Predigt in der Christvesper am Heiligen Abend 2024
24. November 2024
Predigt zu Lukas 2
I
Dunkel und still ist es an diesem Abend. Nur ein paar Autos sind unterwegs. Zuweilen ein Bus oder eine Straßenbahn mit wenigen Fahrgästen. Auf den Straßen Menschen auf dem Weg zur Kirche. Stimmengemurmel und Weihnachtswünsche. Aber auch Fragen, Bedrückung und Unsicherheit - die Bilder vom Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sind in Kopf und Herz. Das Entsetzen, der auch über die Entfernung hinweg mitfühlende Schmerz , die geteilte Trauer, die bedrängenden Sorgen um die Verletzten. Und Fragen, die keine Antwort finden.
Die Glocken läuten erst in der Ferne, werden dann lauter, je näher man kommt. Dann endlich angekommen: Die schweren Domtüren sind weit geöffnet - willkommen heute, am Heiligen Abend, willkommen hier, wo wir alle zu Hause sind - willkommen beim Kind in der Krippe, willkommen unter dem Kreuz, willkommen im Licht des Lebens.
Dunkel ist es und still an diesem Abend. Die Welt da draußen scheint weg und ist doch da in Kopf und Gedanken. Wie geht es weiter in unserem Land, nach dem schrecklichen Anschlag vor wenigen Tagen und mancher Ungewissheit auch weiterhin? Was werden die Wahlen im Februar nächsten Jahres bringen? Wie wird es weltweit weitergehen wenn der neue US-Präsident und seine Minister und Berater im Amt sein werden? Wie geht es weiter in der Ukraine, mit dem Krieg mitten in Europa? Wie geht es weiter in Israel und Gaza, in Syrien, im Sudan? Welche Auswirkungen des Klimawandels werden uns betreffen, und wie wird das aussehen?
Wie wird nur alles werden, wie nur, wie?
Jetzt sind wir hier - willkommen dort, wo wir alle zu Hause sind - willkommen beim Kind in der Krippe, willkommen unter dem Kreuz, willkommen im Licht des Lebens.
Dunkel ist es und still an diesem Abend. Wie wird es werden in weihnachtlicher Runde in diesen Tagen? Jetzt, wo eine, wo einer nicht mehr mit uns feiern wird - das erste Weihnachten ohne ihn, ohne sie. Wie wird es werden, jetzt, wo andere Menschen mit dabei sind, ein neugeborenes Kind, eine Lebenspartnerin, ein Lebenspartner, vielleicht das erste Mal Weihnachten als neue Familie? Wie wird es werden, dieses Jahr ganz allein unter dem Weihnachtsbaum oder doch noch im Krankenhaus? Wie wird es werden mit diesem unbestimmten Gefühl, dass alles einfach zu viel und die Erschöpfung so groß ist? Und wie wird es werden mit der so großen Vorfreude auf gutes Essen, gemeinsame Zeit, auf Geschenke, die erfreuen und ein Lächeln aufs Gesicht zaubern?
Wie nur, wie?
Jetzt sind wir hier - willkommen dort, wo wir alle zu Hause sind - willkommen beim Kind in der Krippe, willkommen unter dem Kreuz, willkommen im Licht des Lebens.
II
Jetzt sind wir hier und hören auf die alten vertrauten Worte, nach denen wir uns sehnen. Weil wir wissen: Nur, wenn diese Worte gesagt werden, nur dann wird es wirklich Weihnachten werden: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ „ ..die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“
Jedes Jahr sehne ich mich neu danach, diese Worte zu hören inmitten einer Welt, in der vieles sorgen und ängstigen kann. Ich denke an die Menschen, die in den letzten Tagen in Magdeburg ihre Anteilnahme mit den Opfern und ihren Angehörigen zum Ausdruck gebracht haben. In Gebeten und Fürbitten versuchten sie in Worte zu fassen, was nur schwer zu fassen ist. Sie zündeten Kerzen an, legten Blumen nieder oder hielten still inne - alles Gesten und Zeichen, die in Trauer, Angst und Schmerz spüren lassen: „Du bist nicht allein. Da bin ja noch ich, da sind ja noch wir, da gibt es jemanden neben dir. Wir stehen zusammen. Auch jetzt. Gerade jetzt“.
