Predigt über die Jahreslosung (Röm. 12, 21) zu Neujahr 2011 im Dom St. Nikolai zu Greifswald
01. Januar 2011
Liebe Gemeinde, am Ende eines alten und zu Beginn eines neuen Jahres blicken wir zurück. Fernsehprogramme, Zeitungen, Radiosendungen sind voll von Jahresrückblicken. Es gilt, Bilanz zu ziehen: Was hat das vergangene Jahr gebracht? Was lohnt sich, mit hinüber zu nehmen in das neue Jahr 2011? Was sollte besser zurück bleiben?
Vieles bewegt uns. In unserer Region sind wir mit dem Castortransport aus Neue mit der Frage der weiteren Nutzung der Atomenergie konfrontiert worden. Zur Zeit wird in Deutschland die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) diskutiert, also von Untersuchungsmethoden, die es ermöglichen, einen aufgrund künstlicher Befruchtung im Reagenzglas gezeugten Embryo auf eventuelle Schädigungen des Erbgutes zu untersuchen, um es gegebenenfalls abzutötenund nicht in die Gebärmutter einzupflanzen. Wir fragen nach dem Sinn der Beteiligung deutscher Truppen am Krieg in Afghanistan. Immer wieder sind wir gefordert zu entscheiden, ob wir so oder so handeln wollen. Was ist gut oder böse?
Als Christen orientieren wir uns an einer aus den Grundlinien der Offenbarung Gottes in der Bibel entwickelten Ethik. Das Bibelwort aus dem Römerbrief des Paulus, das als „Jahreslosung“ für 2011 ausgewählt wurde, gibt einen wertvollen und lebensklugen Hinweis: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem (Die Bibel, Römerbrief Kap. 12, 21). Das, was gut und böse ist, lässt sich nicht mit Hilfe eines simplen Schwarz-Weiß-Denkens erkennen. Das hat George W. Bush versucht, indem er allzu selbstgewiss die Welt einteilte in die Guten, zu denen für ihn fraglos er selbst und die USA gehörten, und „die Achse des Bösen“. Er merkte dabei gar nicht, wie er damit das Denken der islamistischen Terroristen, die er bekämpfte, wieder spiegelte.
Der Theologie Professor Hans-Joachim Iwand hat einmal gesagt: „Wer Pech angreift, besudelt sich. In dem ihr euch einlasst, dass Böse auf gleicher Ebene zu bekämpfen, begebt ihr euch eures Sieges.“¹ Der Sieg ist aber unser, wenn wir die Lebensweisheit aus Römer 12 Vers 21 nicht isoliert betrachten, sondern mit Paulus im Zusammenhang des christlichen Denkens begreifen. Für Paulus ist das Evangelium, an das er glaubt, nicht eine Spruchwahrheit, die er einfach für richtig zu halten hat, sondern es ist „eine Kraft Gottes“ (Röm. 1,16). Diese Gotteskraft kann man nicht nur entweder nutzen oder es auch lassen, wie man mittels des Zündschlüssels die Motorkraft seines Autos einschaltet oder ruhen lässt. Sondern für jeden, in dessen Leben die Gotteskraft Wirklichkeit geworden ist, hat sie dieses Leben verändert. Das Evangelium als Gotteskraft kann unser Leben umkrempeln. Der Glaube an Jesus Christus setzt uns in ein neues Verhältnis zu Gott, das unser ganzes bisheriges Leben vom Kopf auf die Füße stellt. Paulus weiß darum, dass der Mensch ohne Gott sein Leben eigentlich verwirkt hat. Gott aber ist von sich aus hinter seinen Menschen hergelaufen und schlägt eine neue Brücke zwischen sich und uns. Aus der Selbstabgeschlossenheit und Gottes Ferne hat uns Gott durch Jesus Christus erlöst. Er hat sich auf den Weg zu uns gemacht und tritt für unsere Verfehlung in die Bresche. Wer an Jesus Christus glaubt, für den ist Jesus Christus in die Tiefe menschlichen Seins hineingekommen. Es gibt kein Elend, keine Not und keine Tiefe der Schuld, die Jesus Christus nicht für uns ausgekostet hätte. Für unsere Schuld ist er am Kreuz auf