ISRAEL-SONNTAG - WALDKAPELLE ZU NEUWÜHREN

Predigt über 2. Mose 19, 1-6

28. August 2011 von Gerhard Ulrich

Im dritten Monat nach dem Auszuge der Kinder Israel aus dem Lande Ägypten, an diesem selbigen Tage kamen sie in die Wüste Sinai: *2 Sie brachen auf von Rephidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich in der Wüste; und Israel lagerte sich daselbst dem Berge gegenüber. *3 Und Mose stieg hinauf zu Gott; und Jahwe rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du zum Hause Jakob sprechen und den Kindern Israel kundtun: *4 Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe. *5 Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus[A] allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; *6 und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein. Das sind die Worte, die du zu den Kindern Israel reden sollst. 2. Mose 19, 1-6 Liebe Schwestern und Brüder! I Ich danke herzlich für die Einladung, diesen Gottesdienst heute in der Waldkapelle mit Ihnen gemeinsam feiern zu können. Wir stellen uns miteinander unter Gottes Wort – suchen Gottes Zuspruch und Gottes Anspruch als Gemeinde an diesem sehr besonderen Ort unserer Nordelbischen Kirche. Und ich sage Dank allen, die seit Jahrzehnten diese Kapelle zu Ihrer Sache gemacht haben, zu einer Kapelle, in der regelmäßig Gottes Wort verkündigt wird denen, die Sein Wort suchen!

Die biblischen Texte des heutigen 10. Sonntag nach Trinitatis stellen uns in die Tradition einer ökumenischen Gemeinschaft aus Juden und Christen, die sich versteht als miteinander unterwegs auf dem Weg zu Gott hin: Wir hier als ein Teil des wandernden Gottesvolkes aus Juden und allen Völkern weltweit – miteinander unterwegs in einer Wallfahrtsgemeinschaft, so wie es der Psalm 126 zu Beginn unseres Gottesdienstes ausdrückt: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen getan!“

So singen es voller Hoffnung und gegen jede Resignation diejenigen des Volkes Israel, die im Exil leben, verschleppt von ihrer Heimat, vertrieben von dem Ort, da Gott wohnt. Und sie singen dennoch: Wissend, glaubend, erinnernd, dass Gott sie nicht überlassen wird den Tränen, dem Leid, den Feinden.Das ist das Zentrum des Volkes Gottes, von dem her es lebt: Die Erinnerung an den Gott, der es aus der Sklaverei befreit und durch die Wüste zum Gelobten Land geführt hatte. Bis heute ist das das Glaubens-Zentrum der jüdischen Brüder und Schwestern, aus dem sie Kraft schöpfen an vielen Orten der Welt, angesichts von Vertreibung und Vernichtung, die zu immer noch vielen Familien gehört! Und in denen wir auch verbunden sind mit diesem Volk, das in unserer Geschichte bitter hat leiden müssen.

II
Zum Glück, liebe Schwestern und Brüder, hat der heutige Sonntag des Kirchenjahres in den vergangenen Jahrzehnten eine positive Verwandlung erfahren. Da ist etwas passiert – weg von einem Gedenktag, an dem die Kirche eher der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und damit des Niedergangs des Judentums gedachte, hin zu einem Israel-Sonntag, an dem wir uns vergewissern der bleibenden Treue Gottes mit Seinem auserwählen Volk – den Juden zuerst und dann auch aus allen anderen Völkern: „Das Heil kommt von den Juden“ so lautet ein zentraler Satz aus dem Neuen Testament, im Evangelium nach Johannes. „Das Heil kommt von den Juden“ – und es gab die Zeit in unserem Land, als Kinder aufgefordert wurden, diesen Satz aus ihrer Bibel zu streichen. Die Wahrheit der Bibel war den nationalsozialistischen Machthabern zu gefährlich – daher wurde von ihnen eine ganz andere Wahrheit verordnet, die die Köpfe und Herzen der Menschen nach und nach wie ein Krebsgeschwür zerfraß: „Heil Hitler!“ Und wir haben es erlebt – die Folgen dieser ideologischen Verdrehung und Verblendung waren fürchterlich: Das scheußlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die Vernichtung des europäischen Judentums, und die verheerensten Kriegsgräuel seit Menschengedenken im Zweiten Weltkrieg.
Ich erinnere daran, liebe Schwestern und Brüder, weil zeitgleich zu unserem Gottesdienst im Jüdischen Museum in Rendsburg die Nordelbische Kirche zu einer Veranstaltung eingeladen hat anlässlich der für unsere Kirche wegweisenden Synodenerklärung zu „Christen und Juden“ aus dem September 2001. Die Nordelbische Kirche hatte sich in einem sehr intensiven Erinnerungs- und Lernprozess auch ihrer eigenen Geschichte gestellt und dann vor zehn Jahren in der Folge dieser Synodalerklärung auch die Präambel ihrer Verfassung geändert. Seit 2002 steht in der Präambel unserer Verfassung also folgender Abschnitt:
„Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche bezeugt die bleibende Treue Gottes zu seinem Volk Israel. Sie ist im Hören auf Gottes Weisung und in der Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaft mit dem Volk Israel verbunden.