Inmitten aller Gedanken, die heute bewegen, hören wir auch in diesem Jahr die gute Nachricht von der Geburt des göttlichen Kindes: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ In einer Welt, in der Kriege toben und Menschen einander entsetzliche Gewalt antun, singen Gottes Engel beharrlich ihren himmlischen Gesang gegen unsere irdische Angst: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
In dieser Welt setzt Gott an Weihnachten seine einzigartige, tief gründende Trostbotschaft. Denn in diesen dunklen und stillen Abend, in alle Finsternis banger Herzen und aufgewühlter Gedanken hinein scheint hell das tröstliche Licht des Lebens. Es scheint auf dem Antlitz des neugeborenen Christuskindes, es scheint aus der Krippe in unsere Welt, flackernd vielleicht und klein, aber es scheint. Es scheint beharrlich in unsere Welt, in unsere von Hass und Gewalt und Tod so gezeichnete Welt.
Und es erinnert uns: ja, in dieser Welt ist vieles, was schwer und belastend ist. Aber das ist nicht die ganze Wirklichkeit. Ja, Menschen können einander das Leben zur Hölle machen, und viel zu oft sehen wir ohnmächtig und hilflos auf das, was geschieht. Und dennoch: wir alle, jede und jeder von uns tragen viele Möglichkeiten in uns. Und es ist gut und wichtig, dass wir die Möglichkeiten zum Tun des Guten und damit zur Hoffnung nicht vergessen.
Mit dem neugeborenen Kind in der Krippe antwortet Gott auf die Angst, dass vielleicht alles zu Ende gehen und in Leid und Schmerz versinken könnte. Gott antwortet darauf mit einem neuen Anfang, mit einer Geburt: Neues Leben kommt zur Welt, ein Kind, ein Grund zur Freude und ein Versprechen hin auf eine gute Zukunft. Denn mit diesem Kind, das heranwachsen und Christus genannt werden wird, kommt eine neue, eine tröstende und ermutigende Botschaft in die Welt. Eine Botschaft, die von Liebe und Barmherzigkeit nicht nur spricht, sondern sie selbst verkörpert, lebendig lebt. Und so selbst dem scheinbar allmächtigen Tod das Ende seiner Herrschaft und Macht ankündigt. Die kleinen und großen Gehilfen des Todes, die, deren Blicke töten möchten, und erst recht die, die mit Gewalt Tod und Schrecken verbreiten, hören die Botschaft: Damit soll es ein Ende haben. Damit wird es ein Ende haben.
Denn mit der Geburt des Christuskindes geht ein neuer Stern über unserem Leben auf. Ein neues Licht macht unser Leben hell. Das Licht des Christuskindes, das später von sich sagen wird: „Ich bin das Licht des Lebens. Wer an mich glaubt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
“ Weihnachten schenkt uns das Licht des Lebens - Leben gegen alle Finsternisse und Todesmächte. Dieses Licht des Lebens setzt das klare Signal: was auch geschieht, es gibt die Möglichkeit der Entscheidung: für Liebe und Barmherzigkeit. Christus, das Licht des Lebens selbst, markiert mit seinem Leben diese Möglichkeit und macht damit einen Unterschied. Denn es macht einen Unterschied, wenn er nicht fordert, das andere ihr Leben für ihn und seine Ziele opfern, sondern selbst sein Leben hingibt, damit alle das Leben haben. Es macht einen Unterschied, dass er nicht sagt: „Sieh zu, wie Du zurecht kommst, hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner!“ sondern statt dessen einlädt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ich bin für euch da.“ Es macht einen Unterschied, dass Gott uns Menschen und die Welt nicht verloren gibt, dass er uns nicht aufgibt, sondern uns das Licht des Lebens schenkt, das hell aus der Krippe bis zu uns scheint und seine Kraft entfaltet.
