Predigt im Ordinationsgottesdienst am 27.4.2024
27. April 2024
Markus 4,35-41
Der Friede Gottes sei mit euch allen!
Und jetzt, jetzt geht es los, liebe Geschwister. Nach so vielen Jahren. Schule, Studium, einiges drumherum, Vikariat. Jetzt heißt es Leinen los und eure ganz eigene Fahrt beginnt. Ohne Anleiterin oder Anleiter, ohne Direktorin, ohne Studienleiter. Jetzt warten eure Gemeinden auf euch und ihr segelt gemeinsam los. Volle Fahrt voraus. Erwartungen, Sehnsüchte, offene Fragen – so vieles habt ihr im Gepäck.
Als eine Art komprimiertes Handbuch, ein Kleiner Katechismus für geistliche Leitung, möchte ich euch eine Geschichte aus dem Markusevangelium mitgeben. Sie steht im 4. Kapitel. Wir schauen uns die Verse nacheinander an.
Am Abend sprach Jesus zu seinen Jüngern: Lasst uns ans andre Ufer fahren. 36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen Jesus mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm.
Wichtig ist: Ihr segelt nicht allein. Wir sind ziemlich viele und ziemlich verschieden. Mit unseren unterschiedlichen Bildern von Kirche. Mit unseren Erfahrungen – den schönen und den schlimmen. Mit unserer Sehnsucht, dass es in dieser Welt Orte geben möge, an denen Gott erfahrbar ist. Heilsam. Lebensstärkend. Fröhlich machend.
Nicht ohne Grund ist über die uns ohnehin verbindende Gemeinschaft aller Glaubenden auch Gemeinschaft der Ordinierten so wesentlich. Wir sind nicht allein unterwegs. Wir dürfen fragen, wir dürfen Hilfe holen, wir dürfen von- und miteinander lernen.
37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.
Vieles wartet auf euch. Wind und Wellen. Glattes Meer, auf dem die Sonnenstrahlen wie Diamanten glitzern. Sonnenuntergänge so schön, dass sich das Herz zusammenzieht. Aber auch: Raue Gischt, die wie Nadeln auf eure Haut trifft. Salz auf den Lippen. Wellen so hoch, dass ihr Schutz suchen müsst, um nicht in Gefahr zu geraten.
Am Wasser und auf dem Wasser lernen wir, was das Leben alles für uns bereithalten kann. Wir lernen, was Angst bedeutet und dass sie uns innen drin so klein machen kann, dass alles, was wir im Studium und Vikariat über Gottvertrauen und Hoffnung gelernt haben, auf die Größe einer Stecknadel schrumpft.
Da es ist gut, wenn wir selber Sturm-Erfahrungen kennen. Innere und äußere. Wenn wir wissen wie es, wenn der Sturm so stark wird, dass das Boot voll Wasser läuft. Wie es ist, wenn wir selber mal nicht wissen, wie lang wir noch durchhalten, wie lang die Kraft und der Glaube reicht. Es ist gut, dass wir nicht nur von den hellen und heilen Seiten des Glaubens berichten können, sondern auch die dunklen und gottfernen erlebt haben. Denn die Menschen, mit denen wir zu tun haben – in unseren Gemeinden, bei den Kasualien – die kennen diese Seiten auch. Und häufig fühlen sie sich schlecht, wenn sie zweifeln. Als wären sie nicht würdig für Gott, für die Kirche, mit ihrer Angst, ihrem Versagen, ihre Fragen. Deshalb ist es so gut, wenn wir selber auch diese Seiten nicht verschweigen. Wenn wir Worte finden, die den Schmerz nicht nivellieren, aber dennoch einen Horizont darüber hinaus eröffnen. Worte im Sturm, die der Angst ihr trotziges Gesicht zeigen und es in die harte Gischt halten.
38 Und Jesus war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Wir Pastorinnen und Pastoren sind Expertinnen und Experten für die Fragen, die sich sonst kaum jemand zu fragen traut. Wir stellen sie. Uns selber oder auch stellvertretend für andere. So, wie hier die Jünger. Sie finden sich nicht einfach ab mit dieser Situation. Sie ärgern sich auch. Was liegt Jesus da rum und schläft, während draußen die Hütte brennt? Wieso kümmert er sich nicht? Sie sorgen dafür, dass hier was weitergeht. Dass nicht die Angst das letzte Wort hat.
Dafür braucht es uns auch. Nicht in der Furcht verharren, sondern weitergehen. Unbequeme Fragen stellen. Menschen aufwecken, sie in Bewegung bringen.
