Predigt im Gottesdienst St. Petri-Dom zu Schleswig
09. Februar 2025
Mk 4,35-41
35Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. 36Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? 41Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da ist, der da war und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
das Markus-Evangelium ist das kürzeste der vier Evangelien und zugleich das älteste, das uns überliefert ist. Wir finden in den Texten und Geschichten also Gedanken, die noch sehr nah dran sein müssen an dem, was vom Wirken Jesu, von seinem Weg, seinem Leiden, Sterben und seiner Auferstehung ursprünglich überliefert ist.
Ein leitendes Motiv ist: Die wahre Bestimmung Jesu – als Messias, als Gottessohn – soll verborgen bleiben. Weil die Menschen eben noch nicht verstehen können. Und so war es ja auch wirklich. Bis zum Faktum der Auferstehung war Jesus ein Wanderprediger. Ein begnadeter Prediger, Heiler. Aber eben auch nicht mehr als das. Bis zum Ostermorgen KANN eben nicht verstanden werden, dass Jesus mehr ist als ein Wundertäter, ein Heiler, einer, der Menschen inspiriert und zur Nachfolge animiert.
Und so auch hier, im heutigen Predigttext. Es ist Nacht. Die Jünger sind auf dem Boot. Es wird stürmisch. Jesus ist dabei. Er schläft hinten auf einem Kissen. Plötzlicher Sturm auf dem See Genezareth ist historisch belegt, das konnte immer mal geschehen. Der Sturm kommt so schnell, wie er sich wieder legt.
Aber, und das ist sicher: Es geht hier nicht um ein reines Naturphänomen. Der Autor des Markus-Evangeliums zeigt schonungslos, wie besonders der engste Jüngerkreis aus Furcht, Hilflosigkeit und Schwäche andauernd im Miss- und Unverständnis verfangen ist. Die Jünger schaffen es nicht, Jesus zu vertrauen. Sie bleiben im Schrecken, nicht einmal das auf einmal stille Wasser führt sie zum Glauben. Die Furcht lähmt sie.
Schauen wir also noch einmal genauer hin. Was soll uns hier gesagt werden – über Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen? Über den, der natürlich schon während dieser Begebenheit genau weiß, wer er ist und wie viel Grund seine Jünger hätten, ihm zu vertrauen.
Hier wird uns erzählt, dass Jesus schläft. Mitten in einer für die ihm Nahestehenden existentiellen, bedrohlichen Situation. Was für die Jünger zynisch wirken mag – „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ – hat im Kontext der anderen biblischen Berichte über Jesus eine andere Aussage. Denn von ihm, dem Messias, dem Gottessohn, wird in anderen Überlieferungssträngen gesagt: der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegt – hier hingegen hat er einen Ort.
Auf dem Boot. Übertragen – hier hat er einen Ort, sein Haupt hinzulegen. Genau hier, in der Ungewissheit der Jünger, wem sie glauben und worauf sie vertrauen sollen. Im Hin- und Hergerissen sein – trägt dieser Glaube? Genau hier, in der größten existentiellen Not derer, die schon so viel aufgegeben haben dafür, ihm nachzufolgen.
Sie merken es – wir sind hier ganz nah am Kreuzesgeschehen. Gottes Dasein genau dort, wo die Not am größten ist und wo die Hoffnung auf Rettung am aussichtslosesten scheint.
Hier auf diesem kleinen, ungeschützten Boot mitten auf dem nachtschwarzen Wasser ist der Ort, an dem Jesus, der Menschensohn und zugleich Sohn Gottes, zu Hause ist. Hier. Und nicht dort, wo sich Menschen in ihrem Glauben sicher wähnen. Dort, wo alles klar scheint und alle davon überzeugt sind, das Richtige zur rechten Zeit zu tun.
Hier schläft der Menschensohn. Und wir können dort schlafen, wo wir uns zu Hause fühlen.
Jesus, der Gottessohn, ist dort zu Hause, wo uns Zweifel quälen. Wo uns alle Hoffnung verloren gegangen ist, dass es besser werden kann. Dass unsere Angst ein Ende hat. Dort, wo die Gischt der Furcht uns ins Gesicht schlägt, wir uns noch festkrallen können am Bootsrand und doch wissen – dieses Boot bietet nicht genügend Schutz vor der Katastrophe.
Jesus, der Gottessohn, ist da, wo wir nicht weiter wissen. Wo unsere eingespielten Handlungsmuster an ihre Grenzen stoßen.
Ich finde diese Gedanken frappierend relevant für die Fragen dieser Wochen und Monate. In denen auch die Kirche immer wieder angefragt wird. Wo steht ihr? Wofür steht ihr? Und die Meinungen gehen weit auseinander – sollten sich Christinnen und Christen positionieren in den aktuellen gesellschaftlichen Debatten?
