Kirche mit Zukunft

Predigt über 1. Kor. 12, 4-11

02. September 2006 von Hans-Jürgen Abromeit

Vor einiger Zeit bin ich in eine Männerrunde geraten, sechs Männer aus Greifswald, alle Jahrgang 1954. „Was ich Sie eigentlich fragen wollte: Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?“ Und ich habe ungefähr so geantwortet: „Wir werden noch einige Jahre durch eine Zeit der Krise gehen. Aber grundsätzlich ist mir um unsere Kirche nicht bange. Weltweit wächst die Kirche im Moment wie noch nie, seit dem es Kirche gibt. Die Menschen haben ein großes Verlangen nach Überschreitung des Vorfindlichen, eine Sehnsucht nach Transzendenz, einen Durst nach Gott und Ewigkeit. Der Mensch ist auf ein großes Du angelegt. Tief innen ist in uns die Hoffnung eingegraben, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Und offensichtlich ist der christliche Glaube für immer mehr Menschen eine überzeugende Antwort auf ihre Fragen und Sehnsüchte. Warum sollte das nicht in Pommern gelten? Aber offensichtlich bringen viele gerade hier bei uns die Kirche nicht in Verbindung mit ihrer Suche nach Orientierung und einem Halt im Leben. Es wird gerade in den nächsten Jahren darauf ankommen, dass wir die evangelische Kirche so aufstellen, dass sie im Horizont der Menschen als Trägerin einer überzeugten Antwort auf ihrer Suche nach Sinn und Orientierung erscheint.“
So ungefähr habe ich geantwortet, denn nach wie vor braucht der Mensch Sinn und Orientierung und da ist die gute Botschaft von dem Gott, der in diese Welt hineingekommen ist, der in Jesus Christus Leib geworden ist, der das Menschsein in seinen Höhen und Tiefen körperlich erfahren hat und deswegen wie kein anderer uns in unseren Problemen und Nöten beistehen kann, nach wie vor eine unüberbietbar gute Botschaft. Dieser Jesus Christus ist geistig, im Geist Gottes auch heute unter uns anwesend und schenkt uns Anteil an der Wirklichkeit Gottes. Dieses pulsierende Leben beginnt jetzt und geht in Ewigkeit nicht zu Ende. Diese Botschaft ist unüberbietbar, spannend und einladend. Leider bringen viele Außenstehende die verfasste Kirche mir ihr nicht in Verbindung. Er weiß nicht, warum es die Kirche gibt. Aber wissen wir, die Kircheninsider, warum es Kirche gibt? Haben wir eine Vorstellung von der Kirche, nach der sie eine Antwort auf die Sehnsüchte der Menschen ist? Wie wird die Kirche – mit Paul Zulehner gesprochen – spirituell eine gute Adresse?

In drei Schritten möchte ich mit Ihnen nach der Antwort auf diese Fragen suchen:
1. Vision: Gemeindekirche
2. Kirche als Leib Christi
3. Was sich ändern muss

1. Vision: Gemeindekirche
Der farbige Journalist, Komponist und Saxofonist James McBride (Jahrgang 1954) erzählt in seinen Erinnerungen, wie er inmitten von zwölf Geschwistern seinen Weg finden musste. Seine Mutter war Jüdin, ja sogar aus orthodox jüdischem Haus, sein Vater ein schwarzer Baptistenprediger. Gemeinsam hatten die beiden in den 50er Jahren in Brooklyn (New York) eine Gemeinde gegründet hat und dann jahrzehntelang geleitet. Die Mutter weiß etwas von der Entwicklung von Gemeinden. Sie ist zu einer Art Expertin für den Aufstieg und den Niedergang von Gemeinden geworden. So fragt sie ihren Sohn: „Du hättest auch Pfarrer werden sollen. Hast du das jemals überlegt? Aber man muss vorausschauend sein. Und man braucht eine Vision. Hast du eine Vision?“ Ihr Sohn ist ehrlich und antwortet: “Wahrscheinlich habe ich keine.“ Darauf die Mutter: „Na, wenn du keine hast, dann solltest du Gott auch nicht auf die Nerven fallen.“1
Mir scheint, Frau McBride hat Recht. Uns fehlen die leitenden Vorstellungen für das, was eine Gemeinde sein sollte. Es ist in den Kirchen deswegen häufig so langweilig, weil wir einfach immer so weiter machen wie bisher. Wir fragen nicht zielgerichtet, wofür eine Gemeinde da ist und welche Gestalt sie dementsprechend haben sollte. Wir finden etwas vor und schreiben es fort. Wir führen einige Neuerungen ein, bemühen uns gewaltig, aber alle Energie, die wir verwenden, zielt darauf, das Bisherige besser zu machen. Doch entsprach die bisherige Gestalt der Kirche dem Willen Gottes? War sie auf der Höhe der Zeit? Fällt unsere Kirche deswegen nicht nur einer zunehmenden Zahl von Menschen, sondern sogar - wenn Frau McBride recht hat - Gott auf die Nerven?