Ich weiß, wie schwierig die Situation in vielen Gemeinden momentan ist. Vor allem die Unsicherheit, wie es alles überhaupt weitergeht mit der Kirche, kann lähmen. Lähmung aber ist Stillstand.
Deshalb braucht es uns als professionelle Mutmacherinnen und Mutmacher, die andere aufrütteln. Die Menschen in Bewegung und ins Handeln bringen, weil es keine Lösung ist, dass wir uns so lange hinten im Boot schlafen legen, bis die Stürme des Lebens über uns hinweggezogen sind.
39 Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40 Und er sprach zu den Jüngern: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Jesus lässt sich tatsächlich wecken. Er steht auf. Er ist allerdings kein Schnacker. Würde wahrscheinlich hier im Norden gut zurechtkommen. Er fängt nicht an, mit seinen Jüngern zu diskutieren – darüber, dass ihre Angst unbegründet ist, weil es einfach nur der See Genezareth ist und nicht der Atlantik und es daher ziemlich albern ist, hier Sorge zu haben in Seenot zu geraten. Nur zwei Worte dazu von ihm. Schweig! Verstumme! Das reicht.
Manchmal reicht wenig, um alles in ein neues Licht zu rücken.
Manchmal reicht eine Frage, um die Perspektive aufs Leben zu verändern.
Es brauch aber diejenigen, die sie stellen. Die sagen: „Halt, Stopp. So nicht weiter.“ Die Haltung zeigen, wenn es nötig ist. Im Kirchgemeinderat, in Auseinandersetzungen zwischen politischen Gegnern, in Gremien. Das sind nicht nur, aber auch wir.
Was dann folgt, ist genauso wichtig, wie die klare Ansage. Es folgt – „eine große Stille“. Es braucht die Zeit für eine Zäsur. Für Stille, für geistliches Auftanken. Einmal Gedanken sortieren. Einmal alles neu justieren. Diese Zwischenzeit gerät häufig beim Lesen dieser Geschichte aus dem Blick, weil alles so aufgewühlt scheint. Aber sie ist ganz wesentlich. Wenn wir nicht mutig sind und uns Zeit nehmen für Pausen, in denen sich alles setzen kann, kommen wir nicht weiter auf unserem Weg. Von daher ist auch diese Aufgabe für ein geistliches Leitungsamt unabdingbar: Zeiten für die „große Stille“ ermöglichen.
Und erst von dort aus kann es weitergehen zu einer Vertiefung. Zum wirklichen Auseinandersetzen mit Situationen und Problemen. Jesus fragt ja erst dann: Warum? Warum habt ihr so viel Angst? Was ist mit eurem Glauben?
41 Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Nach so vielen Jahren Lernen – theoretisch und ganz praktisch – seid ihr jetzt Profis. Am Steuer, am Segel, in der Kombüse, oder auch mal ganz entspannt im hinteren Teil des Bootes, während vorn alle aufgeregt und panisch sind.
Eins aber, eins dürft ihr trotz aller Professionalität nicht vergessen. Dass ihr niemals fertig seid – mit dem Lernen, mit dem Leben, mit der Welt. Dass es immer Neues zu entdecken gibt, dass es Fragen gibt, die immer wieder neu gestellt werden müssen und mit denen wir nie fertig werden. Besonders diese eine Frage, mit der werdet bitte niemals fertig, so dass ihr sie irgendwann vergesst zu stellen: „Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Werdet nicht fertig mit – Gott.
Bleibt offen für Wunder. Für Heilung. Für alles, was das Leben für euch und die euch anvertrauten Menschen bereithält.
Bessere Worte als Rose Ausländer sind dafür nicht zu finden. Deshalb zum Schluss, für euch und auch für uns alle –
Die Herzschläge nicht zählen
Delphine tanzen lassen
Länder aufstöbern
aus Worten Welten rufen
horchen was Bach
zu sagen hat
Tolstoi bewundern
sich freuen
trauern
höher leben
tiefer leben
noch und noch
Nicht fertig werden
Und jetzt, jetzt geht es los, liebe Geschwister. Das Schiff ist abfahrbereit, eure Gemeinden warten, Leinen los also!
Freut euch. Auf euch warten wunderbare Welten, knackige Stürme und Sonnenstrahlen, die wie Diamanten auf dem Wasser glitzern. Auf euch wartet einer der schönsten Berufe der Welt.
Amen