Golgatha gestorben. Gott hat unsere Sünde auf ihn gelegt, damit wir das Leben hätten. Das nennt man Rechtfertigung allein aus Glauben. Alles das hat Gott für uns getan. Der Apostel Paulus bedenkt dieses nicht in unserem Leben begründete Tun Gottes für uns in den ersten Kapiteln des Römerbriefes. In diesem Kapitel 12 fragt er dann nach den Konsequenzen, die Jesu Christi Einsatz für uns in unserem Leben haben sollte. Wenn Christus sich so für uns eingesetzt hat, dann sollten wir ihm unser Leben und unseren Leib als Dankopfer geben. Gottesdienst bedeutet nicht allein sonntags für eine Stunde in die Kirche zu gehen. Gottesdienst bedeutet das ganze Leben, das wir Jesus Christus verdanken, ihm zu übereignen. Das zeigt sich an der Veränderung unseres Sinnes. Wer an Jesus Christus und sein Werk glaubt und sich auf ihn hin taufen lässt, der wird Glied am Leibe Christi (vgl. Röm. 12, 3ff.).Mit der Taufe werden wir aufs Neue Eigentum Christi. Es steht nun nichts mehr zwischen uns und Gott. Und das neue Leben des Glaubens soll von der Liebe bestimmt sein. Es soll dem Guten dienen und nicht dem Bösen.
Wenn wir nun fragen, woher wir nun die Maßstäbe nehmen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, dann verweist Paulus einerseits auf die Nähe der Glaubenden zu Jesus Christus und andererseits auf ihre Vernunft als Möglichkeit das Gute zu prüfen. Das wirklich Gute erkennen wir, indem wir uns anschauen, wie Gott bisher gehandelt hat und daraus nach seinem Willen fragen. Um zu prüfen, was Gottes Wille ist, muss die Vernunft, die Gott uns gegeben hat, an der Betrachtung von Geschichte und Wort Gottes geschult und auf die gegenwärtigen Herausforderungen angewandt werden. So lässt sich das Gute, Einleuchtende und Vollkommene herausfinden. Der Wille Gottes ist niemals etwas, das lediglich die Verhaltensweisen dieser Welt spiegelt, noch ist er ohne die Bereitschaft zur grundlegenden Veränderung unseres Lebens zu haben (vgl. 12, 1f). Wie dieses von der Liebe veränderte Leben aussieht, beschreibt Paulus im Zusammenhang des 12. Kapitel des Römerbriefes so: „Vergeltet niemanden Böses mit Bösem. Seit auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist es möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“. Lass dich nicht vom Bö-sen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem (Röm. 12, 17-21).
Wenn wir uns fragen, ob wir diese Aufforderungen erfüllen können, dann können wir uns klar machen, dass sie bereits von Jesus Christus erfüllt worden sind. Wir könnten deswegen unseren Text auch so umformulieren: „Jesus Christus vergalt nicht Böses mit Bösen, sondern er sann auf Gutes gegenüber allen Menschen. Er hielt Frieden mit allen Menschen, wenn es nur möglich war und soviel an ihm lag. Er rächte sich nicht selbst, sondern er gab Raum dem Zorn Gottes nach dem Wort der Schrift: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, sprich der Herr.“ Durch die Taufe sind wir mit Jesus Christus verbunden. Wenn wir unser Leben nach seinem ausrichten, dann stehen wir auf der Seite des Sieges des Guten über das Böse.
Natürlich prägt uns die Vergangenheit, sind in ihr Chancen und Begrenzungen vorgegeben. Aber das alte Denken legt uns nicht völlig fest. Es ist unsere Entscheidung, wie wir mit dem umgehen, was uns in der zurückliegenden Zeit begegnet ist und wie wir die Zukunft gestalten wollen. Das neue Jahr birgt wie jeder neue Morgen die Möglichkeit zu einem Neuanfang. Christus schenkt uns dazu sowohl das neue Denken wie auch die Kraft, uns darauf einzulassen.