Was ist eine Vision? – Eine Vision nimmt eine denkbare Situation, die in der Zukunft eintreten oder herbeigeführt werden könnte, geistig vorweg. Eine Vision ist eine inspirierende Gesamtschau von Gemeinde, die uns durch die Schrift von Gott geschenkt wird.
Der Apostel Paulus kann uns helfen, zu einer solchen Vision zu finden. Solange die Kirche als Organisation und Institution erlebt wird, teilt sie das Schicksal anderer Institutionen. Man braucht sie wie Parteien, Gewerkschaften oder Vereine. Einige wenige werden sich in ihr engagieren, aber die meisten werden denken: „Ich bin religiös unmusikalisch. Mich geht das alles nichts an.“ Anders sieht das aus, wenn die Kirche nicht eine Veranstaltung einiger für andere ist, sondern eine Wirklichkeit, in der ich immer schon lebe, wenn ich merke: Hier gibt es Antwort auf meine Sehnsucht und einen Ort, wo ich gebraucht werde und zuhause bin. In 1.Kor. 12, 4-11 schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth: „Es gibt verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es gibt verschiedene Aufgaben (Dienste); aber es ist ein Herr. Und es gibt verschiedene Begabungen; aber es ist ein Gott, der alles in allen wirkt. Jedem einzelnen wird die Offenbarung des Geistes gegeben zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem anderen wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem anderen Glaube, in demselben Geist; einem anderen die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem anderen die Kraft, Wunder zu tun; einem anderen prophetische Rede; einem anderen die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede; einem anderen die Gabe, die auszulegen. Dies alles wirkt derselbe eine Geist und teilt jedem das seine zu, wie er will.“

2. Kirche als Leib Christi
Natürlich ist Kirche nur dort, wo es um Jesus Christus geht. Die biblisch - reformatorischen Grundaussagen werden sehr schön dargestellt in den Gemälden des Reformationsaltars von Lukas Cranach dem Älteren in der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg. Der Altar mit seinen vier Gemälden ist die anschauliche Darstellung des reformatorischen Verständnisses von Kirche. Kirche wächst dort, wo das Evangelium von der Liebe Gottes gepredigt und die Sakramente dargereicht werden. Alles hängt vom „Wort vom Kreuz“, von der Selbsthingabe Gottes im Sterben Jesu Christi ab. Über dem Altar steht: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor. 3,11).
Die drei Hauptbilder des Altars, die die Taufe, das Abendmahl und die Beichte darstellen, ruhen auf einem anderen, kleineren Gemälde auf, das das „Wort vom Kreuz“ illustriert. Hier ist in einem sehr schlichten Kirchenschiff rechts Luther auf der Kanzel dargestellt. Ihm gegenüber steht und sitzt die Wittenberger Gemeinde, darunter auch der Maler Lukas Cranach, Luthers Frau Käthe und sein Sohn Hans. Die Bildmitte allerdings wird beherrscht von einer großen Kreuzesdarstellung Jesu. Zwischen dem Prediger und der Gemeinde steht der gekreuzigte Christus. Das Kreuz Christi steht in der Mitte. In dem Gekreuzigten findet die Kirche ihren Ursprung, ihre Grenze und ihre Kraft. Im Zentrum des christlichen Glaubens steht einer, der freiwillig den Weg des Leidens und Sterbens für andere gegangen ist. Der Gekreuzigte ist nicht am Ende. Das wehende Lendentuch zeigt, dass in diesem Sterbenden bereits die Kraft der Auferstehung wirkt.

