, was Menschlichkeit meint - und genau deshalb läuft in dieser Geschichte etwas fundamental richtig. Weil sie uns zur Entdeckung unserer Menschlichkeit anleitet - mit ihren Möglichkeiten wie ihren Grenzen. Sie fordert uns heraus, als endliche Wesen ein wirklich menschliches Leben zu führen und sich nicht mit einem Leben abzufinden, in dem die Chancen der Mitmenschlichkeit verspielt werden. Sich nicht mit einem Leben abzufinden, in dem die Übel der Unmenschlichkeit durch Ausgrenzung, Unterdrückung, Ausbeutung, durch den Wunsch, wie Gott sein zu wollen, immer und immer wieder fortgesetzt werden.

VII

Etwas ist fundamental richtig gelaufen - so sehe ich auf die Geschichte vom Sündenfall. Denn was es heißt, mitmenschlich zu leben, das müssen wir in aller Freiheit, die Gott uns schenkt, selbst erkunden, entdecken und umsetzen. Nicht in einem Paradies mit All-Inclusive-Service, sondern im wirklichen Leben. Gott traut uns das zu - er mutet es uns zu - und steht uns dabei zur Seite.

VIII

Ist KI das Ende des Journalismus? Ich weiß es nicht. Aber dass die Geschichte vom Sündenfall, die Aufdeckung der Sünde durch Gott, der Anfang der Entdeckung unserer Menschlichkeit ist, das glaube ich. Und ich denke, das genau darin das große Abenteuer unserer menschlichen Existenz besteht.

Amen.

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