Im neuen Jahr 2011 wird sich nicht alles schlagartig zum Guten ändern. Wenn wir dieseWeisheit von Paulus zu unserem Motto für 2011 machen, kann dies der Anfang der Weltveränderung zum Guten sein; unserer kleinen Welt der Familie, der Nachbarschaft und der Firma, unserer Dörfer und Städte und unserer Gesellschaft. Es beginnt damit, dass wir aus dem Kreislauf des Bösen aussteigen. Einige Beispiele zeigen, wie das gehen kann.
- In unseren persönlichen Beziehungen bedeutet das, uns nicht bestimmen zu lassen von dem gehässigen Ton, der uns an den Kopf geworfen wurde, und ihn eben nicht genauso zurückzugeben.
- Wenn wir der Aufforderung des Apostel Paulus folgen und unsere Vernunft gebrauchen, dann wird uns schlagartig klar, dass es unverantwortlich ist, weiter Atommüll zu produzieren, wenn wir nicht wissen, wohin wir mit diesen bisher vorhandenen zehntausenden von Tonnen sollen. Atommüll ist das Giftigste, was die Menschheit bisher produziert hat. Hunderttausende von Jahren muss er von der Biosphäre abgeschlossen werden. Obwohl wir seit sechzig Jahren Atommüll produzieren, wissen wir bis heute nicht, wie seine Entsorgung geschehen soll. Deswegen ist es keine herbeigeredete, sondern eine ganz reale Gefahr, dass die so genannten Zwischenlager zu Endlagern werden. Das gilt natürlich auch für Lubmin, das so genannte Zwischenlager Nord. Ursprünglich war es nur für den in Lubmin und Rheinsberg entstandenen Atommüll vorgesehen. Nun wird dort auch anderer, in Westdeutschland entstandener Atommüll eingelagert. Einen Transport haben wir gerade hinter uns, die nächsten sind für das nächste Jahr angekündigt. War bisher die Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers bis zum Jahre 2039 beschränkt, so stellt der Bund nun schon Finanzen zur Verfügung bis zum Jahre 2080. Dabei gibt es bisher noch keine Entscheidung über eine Verlängerung der Zwischenlagergenehmigung. Hier muss man doch den Eindruck gewinnen, dass schleichend das Zwischenlager Lubmin zu einem faktischen Endlager für Atommüll wird. Dafür ist es aber gar nicht ausgerichtet. Auch wenn einem hierüber der Zorn ins Gesicht steigen kann, so darf doch – nehmen wir die Mahnung des Apostel Paulus ernst – unser Protest gegen die wegen der ungelösten Endlagerfrage nicht verantwortliche Atompolitik niemals in Gewalt umschlagen und so die Alternative „saubere Energie aus erneuerbaren Ressourcen und Einsparung bisher verschwendeter Energie“ unglaubwürdig machen.
- Wer für die vielleicht auch nur begrenzte Freigabe der PID eintritt, muss glaubwürdig darlegen, bei welchen lebensbedrohenden Erbkrankheiten er für ihre Anwendung eintritt, und wie er einer Ausweitung entgegentreten will. Es gibt in unserer Gesellschaft eine Erwartung, den Menschen immer weiter zu perfektionieren. Ein gesellschaftlicher Druck zur Abtreibung behinderter Kinder existiert bereits. „Musste das denn sein, wo es doch möglich ist, die Gesundheit des Embryos zu prüfen?“ Diese Frage müssen sich schon heute Eltern behinderter Neugeborener stellen lassen. Bald wird ein finanzieller Druck der Krankenkassen folgen, nach dem es der Solidargemeinschaft der Versicherten nicht zuzumuten ist, so viel Geld für Behinderte auszugeben.