Die Erinnerung an die reformatorischen Ursprünge von Kirche zeigt uns dreierlei:
1. Die Kirche kann nicht von Menschen gemacht werden. Die Kirche Jesu Christi ist ein Geschenk Gottes. Menschen können das Wachstum der Kirche aber sehr wohl verhindern.
2. Die Kirche gewinnt ihr Profil durch den Bezug auf Jesus Christus. Je mehr seine Botschaft in ihr deutlich wird, desto stärker muss sie bereit sein, Kirche des Gekreuzigten und Auferstandenen zu werden.
3. Die Kirche Gottes ist eine konkrete Gemeinde. Die Kirche lebt als Gemeindekirche.

Jesus hat die Grundlage für eine ganz neue, Zeiten und Räume übersteigende Nachfolgegemeinschaft gelegt, die dann nach Ostern und maßgeblich durch den Apostel Paulus zu einer die ganze damalige Welt umspannende Gemeindekirche wird.

Darunter verstehen wir eine Kirche, für die das konkrete Miteinander in einer sozial erfahrbaren Gemeinschaft grundlegend ist. Die Briefe des Apostel Paulus sind eine Fundgrube für das Verständnis einer solchen aus lauter selbständigen Gemeinden bestehenden Gemeindekirche. Das Geheimnis liegt in Zweierlei: Keine Gemeinde ist allein Kirche. Sie ist es nur in der Beziehung zu den anderen Gemeinden in ihrer Umgebung und der weltweiten Ökumene. Nur gemeinsam mit anderen Gemeinden ist sie Kirche.
Andererseits bildet jede Gemeinde in sich einen Kosmos von Beziehungen und gegenseitigen Ergänzungen ab. Das bringt Paulus sehr schön durch das Bild von dem einen Leib und seinen Gliedern zum Ausdruck.
In 1.Kor. 12, 4-11 schreibt er an die Gemeinde in Korinth: „Es gibt verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es gibt verschiedene Aufgaben (Dienste); aber es ist ein Herr. Und es gibt verschiedene Begabungen; aber es ist ein Gott, der alles in allen wirkt. Jedem einzelnen wird die Offenbarung des Geistes gegeben zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem anderen wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem anderen Glaube, in demselben Geist; einem anderen die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem anderen die Kraft, Wunder zu tun; einem anderen prophetische Rede; einem anderen die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede; einem anderen die Gabe, die auszulegen. Dies alles wirkt derselbe eine Geist und teilt jedem das seine zu, wie er will.“

Kirchendistanzierte haben häufig den Eindruck: Die Kirche lebt nicht von innen, sondern wird von Funktionären veranstaltet. Aber Paulus zeichnet eine andere Wirklichkeit. Da sind Viele, Unterschiedliche, die jeweils an ihrem Ort und mit ihren Gaben etwas einzubringen haben in das Ganze. Dieses Ganze nennt Paulus: Leib Christi. In dieser Gemeinschaft gibt es Menschen – Paulus nennt relativ zufällig, gerade das, was ihm in Anschauung seiner korinthischen Gemeinde in den Sinn kommt: Die eine, die aufgrund ihrer Lebenserfahrung raten kann, den andern, der elementar den Glauben aufschließen kann. Der dritte versprüht Zutrauen, ein anderer hat die Gabe, körperlich zu helfen, die nächste kann so beten, dass Wunder geschehen, ein anderer hat einen Durchblick durch die unüberschaubare Gegenwart und kann Orientierung geben. Ein anderer hilft, die religiösen Angebote und die Lebenshilfeversprechungen zu unterscheiden zwischen lebensförderlich und lebensabträglich. Schließlich gibt es in der Gemeinde auch solche, die einfach die Gabe haben, sich ekstatisch zu freuen und dann gibt es auch die anderen, die diese wieder auf den Boden herunterholen. Ein buntes Bild von einer Gemeinde im ersten Jahrhundert zeichnet der Apostel.