“Liebe Schwestern und Brüder, ich bin sehr dankbar und froh, dass unsere Kirche sich seitdem so versteht – und ebenso dankbar und froh bin ich, dass auch die entstehende Nordkirche mit unseren Partnern in Mecklenburg und Pommern diese Wahrheit laut des vorliegenden Entwurfs für eine neue Kirchenverfassung weiter bekennen wird.

 III
Der Predigttext des heutigen Israel-Sonntags aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 19 verweist uns eindringlich auf das Bild des wandernden Gottesvolkes, das wie auf „Adelers Fittichen“ getragen wird von Gott, der treu ist und barmherzig.
Denn Gott lässt seinen Diener Mose die folgenden Worte ausrichten an das Haus Jakob und alle Israeliten:
 „Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.
Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.
Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heilige Volk sein.“
Welch eine wunderbare Verheißung an ein Volk, das unterwegs ist, das aufgebrochen ist – nur auf sein Wort hin. Welch eine wunderbare Verheißung: was auch geschieht, ich bin mit dir, ich lasse dich nicht!

Das Volk Israel hat die Flucht aus der Sklaverei in Ägypten einigermaßen heil überstanden, Gott war in der Wolkensäule am Tage und in der Feuersäule des Nachts als Schutz und Schirm dabei. Allerdings war das alles nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift kein Sonntagsspaziergang, sondern vielmehr ein gefahrenreicher Zug durch die Wüste – durch die Wüste als Ort der Gefahr von außen ebenso real erlitten wie als Zug durch die Wüste als Ort der Gefahr von innen: Die Bibel erzählt eben nicht nur eine Geschichte von strahlenden Siegern und von starken Glaubenshelden, sondern sie erzählt realistisch und lebensnah auch von zweifelnden, murrenden, sich gegen Gott auflehnenden Zeitgenossen. Dennoch und trotz allem: Gott hält treu zu seinem auserwählten Volk – und er will gerade mit diesem geplagten und fußkranken Volk seinen Bund für das Leben schließen und halten immer und ewiglich. Unter dem Bogen des Segens Gottes sind die Israeliten unterwegs – und mit Ihnen soll dann auch das Gottesvolk aus allen Völkern sich versammeln und mitziehen.

IV
Eigentum verpflichtet – ja dieser Satz gilt auch in der Beziehung zwischen Gott und seinem auserwählten Volk. Allerdings so, dass hier nicht nur der Besitzer in die Pflicht genommen wird, sondern auch der Besitz: Gott gehören heißt für Israel – zu Gott gehören. Und das soll dieses auserwählte und ausgezeichnete Volk Gottes dann auch wirklich sein wollen. Erwählung und Auftrag gehören untrennbar zusammen. Gott erwählt, um zu beauftragen und Zeugen zu sammeln aus allen Völkern für seinen Plan von einem guten Leben für alle Menschen auf Seiner Erde. „Ihr sollt mir ein Königreich und ein heiliges Volk sein“ – das ist eine Ermutigung zum Mittun am Plan Gottes mit der ganzen Erde.

