„Vom Himmel hoch, da komm ich her“
28. Dezember 2022
Predigt von Bischof Magaard zur Krippenandacht zur Choralkantate „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy
Liebe Gemeinde!
„Wie da jedes Wort nach Musik ruft, wie jede Strophe ein anderes Stück ist, wie überall ein Fortschritt, eine Bewegung, ein Wachsen sich findet, das ist gar zu herrlich und ich komponiere hier mitten in Rom sehr flüssig daran…“
So begeistert schreibt Felix Mendelssohn Bartholdy am 2. Januar 1831 an seinen langjährigen Freund, Franz Hauser, der ihm zum Abschied ein kleines Büchlein mit Luther’s Liedern mit auf die Italienreise gegeben hatte.
Gerade konnten wir den ersten drei Teilen seiner Komposition folgen: Mit dem prächtigen Eingangschor und der so eindrucksvoll unterstrichenen Botschaft am Ende :
Euch ist ein Kindlein heut‘ geborn, von einer Jungfrau auserkorn, ein Kindelein so zart und fein, das soll euer Freud und Wonne sein.
Und dann wird in der Arie besungen, was das Einzigartige dieser Geburt ist:
Es ist der Herr Christ, unser Gott, der will euch führn aus aller Not. Er will euer Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein.
Mendelssohn komponierte inspiriert von Johann Sebastian Bachs Werk eine ganze Reihe von Choralkantaten. Diese Kantate über das bekannten und beliebten Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her ", komponierte er im Januar 1831 im Alter von 21Jahren.
Martin Luther verfasste das Lied „Vom Himmel hoch da komm ich her“ für das Weihnachtsfest 1534 und er nutzte die bekannte Melodie eines mittelalterlichen Spielmannsliedes. „Ein Kinderlied auf die Weihnacht Christi“, so war es überschrieben, das einerseits die Geburtsgeschichte nach dem Lukasevangelium vertonte, um dann seine Folgen für die Menschen zu beschreiben.
Es kann als ein Krippenspiel in Liedform bezeichnet werden – geschrieben für die Weihnachtsfeier zuhause und vor allem für seine Kinder: Hans 8 Jahre alt, Magdalene 5 Jahre, Martin 3 Jahre, Paul fast 2 Jahre und Margarte gerade eine Woche alt. In einer großen Familie ließen sich die 15 Strophen wunderbar verteilt.
Martin Luther stellt dabei die „guten Mär“, die gute, weihnachtliche Botschaft in den Mittelpunkt und es klingt wie ein kleines Glaubensbekenntnis. Auf diese Weise sollten sich die verheißungsvollen Worte einprägen und jedermann zugänglich werden. Er war überzeugt, dass das gesungene Wort leichter in unser Herz findet und seine Botschaft als Melodie eingängiger zum Ausdruck bringen kann.
Martin Luther beschreibt es so: „Der Engel spricht nicht schlechthin, es sei Christus geboren, sondern: Euch, Euch ist er geboren! Desgleichen spricht er nicht: ich verkündige eine Freud, sondern: Euch, Euch verkündige ich eine große Freud. Desgleichen: diese Freud wird nicht in Christus bleiben, sondern allen Leuten widerfahren…“
Kein Wunder also, dass ab 1541 dieses Lied fester Bestandteil der Gesangbücher wurde und vielfach übersetzt in andere Sprachen. Sowie bearbeitet in diversen Instrumentalversionen.
Luther nimmt die Singenden von Anfang an mit in die Geschichte hinein. Jedem gilt die Botschaft des Engels. Jeder ist aufgefordert, sie für sich zu verinnerlichen. Eindrücklich wird dies gleich in der Sopran-Arie zu hören sein, eine persönlich nachdenkliche Antwort auf die wundersame Botschaft der Engel :
„Sei willekommen du edler Gast, den Sünder nicht verschmähet hast und kommst ins Elend her zu mir, wie soll ich immer danken dir?“
Am Schluss der Kantate werden die Singenden selbst zu einem Teil des jubelnden Engelchores. Der Himmel singt und wir singen mit.
Lob, Ehr‘ sei Gott im höchsten Thron, der uns schenkt seinen ein’gen Sohn! Des freuen sich der Engel Schar und singen uns solch neues Jahr.
Acht Strophen des Weihnachtsliedes liegen der Kantate zugrunde. Wenn im Eingangschor das Orchester strahlend beginnt und die Stimmen rasch nacheinander einsetzen dann entsteht eine himmlische Leichtigkeit und jubelnde Freude.
Vom Himmel hoch kommt Gott zu den Menschen, zu uns auf die Erde. Den Schöpfer des Himmels und der Erde hält es nicht im Himmel. Sondern es zieht ihn nach unten auf die Erde. Er wird sichtbar, erkennbar und nahbar: Gott wird Mensch.
Das ist das Geheimnis der Heiligen Nacht. Himmel und Erde berühren sich. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“, singen die Engel. In die Mühsal des Lebens kommt der Retter. Das Vergängliche wird eingewoben in die Ewigkeit.
Gott nimmt Wohnung bei den Menschen. Ein Stück Himmel ist mitten unter uns.
Aber dies ereignet sich nicht im Zentrum der Macht, sondern am Rande der Welt, weit draußen vor den Toren der Stadt. In der Krippe in einem Stall. Gott verschließt sich nicht dem Elend dieser Welt:
Er nimmt auf sich, was Not macht: Die Kriege, die geführt werden mit den zahlreichen Opfern. Den Hass und die Gewalt, die aufbrechen. Die Zerstörung, die die Erde bedrückt. Schon damals ist die Geschichte der Geburt Jesu in eine Welt verkündigt worden, die aus den Fugen geraten war.
Dieses Bild eines Gottes, der sich den Menschen, ja allen Bedürftigen zur Seite stellt, ist auch für uns tröstlich. Es kann uns davor bewahren, hart und unmenschlich zu werden, wenn sich die vielen lebensfeindlichen Bilder von Krieg und Angst in unseren Köpfen festsetzen. Es kann uns auch davor bewahren, in Ohnmachtsgefühlen zu resignieren.
Der Zerstörung und dem Hass wird das Bild eines „Kindelein so zart und fein“ entgegen gesetzt. Damit wir sensibel bleiben für alle, die in dieser Welt schutzbedürftig sind: Die auf der Flucht sind. Die einsam sind und nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Die Kinder, die heranwachsen. Diejenigen, die erschöpft und müde sind.
Wir brauchen Bilder, die uns die Augen öffnen und uns sensibilisieren. Bilder, die uns erfüllen und aus Dankbarkeit in die Verantwortung rufen. An der Krippe wird das Leben auf der Erde vom Himmelslicht berührt. Und es ist an uns, von diesem Licht zu erzählen und es weiterzugeben durch Wort und Tat und durch die Musik.
Liebe Gemeinde, ich wünsche Ihnen für diese Weihnachtstage, dass der Himmel sich auch für Sie ein Stück weit öffnet und Sie sich erfüllen lassen von der Freude und dem Zuspruch der „guten Mär“.
Sie ist eine Kraft, die uns trägt in allem, was uns in dieser Welt begegnet.
Diese Freude möge Ihnen auch nach den Weihnachtstagen nicht verloren gehen, sondern Sie im Unterwegssein durch helle und dunkle Zeiten begleiten, stärken und tragen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.