Aber ausschlaggebend bei all dem ist, dass das, was sich hier tummelt, einen gemeinsamen Ursprung hat. Es ist gewirkt von dem einen Geist Gottes, der Anteil gibt an Jesus Christus und der Jeder und Jedem das Seine zuteilt. Paulus bezieht die Vielfalt der Gemeinde zurück auf den Dreieinigen Gott. Der Apostel hat sich seinen Einstieg in diesen Gedankengang offensichtlich sehr gut überlegt. Die vielgestaltige Einheit und die versöhnte Verschiedenheit in der Gemeinde haben ihren Ursprung im Dreieinigen Gott. Ich lese die Verse 4 bis 6 noch einmal in einer eigenen Übersetzung: „Es gibt verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. Und es gibt verschiedene Aufgaben; aber es ist ein Herr. Und es gibt verschiedene Begabungen; aber es ist ein Gott, der alles in allen wirkt.“
Der Trinität von Geist, dem Herrn Jesus Christus und dem Schöpfer Gott entspricht die Dreiheit von Gaben, Aufgaben und Begabungen. Das die Glaubensgemeinschaft bestimmende Prinzip ist der Geist Christi. Er führt verschiedene zu einem Leib zusammen. Vor Gott sind wir alle gleich. Und darum ist die Übersetzung Martin Luthers, der in Vers 5 von Ämtern redet, unpassend. Es geht in der Gemeinde Jesus Christi nicht um eine Ämterhierarchie, sondern um die Verschiedenheit von Diensten und Aufgaben. Vor Gott sind wir gleich, zugleich sind wir aber sehr verschieden nach den Gaben, die wir empfangen haben. In der Gemeinde Jesu Christi gilt nicht: Die Einen sind die Autoritäten und geben die Anweisungen und die anderen führen aus. Es gilt eben im Leibe Christi nicht: Die Einen lassen sich bedienen und die anderen dienen, sondern in diesem Leib trägt jeder an seiner Stelle seine eigene Verantwortung für das Ganze.
Genau das ist der entscheidende Punkt im Bild vom Leibe. Der Dienst jedes einzelnen Gliedes ist für das Ganze wichtig. Fällt ein Glied aus, ist das Ganze gestört. Wenn wir unsere Gaben von Gott bekommen haben und dies unser Anteil am Herrn ist, dann müssen wir einen spezifischen Dienst entsprechend unserer besonderen Berufung ausführen, sonst nehmen wir unseren Anteil am Herrn nicht wahr. Deswegen ist Gnadengabe immer auch Aufgabe. Eine nicht wahrgenommene Gabe ist wie ein Körperteil, der verfault und der den ganzen Körper infiziert. Dann ist der Körper krankt. Gnade ist nie etwas, auf dem ich mich ausruhen kann, sondern immer etwas, was aktiviert. Deswegen ist Dienst Gnade.

Unter der Asche der Organisations- und Fassadenkirche glüht noch immer der Geist Gottes. Ja, dem heutigen Lebensgefühl entsprechen nicht eine verbindliche Mitgliedschaft und der regelmäßige Kirchgang. Es ist wahr, die Menschen wollen sich heute nicht binden. Wenn sie kommen, suchen sie das besondere, ultimative Erlebnis. Wie kann sich dann der Geist Gottes heute aufs Neue entfachen und als helle Flamme in unserer Kirche lodern? Wie wird die Kirche zu dem ihr von Jesus Christus aufgetragenen Dienst fähig?

Auf diese Fragen antwortet der Apostel Paulus auf seine Weise. Durch die Sakramente Taufe und Abendmahl werden Menschen, die sich bisher fremd waren, zum „Leib Christi“ zusammengefügt. Wir werden „in Christus hinein getauft“, (vgl. Röm. 6, 3 f). Die Taufe ist die Eingliederung in den Leib Christi. An anderer Stelle sagt der Apostel „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Jesus Christus. Denn wie viele von euch auf Christus getauft sind, die haben Christus angezogen.“ (Gal. 3, 26 f) So wie die Taufe unsere Mitgliedschaft am Leibe Christi begründet, so ist das Abendmahl die Erneuerung dieser Gemeinschaft: Wenige Verse vor unserem Predigttext erinnert Paulus die Korinther: „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ (1. Kor. 10, 16 f).