Zunehmend nehme ich dabei in meinem eigenen Alltag wahr: Es ist kaum mehr möglich, sich aus einer christlichen Grundhaltung heraus zu positionieren – also für unverbrüchliche Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit jedes einzelnen Menschen – und nicht gleich in Raster eingeordnet zu werden.
Aber, und das ist zentral: Eine christliche Grundhaltung einzunehmen, die immer zum Zentrum die unverbrüchliche Liebe Gottes zu uns Menschen hat, hat niemals etwas mit einer parteipolitischen Positionierung zu tun.
Natürlich ist es so, dass unsere Haltung mal mehr und mal weniger zu den Parteiprogrammen einzelner Parteien passt. Wenn nun aber von einigen gefordert wird, wir sollten uns als Kirche nicht einmischen in aktuelle Fragen, dann können wir nicht anders als sagen: Das geht nicht.
Denn das Evangelium und die Verkündigung des Evangeliums war immer ein Anstoß – gerade zu Zeiten Jesu. Und sie wird immer ein Anstoß sein. Genau das ist unsere Aufgabe! Niemandem nach dem Mund reden, sondern klar und deutlich auf dem Boden des Evangeliums argumentieren. Egal, in welches Parteiprogramm diese Haltung dann gerade reinpasst oder nicht. Nach dem kirchlichen Handeln im Nationalsozialismus ist diese Unabhängigkeit gegenüber jedem politischen System unsererseits nicht aufgebbar.
Wir sind Kirche Jesu Christi. Wir sind keine Partei. Wir sind keine Nichtregierungsorganisation. Unser einziges „Programm“ ist das Evangelium. Wir handeln nicht zum Selbstzweck oder zum Institutionenerhalt, sondern einzig und allein aus der Erfahrung heraus, dass wir geliebt sind – durch Kreuz und Auferstehung hindurch – dort, auf den wackeligen Booten, die unser Leben sind, und die gerade auch unsere politische Situation im Land aber auch global so verletzlich und instabil machen.
Als Geliebte Gottes sind wir beauftragt, diese Liebe weiterzugeben. Das Licht Christi in diese Welt hinein leuchten zu lassen. Besonders zu denen, die am Rand sind, die im Dunkeln stehen und die sich in den Stürmen der Zeit auf ihren kleinen Booten befinden und vor Angst, unterzugehen, an gar nichts mehr glauben können.
Und wir sollten uns nie und von niemandem verbieten lassen, in diesem Sinn auch Position zu beziehen zu den drängenden Fragen dieser Zeit.
Ich verstehe gut, dass die Angst derzeit groß ist, Fehler zu machen. Falsche Schritte zu gehen. Aber diese Angst birgt die große Gefahr, dass wir uns schleichend zurückzuziehen. Dass wir lieber an Land bleiben, als aufs Boot zu gehen, uns den Stürmen zu stellen. Dass wir lieber schweigen, als möglicherweise Ärger auf uns zu ziehen aus der Politik oder von einzelnen Menschen, die damit drohen aus der Kirche auszutreten, wenn wir nicht genau dies oder jenes tun. Es scheint manchmal leichter, solchen Drohungen zu gehorchen oder einfach den Kopf einzuziehen, bis das Unwetter vorüber ist.
Es ist derzeit zu viel Angst im Kirchen-Schiff. Und ja, es ist wirklich stürmisch gerade – gesellschaftlich schlägt uns viel Negatives entgegen. Aber: Diese Angst ist gefährlich. Denn wir dürfen niemals vergessen, wie schnell aus Angst Anpassung, wie schnell aus Unsicherheit Mitläufertum wird.
Ich verstehe diese Angst, ich sagte es bereits. Zugleich aber verstehe ich sie auch nicht. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen uns und den Jüngern, da auf dem See Genezareth vor Furcht verkrümmt sind in sich selbst.
Wir, wir wissen, dass die Auferstehung Fakt ist.
Wir schauen also auf einer anderen Perspektive auf diese Szene auf dem See.
„Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind“, das fragen die Jünger. Wir dagegen können sagen: Es ist der, der für uns den Weg ans Kreuz gegangen ist. Der für uns alle Gottesferne überwunden hat in der Auferstehung.
Es ist der, der im Boot auf einem Kissen schläft, während um uns herum die Wellen toben und die Gischt uns ins Gesicht schlägt.
Und er sagt: Fürchte dich nicht. Vertraue auf mich.
Wir haben den Glauben. Beziehungsweise – wir haben allen Grund, diesen Glauben zu haben. Weil wir als Christinnen und Christen von Ostern her leben.
Es lohnt sich, dass wir unsere Angst überwinden und mit Jesus aufs Boot gehen. Losfahren.
Es lohnt sich, weil diese Gesellschaft uns braucht. Weil Menschen uns brauchen. Unsere Liebe, die die Liebe Gottes ist. Unser Zuhören und unser Dasein. Für die Kranken und Einsamen, für die Verstoßenen und die, die sonst keine Lobby mehr haben.
Amen