Und das hören wir mit Blick auf die Situation im Nahen Osten ja durchaus auch ambivalent: Angesichts des Terrors und Gegenterrors, der Bomben und Vergeltung klingt diese Verheißung merkwürdig schillernd. Zu welchem Preis? Menschen sterben, unschuldige Menschen verlieren ihr Leben im Heiligen Land im Streit um Besitzstände, um Lebensrecht. Israel mauert sich ein gegen seine Feinde, schneidet anderen, Palästinensern, Lebensadern ab. Versuche, das Land zu befrieden, scheitern wieder und wieder. Neuer Terror gegen Israel, neue Bedrohungen auch für die Palästinenser; eine neue Gefahr durch Syrien ... Das geht uns an hier in Deutschland! Die Existenz eines freien und demokratischen Staats Israel gilt es zu sichern – und zugleich die Kräfte des Ausgleichs zu stärken, die arbeiten für eine friedliche Koexistenz zweier Staaten: Palästina und Israel. Es gibt jede Menge „road maps“ zum Frieden, die sich wieder und wieder als nicht zielführend erwiesen haben. Das Prinzip des „Auge um Auge – Zahn um Zahn“ führt in immer neue Gewalt, nicht zum Frieden. Aber um den Feind zu lieben, wie auch die Hebräische Bibel es verlangt, braucht es Vertrauen, Zutrauen und Mut. Braucht es Menschen, die anfangen aufzuhören mit der Gewalt. Braucht es Menschen wie jene in der Region, die in einer Einrichtung wie „Abrahams Herberge“ zum Dialog der Religionen rufen und so den Frieden suchen. So sind auch wir Christen gerufen, uns unserer gemeinsamen Wurzeln immer neu zu erinnern, die ihre Kraft ziehen aus dem Wort des einen Gottes, des Vaters Jesu Christi!

Das Mittun am Plan Gottes mit der ganzen Erde wird sein zuerst und vor allem ein Hören auf Gottes Stimme: Immer wieder neu. Beim Hören auf Gottes Stimme wird das Gottesvolk immer wieder neu Weisung erfahren für den Weg, der zu gehen ist in unserer Gegenwart und Zukunft. Für den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit. Darum, liebe Schwestern und Brüder, verweist der Evangeliumstext aus dem Markusevangelium auf das Doppelgebot der Liebe:Gottesliebe und Nächstenliebe, untrennbar miteinander verbunden, sind das Zentrum der Ethik im Alten wie im Neuen Testament. Diese Weisung hat Jesus in keiner Weise aufgehoben, sondern mit all´ seinen Worten und Taten eindrücklich bekräftigt. Eigentum verpflichtet – ja, dass wir Gottes Eigentum sind und bleiben sollen, verpflichtet uns auf das Doppelgebot der Liebe.
 Unter dem Bogen des Segens Gottes bleibt das wandernde Gottesvolk unterwegs auf seinem Pilgerweg zu Gott. Es ist eine Wallfahrt der Völker – eindrücklich beschrieben beim Propheten Jesaja – ein Pilgerweg, bei dem der Weg selbst das Ziel ist. Denn auf dem Weg sollen wir damit rechnen, dass Gott uns begegnen wird – so wie damals auf dem Weg nach Emmaus den beiden, die ihn ja auch zunächst nicht erkannten. 
Liebe Schwestern und Brüder, wir sollen damit rechnen, dass Gott sich zu erkennen gibt – in seinem Wort, im Sakrament von Taufe und Abendmahl – und auch in denen, die als seine geringsten Schwestern und Brüder am Wegesrand liegen. Gott lieben und den Nächsten – das ist der Dienst an und für Gott, den er von seinem Volk erwartet. Und beides zusammen heißt für mich Gottesdienst feiern und also hörend, singend, betend und handelnd Gott groß machen und schön vor der Welt. Wir sollen Gottes Zeugen sein – Zeugen für seinen Frieden und für seine Gerechtigkeit. Etwas anderes ist von uns nicht verlangt. Wir leben nicht im Reich Gottes, die Gottesherrschaft ist noch nicht vollendet. Das wissen wir – und darum hoffen wir und beten und bleiben als Gottesträumer unterwegs: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.“ Amen.

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