Es sind ungeheure Bilder und Vorstellungen, die der Apostel verwendet. Wir merken gleich, hier ist die Grenze zwischen der sichtbaren und erfahrbaren Gemeinschaft und einer großen überzeitlichen und überräumlichen Gemeinschaft fließend. Auf der einen Seite ist es die konkrete Gemeinde, in der getauft wird und das Abendmahl gefeiert wird. Es ist die konkrete Gemeinde, in der Menschen sich real begegnen, die den Leib Christi bildet. Es muss nicht unbedingt die Ortsgemeinde sein, aber auf jeden Fall die Gemeinde derer, die sich als Brüder und Schwestern erfahren. Die Menschen erfahren den anwesenden Christus in einer konkreten Gemeinde. Gerade und nur so wird Christus konkret. Durch die Taufe und durch das Abendmahl wird eine Gemeinschaft von Menschen als Leib Christi definiert. Er selbst ist in dem Wort und in dem Sozialgeschehen dieser Gemeinschaft präsent. Der Leib Christi hat mancherlei Gestalten. „Wo sich Menschen im Glauben um Gottes Wort und Sakrament sammeln, ist die Gemeinde Jesu Christi.“

Jede örtliche Gemeinde bildet sich aus der Tischgemeinschaft mit dem sich für sie in den Tod dahingebenden Jesus und so wird aus vielen Einzelnen etwas gemeinsam Neues. Diese neue Gemeinschaft ist nicht nur eine Gemeinschaft der körperlosen Ideen, sondern im konkreten Miteinander erfahrbar. Sie lebt aus dem gegenseitigen Nehmen und Geben. Sie ist ein gegliederter Organismus, in dem unterschiedliche Menschen sich ergänzen.

3. Was sich ändern muss
Der unsichtbare Gott hat in dieser Welt den Körper Christi zu seinem Wohn- und Wirkungsort gemacht. Dieser Körper Christi ist nicht mit Christi Tod vergangen, sondern existiert heute in der Gemeinde weiter. Dietrich Bonhoeffer hat am Ende seines großartigen Buches „Nachfolge“ gesagt: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“ (281) Das Leben Jesu Christi unter uns und in dieser Welt ist kein Gedanke, sondern ein Körper, eine Körperschaft. Schon mit dieser Grundbewegung ist alle Selbstgenügsamkeit durchstoßen. Die Kirche ist dafür da, um in die Öffentlichkeit und über ihre eigenen Grenzen hinaus zu wirken. Aber die zu diesem Dienst fähige Kirche ist die Gemeindekirche. In einer konkreten Gemeinde wird geglaubt, geliebt und gehofft. Weil Gott seinen Geist einem jeden Glied seiner Gemeinde schenkt, deswegen lebt die Kirche. Indem der eine Geist Gottes jeden Christen begabt, wird die Gemeinde insgesamt fähig, die ihr übertragenen Dienste oder Aufgaben zu tun. Mit den Gaben oder Charismen, die der Geist schenkt, hat die Gemeinde die notwendigen Begabungen, um ihre Aufgaben zu erledigen.