III
Seit damals im Stall zu Bethlehem scheint das Licht des Lebens hell. Beharrlich. Stetig. Von ihm gehen aus: Frieden. Liebe. Barmherzigkeit. Es eröffnet neue Perspektiven. Lässt Möglichkeiten sehen, wo bisher nur Unmöglichkeiten waren. Weckt Hoffnung in dunkler Zeit: Dass es Liebe gibt, mehr als du meinst. Dass Barmherzigkeit möglich ist, mehr als du denkst. Dass Frieden wachsen kann, selbst wenn du es nicht glaubst.
Draußen ist es dunkel und still an diesem Abend. Aber hier, wo wir alle zu Hause sind, hier beim Kind in der Krippe und unter dem Kreuz, scheint hell das Licht des Lebens. Lasst durch seinen Schein unser Leben hell werden. Lasst euch berühren von seiner Botschaft. Lasst uns selbst ein Teil dieses Lichtes werden. Lasst uns so einen Unterschied machen in dieser Welt. Denn es macht einen Unterschied, wenn eine bei fiesen Bemerkungen über andere sagt: „Stopp. So nicht. Nicht mit mir.“ Es macht einen Unterschied, wenn Menschen die Versuche zu spalten und zu polarisieren nicht mitmachen und sagen: „Hört auf damit. Denn wir alle gehören zusammen, und gemeinsam sind wir wichtig.“ Es macht einen Unterschied, wenn uns andere nicht egal sind, nicht die Opfer von Hass und Gewalt, nicht die Obdachlosen in unseren Städten, nicht die, die zu wenig zum Leben haben, nicht die, die sich in der Ukraine, im Sudan, in Israel und Gaza und in so vielen Teilen der Erde nach Frieden sehnen, und auch nicht die, die sich wünschen, dass wir endlich, endlich achtsam mit allen Geschöpfen auf dieser Erde, auch mit Pflanzen und Tieren, zusammenleben in der großen und überwältigenden Schönheit der Schöpfung Gottes.
Nehmt an Weihnachten das Licht des Lebens in euer Leben und in euer Herz. Lasst uns in seinem Licht gemeinsam einen Unterschied machen: in unserem Miteinander zu Hause, in den Familien, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, auf den Straßen, in unserem Land - den Unterschied der Liebe und Anteilnahme, der Barmherzigkeit und des Friedens.
Nehmt und teilt das Licht des Lebens, das im Stall zu Bethlehem seinen Anfang nahm und seit Jahrtausenden Menschen inspiriert, daran mitzuwirken, dass diese Welt heller, lebenswerter, friedlicher und mitmenschlicher wird. Fürchtet euch nicht, dabei einen Unterschied zu machen, damit Angst und Verzweiflung klein und Liebe und Barmherzigkeit, Frieden und Versöhnung groß werden. Gott gibt uns Menschen, Gott gibt diese Welt nicht verloren - zum Zeichen dafür ist Christus geboren, das Licht des Lebens, das Licht der Welt. Friedliche und frohe, reich gesegnete Weihnachten!
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Zur Weitergabe des Lichtes:
Nehmt vom Licht des Lebens,
das seit Jahrtausenden in unsere Welt scheint
und Menschen inspiriert,
daran mitzuwirken,
dass diese Welt heller, lebenswerter,
friedlicher und mitmenschlicher wird.
Nehmt vom Licht des Lebens,
das gegen alle Todesmächte beständig strahlt.
Nehmt von diesem Licht des Friedens und der Versöhnung,
der Barmherzigkeit und der Liebe
und gebt es einander weiter.
Nehmt dieses Licht in euer Herz,
nehmt es mit nach Hause,
lasst es euer Leben heller machen
und helft mit, dass auch das Leben anderer heller wird.
Fürchtet euch nicht,
dabei einen Unterschied zu machen,
damit Angst und Verzweiflung klein
und Liebe, Barmherzigkeit und Frieden groß werden.
Christus ist geboren,
das Licht der Welt.
Nehmt und teilt das Licht des Lebens!