- Nachdem Deutschland sich in den Krieg in Afghanistan hat verwickeln lassen, besteht die tägliche Gefahr, uns das Denken der Problemlösung durch Vernichtung zu eigen zu machen. So denken die Taliban. Wenn man in einem solchen Konflikt selbst bedroht wird, liegt es nahe, mit Bedrohung zu antworten. Aber das Böse lässt sich nicht durch Böses überwinden, sondern nur durch das Gute, das an seine Stelle gestellt wird. Ist das nicht möglich, ist es besser, Positionen zu räumen, als in die Logik zu verfallen, die man bekämpfen will.
- Liebe Gemeinde, wir können uns zurückziehen aus Afghanistan. Die Christen im Orient, im Irak und aus Ägypten, können das nicht. Leider wird auf ihrem Rücken der „Kampf der Kulturen“ ausgetragen. Heute hat wieder ein irregeleiteter Selbstmordattentäter in Alexandria in Ägypten 21 unschuldige Christen, die aus einem Neujahrsgottesdienst kamen, mit sich in die Luft gesprengt. So kann das nicht weitergehen! Wir brauchen endlich von einflussreicher islamischer Seite eindeutige Aufrufe, die solche Gewalt beenden. Wir brauchen Verbündete unter den muslimischen Gelehrten und leitenden Geistlichen, die mit uns aus dem Kreislauf des Bösen aussteigen wollen.
Aber die Kraft zum Ausstieg aus dem Kreislauf des Bösen hat man nicht immer. Da ist es gut, sich in Gemeinschaft auf die Suche nach Alternativen zu machen. Die evangelische Kirche lädt ein, in ein Umdenken jetzt einzusteigen. In den Kirchengemeinden findet man sicher Mitstreiter für das Gute. Im Glauben und der Gottesbeziehung liegt die Kraft zum Neuanfang. So bietet das neue Jahr zugleich die Einladung, sich mit Fragen auseinander zu setzen, die über diese Welt und diese Zeit hinausgehen. Bei der Frage nach Gott gibt es keine einfachen Antworten.
Um die Zahl derer zu vergrößern, die auf dem Wege sind, aus der Spirale des Bösen auszusteigen, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das Jahr 2011 zum Jahr der Taufe ausgerufen. Unter der Überschrift: „Freiheit und Taufe“ werden in allen Landeskirchen Veranstaltungen stattfinden. Auch wir in Pommern machen dabei mit. Schon seit einigen Jahren versuchen wir die Ausdrucksformen unserer Spiritualität um eine Taufspiritualität zu erweitern. Mit einer auf 6 Jahre ausgelegten Aktion des „Ja(hr) zur Taufe“ machen wir die Taufe bekannt. Die Taufe ist ein Weg, um einen Neuanfang mit Gott zu machen. In der Taufe verbindet sich Jesus Christus mit der oder dem Getauften. Darum ist die Taufe eine optimale Vorraussetzung für eine Frömmigkeit, die aus der Verbindung mit Jesus Christus Auswege aus dem Teufelskreis des Bösen sucht. Hinter dem „Jahr zur Taufe“ verbirgt sich die Einladung vieler Kirchengemeinden, über Gott und den Glauben ins Gespräch zu kommen und die Taufe als Geschenk eines neuen Lebens kennen zu lernen. So hat in der Kirche im vergangenen Jahr manch einer in der Taufe die Kraftquelle zum Guten erlebt.
Auf wenn wir uns vielleicht überfordert fühlen, wenn wir nun sogar unseren Feind lieben sollen, dann dürfen wir es uns doch gesagt sein lassen: Wir können es. Wir stehen auf der Seite des Siegers über das Böse. Ich darf es Ihnen heute für das Jahr 2011 mit dieser Jahreslosung zu sagen: Sie können lieben, denn sie sind geliebt! Sie können lieben, denn sie sind auf den Herrn getauft, der gestorben und wieder von den Toten auferstanden ist. Seine Kraft ist in Ihnen mächtig. Deswegen können sie das Böse mit Gutem überwinden. Amen.
¹HJ Iwand, nachgelassene Werke III (1967), Römer 12, Vers 16b bis 21, 128 bis 135, 135.