Warum fehlen dann aber heute offensichtlich weithin die Menschen, mit den Gaben und Begabungen, die unsere Gemeinde aufleben lassen? Die beste Antwort auf diese Frage finden wir ebenfalls bei Dietrich Bonhoeffer: „Eine Gemeinschaft, die es zulässt, dass ungenutzte Glieder da sind, wird an diesen zu Grunde gehen.“ (Gemeinsames Leben, 1976, 80).
Das Problem der großen, unüberschaubaren Gemeinden in der Volkskirche sind die über Jahrhunderte ungenutzten Gaben ihrer Glieder. Die vom Geist begabte Gemeinde, die charismatische Gemeinde, baut sich selbst auf. Dagegen haben ungenutzte Glieder eine Gefahr. Sie werden starr und unbeweglich, schließlich können sie sogar absterben. M.E. liegt hier die eigentliche Krise unserer Kirche: Pfarrer, Kantoren und Küster und ein kleiner Kreis kirchlicher Expertinnen und Experten haben Jahrhunderte lang mit viel persönlicher Mühe Kirche veranstaltet. Viele andere, die auch in diesen Jahrhunderten mit ihren kleinen und großen Gaben da waren, konnten sie in unserer Kirche nicht zur Geltung bringen. Das hat in langer Zeit eine Konsumentenhaltung in unseren Gemeinden befördert. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Beispielen erzählen, die die Absurdität unserer Situation gut zeigen. Da zieht jemand in eine Gemeinde und fragt, ob es Möglichkeiten gäbe, mitzuarbeiten. Er bekommt zur Antwort: „Ach danke für ihr freundliches Angebot. Aber eigentlich sind bei uns alle Aufgaben verteilt. Das Notwendige wird bereits erledigt.“
Wenn kirchliche Mitarbeitende so reden, nehmen sie die Wirkung des Geistes Gottes unter uns nicht wahr. Dadurch stirbt die Kirche als lebendiger Organismus ab. Die Kirche, die die Pfarrer/innen und die kirchlichen Mitarbeiter veranstalten, ist das Gegenteil der Gemeindekirche. Paulus geht sogar noch einen Schritt weiter. Er nennt die Begabung jedes Einzelnen durch den Geist Gottes eine Offenbarung. Es ist eben der Anteil am Herrn und der Einblick in seinen Willen, wenn Gott Menschen mit einer bestimmten Fähigkeit begabt. Und er geht davon aus: Jede und Jeder in unseren Gemeinden hat diese Begabung. Es gibt in unseren Gemeinden keinen unbegabten Menschen. Wir müssen nur entdecken, wozu die Einzelnen begabt sind, was sie zum Wohle der Gemeinschaft einbringen können. Der Geist will sich Jedermann offenbaren und zwar so, dass alle dadurch einen gegenseitigen Vorteil haben.

Es wird in Zukunft viel, vielleicht alles davon abhängen, ob wir beginnen, Gaben zu entdecken. Dadurch dass Jeder und Jede dem ihm oder ihr verliehenen Geist nutzt, beginnt der ganze Leib Christi wieder zu leben. Das ist eine charismatische Gemeinde, eine von Gott begabte und begnadete Gemeinde, in der Jede und Jeder eine Aufgabe zum Wohl aller übernimmt.

Die Gemeinde als Leib Christi, der sich selber auferbaut (vgl. 1. Kor. 12; Röm. 12, Eph. 4) ist für mich eine Vision von Kirche. Um zu einer Gemeindekirche zu werden, wird sich zu allererst unsere Grundeinstellung zur Kirche wandeln müssen.

Wir sollten beginnen, unsere Vision von Kirche zu entwickeln. Ich träume von einer Gemeindekirche, in der Gemeinden Glaube, Liebe und Hoffnung leben. Ich träume von einer Kirche, in der jeder seinen Platz findet und in der jede etwas beizutragen hat. Ich träume von einer Kirche mit einem Sinn für Gemeinschaft, von gemeinsamem Leben, einer Kirche, die das Leben ihrer Mitglieder prägt. Ich träume von einer Kirche, in der Gemeinden Orte sind, an denen die, die verletzt sind an Leib, Seele und Geist, geheilt werden.

Entscheidend wird in Zukunft sein: Wissen wir, wofür wir als Kirche da sind und spiegeln wir die Gewissheit über den Sinn unserer Existenz auch in unsere Gesellschaft? Ich habe der PEK vorgeschlagen und möchte es der ganzen evangelischen Kirche in unserem Bundesland vorschlagen, dass wir unsere Arbeit konzentrieren und nach folgendem Mission-Statement ausrichten:

“Die Evangelische Kirche will den Menschen in unserem Land, auch den gottund kirchenfernen, in Wort und Tat die Gute Nachricht weitergeben, dass Gott sie liebt und er sie zu Nachfolgern Jesu Christi machen will.“

Es kommt darauf an, als Nachfolgekirche zu leben, damit der heute lebendige Jesus Christus in ihr zum Zuge kommt. Alles, was nicht mit diesem Auftrag zu tun hat, können wir dann, wenn es sein muss, auch lassen. Um Jesu Willen dürfen wir allerdings diesen Auftrag nicht versäumen. Dann werden wir weder den Menschen noch Gott auf die Nerven fallen.

 

1James McBride, Die Farbe von Wasser. Erinnerungen, Taschenbuchausgabe München 2001, 275 u. 281.

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